Zentrales Thema dieser Arbeit ist die Wahrnehmung automatisiert generierter Nachrichtenberichterstattung durch deutsche Leser:innen in Verbindung mit den Theorien der Kommunikationswissenschaft zu Vertrauen in Journalismus (vgl. Ziel der Arbeit in Abschnitt 1.1). Die forschungsleitenden Fragen lauten:

Wie nehmen Lesende automatisierten Journalismus in Deutschland im Jahr 2022 wahr? Welche Bedeutung haben automatisiert generierte Nachrichtentexte für die Bewertung des generalisierten Vertrauens in Journalismus? Welche Bedeutung messen Lesende den Verfahren bei und welche Einflussfaktoren wirken auf die Vertrauensbewertung?

Im Folgenden werden zunächst die bisher im Forschungsstand identifizierten Forschungslücken dargestellt. Anschließend erfolgt die Ausarbeitung des konkreten Forschungsinteresses der vorliegenden Arbeit und abschließend werden die Forschungs- und Detailfragen abgeleitet.

6.1 Zusammenfassung der identifizierten Forschungslücken

In der Beschreibung des Untersuchungsgegenstands, der Darstellung der Vertrauensforschung und der Aufarbeitung des Forschungsstands zur wahrgenommenen Glaubwürdigkeit computergenerierter Nachrichten wurden bereits Forschungslücken angesprochen, die im Folgenden zusammengefasst und konkretisiert werden.

Wahrnehmung des automatisierten Journalismus

Die Perspektive der Lesenden im automatisierten Journalismus wird im Forschungsstand über die Wahrnehmung und Bewertung computergenerierter Nachrichtentexte in standardisierten Online-Experimenten mit anschließender quantitativer Online-Befragung erhoben. Die Studien sind im Aufbau vergleichbar und es wird beispielsweise mit direkten Textvergleichen, gekennzeichneten und nicht-gekennzeichneten Texten, manipulierten Textquellen und verschiedenen Nachrichtenthemen gearbeitet. Im Mittelpunkt steht die Glaubwürdigkeit computergenerierter Texte, die mit unterschiedlichen Skalen zu den Dimensionen Qualität, Lesbarkeit und wahrgenommener Fachkenntnis der Stimuli erhoben wird. Die Ergebnisse zeigen, dass maschinengenerierte Texte a) nicht von menschlich verfassten Texten unterscheidbar sind und b) die Unterschiede in der Bewertung beider Textarten im Allgemeinen zu gering sind, um statistisch zuverlässige Aussagen zu treffen. Berücksichtigt man die geringen Unterschiede, dann gelten c) computergenerierte Stimuli in der Tendenz als glaubwürdiger, objektiver und ihnen wird eine hohe Fachkenntnis zugeschrieben. Die menschlich verfassten Texte hingegen schneiden bei der Lesbarkeit und dem Lesevergnügen besser ab. Zudem zeigen d) Leser:innen eine Vorliebe für als menschlich verfasst gekennzeichnete Texte, unabhängig davon, ob der Artikel tatsächlich von einem Menschen geschrieben wurde. Weitere Einflussfaktoren wie e) Vorerfahrung mit Automatisierung, Kenntnisse der Technologie und Nachrichtenkonsum haben teilweise moderierende Wirkung (vgl. Abschnitt 5.3).

Zur Wahrnehmung des automatisierten Journalismus durch Lesende sind folgende Punkte nicht ausreichend bearbeitet worden:

  1. 1.

    Exploration weiterer Einflussfaktoren: Die Studienautor:innen im Forschungsstand gehen davon aus, dass weitere Einflussfaktoren für die Wahrnehmung und Bewertung des automatisierten Journalismus relevant sind. Deshalb seien Forschungsstudien notwendig, um weitere Merkmale auf ihren Zusammenhang mit der Vertrauensbewertung hin zu explorieren und zu prüfen (vgl. z. B. Tandoc Jr. et al. 2020: 559; Haim und Graefe 2017: 1055; Wölker und Powell 2018: 12 f.; Graefe und Bohlken 2020: 58).

  2. 2.

