Klaus Schikore
Klaus Schikore (* 7. Juni 1929 in Stralsund) ist ein deutscher Pädagoge und Kommunalpolitiker. Er war bis 1991 Gymnasiallehrer in Osterholz-Scharmbeck und dort von 1968 bis 1976 gewählter Ratsherr der Stadt. Er hat eine Jugend in zwei deutschen Diktaturen durchlebt, wurde in der DDR wegen einer Flugblattaktion gegen die Übergriffe von SED sowie sowjetischer Besatzungsmacht verhaftet und von einem sowjetischen Militärtribunal zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt. Er hat als Zeitzeuge die Erfahrungen seines Lebens in mehreren Büchern verarbeitet und sich am öffentlichen, politischen Diskurs beteiligt.
Leben
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Kindheit und Jugend in der NS-Zeit
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Schikore wurde als Sohn des Drogeriebesitzers Otto Schikore geboren, der im NS-System ehrenamtlich führende Positionen in der Allgemeinen SS und in der Kreisleitung der NSDAP eingenommen hat. Im Frühjahr 1940 verunglückte der Vater von Horst und Klaus Schikore im Dienst der Waffen-SS mit dem Wagen und verstarb an den Folgen des Dienstunfalls. Seit dieser Zeit übernahm die SS die weitere Erziehung der Zwillingsbrüder. Im November 1941 verstarb Horst an den Folgen einer schweren Kinderkrankheit, so dass nur Klaus Schikore den von der SS initiierten Schulwechsel auf eine Nationalpolitische Erziehungsanstalt (NPEA / Napola) gehen konnte.
Schikore bestand im April 1942 die Aufnahmeprüfung der im September 1941 gegründeten NPEA-Rügen in Putbus (ehemaliges „Pädagogium“)[1] und verblieb dort bis Kriegsende 1945 als Jungmann (Schüler). In der Hierarchie der drei selten verliehenen Beförderungsstufen wurde er am 21. Juli 1944 zum Jungmann-Gruppenführer ernannt. In den späten Kriegstagen sind die letzten Jungen der NPEA-Rügen auf Flucht vor der Roten Armee mit vier offenen Marinekuttern von der Westküste Rügens über die Ostsee nach Schleswig-Holstein gesegelt und auf Fehmarn gelandet. Schikore lief nachts mit einem fünften Kutter vor Stralsund auf Grund, musste in der zur Festung erklärten Stadt bleiben und wurde dem Kampfkommando einer Marineeinheit zugeteilt, die sich in der Nacht zum 1. Mai 1945 vor dem Einmarsch der Sowjets nach Rügen absetzen konnte. Mitte Mai kehrte er mit einem Flüchtlingstreck nach Stralsund zurück, wurde dort als noch Fünfzehnjähriger von den neuen Machthabern verhaftet und dem sowjetischen NKWD (MWD) übergeben, das ihn aber nach wenigen Wochen aus dem Gefängnis wieder entlassen hat.
Nachkriegszeit und politische Haft in der DDR
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Schikore konnte bei Wiederbeginn der Schule ab Oktober 1945 seine 1942 verlassene Oberschule wieder besuchen, mit dem Hinweis, sich der neuen Situation nicht zu widersetzen. Der Widerstand der Schüler in der Hansa-Schule gegen die Einflussnahme der FDJ auf den Schülerrat, das Verbot der Schülerzeitung sowie die ständige Verfolgung von politisch Andersdenkenden und Übergriffe der Besatzungsmacht führten zur Gründung einer kleinen Widerstandsgruppe[2] in der Hansa-Schule. Gegen die politischen Zustände protestierten drei Stralsunder Oberschüler (Klaus Schikore/12Ag, Jürgen Handschuck/10A, Wolfgang Wober/10B) mit zwei „Flugblatt-Aktionen“: in den Abendstunden des 22.09. und des 05.11.1948. Am 19. November 1948 wurden sie aus dem Unterricht von der „K5“ (Vorläufer der Stasi) verhaftet und dem sowjetischen Geheimdienst (MWD) übergeben. Am 7. Februar 1949 verurteilte[3] ein sowjetisches Militärtribunal Schikore in Abänderung der Todesstrafe zu 25 Jahren Zuchthaus und wurde ins sowjetische Speziallager Nr. 4 gebracht, ins „Gelbe Elend“[4] von Bautzen. Nachdem im Frühjahr 1950 die Bewachung und Verwaltung des Lagers den Organen der DDR übergeben worden war, wurde er am 16. Januar 1954 auf Grund einer sowjetischen Amnestie in seinen Heimatort Stralsund entlassen. In Bautzen lag er kurze Zeit mit Walter Kempowski auf einem Saal zusammen und lernte über illegale „Gedichtkontakte“ den Namen von Wolfgang Natonek kennen, mit dem er später in Göttingen gemeinsam studierte.
