Václav Havel

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Václav Havel (2008)
Václav Havel (November 2009)

Václav Havel [ˈvaːt͡slaf ˈhavɛl] (* 5. Oktober 1936 in Prag; † 18. Dezember 2011 in Vlčice-Hrádeček,[1][2] Okres Trutnov, Královéhradecký kraj) war ein tschechischer Schriftsteller und Politiker, der während der Herrschaft der kommunistischen Partei einer der führenden Regimekritiker der Tschechoslowakei war und zu den Initiatoren der Charta 77 gehörte. Er gilt als der Wegbereiter der deutsch-tschechischen Aussöhnung. Nach der Samtenen Revolution, an der er wesentlich beteiligt war, war er von 1989 bis 1992 Präsident der Tschechoslowakei sowie von 1993 bis 2003 Präsident der Tschechischen Republik. Er war Ehrenmitglied im Club of Rome.

Leben

Havel entstammte einer einflussreichen Prager Großbürgerfamilie. Sein gleichnamiger Großvater ließ unter anderem den berühmten Lucerna-Vergnügungskomplex am Prager Wenzelsplatz, sein Onkel die Prager Filmstudios Barrandov erbauen.

Mit Beginn der kommunistischen Regierung im Februar 1948 wurde die Familie enteignet. Der junge Václav durfte nach Beendigung der Schulpflicht 1951 keine weiterführende Schule besuchen. Er arbeitete als Assistent in einem Chemielabor und schloss seine sekundäre Ausbildung in einer Abendschule ab. Nebenbei arbeitete er als Taxifahrer, um sich die Abendschule zu finanzieren.

Aus politischen Gründen an keiner geisteswissenschaftlichen Fakultät zugelassen, begann er 1954 ein Wirtschaftsstudium, das er aber nach zwei Jahren abbrach.

Nach zwei Jahren Militärdienst wurde er Bühnentechniker in zwei kleinen Prager Theatern, dem Divadlo ABC und dem Theater am Geländer. In letzterem wurden auch seine ersten Stücke wie etwa Das Gartenfest aufgeführt. Seit seinem 20. Lebensjahr schrieb Havel Artikel für Literatur- und Theaterzeitschriften. Seine in der Tradition des absurden Theaters stehenden Stücke und seine Artikel prägten die Atmosphäre, die 1968 zum Prager Frühling führte, entscheidend mit. Berühmte Theaterstücke Havels aus dieser Zeit sind etwa Das Memorandum (1965) oder Erschwerte Möglichkeit der Konzentration (1968), das aus der Abschlussarbeit seines Fernstudiums an der Theaterfakultät in den Jahren 1962 bis 1966 hervorgegangen war. 1967 auf dem IV. Schriftstellerkongress in Prag erregt Havel erstmals politisch Aufsehen, als er die Zensur und die Absurdität des Machtapparates der kommunistischen Partei öffentlich kritisierte.

In der Zeit der sogenannten „Normalisierung“ nach der Niederschlagung des Prager Frühlings durch die Truppen des Warschauer Pakts trat Havel immer wieder öffentlich gegen das Regime unter Präsident Gustáv Husák auf und war 1977 einer der drei Hauptinitiatoren der Charta 77.

In dieser Zeit wurde Havel dreimal verhaftet und verbrachte insgesamt etwa fünf Jahre im Gefängnis. Literarisches Zeugnis dieser Zeit sind die Briefe an seine Frau Olga Šplíchalová, die er 1956 kennengelernt und 1964 geheiratet hatte und die bis zu ihrem Tod 1996 seine Gefährtin war. Havels Gefängnisstrafen wurden erst 1983 nach internationalen Protesten ausgesetzt, als Havel erkrankte und daraufhin in ein öffentliches Krankenhaus entlassen wurde.