    Ausweitung der Forschungsperspektive: Mehrere Autor:innen sprechen an, dass zusätzlich zu den quantitativen Studien insbesondere eine qualitative Perspektive notwendig sei, um die Bewertung der Lesenden und ihren konkreten Umgang mit automatisierten Texten sowie mögliche Erwartungen an automatisierten Journalismus besser nachvollziehen zu können (vgl. z. B. Tandoc Jr. et al. 2020: 559; Graefe und Bohlken 2020: 58; Jia 2020: 2625 f.; Haim und Graefe 2017: 1055, 1057, 2018b: 156).

  3. 3.

    Glaubwürdigkeit und Vertrauen: Vertrauen und Glaubwürdigkeit sind sowohl theoretisch als auch empirisch eng miteinander verbundene Konzepte. Für eine qualitative und stärker reflektierende Perspektive – so wurde in Kapitel 4 argumentiert – ist dabei der Glaubwürdigkeitsbegriff weniger geeignet, sondern vielmehr der Fokus auf Vertrauen in automatisierten Journalismus notwendig. Vertrauen wird im Forschungsstand bisher nur vereinzelt und, wenn überhaupt, im Kontext der Qualitäts- oder Glaubwürdigkeitsforschung als Dimension der Glaubwürdigkeit operationalisiert. Es gibt keine Studien, die sich explizit mit Vertrauensbewertungen in automatisierten Journalismus beschäftigen.

    Ein ausreichend hohes Vertrauen der Lesenden in automatisierten Journalismus ist aber zum einen relevant für die mittel- beziehungsweise langfristige Akzeptanz der automatisierten Textgenerierung im Journalismus. Wenn in der Bevölkerung zudem verstärkt das Wissen um die Existenz der automatisierten Berichterstattung thematisiert wird und Lesende davon ausgehen, dass weite Teile der Berichterstattung hybrid oder automatisiert erzeugt werden, dann wird zum anderen die Frage relevant, ob sich am Vertrauen der Lesenden in Journalismus insgesamt Veränderungen durch die Existenz des automatisierten Journalismus ergeben.

Vertrauen in journalistische Medien und Journalismus

Vertrauen in journalistische Medien wird allgemein definiert als „the individual’s willingness to be vulnerable to media objects, based on the expectation that they will perform a) satisfactorily for the individual and/or b) according to the dominant norms and values in society (i.e. democratic media functions.) [Herv. i. Org.]“(Fawzi, Steindl et al. 2021: 3). Eine Vertrauensbeziehung besteht immer aus einem Vertrauensgebenden und mindestens einem Vertrauensobjekt. Im Mittelpunkt der vorliegenden Arbeit steht ein generalisierter Vertrauensbegriff mit dem Bezugsobjekt des automatisierten Journalismus beziehungsweise Journalismus im Allgemeinen, der teilweise mit journalistischer Textautomatisierung arbeitetFootnote 1. Als wesentliche Einflussfaktoren auf generalisierte Vertrauenszuschreibungen wurden bisher untersucht: ausgewählte Personenmerkmale, die Informationsnutzung der Lesenden, der Einfluss der Erwartung und der Bewertung verschiedener Qualitäts- und Leistungsmerkmale sowie eine Diskrepanz aus Erwartung und tatsächlicher Wahrnehmung. Ein relevanter Zusammenhang wurde dabei nur für einzelne Qualitäts- und Leistungsmerkmale, das wahrgenommene Vertrauensklima und Gründe für Qualitätsmängel, die die Lesenden vermuten festgestellt (vgl. ausführlich Abschnitt 4.4.2). Weitere Einflussfaktoren auf Medienvertrauen im Allgemeinen haben Fawzi, Steindl et al. (ebd.) aufgearbeitet und gruppieren diese in individuelle und institutionelle Einflussfaktoren, die sich jeweils in soziale, politische und medienrelevante Gründe unterteilen lassen. Diese Aufarbeitung kann zusätzlich zu den genannten Gründen für generalisiertes Journalismusvertrauen als Quelle für die Exploration von Einflussfaktoren auf das Vertrauen in automatisierten Journalismus genutzt werden (vgl. Abschnitt 4.4.1).

  1. 1.

    Einflussfaktoren auf Vertrauen in Medien und Journalismus: Innerhalb der Vertrauensforschung weisen mehrere Autor:innen darauf hin, dass die bisher zusammengetragenen Sammlungen an Einflussfaktoren für Medien- und Journalimusvertrauen nicht als abgeschlossen betrachtet werden können. Es wird weitere Forschung zur Entstehung, zu möglichen Einflüssen und Wechselwirkungen von Faktoren auf Vertrauensbewertungen gefordert (vgl. Prochazka 2020: 49).