Neuanfang und Wirken in der BRD
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Nach seiner Entlassung aus Bautzen flüchtete er im Februar 1954 über Ost- nach West-Berlin[5] und wurde – nach Anerkennung als „politischer Häftling“ der DDR – in die Bundesrepublik ausgeflogen, um in Göttingen an einem Spätheimkehrerkurs für entlassene politische Häftlinge das Abitur nachzuholen, welches er 1955 bestand. An der Georg-August-Universität Göttingen studierte er von 1955 bis 1961 Germanistik, Geschichte und Philosophie. Hier traf er 1956 wieder mit Wolfgang Natonek zusammen, wo er mit ihm gemeinsam studierte und später als Gutachter mit an der von Kurt Pförtner und Wolfgang Natonek herausgegebenen „Dokumentation aus sowjetischem und sowjetzonalem Gewahrsam[6] “ (1963) tätig war. Eine lebenslange Freundschaft verband beide.
Von 1963 bis 1991 war Schikore als Lehrer am Gymnasium in Osterholz-Scharmbeck tätig, seit 1972 bis zu seiner Pensionierung in der Schulleitung als Studiendirektor. Von 1968 bis 1976 war er politisch als Mitglied der SPD-Fraktion Ratsherr der Stadt Osterholz-Scharmbeck. Die Mitgliedschaft in der SPD löste er nach 33 Jahren im Januar 2002 auf, als es im Berliner Abgeordnetenhaus zur „rot-roten“ Koalition von SPD und PDS, der Nachfolgepartei der SED, kam. Spannungen mit der Partei gab auch seine aktive Mitgliedschaft in der von Petra Kelly und Gert Bastian geführten „neuen“ westdeutschen Friedensbewegung. Als Mitglied der „Bürgeraktion Garlstedter Heide“ nahm er 1980 am Treffen in Krefeld teil, wo der „Krefelder Appell“ beschlossen wurde. Im Jahr 2013 wurden die Erlebnisse von Klaus Schikore im Zeitzeugenportal „Gedächtnis der Nation“ (GDN) veröffentlicht. Die Arbeit der Historikerin Helen Roche hat er in privaten Gesprächen als Zeitzeuge unterstützt. Im hohen Alter hat Schikore im Namen der Osterholz-Scharmbecker Bürgerinnen und Bürger im März 2022 eine „Resolution für Frieden und Freiheit“ an die Botschaft der Russischen Föderation verfasst gegen den Überfall Russlands auf die Ukraine.
Auszeichnungen und Würdigungen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Gedenktafel im Foyer des Hansa-Gymnasiums zu Stralsund , 18439 Stralsund, Fährwall 19; feierliche Enthüllung am 20. Januar 2000[7] mit einem Grußwort[8] des Kultusministers von Mecklenburg-Vorpommern.
- Unter Beisein eines Fernseh-Teams des Norddeutschen Rundfunks[9] ein auch für die Öffentlichkeit geplantes Zeitzeugen-Interview der Oberstufe des Hansa-Gymnasiums[10] mit Klaus Schikore am 17. November 2023 aus Anlass des 75. Jahrestages seiner Verhaftung in der Schule 1948
Schriften
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Kennungen – Landmarken einer Wandlung; 2. Auflage. Karin Fischer, Aachen 1994, ISBN 3-927854-92-1.
- Trennungen – Zwischen Verbannung und Heimkehr; Stock & Stein, Schwerin 2000, ISBN 3-932370-51-1.
- Zeit der Kormorane – Lyrik; edition anthrazit Karin Fischer, Aachen 2000, ISBN 3-89514-258-1.
- Wir müssen ihre Last wohl tragen – Rückblicke eines Grenzgängers zwischen West und Ost; Karin Fischer, Aachen 2006, ISBN 978-3-89514-642-8.
- Aus bewegter Zeit – Gesammelte Gedichte 1949–1999; Renaissance, Wetzlar 2009, ISBN 978-3-939442-57-8.
- Geflammter Ginster – Fremde Flammenzeichen (Lyrik); Renaissance, Wetzlar 2016, ISBN 978-3-939442-39-4.
- Die verurteilte Generation (Erinnerung – Rechenschaft – Mahnung); epubli Osterholz-Scharmbeck/Berlin 2018, ISBN 978-3-7467-0493-7.
- Zurück gefragt – nach vorne geschaut – Der politisch-historische Nachlass eines Neunzigjährigen; epubli Osterholz-Scharmbeck/Berlin 2020, ISBN 978-3-7529-7204-7.
- Bin ein Stück doch von euch...(Abschiedsgruß an die Heimat) Lyrik; epubli Osterholz-Scharmbeck/Berlin 2020, ISBN 978-3-7531-2773-6.