Václav Havel (links) mit Klaus Schwab und Prinz Charles auf dem Weltwirtschaftsforum 1992 in Davos

Nach 1968 hatte Havel in der Tschechoslowakei Aufführungs- und Publikationsverbot. Seine Werke wurden in dieser Zeit aber fast vollständig im Rowohlt-Verlag in Deutschland publiziert. Am 16. Januar 1989, dem 20. Jahrestag der Selbstverbrennung von Jan Palach, wollte Havel an einer Gedenkveranstaltung teilnehmen, wurde verhaftet und am 21. Februar wegen „Rowdytums“ als Wiederholungstäter zu neun Monaten verschärfter Haft verurteilt. Als er dann den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels in Frankfurt am Main entgegennehmen wollte, durfte er nicht ausreisen. Der Schauspieler Maximilian Schell verlas seine vorbereitete Rede.

Havel war eine der zentralen Figuren in der zunächst hauptsächlich von Studenten und Künstlern getragenen Samtenen Revolution. Schon zuvor hatte er in den 1980er Jahren, als das politische Klima etwas liberaler wurde, die PetitionEinige Sätze“ (Několik vět) mitinitiiert. Nun wurde er zum führenden Vertreter des während der Revolution (am 19. November 1989) gegründeten Bürgerforums Občanské fórum (OF). Der Umbruch war praktisch besiegelt, als Havel als Kandidat des Bürgerforums am 29. Dezember 1989 von den – bis dahin kommunistischen – Vertretern der Föderalversammlung zum Präsidenten der Tschechoslowakei gewählt wurde. In dieser Funktion führte er das Land am 5. Juli 1990 zu freien Wahlen. Das neue Parlament bestätigte ihn als Präsident.

IWF-Chef Horst Köhler und Václav Havel (September 2000)

In den nächsten Präsidentenwahlen am 3. Juli 1992 bekam Havel von den Abgeordneten nicht mehr genügend Stimmen und trat zurück, obwohl er nach damaliger Verfassung das Amt noch drei Monate nach dem Ende seiner Amtszeit hätte ausüben können. Der Grund dafür war vor allem, dass er sich für eine Beibehaltung des gemeinsamen Staates und gegen Nationalismus ausgesprochen hatte (es fehlten ihm vor allem Stimmen der slowakischen Abgeordneten).

Nach der friedlichen Trennung der Tschechischen Republik und der Slowakei zum 1. Januar 1993 wurde Havel am 26. Januar 1993 mit großer Mehrheit zum Präsidenten der Tschechischen Republik gewählt. Am 20. Januar 1998 wurde er in seinem Amt bestätigt; seine zweite Amtszeit endete am 2. Februar 2003.

1997 heiratete er die Schauspielerin Dagmar Veškrnová.

Havel verstarb im Alter von 75 Jahren am 18. Dezember 2011 in seinem Haus in Hrádeček (Gemeinde Vlčice) bei Trutnov.

Weltsicht

Václav Havel (2009)

Bestimmendes Thema in Havels dramatischem wie essayistischem Werk war die Entfremdung des heutigen Menschen von der sogenannten Lebenswelt. Diese werde dadurch hervorgerufen, dass in der aufgeklärten Gesellschaft die Wissenschaft die Position der obersten Instanz, die zuvor dem unbekannten Höheren (Gott o. ä.) vorbehalten war, eingenommen hat. Diese Entfremdung sah Havel als Ursache der Probleme der heutigen Menschheit, sowohl der Umweltzerstörung, die durch die von der Wissenschaft ermöglichte Technisierung der Ökonomie hervorgerufen wurde, also auch der ehemaligen kommunistischen Diktaturen, denen die Vorstellung einer wissenschaftlich organisierten Gesellschaft (wissenschaftlicher Sozialismus) zugrunde liegt.

Das Leben in den kommunistischen Diktaturen sah Havel als Extremform der Entfremdung an. Davon zeugt seiner Meinung nach deren auf Lügen aufgebaute Gesellschaft, in denen Worte ihren Sinn verlieren (so etwa das im Ostblock inflationär gebrauchte Wort Frieden,[3] das dort eigentlich nur die Bewahrung des Status quo und somit die Aufrechterhaltung des Regimes bedeutete). In seinen Theaterstücken zeigte Havel die Absurdität dieser Situation. In seinen Essays war durchgängig das Thema der Entfremdung in der von der Wissenschaft beherrschten Welt zu erkennen. Beeinflusst wurde Havel in dieser Vorstellung dem eigenen Bekunden nach von dem tschechischen Philosophen Václav Bělohradský.

Havel gilt als einer der wichtigsten Verfechter der deutsch-tschechischen Versöhnung. Bereits 1990 hat er als der erste wichtige tschechoslowakische Politiker die Vertreibung der Deutschen nach 1945 bedauert[4], was ihm starke Kritik in der Tschechoslowkaiei einbrachte. Im Februar 1992 unterzeichnete er zusammen mit Richard von Weizsäcker den deutsch-tschechischen Freundschafts- und Nachbarschaftsvertrag, was ihm starke Kritik sowohl bei den tschechoslowakeischen NS-Opfern wie auch seitens der Vertriebenenverbände einbrachte.[5]

Auszeichnungen

Am 15. Oktober 1989 erhielt Havel in Abwesenheit den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Eine Teilnahme an der Feierstunde in der Frankfurter Paulskirche war für ihn nicht möglich, da ihm die Ausreise verwehrt wurde. Stattdessen bat er seinen Freund Maximilian Schell, die von ihm verfasste Rede vorzutragen.[6]

1990 erhielt er den Preis Das politische Buch von der Friedrich-Ebert-Stiftung. Ebenfalls 1990 wurde Havel in der Schweiz mit dem Gottlieb-Duttweiler-Preis für seine politische Arbeit gewürdigt, die Laudatio von Friedrich Dürrenmatt kurz vor dessen Tod erregte die Schweiz nachhaltig.[7] Im Jahr 1991 wurde Havel mit dem internationalen Karlspreis zu Aachen „in Würdigung seines Einsatzes für den Geist der Freiheit und die Verwirklichung des Friedens in seinem Land und in ganz Europa“ geehrt.[8] 1993 verlieh ihm die Theodor-Heuss-Stiftung den Theodor-Heuss-Preis in Anerkennung seines demokratischen Engagements und seiner Zivilcourage. 1998 erhielt Havel den Westfälischen Friedenspreis. 2000 wurde Havel mit dem französischen Prix mondial Cino Del Duca geehrt.

2002 wurde er für sein literarisches Lebenswerk mit dem Hans-Sahl-Preis ausgezeichnet. 2003 bekam Havel den Hanno R. Ellenbogen Citizenship Award in Prag und das Großkreuz mit Halskette des tschechischen Ordens des Weißen Löwen. 2003 erhielt er außerdem den Deutschen Nationalpreis der Deutschen Nationalstiftung. 2004 wurde Havel mit der höchsten zivilen Auszeichnung der USA, der Freiheitsmedaille (The Presidential Medal of Freedom), und dem Light of Truth Award ausgezeichnet. 2005 erhielt er das Österreichische Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst, 2006 den Brückenpreis der Stadt Regensburg und 2008 aufgrund seiner Verdienste um die deutsche Einheit den Point Alpha Preis (Laudator war zuvor der ehemalige deutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher). 2009 erhielt Havel den Internationalen Demokratiepreis der Stadt Bonn,[9] den Quadriga-Preis, sowie die Goldene Henne, die erneut seine Verdienste um die deutsche Einheit würdigte. 2010 wurde er mit dem Prager Franz-Kafka-Literaturpreis ausgezeichnet.

Havel wurde mehrere Male, zuletzt 2004, für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen.

Werk (Auswahl)

  • Die Vanek-Trilogie. Audienz, Vernissage, Protest. Versuchung. Sanierung. Rowohlt, Reinbek 1989, ISBN 3-499-12737-7
  • Briefe an Olga. Betrachtungen aus dem Gefängnis. Rowohlt, Reinbek 1989, ISBN 3-499-12732-6
  • Moral in Zeiten der Globalisierung. Rowohlt, Reinbek 1998, ISBN 3-499-22382-1
  • Fernverhör. Rowohlt, Reinbek 1990, ISBN 3-499-12859-4
  • Die Gauneroper. Das Berghotel. Erschwerte Möglichkeit der Konzentration. Der Fehler. Theaterstücke. Rowohlt, Reinbek, 1990, ISBN 3-499-12880-2
  • Fassen Sie sich bitte kurz. Gedanken und Erinnerungen zu Fragen von Karel Hvízd'ala. Rowohlt, Reinbek 2007, ISBN 3-498-02990-8 (Autobiografie 1990–2003)
  • Odcházení (= Abgang), Theaterstück, Uraufführung am 22. Mai 2008 im Divadlo Archa in Prag, deutschsprachige Uraufführung am 25. April 2009 am Theater Aachen.
  • Fünfzehn Stimmungen. Briefe aus dem Gefängnis mit Photographien des Magnum Reporters Erich Lessing. Verlag Thomas Reche, Neumarkt i. d. Opf. 2011, ISBN 978-3-929566-99-4

