Goetz, Walter

Lebensdaten
1867 – 1958
Geburtsort
Leipzig
Sterbeort
Sanatorium Adelholzen (Oberbayern)
Beruf/Funktion
Historiker ; Geheimrat ; Präsident der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften ; Politiker ; Geheimer Rat
Konfession
evangelisch
Normdaten
GND: 118717944 | OGND | VIAF: 36919064
Namensvarianten

  • Goetz, Walter Wilhelm
  • Götz, Walter
  • Goetz, Walter
  • Goetz, Walter Wilhelm
  • Götz, Walter
  • Goetz, Walter W.
  • Goetz, Walther
  • Goetz, Walther Wilhelm
  • Götz, Walther
  • Goetz, Walther W.

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Zitierweise

Goetz, Walter, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118717944.html [05.11.2024].

CC0

  • Goetz, Walter Wilhelm

    Historiker, * 11.11.1867 Leipzig, 30.10.1958 Sanatorium Adelholzen (Oberbayern). (evangelisch)

  • Genealogie

    V Ferdinand (s. 1);
    1) Bonn 1901 Wilhelmine (1872–1902), T d. Historikers Moriz Ritter ( 1924), 2) Genua 1913 Hedwig (* 1885), T d. Bankiers Carl Pfister (1851–1940) u. d. Bertha Reiff;
    4 S aus 2);
    N Wolfgang (s. 3).

  • Biographie

    G. verließ 1886 das Leipziger Thomas-Gymnasium bereits mit dem Vorsatz, Historiker zu werden, studierte nur anfangs in Freiburg auch Jura, in München Kunstgeschichte, in Leipzig dazu Nationalökonomie bei Lujo Brentano. Dort promovierte ihn 1890 W. Maurenbrecher zum Dr. phil. mit einer Dissertation über „Die Wahl Maximilians II. zum Deutschen König 1562“. Schon vorher hatte K. Th. von Heigel den Münchener Studenten zu Archivstudien über „Ladislaus von Frauenburg, den letzten Grafen vom Haag“ angeregt (Oberbairisches Archiv, 1889); das führte zu Untersuchungen über dessen bairischen Landesherren „Herzog Albrecht V. im ersten Jahrzehnt seiner Regierung“, mit denen G. sich 1895 in Leipzig habilitierte. Vorher hatte er seiner Dienstpflicht als Einjähriger im 1. bayerischen Infanterie-Regiment in München genügt, damals fast zum Offiziersberuf neigend, und einen Auftrag der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften übernommen, „Briefe und Akten zur Geschichte Herzog Albrechts V. von Baiern und des Landsberger Bundes“ herauszugeben (erschienen 1897). Nach München hat er sich 1901 umhabilitiert, als er ständiger Mitarbeiter der Historischen Kommission wurde. Zugleich heiratete er die einzige Tochter ihres damaligen Präsidenten, des Bonner Historikers Moriz Ritter, die jedoch schon ein Jahr später starb. Der Historischen Kommission blieb G. lebenslang eng verbunden, wurde 1904 ihr außerordentliches, 1913 ordentliches Mitglied, 1946-51 ihr Präsident, danach Ehrenpräsident. Für ihre Edition „Briefe und Akten zur Geschichte des Dreißigjährigen Krieges“ hat G. seit 1901 vier Bände über „Die Politik Maximilians I. von Baiern und seiner Verbündeten“ selbst bearbeitet; der erste erschien 1907, die beiden letzten noch 1942/48. Wurde so die Historische Kommission sein stetigstes Wirkungsfeld, München seine Wahlheimat, in der er dann auch die letzten Jahrzehnte seines Lebens verbrachte, so war doch vorher seine Geburtsstadt Leipzig lange der andere Pol seines Wirkens. Denn nachdem er 1905 dem Ruf auf ein Tübinger Ordinariat als Nachfolger G. von Belows gefolgt, 1913 als|Nachfolger H. Bresslaus nach Straßburg gegangen war, wurde er im Sommer 1915, während er als Major an der Westfront stand, auf den umstrittenen Lehrstuhl Karl Lamprechts nach Leipzig berufen und leitete seitdem das von diesem gegründete Institut für Kultur- und Universalgeschichte, bis er sich 1933 im Konflikt mit den neuen nationalsozialistischen Machthabern emeritieren ließ und nach Gräfelfing bei München übersiedelte. Hier hat er nach Kriegsende nochmals als Honorarprofessor gelehrt bis ins 84. Lebensjahr, zugleich der Historischen Kommission präsidiert, auch bei der Reorganisation der nach München überführten Monumenta Germaniae Historica maßgebend mitgewirkt, dazu ermächtigt von der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, der er seit 1947 als ordentliches Mitglied angehörte wie seit 1930 der Sächsischen Akademie zu Leipzig.

