Gütefaktor

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist die aktuelle Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 2. November 2024 um 15:42 Uhr durch Docosanus (Diskussion | Beiträge) (+ Verlinkung Meschede, Gerthsen).
(Unterschied) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (Unterschied) | Nächstjüngere Version → (Unterschied)
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Der Gütefaktor, auch Q-Faktor oder Güte, in Bezug zu schwingungsfähigen Systemen auch Kreisgüte, Filtergüte, Schwingkreisgüte oder Resonanzschärfe genannt, ist in der Physik und Technik ein Parameter, der in einem frei schwingenden harmonischen Oszillator (Resonator) das Verhältnis der gespeicherten Energie zu dem thermischen Energieverlust während der folgenden Schwingungsperiode ausdrückt. Der Gütefaktor ist auch ein Kennzeichen für den Energieverlust in Energiespeichern, wie beispielsweise elektrischen Bauelementen wie Spulen und Kondensatoren.[1] Bei einer erzwungenen Schwingung beschreibt der Gütefaktor das Verhältnis der Resonanzfrequenz zu seiner Bandbreite.[2] Eine hohe Güte eines Systems besagt, dass das System die gespeicherte Energie in nur geringem Umfang in thermische Energie umsetzt und die Schwingung nur in geringem Umfang abnimmt.[3] Der Kehrwert des Gütefaktors wird als Verlustfaktor bezeichnet.[4]

Der Gütefaktor ist je nach Systemauslegung sehr unterschiedlich. Systeme, bei denen die Dämpfung wichtig ist (beispielsweise Stoßdämpfer), haben einen Gütefaktor um , was dem aperiodischen Grenzfall entspricht. Systeme, die eine hohe Frequenzstabilität benötigen, haben hohe Gütefaktoren, beispielsweise eine Stimmgabel um und der Quarzoszillator in einer Quarzuhr um .[5]

Die Etablierung des Begriffs Q-Faktor und insbesondere im Englischen des Begriffs englisch Quality Factor geht auf Kenneth S. Johnson zurück, der den Gütefaktor zur Bewertung von elektrischen Netzwerken im Jahr 1923 erstmals verwendete.[6][7] Die Definition des Gütefaktors wurde neben der ursprünglichen Anwendung im Rahmen der elektrischen Netzwerktheorie verallgemeinert und findet Anwendung unter anderem bei Hohlraumresonatoren, bei mechanischen und akustischen Systemen wie beispielsweise Lautsprechern, bis hin zur Bewertung von Spektrallinien und Teilchenresonanzen im Rahmen der Quantenmechanik.

Der dimensionslose Gütefaktor wird in zwei gebräuchlichen und nicht deckungsgleichen Definitionen verwendet, die bei größerem Q-Faktor in Näherung gleiche Ergebnisse liefern.

Definition über die gespeicherte Energie

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Bei dieser Definition wird von der im System gespeicherten Energie in Relation zu der Energie pro Schwingungsperiode der Resonanzfrequenz , welche in dem System als Verlust auftritt und in thermische Energie umgewandelt wird, ausgegangen. Der Gütefaktor ist mit dem aus praktischen Gründen vorhandenen Vorfaktor definiert als[3]

mit der Kreisfrequenz.

Diese Definition wird auch bei einzelnen verlustbehafteten reaktiven Bauelementen wie einem Kondensator oder einer Spule verwendet, wo das Verhältnis von Blindleistung zu Wirkleistung den Gütefaktor des verlustbehafteten reaktiven Bauelements ausdrückt.

Definition über die Bandbreite

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Bei dieser Definition wird von der Resonanzfrequenz in Relation zur Resonanzbreite ausgegangen. Die Resonanzbreite stellt eine Bandbreite dar, bei der das Leistungsdichtespektrum auf die Hälfte abgenommen hat, dies entspricht der Halbwertsbreite und wird im technischen Bezug auch als 3-dB-Bandbreite bezeichnet:

Nach dieser Definition entspricht die relative Bandbreite dem Kehrwert des Gütefaktors:

Elektrische Schaltungstechnik

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im folgenden Abschnitt sind einige Beispiele zu dem Gütefaktor mit Bezug zu elektrischen Netzwerken beschrieben.

Reihenschwingkreis

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Reihenschwingkreis

Ein Reihenschwingkreis umfasst in Reihenschaltung einen elektrischen Widerstand , eine Spule mit der Impedanz und einen Kondensator mit der Impedanz , welche von dem Wechselstrom durchflossen werden. Der Gütefaktor wird im Resonanzfall bestimmt, wobei in diesem speziellen Fall die beiden Impedanzen gleich sind und zu einem Impedanzwert gleichgesetzt werden können. Mit dieser Vereinfachung und der Energiedefinition des Gütefaktors kann ausgehend von der Blindleistung der Impedanz und der durch den ohmschen Widerstand verursachten Wirkleistung , welche den thermischen Verlust des Schwingkreises darstellt, der Gütefaktor eines Reihenschwingkreises ausgedrückt werden als:

