Die Regieanweisung als Schmähschrift

Elfriede Jelinek spielt „Eine Partie Dame“ (1981) nach unfairen Regeln

Von Sabine HauptRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sabine Haupt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Elfriede Jelinek und das Kino – das ist ein nicht ganz unerhebliches Kapitel ihres Werks. Romane wie Die Ausgesperrten und Die Klavierspielerin wurden erfolgreich verfilmt, teilweise in enger Zusammenarbeit mit der Autorin. Zudem verfasste Jelinek in den 1970er und  80er Jahren mehrere Drehbücher, unter anderem für Die Ausgesperrten (1982), die Verfilmung des Ingeborg Bachmann-Romans Malina (1991, Regie: Werner Schröter) und einen kritischen ORF-Dokumentarfilm über die Steiermark (Ramsau am Dachstein, 1976). Hinzu kommen zahlreiche überaus kluge und eigenwillige Essays zum Kino (teilweise nachzulesen auf ihrer Homepage). Nicht alle ihre Filmprojekte konnten realisiert werden. So scheiterten die ersten beiden Anläufe zur Verfilmung von Die Klavierspielerin – wie so oft im Filmgeschäft – an der Schwierigkeit, die nötigen Produktionsgelder aufzutreiben.

Nun ist – in der Folge eines Vorlasses an die Deutsche Kinemathek – im Berliner Verbrecher Verlag ein weiteres Drehbuch aus derselben Zeit erschienen: Eine Partie Dame, ein in einem Zugabteil an der DDR-Grenze (Regienanweisung: „Nacht/Regen“) und in Wien (ebenfalls „Nacht/Regen“) spielender Agententhriller, den Jelinek ästhetisch ganz bewusst an berühmte Genre-Vorbilder wie Graham Greenes Klassiker Der dritte Mann mit Orson Welles anlehnt. Doch auch dieses Filmprojekt, dessen Planungen schon recht weit fortgeschritten waren, wurde nie realisiert. Rainer Boldt, der kurz zuvor mit seinem neo-realitischen Meisterwerk Fehlschuss Jelineks Aufmerksamkeit erregt hatte, sollte Regie führen, als Hauptdarsteller waren Serge Gainsbourg und Tilda Swinton vorgesehen.

In dem 1980/81 entstandenen und in zwei Fassungen erhaltenen Drehbuch geht es um Industriespionage, genauer um den Schmuggel von Computerchips in den Ostblock. Das Umfeld des Kalten Krieges spielt jedoch in diesem kurz nach der Verabschiedung des berüchtigten Nato-Doppelbeschlusses verfassten Drehbuchs lediglich eine atmosphärische Rolle. Das Diffus-Bedrohliche der Spionagehandlung bildet nur die Kulisse für den eigentlichen Kern des Geschehens: die Liebesgeschichte zwischen dem circa 45-jährigen polnisch-jüdischen Kommunisten Andzrej, der aus politischer Überzeugung für die Sowjetunion spioniert, und der ebenso naiven wie ambitionierten Studentin Lisa.

Dass Jelinek einen Stalinisten und Ost-Spion zum – durchaus sympathisch gezeichneten – Helden ihres Drehbuchs machte, mag mit dazu beigetragen haben, dass das Projekt schließlich in den Schubladen der staatlichen Filmförderung verschwand. Alle angesprochenen Filmregisseure äußerten Vorbehalte inhaltlicher Natur. Explizit moniert wurde beispielsweise die unvorteilhafte Zeichnung der weiblichen Hauptrolle. Jelineks Konkurrentin um die Fördergelder der Fernsehanstalten war damals unter anderen Margarethe von Trotta mit ihrem deutlich aktuelleren, politischeren und feministischeren Filmprojekt Die bleierne Zeit (1981). Auch der Versuch, das Drehbuch zu einem späteren Zeitpunkt als Fernsehfilm zu produzieren, schlug fehl.

Selbstverständlich ist die Herausgabe dieses Drehbuchs (versehen mit einem äußerst erhellenden Nachwort des Filmhistorikers Wolfgang Jacobson) eine gute und wichtige Initiative. Wer sich für das vielgestaltige Werk von Jelinek interessiert, sollte Zugang zu allen ihren Texten haben – keine Frage. Bei einer Autorin ihres Rangs bedarf es hier – Nobelpreis hin oder her – keiner speziellen Rechtfertigung. Dennoch kann und darf man sich fragen, was diesen Text von 150 eher kleinen Buchseiten interessant macht. Einen Text, der viele Qualitäten der Jelinekschen Schreibkunst leider gar nicht besitzt. Sprache, Figuren und Plot sind in Eine Partie Dame ziemlich konventionell: Kaum etwas ist zu spüren vom scharfen Sprachwitz und der sarkastischen Kälte, mit der Jelinek in anderen Texten, Romanen oder Theaterstücken, die Erbärmlichkeit ihrer Figuren, deren Dummheit und Heuchelei parodistisch verdichtet, als Gewalt und blanken Egoismus entlarvt. Andzrej und Lisa reden völlig normal, ganz wie es sich für ein ordentliches Drehbuch gehört. Allein in den (recht umfangreichen) Regieanweisungen blitzt bisweilen etwas vom Schalk der Autorin auf, etwa wenn sie Andzrej Lisa „wie ein Haustier“ streicheln lässt.