    Neben der Geschichte Baierns im 16. Jahrhundert interessierte ihn, seit er in München tätig war und oft über die Alpen zog, besonders die italienische Renaissance. Da Sabatier und Thode deren Ursprung bei Franziskus zu finden glaubten, untersuchte G. mit klärender Kritik dessen „ursprüngliche Ideale“ (HV 6, 1903) und „Die Quellen zur Geschichte des heiligen Franz von Assisi“ (1904), schrieb für die Reihe „Berühmte Kunststätten“ Monographien über Assisi (1908) und Ravenna (²1913) und plante ein Buch über die Grundlagen der Renaissance vor allem im 13. Jahrhundert. Viele Vorstudien dazu, Aufsätze und Vorträge, wurden in zwei Bänden „Italien im Mittelalter“ 1942 dem ihm befreundeten Friedrich Meinecke gewidmet. Hier wurzelte auch seine eindringliche Beschäftigung mit Dante; sie ließ ihn 1928 zum Erneuerer der Deutschen Dante-Gesellschaft werden, die er zwei Jahrzehnte lang wirksam leitete. Seine Dante-Studien wurden zum 90. Geburtstag gesammelt (Münchener Romanistische Studien 13, 1958). Wie anregend auch seine Lehrtätigkeit solche kultur- und geistesgeschichtliche Forschungen förderte, zeigt die lange Reihe der „Beiträge zur Kulturgeschichte des Mittelalters und der Renaissance“, die er seit 1908 herausgab (55 Bände bis 1939), auch das „Archiv für Kulturgeschichte“, dessen Begründer G. Steinhausen ihn 1912 als Mitherausgeber gewann und ihm bei seinem Tod 1934 dieses Erbe hinterließ. Im Leipziger Institut für Kultur- und Universalgeschichte weitete sich diese kulturgeschichtliche Sicht zum umfassenden Blick auf die Weltgeschichte, nicht im Sinne Lamprechts, dessen allzu psychologisch-konstruktiver Epochen-Doktrin G. früh widersprochen hatte, aber mit neuen Gemeinschafts-Aufgaben wie der „Entwicklung des menschlichen Bildnisses“ (3 Bände, 1928–31) und schließlich der Propyläen-Weltgeschichte (1931–33). Zu deren zehn Bänden schrieb G. als Herausgeber jeweils eine die Zeitalter charakterisierende Einleitung und eigene Beiträge über Deutschland vom 13.-16. Jahrhundert (Band 4), Die Gegenreformation in Deutschland (Band 5), Die geistige Bewegung im 19. Jahrhundert (Band 8), Die geistige Bewegung um die Jahrhundertwende (Band 10). So eindrucksvoll dieses Werk der Zusammenarbeit mit anderen gelang, plante G. selbst doch am Ende seines Lebens „im Glauben an die Einheit aller Geschichte“ noch einmal deren Darstellung als Ganzes; doch über anderen Arbeiten und Plänen kam er dazu nicht mehr.