  2. 2.

    Mittlere Vertrauensniveaus: Die kommunikationswissenschaftliche Vertrauensforschung hat sich in den vergangenen Jahren im Schwerpunkt mit sinkendem oder fehlendem Medienvertrauen beschäftigt. Untersucht wurden beispielsweise eine ansteigende Polarisierung des Meinungsspektrums oder die Beweggründe für Misstrauensbewertungen durch Medienskeptiker:innen. Dieser Forschungsschwerpunkt spiegelt auch die öffentlich wahrnehmbare Debatte um Fake News oder Lügenpresse-Vorwürfe wider. Deutlich weniger Forschungsarbeiten gibt es zu Vertrauensbewertungen durch Personen, die mittleres Vertrauen in Journalismus im Allgemeinen angeben (Prochazka 2020: 269 f.).

  3. 3.

    Vertrauen und Medieninnovationen: Im Forschungsstand gibt es Studien, die sich mit Einflussfaktoren auf generalisiertes Journalismusvertrauen beschäftigen. Dazu wurden beispielsweise medienspezifische Einflussfaktoren auf die Vertrauensbewertung untersucht und erhoben, welche Auswirkungen unterschiedliche Wissensstände der Lesenden zu Medien und Journalismus haben. Es gibt einzelne Arbeiten zur Wahrnehmung von Medienwandel durch das Publikum (vgl. P. Müller 2016) und wenige Studien zum Umgang mit Medienwandel- und Medieninnovationsprozessen (vgl. Wolf 2014). Der Vertrauensforschung fehlt die fundierte Perspektive, welchen Einfluss der Umgang Lesender mit dem Medienwandel auf ihre Vertrauensbewertung des Journalismus als Ganzes hat.

  4. 4.

    Ausweitung der Forschungsperspektive: Angesprochen wurde bereits, dass Vertrauen als Begriff und theoretisches Konstrukt für den explorativen und qualitativen Zugang der vorliegenden Arbeit gegenüber dem Glaubwürdigkeitsbegriff bevorzugt wird. Mit dieser Schwerpunktsetzung gehen eine Ausweitung der Forschungsperspektive und eine Erweiterung des zugrundeliegenden Forschungsstands einher: Es gibt eine Reihe zwar unterschiedlicher und teilweise überlappender, aber existenter theoretischer und empirischer Studien zur Operationalisierung von Vertrauen, zu verschiedenen Vertrauensobjekten und der Art der Umsetzung der Vertrauensfrage und zu daraus folgenden Konsequenzen für die Erhebung von Vertrauen. Außerdem gibt es eine systematische Aufarbeitung von Merkmalen, die in den Vertrauensstudien Zusammenhänge zur Vertrauensbewertung aufzeigen können. Mit dem Wechsel zum Vertrauensbegriff erweitert sich das theoretische Fundament der vorliegenden Arbeit und es gibt eine Reihe möglicher Einflussfaktoren, die in Studien bereits getestet wurden und die möglicherweise auch im Zusammenhang mit Vertrauen in automatisierten Journalismus relevant sind.

  5. 5.

    Vertrauen und automatisierter Journalismus: Es gibt – wie bereits angesprochen – bisher keine Forschung, die sich mit Vertrauensbewertungen in automatisierten Journalismus oder in Journalismus, der teilweise mit Textautomatisierungen arbeitet, beschäftigt (vgl. Kunert 2019: 143).

Kommunikationswissenschaftliche Modellentwicklung

Die kommunikationswissenschaftliche Vertrauensforschung ist geprägt von uneinheitlich verwendeten Begriffen, einer Vielzahl unterschiedlich konzipierter Modelle und der überlappenden Operationalisierung der Begriffe mit angrenzenden Konzepten. Mit Fawzi, Steindl et al. (2021) hat eine Systematisierung und theoretische Fundierung der Vertrauensforschung stattgefunden, die als nicht abgeschlossen gelten kann. Zur Weiterentwicklung der Vertrauensforschung sind folgende Forschungslücken zu benennen:

  1. 1.