Was mich ganz persönlich an diesem Drehbuch interessiert, fasziniert und irritiert, ist die systematische Abwertung der Protagonistin durch die Autorin. Während Andzrej als melancholisch-ambivalenter, oft undurchsichtiger, durchaus zynischer bis extrem übergriffiger, doch summa summarum eindeutig sympathischer, da souveräner und interessanter Charakter gezeichnet wird, hat man bei der Darstellung von Lisa stellenweise den Eindruck, als müsse sich die Autorin geradezu bremsen, um ihre Protagonistin nicht allzu stark zu diskreditieren. Jelinek scheint sich dessen selbst bewusst gewesen zu sein. So heißt es in einer Regieanweisung: „Hier muß klar werden, daß sie [Lisa] eigentlich ein liebes Mädchen ist, hilfsbereit, wenn auch ein wenig berechnend, aber nicht penetrant.“

Negative Frauenfiguren beziehungsweise neurotische Frauen-Beziehungen gibt es in Jelineks Werk zuhauf. Allein diese Beobachtung wäre übrigens schon ein potentes Gegenargument gegen das ewige Genörgel an ihrem angeblich klischeehaften Feminismus. Jelinek kann ihre Frauengestalten nicht leiden, genauso wenig wie ihre männlichen Helden. Nur haben diese mitunter – Beispiele wie Andzrej oder der Klavierschüler Walter Klemmer aus Die Klavierspielerin zeigen das ganz deutlich – wenigstens erotisches Potenzial.

Und so wird Lisa, umschwärmter Star des theaterwissenschaftlichen Instituts, bereits bei ihrem ersten Auftritt als eingebildetes Gänschen eingeführt, das sich gegen „Dumme, Homosexuelle, Kommunisten Faschisten und Tennisspieler“ echauffiert. Zwischen ihr und dem coolen, geheimnisumwitterten Andzrej, der zur Tarnung in Wien ein Lokal betreibt, in dem er Emigranten, Huren und die Künstlerbohème der Stadt empfängt und eigenhändig bekocht, entwickelt sich eine Art erotische Unschärferelation, in der die Faktoren „Macht“ und „Liebe“ sich auf höchst verstörende Weise gegenseitig verstärken und zerstören. Schon bei ihrer ersten Begegnung wird Lisa von Andzrej vergewaltigt: Gemäß Regieanweisung versperrt Andzrej ihr den Weg, drückt sie an die Wand und greift ihr „völlig unvorbereitet. Wie ein Hasardspieler“ in die Unterhose. Wobei der Begriff „Vergewaltigung“ den verzwickten zwischenmenschlichen Sachverhalt nur ungenau trifft, denn wie sonst wäre Lisa – laut Regieanweisung „unberührbar, als ob eine unsichtbare Glasglocke über die gestülpt wäre“ – aus der Reserve zu locken, wenn nicht durch den bewährten Macho-Mix aus demütigendem Desinteresse (Regieanweisung: „Lisa mustert Andzrej noch einen Moment, ob er sie vielleicht doch einlädt, aber Andzrej schweigt“) und plötzlichen sexuellen Übergriffen? Lisa fühlt sich nach der Vergewaltigung „wie in Trance“ und ist ab diesem Zeitpunkt geradezu süchtig nach Andzrejs Zuwendungen.

