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Rechnungshof spricht Klartext: EU kann neue Gaskrise nicht verhindern - und hatte letztes Mal einfach Glück

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Vor zwei Jahren steckten Deutschland und die EU in einer Energiekrise, ausgelöst durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. Die Katastrophe blieb zwar aus. Trotzdem warnt der EU-Rechnungshof jetzt.

Brüssel – Zwei Jahre ist es nun her, da hat die Bundesregierung hierzulande noch vor einer Gasmangellage im Winter gewarnt. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) arbeitete mit Hochdruck daran, das aus Russland kommende Gas zu ersetzen – und zwar bevor der Kremlchef Wladimir Putin den Gashahn zudrehte. Ein wichtiger Baustein, der die Versorgungskrise sowohl in Deutschland als auch in der gesamten EU verhinderte, war der Import von Flüssigerdgas (LNG). Ein zweischneidiges Schwert, wie ein EU-Sonderbericht nun feststellt.

Rechnungshof: EU hat Gas-Abhängigkeit gegen LNG-Abhängigkeit getauscht

Denn damit hat die EU nach Ansicht des Rechnungshofs zwar die akute Krise verhindert; ihre Abhängigkeit hat sie aber einfach nur verschoben: vom Erdgas auf LNG. So lautet das Fazit eines neuen Berichts des EU-Rechnungshofs, der am Montag (24. Juni) veröffentlicht wurde.

Luftaufnahme LNG-Terminal Wilhelmshaven
Luftaufnahme des LNG-Speicher- und Verdampfungs-Schiffes „Höegh Esperanza“ am LNG-Terminal Wilhelmshaven. © Stefan Rampfel/dpa

„Die Krise, die durch den Großangriff Russlands auf die Ukraine im Jahr 2022 ausgelöst wurde, hat die Widerstandsfähigkeit der EU gegenüber einer abrupten Veränderung bei der Gasversorgung auf die Probe gestellt“, sagt João Leão als zuständiges Mitglied des Rechnungshofs bei der Präsentation der Ergebnisse. „Angesichts ihrer Abhängigkeit von Gas aus dem Ausland wird die EU nie einfach die Hände in den Schoß legen können, wenn es um die Versorgungssicherheit geht. Auch die Konsumenten haben für den Fall eines künftigen größeren Engpasses keine Garantie, dass die Preise bezahlbar bleiben.“

EU ist von LNG abhängig - Klimaziele rücken damit wieder in die Ferne

Der Sonderbericht des Rechnungshofs kommt zu dem Schluss, dass die EU im Wesentlichen weiter abhängig ist, mittlerweile von importiertem LNG. Damit seien die Mitgliedsländer nicht nur immer noch einem volatilen Energiemarkt abhängig, sondern erreichen damit auch nicht ihre Klimaziele. „Im Rahmen ihrer Anpassung an die durch die Krise geschaffenen neuen Gegebenheiten hinsichtlich der Versorgungssicherheit muss sich die EU neuen Herausforderungen stellen, die mit der zunehmenden Abhängigkeit von Flüssigerdgas (LNG) und der Notwendigkeit von CCUS-Maßnahmen [Carbon Capture Utilization and Storage, Anm. d. Red.] zur Dekarbonisierung zusammenhängen“, heißt es in dem Bericht.

Die Grafik zeigt die Verschiebung der Abhängigkeiten: von russischem Erdgas auf LNG.
Die Grafik zeigt die Verschiebung der Abhängigkeiten: von russischem Erdgas auf LNG. © Screenshot/Sonderbericht des EU-Rechnungshofs

Die EU ist nach Ansicht des Rechnungshofs damit nicht vorbereitet auf eine weitere Gaskrise und könnte Verbraucher und Verbraucherinnen nicht vor erneuten hohen Preisen schützen. Noch dazu ist sie weit entfernt davon, die Energieversorgung zu dekarbonisieren. Die Prüfer des Rechnungshofs sind außerdem nicht davon überzeugt, dass die EU-Länder wegen ergriffener Maßnahmen eine Gasmangellage verhindert haben - oder ob es Glück war, weil der Winter 2022/23 mild ausfiel.

Gelobt wurde allerdings, dass die EU-weite Gasnachfrage seit 2022 um 15 Prozent gesunken ist und dass die Befüllungspflicht für Gasspeicher übertroffen wurde.

„Solidarität zwischen EU-Ländern lässt zu wünschen übrig“ - Deutschland schließt Abkommen mit Italien

Was der Rechnungshof in dem Sonderbericht ebenfalls kritisiert, ist die fehlende Solidarität zwischen den EU-Ländern. „Die Solidarität zwischen den EU-Ländern lässt zu wünschen übrig“, heißt es in der Pressemitteilung zum Sonderbericht. Zu wenige Länder hätten bilaterale Versorgungsabkommen geschlossen, also Solidaritätsversprechen, einander im Krisenfall mit Energie zu versorgen. Schlimmer noch: „Einige EU-Länder würden sogar planen, im Notfall ihre Gaslieferungen an einen Nachbarn zu kappen“, stellen die Prüfer fest.

Deutschland hat im März 2024 ein solches Solidaritätsabkommen mit Italien und dem nicht-EU-Land Schweiz unterzeichnet. Dabei ist die Schweiz als Transitland einbezogen, damit das Gas im Krisenfall zwischen Deutschland und Italien problemlos passieren kann. „Für den äußerst unwahrscheinlichen Fall einer extremen Gasmangellage haben wir in den beiden Abkommen die Vorgehensweise definiert, wie Deutschland, Italien und die Schweiz sich gegenseitig schnell helfen können“, erklärte Minister Habeck im März zu dem neuen Abkommen.

Ähnliche Abkommen bestehen auch mit Dänemark (seit 2020) und Österreich (seit 2021). Nach Angaben des Wirtschaftsministeriums ist man mit anderen Ländern dazu in Gesprächen.

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