    Medienwandel und Journalismusvertrauen: Es gibt kein Modell der Vertrauensbewertung der Lesenden, das den Umgang des Publikums mit Medienwandel- und Medieninnovationsprozessen berücksichtigt. Die bisher verwendeten Modelle prüfen beispielsweise keinen Umgang der Teilnehmenden mit digitalen Transformationsprozessen und deren Auswirkung auf die Wahrnehmung oder Vertrauensbewertung der Lesenden im Journalismus als Ganzes.

  2. 2.

    Stabilität der Vertrauensurteile: Zudem gibt es in der Kommunikationswissenschaft keine Vertrauensmodelle, welche die Entwicklung oder Stabilisierung individueller Vertrauenszuschreibungen im Zeitverlauf berücksichtigen. In Abschnitt 4.2.2 wurde angesprochen, dass zum Beispiel in der Psychologie Modelle der Vertrauenskalibrierung im Umgang mit Automatisierungen in gesellschaftlich-relevanten Bereichen existieren, die möglicherweise in die Kommunikationswissenschaft übertragen werden könnenFootnote 2.

  3. 3.

    Art der Vertrauensfrage: Im Forschungsstand wurden – neben den Einflussfaktoren auf die Vertrauensbewertung – auch Daten erhoben, die zeigen, dass sich das angegebene Vertrauen der Lesenden in Abhängigkeit von der Art der Vertrauensfrage ändert (vgl. z. B. Prochazka 2020: 235). Hier sind weitere Studien mit unterschiedlichen Erhebungsmethoden notwendig, um die bisherigen Ergebnisse zu verifizieren und zu generalisieren (van Dalen 2019: 50 ff.).

6.2 Forschungsziel und Entwicklung des Forschungsmodells

Leser:innen in Deutschland sind beim Konsum von Zeitungen und Zeitschriften, sowohl online als auch offline, regelmäßig mit automatisiert oder hybrid erzeugten Inhalten konfrontiert. Da es überwiegend keine einheitliche Kennzeichnung dieser Inhalte gibt, ist davon auszugehen, dass automatisiert generierte Inhalte wesentlich häufiger konsumiert werden, als vielen Lesenden bewusst ist. Zudem zeigen Experimente zur wahrgenommenen Glaubwürdigkeit computergenerierter Nachrichtentexte, dass Lesende nicht eindeutig benennen können, ob Nachrichtentexte von Journalist:innen geschrieben oder durch Algorithmen erzeugt wurden. In dieser Arbeit wird argumentiert, dass automatisierter Journalismus eine Medieninnovation ist, die mittel- und langfristig in der Praxis noch weitaus häufiger angewandt werden wird und deren Technologien konstante Weiterentwicklung und Verbesserungen erfahren. Automatisierter Journalismus wird beschrieben als relevante Medieninnovation mit der Besonderheit, dass Algorithmen – im Rahmen der programmierten Softwaresysteme – teilweise Entscheidungen autonom treffen können. Außerdem wird angenommen, dass die wahrgenommene Komplexität der journalistischen Nachrichtenproduktion durch automatisierte Berichterstattung erhöht wird und die Entstehung von Nachrichten für das Publikum komplexer und weniger gut nachvollziehbar erscheint. Die Grundannahme dieser Arbeit lautet zusammenfassend, dass Lesende regelmäßig mit automatisiert erzeugten Inhalten konfrontiert sind, generell wenig über automatisierten Journalismus wissen beziehungsweise keine Kenntnis über diese Art der Nachrichtenproduktion haben und Hintergründe zur Technologie weitestgehend unbekannt sind. Zudem wird Nachvollziehbarkeit der journalistischen Nachrichtenproduktion für Lesende erschwert und mittel- und langfristig wird gesellschaftlich breiter als bisher diskutiert werden müssen, welche Entscheidungen Algorithmen im Journalismus autonom treffen können und wo sie Beschränkungen unterliegen sollten.

Gegenstand dieser Untersuchung ist der automatisierte Journalismus und seine Wahrnehmung durch Lesende mit Schwerpunkt auf ihre Vertrauensbewertung. Angesprochen wird ein generalisierter Vertrauensbegriff, der sich auf automatisierten Journalismus bezieht beziehungsweise generell Journalismus anspricht, der mit automatisierter Textgenerierung arbeitet. Rekrutiert werden Lesende aus Deutschland mit unterschiedlichen Voraussetzungen hinsichtlich ihres Vorwissens zum automatisierten Journalismus, dem Konsum von Nachrichten, sowie unterschiedlichen Niveaus hinsichtlich Technologieaffinität und MedienkompetenzFootnote 3.