Doch Andzrej hat nicht nur Sexappeal, ähnlich wie Marlon Brando (vgl. Der letzte Tango in Paris, 1972) und John Cassavetes (vgl. Opening night von 1977), deren „Coolness“ Jelinek in ihrem Vorwort von 1981 ausdrücklich erwähnt, er hat auch eine persönliche Geschichte: Seine Eltern wurden in Auschwitz ermordet. Lisa hingegen ist ein unbeschriebenes Blatt aus banalen, gutbürgerlichen Verhältnissen, nicht einmal in der Lage, sich aus der Abhängigkeit von ihrer Mutter zu lösen. Ihre Rivalin ist die gut 40-jährige Janka, eine „liebevoll-kameradschaftliche Frau“, die zwar politisch und intellektuell so einiges auf dem Kasten hat und für Andzrej eine wichtige Gesprächspartnerin ist, als Geliebte für ihn aber nicht (mehr?) in Frage kommt. „Ihre Lebenserfahrung und Wärme stehen“, laut Regieanweisung, „im Gegensatz zu Lisas Zickigkeit“. Dieses Setting: Kommunist zwischen erfahrener Mitstreiterin und kapriziöser Sexpartnerin erinnert stark an die Figurenkonstellation von Jean-Paul Sartres Resistance-Stück Die schmutzigen Hände (1948), in dem der Antagonismus der Frauengestalten auf die vermeintliche Unvereinbarkeit von Politik und Erotik verweist. Denn Lisa begreift weder Andzrejs politischen Auftrag noch versteht sie seinen sarkastischen Humor. Stattdessen schmiegt sie sich nach dem Sex an ihn, und zwar – da ist die Regieanweisung wie immer unerbittlich – mit dem „berühmt traurigen Blick, den viele Frauen glauben, angesichts der Liebe aufsetzen zu müssen.“ Doch auch im Bett erweist sich die junge Frau letztlich als unbeholfene Tussi: „Lisa saugt sich an seinem Mund fest. Alle ihre Liebesbewegungen kommen irgendwie unmotiviert, obwohl sie grazil und schön wirken wollen.“ Fast fühlt man sich bei solchen Beschreibungen an die Eifersucht erinnert, mit der die 36-jährige Klavierlehrerin Erika Kohut ihre jugendlichen Schülerinnen verfolgt… In weiteren Regieanweisungen ist von Lisas typischer „Ehefrauen-Tour“ die Rede oder von ihrer „besitzergreifend-devoten Art“. Im Grunde dient jede Lisa betreffende Regieanweisung dazu, das junge Mädchen als unreif, oberflächlich, kalt und dümmlich zu charakterisieren, und man fragt sich, ob Tilda Swinton nicht eine grandiose Fehlbesetzung für diese Rolle gewesen wäre.

Kurz: Andzrej ist der tolle Hecht (Regieanweisungen betonen „sehr locker!“, seine „natürliche Autorität“) den „alle gern mögen“ und bewundern, wenn er mit den Huren in seiner Kneipe herumknutscht, während „Lisa, die höhere Tochter“, „die Rechnerin, die immer alles in Zahlen mißt“, bei solchen Szenen um ihre Contenance ringt. Als Andzrej schließlich ankündigt, Lisa zu verlassen zu wollen („Hör mir zu Lisa, und unterbrich mich nicht, wenn’s möglich ist. Und versuch auch, dich nicht wie in einem kitschigen Film zu benehmen.“) ersticht diese ihn kurzerhand – laut Regieanweisung „eiskalt“ – mit einer Papierschere. Kein Wunder, man kennt das ja: Wenn (hysterische) Frauen zu sehr lieben…

Was soll das? frage ich mich am Ende meiner Lektüre ziemlich ratlos. Ist das fair? Dass 20-jährige Mädchen Männern in der Midlife-Krise geistig nicht das Wasser reichen können, ist ja nun keine besonders überraschende Erkenntnis. Wem sollte man daraus einen Vorwurf machen? Elfriede Jelinek ist nicht Esther Vilar, doch die polemische Vehemenz, mit der hier – via Regieanweisung und damit gewissermaßen „von oben herab“, also keineswegs ironisch-kritisch perspektiviert wie in Die Liebhaberinnen oder Michael, in Lust oder Gier – eine Frauenfigur als zickig und beschränkt abgekanzelt und der Liebe eines heißen Typen für unwürdig befunden wird, grenzt stellenweise an üble Nachrede. Denn was in anderen Texten Jelineks als sprachliche Demontage funktioniert, wird hier nur auktorial behauptet. Nun könnte man entgegnen, dass es sich ja nicht in erster Linie um einen Prosatext, sondern um eine Spielanweisung handelt. Für mich als Leserin ändert das jedoch nichts. Ich frage mich nach wie vor, warum der übergriffige Typ so toll, die kleine Tussi aber so blöd sein muss. Dass Frauen sich in ihre Vergewaltiger verlieben, ist ein, na sagen wir: nicht nur problematisches, sondern auch ziemlich unplausibles Narrativ. Das gilt höchstwahrscheinlich auch für attraktive Vergewaltiger.

Doch vielleicht sollte man den literarischen Einzelfall niemals, auch nicht ansatzweise, verallgemeinern, symbolisch, politisch, realistisch, mimetisch und so weiter lesen. Vielleicht. – Eines aber darf man hier wohl ganz uneingeschränkt bewundern: Elfriede Jelineks Freiheit und Unabhängigkeit, einen solchen Text nach 37 Jahren kommentarlos der Öffentlichkeit zu übergeben und damit Jelinek-Fans wie mich ungerührt in tiefe Ratlosigkeit zu stürzen.

Titelbild

Elfriede Jelinek: Eine Partie Dame.
Herausgegeben von und mit einem Nachwort versehen Wolfgang Jacobsen.
Verbrecher Verlag, Berlin 2018.
191 Seiten, 15,00 EUR.
ISBN-13: 9783957323101

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