Eine Kurzgeschichte auf über 400 Seiten gestreckt.
Lena Nguyen setzt alles daran, um hinter Wahrheit des Todes ihrer Zwillingsschwester Cambry zu kommen. Die hat sich vor wenigen Monaten im Alter von 24 Jahren von einer Brücke zu Tode gestürzt. Und genau an dieser Brücke wird sich Lena mit dem Polizisten treffen, der Cambry offenbar gefunden hat. Doch an einen Selbstmord glaubt Lena nicht.
„Wenn ich diesen Kreuzzug nicht führen würde, wüsste ich nicht, was ich sonst täte.“
Die Prämisse ist noch vielversprechend, die ersten Seiten atmosphärisch gelungen und so lassen ich mich in das stimmungsvolle Setting an der alten Hairpin Bridge ziehen. Diese Brücke wird offenbar häufiger mit Todesfällen in Zusammenhang gebracht. Lastet sogar ein Fluch auf dem Bauwerk? Das erste Aufeinandertreffen mit Lena und Corporal Raymond R. Raycevic deutet schnell an, dass hier - hoch über dem Tal - noch einiges aufzuarbeiten ist. Lena ist sich jedenfalls sicher, dass der Gesetzeshüter etwas vor ihr verbirgt.
Schnell aber zeigt sich, dass es dem Thriller an Substanz fehlt. Taylor Adams gelingt es nicht, seinen Hauptfiguren griffiges Profil zu verleihen und sie in einer packenden und mitreißenden Story zu verflechten. Er manövriert die beharrliche Lena und den abgeklärten Ray vor allem durch ein andauerndes Wechselbad der Gefühle, das auch mir schon bald an die Nerven gehen wird. Eben noch souverän und mit coolem Spruch auf den Lippen, die Waffe im Anschlag, dann wieder verzweifelt und niedergeschlagen, mit einem Bein über dem Abgrund, bevor wieder – für einen Moment - Mut und Selbstvertrauen die Oberhand nehmen - das alles erlebt Lena quasi auf einer Seite und das mehrmals im Roman.
Auch wenn es immer mal wieder kurze packende Abschnitte mit mehr Tempo gibt und die aus der Perspektive von Chambry rückblickend erzählten Ereignisse für Abwechslung sorgen, kommt die Geschichte nur mühsam von der Stelle, Lena und wir der Wahrheit – und dem Ende des Buches - entsprechend nur langsam näher. Um Spannung zu erzeugen, muss Taylor Adams die Geschichte immer wieder arg konstruieren, die Dynamik der Figuren wird nicht gut ausbalanciert. Manch nette Idee, Enthüllung oder Wendung verfehlt ihre Wirkung und geht im permanenten Auf und Ab, Hin und Her, Vor und Zurück unter. Eine dünne familiäre Hintergrundgeschichte kann auch keine besonderen emotionalen Akzente setzen und der Titel gebende Schauplatz verblasst mit der Zeit. Letztere drängt, ein Waldbrand ist im Anmarsch…
Fazit
Als Kurzgeschichte in einer Thriller-Sammlung hätte „Die Brücke“ eine gute Figur machen können, ohne aber auch dann besonders hervorzustechen. Doch zu bemüht erzählt und deutlich gestreckt, verliert die Geschichte einer Rache schnell an Reiz.
Taylor Adams, Heyne
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