In den Ausführungen zu den Forschungsdefiziten angesprochen wurde a) die fehlende Kontextualisierung von Vertrauen in automatisierten Journalismus und die stark quantitativ dominierte Perspektive auf die wahrgenommene Glaubwürdigkeit automatisiert generierter Texte. Außerdem fehlen in der Vertrauensforschung b) zusätzliche Studien zur Ermittlung von Einflussfaktoren auf das Vertrauen der Lesenden in journalistische Medien sowie die weitere Berücksichtigung von Personen mit mittleren Vertrauensniveaus. Zudem gibt es c) Forschungsbedarf zur Einbindung der Rezeption von Medienwandel- und Medieninnovationsprozesse auf die Vertrauensurteile von Journalismus als Ganzes und die Thematisierung von sich verändernden oder stabilisierenden Vertrauensurteilen. Weiterhin wurden unterschiedliche Ergebnisse im angegebenen Journalismusvertrauen in Abhängigkeit von der Art der Forschungsfrage gemessen und weitere Forschung zur Verifikation der bisherigen Erkenntnisse angeregt. Die vorliegende Arbeit nimmt – aufbauend auf den identifizierten Forschungslücken und den angeführten Grundannahmen – eine qualitative Perspektive auf die Wahrnehmung und Vertrauensbewertung des automatisierten Journalismus ein. Dazu sollen die bisher durchgeführten quantitativen Studien zur Glaubwürdigkeitsbewertung automatisiert generierter Texte um eine qualitative und stärker reflektierende Perspektive der Lesenden erweitert und vertieft werden. Außerdem soll die Urteilsbildung durch eine intensive Reflexion des Vertrauens in automatisierten Journalismus nachvollzogen werden, wenngleich die Arbeit durch das Querschnittsdesign nur einen Ausschnitt der Vertrauensentwicklung der Lesenden leisten kann. Weiterhin werden ausgewählte Merkmale des Untersuchungsgegenstands im Zusammenhang mit einem möglichen Einfluss auf die Vertrauensbewertung thematisiert. Diese ergeben sich aus dem bisherigen Forschungsstand zur Wahrnehmung computergenerierter Texte beziehungsweise aus Studien zu Vertrauen in journalistische Medien und Vertrauen in Journalismus im Allgemeinen. Zusätzlich sollen mögliche weitere Einflussfaktoren erforscht werden.

Die Komplexität der Vertrauensforschung ist in dieser Arbeit bereits mehrfach angesprochen worden. Ausgeführt wurde beispielsweise, dass Einflussfaktoren auf die Vertrauensbewertung in journalistische Medien durch Lesende häufig nicht durch ein Merkmal bestimmt, sondern jeweils mehrere Faktoren zusammen und in Wechselwirkung untersucht werden müssen. Die vorliegende Arbeit ist eine Querschnittstudie und kann weder Kausalbeziehungen zwischen Einflussfaktoren und der Vertrauensbewertung der Lesenden nachweisen, noch kann sie die Entwicklung von Vertrauen in automatisierten Journalismus und eine mögliche Stabilisierung der Urteile im Zeitverlauf nachvollziehen. Aufgrund der geringen Zahl der Teilnehmenden kann zudem keine grundsätzliche Verallgemeinerbarkeit oder Repräsentativität der Ergebnisse angenommen werden. Im Mittelpunkt der vorliegenden Arbeit stehen vielmehr die Exploration von Vertrauenszuschreibungen im Journalismus sowie die intensive Bearbeitung möglicher Einflussfaktoren.

Das Forschungsmodell wurde entwickelt, um die Forschungslücken zu definieren und im Detail herausarbeiten zu können. Zudem kann die vorliegende Arbeit und ihre Studienergebnisse als Grundlage für Anschlussforschung genutzt werden (vgl. Abschnitt 9.2). Die Ziele der vorliegenden Arbeit sind zudem im Schaubild 6.1 schematisch dargestellt.

