Zusammenfassung
Die vorliegende Arbeit folgt dem videografischen Zugang, wie ihn Knoblauch, Heath, Mondada und andere für die qualitative Sozialforschung und die Multimodale Interaktionsanalyse beschrieben haben. Im Zuge dieser Ausrichtung ist auch für die vorliegende Arbeit die Erhebung natürlicher Daten authentischer Predigtereignisse im jeweiligen Vollzug zentral. Das Kapitel skizziert das Vorgehen bei der Datenerhebung und stellt das erhobene Datenkorpus vor.
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Die vorliegende Arbeit folgt dem videografischen Zugang, wie ihn Knoblauch, Heath, Mondada und andere für die qualitative Sozialforschung und die Multimodale Interaktionsanalyse beschrieben haben. Der Fokus liegt dabei auf „[p]eople, their actions and the structures constructed by these actions“ (Knoblauch et al. 2009:10), d. h. allgemeiner “on the visual conduct in general and on interaction in particular” (Knoblauch et al. 2009:11; Hervorhebungen im Original). Im Zuge dieser Ausrichtung ist auch für die vorliegende Arbeit die Erhebung natürlicher Daten authentischer Predigtereignisse im jeweiligen Vollzug zentral. Die Grundlage der Analyse bilden ausschließlich die erhobenen Audio- und Videodaten und nicht die schriftlichen Predigtmanuskripte. Die Aufnahmen wurden offen durchgeführt, d. h. mit einer sichtbar im Raum platzierten Videokamera (entweder fest auf einem Stativ angebracht oder beweglich als Handkamera, um die Bewegungen des Predigers im Raum nachvollziehen zu können). Aufgrund der Interaktionsarchitektur, der institutionellen Rahmung und der spezifischen Interaktionsordnung (siehe Kapitel 14) wurde der Prediger als Fokusperson erkennbar und stand daher auch kameraperspektivisch im Zentrum der Aufnahme. Entsprechend wurde der Bildausschnitt so gewählt, dass nach der Eröffnung des Predigtereignisses der Prediger herangezoomt wurde (siehe Abb. 11.1 und 11.2). Dies ermöglichte es, auch die Mimik (z. B. Öffnen und Schließen der Augen zum Gebet) mit in den Analysen zu berücksichtigen.
Eine zweite Perspektive auf die Gemeinde wurde aus Zugangsgründen zum Setting in den meisten Fällen aufgegeben, denn der Großteil der Prediger stimmte zwar der Aufnahme ihrer eigenen Person zu, verweigerte die Zustimmung jedoch, wenn es um die Aufzeichnung der übrigen Anwesenden ging.
Der Fokus der Arbeit liegt auf gottesdienstlich gerahmten Predigten und berücksichtigt daher mediale Formate wie Radiopredigten und das Wort zum Sonntag nicht. Auch genuine Fernsehpredigten oder YouTube-Predigten wurden nicht mit in das Korpus aufgenommen. Ebenso umfassen die hier untersuchten Daten keine Verkündigungssituationen außerhalb des gottesdienstlichen Rahmens (z. B. Straßenpredigten). Neben diesen eingrenzenden Entscheidungen bezüglich der kontextuellen Rahmung des Ereignisses, bildete zum anderen die vorwissenschaftliche ethnokategoriale Bestimmung als ‚Predigt‘ und damit die Kategorie erster Ordnung den zweiten zuspitzenden Faktor. Das Korpus umfasst entsprechend nur die Ereignisse, die von den Beteiligten selbst als Predigt benannt wurden. Als Konsequenz daraus wurden Situationen, die eine sehr ähnliche Struktur aufweisen, aber nicht als Predigt bezeichnet wurden (z. B. Andachten, geistliche Impulse, Bibelarbeiten etc.), nicht erhoben. Das Korpus umfasst zudem ausschließlich christliche Predigten des 21. Jahrhunderts im deutschsprachigen RaumFootnote 1 und ist damit synchron und monoreligiös aufgebaut.Footnote 2
In einem Zeitraum von 2008 bis 2018 (Hauptuntersuchungszeitraum: 2012 bis 2017) wurden insgesamt 65 Predigten aufgezeichnet – davon 47 auf Video und 18 als Audioaufnahmen – die einen Aufnahmeumfang von 28 Zeitstunden haben. Die einzelnen Predigten dauerten zwischen 5 Minuten und 50 Minuten (siehe Kapitel 13). 31 der gemachten Aufnahmen wurden von den Akteuren selbst aufgezeichnet und für die vorliegende Untersuchung zu Verfügung gestellt. Sofern dies möglich war, wurde der gesamte Gottesdienst aufgezeichnet, um den situativen und kommunikativen Kontext mit zu erfassen. Der Fokus lag jedoch auf den realisierten Predigten. Aus diesem Grund beschränkt sich die Angabe zum Gesamtzeitumfang des Korpus auf die untersuchten Predigten.
