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Seite:Die Gartenlaube (1880) 648.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


Bei den ersten vergeblichen Bemühungen des Reiters, das stätige Thier zu besteigen, war das junge Mädchen mit dem Kinde ängstlich seitwärts an die Häuser getreten, und sich nach den ihr Folgenden umsehend, nahm sie wahr, wie auf dem Gesicht des jungen Herrn die Ungeschicklichkeit des frommen Sonntagsreiters ein spöttisches Lächeln hervorrief; vermuthlich war er selbst ein tüchtiger Reiter, und er sah auch mit seiner eleganten, geschmeidigen, aber kräftigen Gestalt ganz darnach aus, sogar das wildeste Pferd meistern zu können.

Jetzt, als der Mann fiel und das losgelassene Thier ihnen entgegen kam, eilten auch die Fremden auf die Seite, die Kleine aber hatte sich von der Hand des Mädchens losgerissen und sprang, nach thörichter Kinder Art, in die Mitte der Straße zurück, um einen Ball aufzuheben, den sie soeben hatte fallen lassen und der dorthin gerollt war.

Von allen Lippen ertönte ein Schrei des Erschreckens; denn im nächsten Augenblick mußte das Pferd über die sich bückende Kleine hinwegrasen. Da, noch ehe das junge Mädchen dem Kinde nacheilen konnte, war der fremde Herr, ohne sich lange zu besinnen, mit einem Satz neben dem Kinde und sich fest emporrichtend, Energie im Blick und in der Haltung, faßte er mit kräftiger Hand in die Zügel des heransprengenden Thieres, daß es aufbäumend vor ihm stand – er drängte es gewaltsam zurück. Dies Alles war so schnell geschehen, daß, als das Kind sich ahnungslos mit seinem Ball wieder emporrichtete, die über ihm schwebende Gefahr schon überwunden war und der Herr mit dem Pferde seitwärts stand, während das junge Mädchen todtenbleich gegen die Wand eines Hauses lehnte, aber sie raffte sich schnell wieder zusammen, und zu dem Kinde hineilend und es wieder an ihre Hand nehmend, sagte sie mit bebender Stimme, indem sich ihre Augen schüchtern, wie Abbitte thuend, auf Alexander richteten:

„Ich danke Ihnen, mein Herr; Sie haben die mir anvertraute Kleine aus großer Gefahr gerettet.“

Jetzt kam auch der abgeworfene Reiter ziemlich beschämt herbeigehinkt und dankte ebenfalls dem Helfer in der Noth. Es war ein so auffälliger Gegensatz zwischen den beiden Männern, daß er, wie sie jetzt neben einander standen, Jedermann, auch dem jungen Mädchen, in die Augen springen mußte. Die demüthige Haltung der kleinen, linkischen Gestalt des Bruders sah so unmännlich aus neben der hohen, eleganten Figur Alexander’s, die bei aller Geschmeidigkeit doch voll Energie war und wie von Stahl geschmiedet zu sein schien. Jede Muskel war von der soeben gehabten Anstrengung noch angespannt; die Wangen waren höher gefärbt; die blauen Augen leuchteten im hellen Feuer innerer Willensstärke, und doch lag keine Erregung auf dem Gesicht, sondern die sichere Ruhe der bewußten Kraft.

Während er das Pferd noch an seiner festen Hand hielt, gelang es nun endlich dem Andern, in den Sattel zu kommen.

„Ein abscheulicher Gaul, mein Herr,“ sagte Alexander, dem Retter die Zügel übergebend. „Er scheint kitzelig zu sein und nicht Spaß zu verstehen; schonen Sie die Sporen und halten Sie die Hand fest am Zügel, bis Sie seiner sicher sind!“

Damit ließ er los, und Mann und Thier zogen fürbaß.

„Und nun bitte, mein Fräulein, seien Sie wieder unsere Führerin,“ wendete Alexander sich mit einer Verbeugung dem jungen Mädchen zu.

Nach einer kurzen Weile standen sie vor der Thür des freundlichen Schwesternhauses.

„Ah, da sind wir ja an Ort und Stelle!“ rief die Dame erfreut aus. „Ich danke herzlich für Ihr Geleit, liebes Kind. Wollen Sie so freundlich sein, uns zu sagen, wohin wir uns hier zu wenden haben? Wir sind brieflich angemeldet und werden erwartet – ich bin Frau von Trautenau, das sind meine beiden Söhne, und dieses mein Töchterchen bringe ich als Pensionärin hierher.“

Dabei reichte sie ihre Hand herzlich dem jungen Mädchen und blickte freundlich in deren schönes Gesicht.