Abbildung 6.1
figure 1

(Eigene Darstellung)

Forschungsmodell zu Einflussfaktoren der Vertrauensbewertung im automatisierten Journalismus.

Im folgenden Abschnitt wird das Ziel der Arbeit konkretisiert, indem aus dem Forschungsstand und den identifizierten Forschungslücken die Forschungs- und Detailfragen abgeleitet werden. Zur Beantwortung der Forschungsfragen werden leitfadengestützte Online-Focus Groups durchgeführt. Aufgrund der Besonderheiten des Untersuchungsgegenstands und des sehr unterschiedlichen Vorwissens der Teilnehmenden zum automatisierten Journalismus werden drei unterschiedliche Focus Groups zusammengestellt. Es wird zum einen eine möglichst heterogene Gruppe an Teilnehmenden rekrutiert, die unterschiedliches Vorwissen zum automatisierten Journalismus, eine durchschnittlich ausgeprägte Technologieaffinität vorweisen und unterschiedlich oft Nachrichten konsumieren. Weiterhin wird eine Focus Group mit Personen zusammengestellt, die eine überdurchschnittlich hohe Technologieaffinität angeben sowie eine dritte Focus Group aus Personen mit hoher Medienkompetenz rekrutiert. Im Sampling werden zusätzlich demografische Merkmale, der kulturelle Hintergrund, das allgemeine Journalismusvertrauen sowie ein vorhandener journalistischer Hintergrund kontrolliert erfragt und außerdem die Informationsnutzung, Technologieaufgeschlossenheit und das Vorwissen zum automatisierten Journalismus erhoben (vgl. ausführlich Abschnitt 7.3).

6.3 Ableitung der Forschungs- und Detailfragen

Basierend auf den identifizierten Forschungslücken und dem beschriebenen Erkenntnisinteresse, befasst sich die Arbeit mit drei Fragekomplexen, die im Folgenden mit Forschungs- und Detailfragen weiter spezifiziert werden.

6.3.1 Fragenkomplex 1: Wahrnehmung des automatisierten Journalismus und seine Bedeutung für Lesende

Fragenkomplex 1 befasst sich mit der Wahrnehmung des automatisierten Journalismus durch die Lesenden. Dazu soll erhoben werden, wie Lesende automatisierten Journalismus beschreiben und welche Vorstellung sie vom Untersuchungsgegenstand haben. Weiterhin soll erfragt werden, wie Lesende Vertrauen in automatisierten Journalismus beschreiben, wie sie eine mögliche Vertrauenszuschreibung begründen und an welchen Punkten sie diese konkret festmachen können. Zudem soll die Bedeutung erfasst werden, die Lesende der Medieninnovation für den Journalismus als Ganzes zuschreiben. Abschließend soll thematisiert werden, welche Auswirkungen die Kenntnis der Lesenden über die Existenz und den Einsatz der automatisierten journalistischen Berichterstattung im deutschen Journalismus auf ihre Vertrauenszuschreibung in Journalismus als Ganzes hat. Die konkreten Forschungsfragen lauten:

  1. FF1.1

    Vorstellung: Welche Vorstellung haben Lesende vom automatisierten Journalismus und wie nehmen sie konkrete Praxisbeispiele wahr?

  2. FF1.2

    Beschreibung und Bewertung: Wie beschreiben und bewerten Lesende automatisierten Journalismus?

  3. FF1.3

    Vertrauen in automatisierten Journalismus: Wie beschreiben Lesende Vertrauen in automatisierten Journalismus und woran machen sie dieses fest?

  4. FF1.4

    Allgemeines Vertrauensklima: Welches wahrgenommene VertrauensklimaFootnote 4 beschreiben die Lesenden gegenüber automatisiertem Journalismus?

  5. FF1.5

    Kenntnis der Existenz: Welchen Einfluss hat die Automatisierung beziehungsweise die Kenntnis über die Existenz von automatisiertem Journalismus auf das generalisierte Vertrauen von Rezipient:innen in Journalismus?

6.3.2 Fragenkomplex 2: Erwartung zum Einsatz der Technologie im Journalismus

Fragenkomplex 2 untersucht die Erwartungen der Lesenden an automatisierten Journalismus. Im Mittelpunkt stehen Erwartungen an den Einsatz der automatisierten Textgenerierung im Journalismus und Erwartungen an vertrauensbildende Maßnahmen, die Medienverantwortliche umsetzen. Dazu zählen beispielsweise die Kennzeichnung computergenerierter Nachrichten oder die Aufklärung über den Einsatz der Technologie. Außerdem soll die Erfüllung beziehungsweise Nicht-Erfüllung der Erwartungen an vertrauensbildende Maßnahmen thematisiert werden.