- Gegen das Vergessen – Stimmen hinter Mauern und Stacheldraht; epubli Osterholz-Scharmbeck/Berlin 2021, ISBN 978-3-7531-7661-1.
- SCHIKO Portraitskizzen: Der Schulmeister aus einem vergangenen Jahrhundert – Eine kleine lokale Zeitgeschichte; epubli Osterholz-Scharmbeck/Berlin 2022, ISBN 978-3-7549-3878-2.
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Helen Roche: SPARTA’S GERMAN CHILDREN – The ideal of ancient Sparta in the Royal Prussian Cadet Corps, 1818–1920, and in National Socialist elite schools (the Napolas), 1933–1945; The Classical Press of Wales 2013 (s. dort z,B. S. 184, 186, 192/Anm. 57).
- Helen Roche: THE THIRD REICH‘S ELITE SCHOOLS – A History Of The Napolas; Oxford University Press, Oxford 2021 (s. z. B. S. 80, 83, 85, 89, 102, 148, 366–373).
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Literatur von Klaus Schikore im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Internet-Auftritt von Klaus Schikore
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Klaus Schikore - Napola auf Rügen. In: zeitzeugen-portal.de. Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, 2013, abgerufen am 1. April 2024.
- ↑ Klaus Schikore - Schüler wehren sich. In: zeitzeugen-portal.de. Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, 2013, abgerufen am 1. April 2024.
- ↑ Klaus Schikore - Hartes Urteil. In: zeitzeugen-portal.de. Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, 2013, abgerufen am 1. April 2024.
- ↑ Klaus Schikore - Bautzen – „Das gelbe Elend“. In: zeitzeugen-portal.de. Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, 2013, abgerufen am 1. April 2024.
- ↑ Klaus Schikore - Mit dem Pappkarton in die Freiheit. In: zeitzeugen-portal.de. Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, 2013, abgerufen am 1. April 2024.
- ↑ Kurt Pförtner, Wolfgang Natonek (Hrsg.): Ihr aber steht im Licht. Eine Dokumentation aus sowjetischem und sowjetzonalem Gewahrsam. 2. Auflage. Schlichtenmayr, Tübingen 1963, DNB 453764665, S. 107, 116, 143, 156, 163, 171.
- ↑ Anne Kaminsky (Hrsg.): Orte des Erinnerns – Gedenkzeichen, Gedenkstätten und Museen zur Diktatur in SBZ und DDR. 2. überarbeitete und erweiterte Auflage. Ch. Links Verlag, Berlin 2007, Gedenktafel für drei Schüler der Hansa-Oberschule, S. 272 f.
- ↑ Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur Mecklenburg-Vorpommern, - Der Minister - ; Schwerin (Akz.: DATEI Nr. 268 20.01.'00 08:27 CODE:KM M-V ST)(im Auszug): „Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Schülerinnen und Schüler, mit der Enthüllung einer Tafel ehren Sie am heutigen Tag drei ehemalige Schüler Ihrer Schule, die mit ihrer Aktion im Jahre 1948 darauf aufmerksam machen wollten, dass das kostbare Gut der gerade erworbenen Freiheit der Persönlichkeit und der Schutz des einzelnen Bürgers vor der Willkür des Staates erneut gefährdet waren. Diese drei jungen Menschen waren bereit, ungeachtet möglicher Repressalien und Freiheitsstrafen für ihre Anschauungen, für ihre Ideale und für die Zukunft des freien Menschen, der sich seiner Verantwortung gegenüber der Gesellschaft bewusst ist, zu kämpfen. Mit ihrem Eintreten für mehr Demokratie haben sie den künftigen Generationen ein Beispiel für Verantwortungsbewusstsein und Mut gewiesen. [...] Das Hansa-Gymnasium in Stralsund wird sich, dessen bin ich mir sicher, im Sinne der heute Geehrten auch künftig intensiv der Erschließung des geistigen Potenzials des Kindes und seiner Persönlichkeitsentwicklung widmen. [...]“
- ↑ Zeitreise: Klaus Schikore – Ein Leben zwischen zwei Diktaturen. In: ardmediathek.de. 18. Februar 2024, abgerufen am 1. April 2024.
- ↑ Hansa-Gymnasium Hansestadt Stralsund (Hrsg.): Augen – Blicke aus 111 Jahren Hansa-Gymnasium Stralsund. VWM Projekt GmbH, Stralsund 2024, 1948 Flugblätter gegen die Willkür - Besuch von Klaus Schikore 2023, S. 22–23.
Personendaten | |
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NAME | Schikore, Klaus |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Gymnasiallehrer und Ratsherr |
GEBURTSDATUM | 7. Juni 1929 |
GEBURTSORT | Stralsund |