„Ich bitte, hier in das Sprechzimmer einzutreten,“ sagte diese bescheiden, eine Thür zu ebener Erde öffnend, „ich werde unsere Aelteste, Schwester Agathe, von Ihrer Ankunft benachrichtigen.“

Es währte auch nicht lange, so trat diese ein, eine freundlich würdige Erscheinung, zu deren ergrauendem Haar die den unverheiratheten Schwestern zukommende Rosaschleife des Häubchens sonderbar stand. Sie begrüßte die Dame so würdevoll wie herzlich.

„Verzeihen Sie, daß ich mit meiner ganzen Familie bei Ihnen erscheine, und erlauben Sie mir, Ihnen dieselbe vorzustellen,“ sagte Frau von Trautenau nach der ersten Begrüßung. „Mein Stiefsohn Alexander, Hauptmann der Infanterie, der meine treue Stütze ist, seitdem ich meinen guten Mann verlieren mußte, mein Sohn Hans und hier mein Töchterchen Adele, Ihr nunmehriger Pflegling, den ich Ihrer Güte von Herzen empfehlen möchte.“

Schwester Agathe nahm das Mädchen liebevoll in ihren Arm, und einen Kuß auf ihre Stirn drückend, sagte sie herzlich:

„Du wirst mir nun vertrauen, liebes Kind, wie Deiner Mutter, und ich werde Dich lieb haben, wie diese Dich liebt. Wir sind hier eine große Menge von Schwestern beisammen, die sich alle lieben, fröhlich lernen und fleißig arbeiten. ‚Bete und arbeite!‘ dieser goldene Spruch geht mit uns, so lang unser Tag währt, und die Liebe und Arbeit, die Du finden wirst, wird Dir helfen, Dich schnell bei uns einzuleben.“

„Ich wohne ja auch in der Nähe,“ sagte Frau von Trautenau, da das Gesicht des Mädchens bange aufblickte, „unser Gut Wollmershain ist in ein paar Stunden erreicht. Ich kann recht gut einmal herfahren, und Sie werden gewiß auch hin und wieder gestatten, daß Adele zu uns kommt?“

„Gewiß, Frau von Trautenau,“ entgegnete die Chorälteste, „in den Ferien. – Darf ich Ihnen nun unsere Räumlichkeiten und Einrichtungen zeigen, damit Sie wissen, wo und wie Ihr liebes Töchterchen leben wird?“

„Ich bitte darum,“ entgegnete die Dame, „es interessirt uns natürlich hier Alles auf das Lebhafteste.“

Dabei erhoben sie sich und folgten Schwester Agathe.

(Fortsetzung folgt.)




Ein Malerfürst der Gegenwart.
Von Fr. Pecht.


Wenigen Künstlern ist es gelungen, auf die Weiterentwickelung der Schule, aus der sie hervorgegangen, einen so bedeutenden und nachhaltigen Einfluß zu üben, wie dem Meister, von dem ich hier eine kurze Lebensskizze zu entwerfen versuche. Ich glaube zu diesem Versuch um so mehr ein Recht zu haben, als ich die künstlerische Wirksamkeit Piloty’s fast von ihrem Beginn an in nächster Nähe zu verfolgen in der Lage war, ohne doch jemals in einem persönlichen Verhältnisse zu ihm gestanden zu haben, welches die Unparteilichkeit meines Urtheils irgendwie beeinflussen könnte. Das Factische meiner Erzählung verdanke ich allerdings zum Theil seinen eigenen Mittheilungen, die ich mir schon früher für einen andern Zweck erbeten hatte. Indeß glaube ich, daß die Leser der „Gartenlaube“ mir gerade für dieses ganz persönliche Detail dankbar sein werden, da es geeignet sein dürfte, ihnen ein klares Bild von diesem eigenartigen Charakter zu entwerfen.

Die Familie Piloty stammt aus Italien, und ein Ahne hatte sich in Homburg in der Pfalz niedergelassen, von wo der Großvater unseres Piloty mit Karl Theodor nach München kam. Dort besuchte nun des Zugewanderten Sohn die damals von dem älteren Langer geleitete Akademie und bildete sich zu einem vortrefflichen Zeichner aus. Phantasiereich, witzig, poetisch und künstlerisch gleich begabt, vom heitersten Temperament, der sprudelndsten Lebendigkeit, ward er bald die Seele jeder Gesellschaft, in die er kam, und einer der bekanntesten und beliebtesten Charaktere des damaligen künstlerischen Münchens, dem besonders der einst so berühmte Verein „Frohsinn“ seine ganze Blüthe verdankte.

Er hatte sich bald nach Erfindung der Lithographie derselben mit großem Erfolg zugewendet, sich erst mit Strixner, dann mit Löhle associirt und die Herausgabe der Gemälde der Pinakothek begonnen; hier lieferte er besonders ganz vortreffliche Zeichnungen nach Rubens, für den er, wie für die Niederländer und Spanier, ein tiefes Verständniß besaß. Er vermittelte dasselbe auch seinem

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 648. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_648.jpg&oldid=- (Version vom 7.10.2021)