Die kommunikationswissenschaftliche Vertrauensforschung hat den Einfluss der Erwartungen an Qualitäts- und Leistungsmerkmale sowie einen Einfluss der Diskrepanz zwischen den Erwartungen und tatsächlichen Bewertungen der Lesenden auf journalistische Medien behandelt. Auch die Studien zur bewerteten Glaubwürdigkeit automatisiert generierter Nachrichtentexte arbeiten teilweise mit den Erwartungen und der Wahrnehmung computergenerierter Texte durch Lesende. Dazu werden die Erwartungen der Teilnehmenden vor der Vorlage konkreter Stimulitexte erhoben und anschließend ihre Erfüllung abgefragt. Ein solches Vorgehen ist im Rahmen der vorliegenden Arbeit weder möglich noch zielführend, da zum einen davon auszugehen ist, dass wenige Teilnehmende einen konkreten Eindruck von automatisiert generierten Texten haben und zum anderen weniger die Erwartung an konkrete Textstimuli sondern vielmehr ein generalisiertes Vertrauensobjekt angesprochen werden soll. Aufgrund der Kombination aus wenig Vorwissen und einem abstrakten Vertrauensbegriff werden die Erwartungen in den Focus Groups an unterschiedlichen Stellen immer wieder thematisiert und zwar auch – aber nicht nur – in Verbindung mit der Vorlage konkreter Texte abgefragt. Es soll insgesamt weniger um Erwartungen der Lesenden an Qualitäts- und Leistungsmerkmale der automatisiert generierten Texte gehen. Im Mittelpunkt stehen Erwartungen an die Umsetzung vertrauensbildender Maßnahmen durch Medienorganisationen beim Einsatz des automatisierten Journalismus sowie Erwartungen, die sich an etablierten Mainstream-Medien orientieren und auch ohne konkreten Bezug zu einzelnen Publikationen oder Stimulitexten im Zusammenhang mit dem Untersuchungsgegenstand formuliert werden.

Die Erfassung der Erwartungen der Lesenden an den Einsatz der automatisierten Berichterstattung im Journalismus und die wahrgenommene Erfüllung der vertrauensbildenden Maßnahmen wird in den folgenden Forschungsfragen zusammengefasst:

  1. FF2.1

    Erwartungen: Welche Erwartungen haben die Rezipient:innen an vertrauensbildende Maßnahmen der Medienorganisationen, die automatisierten Journalismus einsetzen?

  2. FF2.2

    Erwartungserfüllung: Wie nehmen sie die Erfüllung der vertrauensbildenden Maßnahmen wahr?

6.3.3 Fragenkomplex 3: Spezifische Einflussfaktoren auf die Vertrauenszuschreibung in automatisierten Journalismus

Fragenkomplex 3 thematisiert eine Reihe von Einflussfaktoren, die in Zusammenhang mit der Vertrauensbewertung der Lesenden in automatisierten Journalismus stehen könnten. Dazu werden a) ausgewählte Personenmerkmale der Lesenden, b) Eigenschaften des automatisierten Journalismus, c) Publikations- und Textmerkmale automatisiert generierter Texte besprochen, sowie d) gezielt nach möglichen weiteren Einflussfaktoren gefragt.

Zunächst werden a) in einigen wenigen Arbeiten zur Wahrnehmung computergenerierter Nachrichtentexte die Technologieaufgeschlossenheit und das Vorwissen der Lesenden zu Automatisierungsvorgängen als moderierende Variable auf die Wahrnehmung der Lesenden geprüft (vgl. Waddell 2018; Jia 2020). Außerdem erhebt eine Arbeit den Einfluss der Rezeption von Roboterdarstellungen in den Medien auf die bewertete Glaubwürdigkeit der Stimulitexte (vgl. Waddell 2018). Diese beiden Merkmale werden für die vorliegende Arbeit aufgenommen und erweitert: Das Persönlichkeitsmerkmal ‚Technologieaufgeschlossenheit‘ sowie die Rezeption von Mediendarstellungen von Robotern oder Künstlichen Intelligenzen werden als mögliche Einflussfaktoren auf die Vertrauensbewertung des automatisierten Journalismus berücksichtigtFootnote 5.