    Akten- und Renaissance-Forschung, Kultur- und Weltgeschichte konnten ihn nie daran hindern, sich auch politisch und publizistisch zu betätigen. Dieses Interesse brachte er aus dem Vaterhaus mit; es wurde bestärkt durch Lujo Brentano, bei dem er schon in Leipzig, dann in München hörte, vollends durch Friedrich Naumann und dessen Nationalsozialen Verein. Als Mitarbeiter an dessen Zeitschrift „Die Hilfe“ verband sich G. mit Theodor Heuss und dem Archäologen L. Curtius zu lebenslanger Freundschaft; die Geschichte des Evangelisch-Sozialen Kongresses 1902-18 hat er später dargestellt (Evangelisches Ringen um soziale Gemeinschaft, 1940, S. 42-78). Während des 1. Weltkriegs mahnte er zu einem Verständigungsfrieden (Deutschland und der Friede, herausgegeben 1918), zu Rate gezogen von Staatssekretär R. von Kühlmann, dessen hinterlassene Erinnerungen er später eindringlich überprüfte (SB der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, 1952). Nach dem Zusammenbruch des wilhelminischen Reiches bildete G. in Leipzig einen Bürgerausschuß gegen radikalen Umsturz, wirkte für besonnenen Ausgleich nach innen und außen (Deutsche Demokratie, 1919; Nation und Völkerbund, 1920) und ließ sich in den Reichstag wählen, dem er als Mitglied der Deutschen Demokratischen Partei 1920-28 angehörte, an vielen Ausschüssen beteiligt, oft als politischer Redner unterwegs und doch stets voll lehrtätig. Auch in seinen Forschungen verband sich nun politisches mit gelehrtem Interesse: 1920 gab er die Briefe Wilhelms II. an den Zaren heraus, und seitdem galten manche Vorarbeiten einem Buch über Wilhelm II., an dem er bis in seine letzten Tage schrieb, ohne es ganz zum Abschluß zu bringen. Unablässig bemühte er sich auch um aktuelle Fragen des Geschichtsunterrichts an Schulen und Universitäten, um Erziehung zur Demokratie, zu politischer und geistiger Redlichkeit und Verträglichkeit – ein wahrhaft liberaler Geist weiten Herzens und offenen Sinnes. Allzu vielseitig interessiert und tätig, um große Werke historischer Darstellung und Forschung zu schaffen, war er doch einer der wirksamsten Anreger und Organisatoren der Geschichtswissenschaft seiner Zeit. Für das Sammelwerk „Die Geschichtswissenschaft der Gegenwart in Selbstdarstellungen“ (I, 1925) hat er seinen Werdegang selbst geschildert; diese bis zum 90. Geburtstag ergänzte Autobiographie wurde in dem Buch „Historiker in meiner Zeit“ (1957), zu dem Theodor Heuss, damals Bundespräsident, ein Geleitwort schrieb, mit vielen früheren Aufsätzen über seine Lehrer und Kollegen, über Geschichte und Probleme seines Fachs vereinigt. In seinen letzten Jahren hat er schließlich die Neue Deutsche Biographie geplant, trotz vieler Schwierigkeiten ins Werk gesetzt und wie sein Vermächtnis als große Aufgabe hinterlassen, deren Lösung ihm besonders am Herzen lag.

  • Werke

    Eine vollst. Bibliogr. bereitet G.s jüngster S Helmut G. vor. Briefe an G. bei F. Meinecke, Ausgew. Briefwechsel, 1962. Festschrr.: Kultur- u. Universalgesch., W. G. zu s. 60. Geb.tag dargebracht, 1927;
    Lebenskräfte in d. abendländ. Geistesgesch., Dank- u. Erinnerungsgabe z. 80. Geb.tag, 1948.

  • Literatur

    H. Grundmann, in: Die Sammlung 2, 1947;
    . ders., in: Archiv f. Kulturgesch. 40, 1958, S. 271-74, u. HZ 187, 1959, S. 731 f.;
    F. Baethgen, in: Jb. d. Bayer. Ak. d. Wiss., 1959, S. 137-45;
    ders., in: DA 15, 1959, S. 605 f.;
    E. Kretzschmar, in: Jb. d. Sächs. Ak. d. Wiss. 1957–59, 1961, S. 358 f.;
    F. Schneider, in: Dt. Dante-Jb. 39, 1962, S. 11-14.

  • Porträts

    Zeichnung v. E. Haider, 1950 (im Bes. d. Fam.), Abb. in: Geist u. Gestalt, Biogr. Btrr. z. Gesch. d. Bayer. Ak. d. Wiss., III, 1959.

  • Autor/in

    Herbert Grundmann
  • Zitierweise

    Grundmann, Herbert, "Goetz, Walter" in: Neue Deutsche Biographie 6 (1964), S. 582-584 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118717944.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA