Studie Warum so schnell kein Personenzug von Döbeln nach Meißen fährt

19. September 2023, 06:00 Uhr

Das sächsische Wirtschaftsministerium bekennt sich zum Personenverkehr auf der Schiene und hat Gutachten zur Wiederbelebung früherer Regionalbahnstrecken in Auftrag gegeben. Für drei Strecken wurde hohes Potenzial bestätigt. Dazu gehört auch die viel diskutierte Verbindung Döbeln - Nossen - Meißen, auf der seit Ende 2015 keine Regionalbahn mehr fährt. Allzu schnell wird sich daran auch nichts ändern, betonen Verkehrsverbünde und der Streckenpächter.

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Es sollen wieder Personenzüge auf mehr Nebenstrecken in Sachsen rollen. Das ist seit Jahren ein erklärtes Ziel des SPD-geführten Wirtschaftsministeriums im Freistaat. Die Ergebnisse eines Gutachten bescheinigen nun den Verbindungen Döbeln - Nossen - Meißen (mit Verlängerung bis Dresden), Pockau-Lengefeld - Marienberg und Beucha – Brandis – Trebsen ein hohes Potenzial. Das bedeutet: Die zu erwartenden Fahrgastzahlen würden Investitionen in die Modernisierung der Strecke rechtfertigen.

Allzu schnell werden aber wohl keine Personenzüge auf den Strecken fahren. Denn zunächst müssen die notwendigen Sanierungen geplant, ausgeschrieben und bezahlt werden. Sind die Strecken dann modernisiert, muss der Verkehr von den Zweckverbänden auch bestellt und letztendlich finanziert werden. Realistische Zeitpläne will derzeit niemand nennen - erst Recht vor dem Hintergrund des Mangels an Bauarbeitenden und steigenden Kosten für Material und Energie sowie einem Investitionsstau im Netz der Deutschen Bahn.

Verbünde verweisen auf fehlender Gelder für Personenverkehr

Vom Verkehrsverbund Oberelbe (VVO) und dem Verkehrsverbund Mittelsachsen (VMS) hieß es dazu unisono: Man würde bestellen, wenn das Land zusätzliche Gelder zur Verfügung stellt. Verbindliche Aussagen dazu gibt es vom Wirtschaftsministerium noch keine, folglich auch keinen Zeitplan für die Rückkehr der Züge in den ländlichen Raum.

Ein Sprecher des VVO sagte, Priorität habe der Erhalt des jetzigen Eisenbahn-, Bus- und Stadtverkehrs über das Jahr 2024 hinaus. Steigende Personalkosten, hohe Energiepreise, weniger Einnahmen durch das im Vergleich zu Monatskarten günstigere Deutschlandticket sowie ein anhaltender Mangel an Fahrerinnen und Fahrern könnten entgegen der propagierten Verkehrswende im schlimmsten Fall zu ausgedünnten Fahrplänen oder Abbestellungen von Zugverkehr auf kompletten Strecken führen. An neue Zugverbindungen wollen die regionalen Besteller der Leistungen derzeit gar nicht denken - solange sie nicht mehr Geld vom Freistaat erhalten.

Die Formulierung des Ministeriums "Die stillgelegten Strecken in Sachsen wurden nicht von der Regierung stillgelegt oder weil auf diesen zu viel Verkehr war. Sondern die Zweckverbände haben den Betrieb einstellen lassen, weil die Nachfrage der potentiellen Bahnnutzer nicht mehr gegeben war", stößt den Zweckverbänden auf. Aus den Verkehrsverbünden hieß es dazu, der Verkehr sei seinerzeit abbestellt worden, weil das Land nicht genug Geld für den Erhalt des Personenverkehrs auf nachfrageschwachen Bahnstrecken zur Verfügung gestellt habe.

Gleisreparatur dient zuerst dem Güterverkehr zum Tanklager

Beispiel Döbeln - Meißen: Selbst das Wirtschaftsministerium räumt ein, dass die für 2024 geplanten Sanierungsarbeiten zunächst "den Zugang per Schiene zum strategisch wichtigen Tanklager in Rhäsa sicherstellen" sollen. Dort werden Heizöl und Kraftstoffe für Tankstellen umgeschlagen. Das Tanklager bei Nossen wird von täglich durchschnittlich zwei Güterzügen mit Kesselwaggons angesteuert - meist über Coswig und Meißen, gelegentlich auch über Döbeln. Um die Wiederaufnahme des Personenverkehrs geht es beim Schwellentausch noch nicht vordergründig.

Seit 2016 ist die Strecke Meißen - Döbeln von der Nossen-Riesaer Eisenbahn-Compagnie (NRE) gepachtet. Nach Aussage von Geschäftsführer Eckart Sauter scheitert eine komplette Übernahme am Besitzer DB Netz.

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Die Nossen-Riesaer Eisenbahn-Compagnie (NRE) ist ein Eisenbahninfrastruktur-Unternehmen mit Sitz in Nossen. Die Firma ist Pächter der Eisenbahnstrecke Döbeln - Nossen - Meißen und ermöglicht durch Unterhalt der Gleis- und Signalanlagen die Bedienung des Tanklagers Rhäsa mit Kesselwagenzügen. Diese Leistungen werden von verschiedenen Bahnunternehmen bespannt. Die NRE ist ferner Besitzer der Bahnstrecke Nossen - Riesa, die derzeit bis Starbach gelegentlich für Getreidezüge genutzt wird und von Nossen aus bis Prausitz bei Riesa wieder nutzbar gemacht werden soll.

Seit dem 1. Juli 2023 gehört auch die Strecke Nossen - Freiberg durch den Zellwald der NRE. Sie soll für den Ausflugsverkehr (unter anderem des Nossener Eisenbahnvereins) und für Güterzüge erhalten werden. Zunächst sind Getreidezüge zwischen Großschirma und Freiberg geplant.

Die NRE besitzt auch Güterwagen für den Getreidetransport und eine Diesellok sowjetischer Bauart der Reihe 232. Die Lok wird vom Eisenbahnunternehmen Triangula aus Gelenau bundesweit eingesetzt, die Güterwagen werden auch vermietet.

Erster Schritt: Schwellenwechsel zwischen Nossen und Meißen

Laut Sauter sollen im kommenden Jahr auf etwa drei Kilometern Länge marode Betonschwellen ausgewechselt werden. Der Freistaat steuert 1,7 Millionen Euro dafür bei, der Eigenanteil der NRE liegt bei 150.000 Euro und die Finanzierungslücke zu den veranschlagten 3,5 Millionen Euro wird mit Fördergeldern des Bundes geschlossen. Der Schwellentausch wäre für den bestehenden Güterverkehr ohnehin nötig gewesen. Man flicke nun aber nicht notdürftig, sondern baue so, dass die Züge im Fall der Reaktivierung des Personenverkehrs schneller fahren könnten, sagte Sauter. Er sieht die Arbeiten deshalb als eine Investition in eine langfristige Zukunft der Strecke.

Noch keine Kostenschätzung für Streckensanierung Döbeln - Meißen

Was eine komplette Streckenmodernisierung auf den 40 Kilometern zwischen Döbeln und Meißen kosten würde, dazu will Sauter keine Schätzung abgeben. Frühere Zahlen seien angesichts gestiegener Preise für Material und Bauleistungen unseriös, sagt er. Zudem seien unterschiedliche Versionen denkbar - etwa auch unter teilweiser Einbeziehung der Stellwerkstechnik aus Kaiserzeiten. Die sei zwar museal, aber sicher und funktioniere einwandfrei.

Würde man nur auf die alte Technik setzen, seien aber 35 Stellwerksmitarbeitende nötig. Das sei nicht zuletzt vor dem Hintergrund des angespannten Arbeitsmarktes unrealistisch, so der NRE-Chef. Die Belegschaft seines Unternehmens umfasst gerade einmal 20 Mitarbeitende. Diese Eisenbahner haben auch bisher schon die Strecke saniert, wo immer dies nötig gewesen ist.

Reaktivierung stillgelegter Strecken kontra Reaktivierung Personenverkehr Das sächsische Verkehrsministerium (SMWA) spricht in seinen Pressemitteilung immer wieder von Reaktivierung stillgelegter Bahnstrecken. Auf Nachfrage räumt das Ministerium ein, dass diese Formulierung so nicht korrekt ist. Viele der Strecken sind nicht stillgelegt, sie werden nur nicht mehr von Personenzügen befahren. "Mit dem Grundsatz der 'Reaktivierung stillgelegter Eisenbahnstrecken' verbindet das SMWA seit Beginn der Debatte das Ziel, Verkehrsleistungen des Schienenpersonennahverkehrs auf Schienenstrecken wieder aufzunehmen", erklärt das Ministerium. "Im Sinne einer verständlichen Berichterstattung hat das SMWA von einer Unterscheidung der Begrifflichkeiten 'stillgelegt' und 'abbestellt' abgesehen. Für die Nutzerinnen und Nutzer besteht das Interesse darin, ob die relevante Strecke mittelfristig wieder von Personenzügen befahren werden kann."

Für das formelle Verfahren zur Stilllegung einer Schieneninfrastruktur gemäß § 11 Allgemeines Eisenbahngesetz ist das Eisenbahn-Bundesamt (EBA) zuständig. Das Land Sachsen konnte und kann also eigenmächtig gar keine Strecken stillegen. Marco Henkel, Referent im SMWA

Streckenpächter: Bestellung von Regionalverkehr vor Streckensanierung sinnvoll

Sauter hält es für wichtig, dass die Zweckverbände VVO und VMS schon zeitnah Personenverkehr bestellen. Das könnte die Politik auf Landes- und Bundesebene animieren, wegen des dann bestehenden Reaktivierungsbedarfs weitere Gelder für Modernisierung der Infrastruktur zur Verfügung zu stellen. VVO und VMS argumentieren bisher genau andersherum und wollen frühestens dann bestellen, wenn die Strecke einen zeitgemäßen Zugverkehr mit hohen Geschwindigkeiten ermögliche. Der VVO-Sprecher stellt hierbei auch klar - die Infrastruktur, also die Eisenbahnstrecke selbst, liege nicht im Verantwortungsbereich und in der Kompetenz des Verkehrsverbundes. Deren Ausbauzustand müssten Land und Verpächter unter sich ausmachen.

Marienberg hat gute Chancen auf Rückkehr der Personenzüge

Bei der möglichen Reaktivierung des Personenverkehrs auf der Strecke Pockau-Lengefeld - Marienberg im Erzgebirge erklärte der Sprecher des VMS, das Vorhaben werde von der Erzgebirgsbahn und dem Verkehrsverbund ohnehin seit einiger Zeit verfolgt und in der Region gefordert.

Zunächst seien 15 Millionen Euro für die Streckenertüchtigung nötig, bevor Verkehr bestellt werden könne. Aktuell fahren auf der Strecke gelegentlich schwere Güterzüge mit Material und Ausrüstung von und zum Bundeswehr-Standort Marienberg. Diese rund zwölf Kilometer lange Strecke ist also ebenfalls in Betrieb - seit Ende 2013 aber ohne Personenverkehr.

Pockau-Lengefeld ist über die Strecke Chemnitz - Flöha - Olbernhau-Grünthal durch die Triebwagen der Erzgebirgsbahn ans deutsche Schienennetz angebunden. Der Abzweig nach Marienberg führte einstmals bis hinauf nach Reitzenhain und weiter über die Grenze nach Křimov (Krima), gelegen an der Bahnstrecke Cranzahl - Vejprty (Weipert) - Chomutov (Komotau).

Millionen Euro Zuschussbedarf bei Reaktivierung des Zugverkehrs

Nach Berechnungen mit aktuellen Kosten für Eisenbahnverkehrsleitungen im Jahr 2023 seien für einen Regionalbahnverkehr zwischen Marienberg und Pockau-Lengefeld bei Zügen werktags mindestens im Stundentakt jährlich rund 2,3 Millionen Euro nötig, hieß es vom VMS.

Der VVO hat für den Abschnitt Nossen - Meißen mit Verlängerung der Züge bis Dresden rund zehn Millionen Euro jährlich prognostiziert - weitere Steigerung bei den Personal- und Energiekosten nicht eingerechnet. Für die Strecke Beucha - Brandis - Trebsen belaufen sich die Investitionskosten laut Gutachten auf rund 32 Millionen Euro, der Zuschussbedarf für den Personenverkehr wird danach mit 2,1 Millionen Euro pro Jahr ausgewiesen.

Für die ebenfalls untersuchten Strecken Löbau – Ebersbach und Niedercunnersdorf – Oberoderwitz (Herrnhuter Bahn) in der Oberlausitz könne derzeit keine Kostendeckung erreicht werden, hieß es vom Wirtschaftsministerium. Die Verbindung Kamenz - Hosena Richtung Senftenberg/Hoyerswerda könnte hingegen mit Mitteln aus dem Strukturfonds zum Braunkohleausstieg elektrifiziert werden. Eine mögliche Zukunft der Strecke Großbothen – Rochlitz – Narsdorf (Muldentalbahn) wird vom Zweckverband für den Nahverkehrsraum Leipzig untersucht. Das sächsische Wirtschaftsministerium unterstützt beide Vorhaben.

MDR (lam)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Regionalreport aus dem Studio Dresden | 18. September 2023 | 14:30 Uhr

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