Weiterhin werden b) aus den Ausführungen zum Untersuchungsgegenstand (vgl. Kapitel 3) Besonderheiten des automatisierten Journalismus identifiziert, die eine Veränderung, Neuerung oder Innovation im Journalismus darstellen. Angesprochen werden fehlende Regelungen oder Selbstverpflichtungen im deutschen Journalismus hinsichtlich einer Markierung oder Kennzeichnung automatisiert oder hybrid generierter Texte sowie insgesamt fehlendes individuelles und gesellschaftliches Wissen über automatisierten Journalismus. Die vorliegende Arbeit nimmt zudem an, dass mit automatisierter Berichterstattung die Nachvollziehbarkeit des journalistischen Produktionsprozesses für das Publikum deutlich schwieriger wird: Mit automatisiertem Journalismus steigen die Anforderungen an Medienkompetenz der Lesenden und die Entstehung von Nachrichten wird komplexer. Diese Annahme wird unter dem Stichwort ‚steigender Blackboxism‘ thematisiert und ein möglicher Einfluss auf die Vertrauensbewertung des automatisierten Journalismus soll in der Empirie diskutiert werden.

Zusätzlich werden c) Publikations- und Textmerkmale untersucht, die im Zusammenhang mit der Wahrnehmung des automatisierten Journalismus stehen können. Diese Merkmale werden aus der Aufarbeitung der Studien zur wahrgenommenen Glaubwürdigkeit automatisiert generierter Nachrichten extrahiert (vgl. Kapitel 5) und auf ein generalisiertes Vertrauensobjekt übertragen. Im Forschungsstand als teilweise relevant für die wahrgenommene Glaubwürdigkeit werden erhoben: die Kennzeichnung und die Angabe des Textursprungs automatisiert oder hybrid generierter Nachrichtentexte, die journalistische Stil- und Darstellungsform mit der wesentlichen Unterscheidung in informierende und kommentierende journalistische Texten, das Nachrichtenthema sowie der Einfluss der – als vertrauenswürdig oder nicht-vertrauenswürdig wahrgenommenen – Publikation, in der der jeweilige Text erschienen ist. In der vorliegenden Arbeit werden diese Merkmale im Zusammenhang mit der wahrgenommenen Vertrauenswürdigkeit des automatisierten Journalismus erörtert. Die vorliegende Arbeit hat, wie mehrfach angesprochen, explorativen Charakter und deshalb liegt d) ein Schwerpunkt auf der Suche nach zusätzlichen, im Forschungsstand bisher nicht berücksichtigten Einflussfaktoren auf die Wahrnehmung des Untersuchungsgegenstands.

Der Einfluss ausgewählter Personenmerkmale, Eigenschaften des Untersuchungsgegenstands, Publikations- und Textmerkmale sowie mögliche weitere Einflussfaktoren im Fragenkomplex Drei werden in folgenden Forschungs- und Detailfragen konkretisiert:

  1. FF3.1

    Personenmerkmale: Welchen Einfluss haben das Persönlichkeitsmerkmal ‚Technologieaufgeschlossenheit‘ und die Medienrezeption von Roboterdarstellungen auf die Vertrauensbewertung des automatisierten Journalismus?

  2. FF3.2

    Eigenschaften des Untersuchungsgegenstands: Wie hängen ausgewählte Besonderheiten (fehlende Kennzeichnungsregelungen, geringes Wissen über Untersuchungsgegenstand, steigender Blackboxism) des automatisierten Journalismus – beziehungsweise Veränderungen im Journalismus durch automatisierte Textgenerierung – mit Vertrauen in Journalismus zusammen?

  3. FF3.3

    Publikations- und Textmerkmale: Welchen Einfluss haben die Kennzeichnung, das Nachrichtenthema, die journalistische Stil- und Darstellungsform sowie die Publikation auf die Vertrauensbewertung des automatisierten Journalismus?

  4. FF3.4

    Exploration: Gibt es weitere Faktoren der Vertrauensbewertung, die bisher nicht berücksichtigt wurden und die den automatisierten Journalismus betreffen?