Innerhalb dieses Rahmens wurde das Korpus bewusst heterogen gehalten und grenzt sich damit von bisherigen Studien ab, die vor allem mit homogenen Datensets nur einer konfessionellen Richtung gearbeitet haben.Footnote 3 Um herausarbeiten zu können, welche Elemente und Merkmale für die kommunikative Gattung der Predigt konstitutiv sind, ist es notwendig, die Vielfalt der gegenwärtigen Predigtlandschaft (zumindest in einem nicht repräsentativen Querschnitt) abzubilden und über konfessionelle Grenzen hinauszugehen. So umfasst das vorliegende Korpus Predigten aus Gemeinden mit folgenden konfessionellen Ausrichtungen (siehe Tabelle 11.1):Footnote 4
Darüber hinaus bildet das Corpus nicht nur unterschiedliche Konfessionen und konfessionelle Strömungen ab, sondern berücksichtigt auch unterschiedliche Predigtanlässe (siehe Tabelle 11.2).
Die Predigten wurden von 22 Predigern in 24 verschiedenen Gemeinden gehalten. Davon hatten 9 Prediger eine theologische Ausbildung durchlaufen und ihre Ordinierung erhalten, 7 hatten eine Ausbildung zum Evangelisten bzw. Prediger an einer Bibelschule absolviert und 6 waren Laienprediger, hatten also weder ein theologisches Studium noch eine Predigerausbildung (siehe Kapitel 13). Da es abhängig von der Konfession und dem Ausbildungsweg bzw. dem Ausbildungsgrad der predigenden Personen unterschiedliche Rollenbezeichnungen gibt (Pfarrer, Priester, Evangelist, Laienprediger etc.), wird in dieser Arbeit die neutralere Bezeichnung ‚Prediger‘ gebraucht, da dieser Terminus vor allem auf die Tätigkeit des Predigens an sich verweist. Zudem wurden in der Zusammenstellung des vorliegenden Korpus ausschließlich männliche Prediger aufgezeichnet. Inwieweit weibliche Predigerinnen andere rhetorisch-stilistische und kommunikative Praktiken anwenden, um ihre Wortbeiträge zu gestalten, muss entsprechend Gegenstand weiterführender Untersuchungen sein (siehe Kapitel 11).
Notes
- 1.
Bis auf sechs Predigten, die im Rahmen einer Evangelisationsveranstaltung in Stuttgart gehalten wurden, und einer Predigt, die im Rahmen eines Jugendgottesdienstes in Erfurt stattfand, wurden alle übrigen Predigten in sächsischen Gemeinden gehalten und dort aufgezeichnet. Es ist jedoch davon auszugehen, dass diese Konzentration auf im Osten Deutschlands realisierte Predigten keinen Einfluss auf die Ergebnisse in dieser Arbeit hat, da einige Prediger aus Westdeutschland kamen (z. B. als Gastprediger) oder an Instituten im Westen Deutschlands ausgebildet wurden.
- 2.
Es wurden keine islamischen Freitagspredigten und auch keine jüdischen Synagogalpredigten in die Untersuchung einbezogen, obwohl auch für diese Interaktionsereignisse vergleichbare Studien fehlen. Erste Vorarbeiten zu einer Studie über islamische Freitagspredigten wurden an der Universität Bayreuth am Lehrstuhl von Prof. Dr. Bernt Schnettler vorgelegt, jedoch bisher nicht weiter verfolgt.
- 3.
Eine Ausnahme bildet die Analyse von Ruth Ayaß (1997, 1998) zum Wort zum Sonntag, in der sie sowohl katholische als auch evangelische Sprecherinnen und Sprecher berücksichtigt (siehe Kapitel 5).
- 4.
Die deutliche Stärke evangelischer und ökumenischer Predigten ist vor allem der unterschiedlichen Zugänglichkeit zum Feld geschuldet. Der Begriff ‚ökumenisch‘ bezeichnet in der vorliegenden Arbeit alle Predigten, die im Rahmen von Gottesdiensten gehalten wurden, in denen Personen mit unterschiedlichem konfessionellem Hintergrund anwesend waren.
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Dix, C. (2021). Datenerhebung & Corpus. In: Die christliche Predigt im 21. Jahrhundert. Wissen, Kommunikation und Gesellschaft. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-33855-8_11
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