Siehe auch

Literatur

  • Fouzieh Melanie Alamir: Der Präsident Václav Havel. Seine politische Rolle im Spannungsfeld zwischen Verfassungsbestimmungen und politischer Kräftefiguration von 1990 bis 2003. Miles, Potsdam 2003, ISBN 3-00-012533-7 (Zugleich Dissertation an der Universität der Bundeswehr Hamburg 2003 – hergestellt „on demand“).
  • Walter Falk: Václav Havels geistiger Weg. In: Stimmen der Zeit. Band 218. Herder, Freiburg im Breisgau 5. Mai 2000, S. 315–326 (Inhalt).
  • Walter Falk: Václav Havels. Briefe aus dem Gefängnis. Wo der Mensch zu Hause ist – ein Dialog. Werner Imhof, Taunusstein 1994, ISBN 3-930573-00-8.
  • Jiří Gruša, Václav Havel: Die Macht der Mächtigen oder Die Macht der Machtlosen? / Moc mocných aneb Moc bezmocných? Wieser, Klagenfurt 2006, ISBN 978-3-85129-601-3 (Text deutsch und tschechisch).
  • Václav Havel, Karel Hvížďala: Fassen Sie sich bitte kurz. Gedanken und Erinnerungen zu Fragen von Karel Hvížďala. 2. Auflage. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2007, ISBN 978-3-498-02990-6 (Originaltitel: Prosím stručně. Übersetzt von Joachim Bruss).
  • John Keane: Václav Havel. Droemer, München 2000, ISBN 3-426-27192-3.
  • Matthias Wanitschke, Guido Erbrich: „… auf die innere Stimme hören“. Die Frage nach Gott und dem Sinn des Lebens im Werk von Václav Havel. In: Erfurter Theologische Schriften. Band 23. Benno, Leipzig 1994, ISBN 3-7462-1056-9.

Mitgliedschaften

Commons: Václav Havel – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Vaclav Havel ist tot. Auf: www.tagesspiegel.de (abgerufen am 18. Dezember 2011)
  2. Tschechiens Vaclav Havel verstorben. Auf: www.KleineZeitung.at (abgerufen am 18. Dezember 2011)
  3. Václav Havel: Anatomie einer Zurückhaltung. (1985, aus dem Tschechischen von Joachim Bruss) In: Dazwischen. Ostmitteleuropäische Reflexionen. Hrsg. F. Herterich/C. Semler, edition suhrkamp, 1989, Seiten 34–64, bes. Abschnitt II
  4. Havel verurteilt Vertreibung – Abschiedsbesuch in Berlin, Český rozhlas (Tschechischer Rundfunk) 21. Januar 2003, online auf: www.radio.cz/de/rubrik, abgerufen am 20. Dezember 2011
  5. Václav Havel, Schriftsteller und Politiker, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, online auf: www.hdg.de/lemo/html/biografien/HavelVaclav, abgerufen am 20. Dezember 2011
  6. Václav Havel gestorben, www.boersenblatt.net vom 18. Dezember 2011, abgerufen am 19. Dezember 2011
  7. Friedrich Dürrenmatt: Die Schweiz – ein Gefängnis. Rede auf Václav Havel, mit einem Gespräch des Autors mit Michael Haller sowie einer Rede von Adolf Ogi, Diogenes-Taschenbuch 22 952, Zürich 1997, ISBN 3-257-22952-6.
  8. www.karlspreis.de
  9. www.demokratiepreis-bonn.de
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