Ausgehend von dieser Beziehung kann im Resonanzfall bei der Resonanzfrequenz

mit den Gleichungen für die Impedanz der Induktivität

bzw. der Impedanz der Kapazität

der Gütefaktor mit den Werten der Bauelemente ausgedrückt werden:

Parallelschwingkreis

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Parallelschwingkreis

Ein Parallelschwingkreis umfasst in Parallelschaltung einen elektrischen Widerstand , eine Spule mit der Impedanz und einen Kondensator mit der Impedanz , an welchen die Wechselspannung anliegt. Der Gütefaktor wird auch in diesem Fall im Resonanzfall bestimmt, wobei in diesem speziellen Fall die beiden Impedanzen gleich sind und zu einem Impedanzwert gleichgesetzt werden können. Mit dieser Vereinfachung und der Energiedefinition des Gütefaktors kann wieder ausgehend von der Blindleistung der Impedanz und der durch den ohmschen Widerstand verursachten Wirkleistung der Gütefaktor eines Parallelschwingkreises ausgedrückt werden als:

Ausgehend von dieser Beziehung kann im Resonanzfall bei der Resonanzfrequenz

mit den Gleichungen für die Impedanzen der Gütefaktor mit den Werten der Bauelemente ausgedrückt werden zu:

Bei einzelnen verlustbehafteten reaktiven Bauelementen wie einem Kondensator oder einer Spule stellt der Gütefaktor einen Ausdruck dar, wie gut das reaktive Bauelement dem Ideal nahe kommt, also möglichst keine internen Verluste aufweist. Im Gegensatz zu der Begriffsverwendung des Gütefaktors bei Schwingkreisen kommt dabei keine Resonanzfrequenz als ausgezeichneter Betriebsfall vor, die Frequenz wird von außen vorgegeben, womit der Gütefaktor in diesem Fall frequenzabhängig ist.

Bei einem realen Kondensator kommt dabei im einfachsten Fall der Modellbildung eine Ersatzschaltung zur Anwendung, welche aus einem idealen Kondensator und einem Reihenwiderstand, bezeichnet auch als ESR oder englisch Equivalent Series Resistance, gebildet wird. Eine reale Spule wird durch eine ideale Spule mit einem Reihenwiderstand beschrieben, welcher primär die ohmschen Verluste in der Wicklung der Spule ausdrückt. Der Gütefaktor der Spule wird auch als Spulengüte bezeichnet.[8]

Für verlustbehaftete Impedanzen lässt sich damit der frequenzabhängige Gütefaktor bestimmen zu:

Eine hohe Spulengüte ist vor allem dann erforderlich, wenn in einem Schwingkreis eine geringe Bandbreite angestrebt wird. Der Gütefaktor ist bei Netzwerkelementen zugleich der Kotangens des Verlustwinkels.[9]

Resonanzkurve bei einer logarithmischen Auftragung der Amplitude über der Erregerfrequenz, wobei die Resonanzfrequenz mit bezeichnet ist

Der Gütefaktor eines Resonanzkreises ist ein Maß für die Schärfe der Resonanz. Diese wird durch die 3-dB-Bandbreite ausgedrückt:[10]

mit dem daraus gebildeten Gütefaktor:

Die obere Grenzfrequenz und die untere Grenzfrequenz sind diejenigen Frequenzen, bei denen die Spannung  bzw. der Strom  auf den -fachen Wert des Maximalwertes zurückgehen. An dieser Stelle ist die Leistung im Schwingkreis nur noch halb so groß wie bei der Resonanzfrequenz des verlustlosen Schwingkreises. Bei Darstellung des Pegels in Abhängigkeit von der Frequenz ist die Bandbreite gleich dem Frequenzbereich, an dessen Grenzen die Leistungswurzelgröße um 3 dB abnimmt. Die Grenzfrequenzen können berechnet werden aus:

  und  

Sie sind mit der Resonanzfrequenz des idealen Schwingkreises verbunden durch:

.

Mechanischer Schwingkreis

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In der Mechanik geht man bei einem Federpendel (Masse-Feder-System) von folgenden Differenzialgleichungen aus:

Dabei bedeutet die Auslenkung aus der Ruhelage und die Masse. Weitere Terme sind die vorzugsweise durch Reibung bestimmten Dämpfungskonstanten , die Federkonstanten , der Dämpfungsgrad  und die Eigenkreisfrequenz  des ungedämpften Systems.

Dieselbe Definition des Gütefaktors wie beim elektrischen Schwingkreis führt auf:[11][12]

mit der gegenüber leicht verminderten Eigenkreisfrequenz des schwach gedämpften Systems:

In der folgenden Tabelle sind einige Größenordnungen von Gütefaktoren bei verschiedenen schwingenden Systemen angegeben.

System Gütefaktor Q
Aperiodischer Grenzfall
Elektrodynamischer Lautsprecher typ.
Elektrischer Schwingkreis
Pendeluhr
Schwingungstilger
Schwingquarz 10 MHz
Frequenzstabilisierter Laser
Supraleitender Hohlraumresonator
Cäsium-Atomuhr
Mößbauer-Effekt bei Gammastrahlung
  • Bernd Girod, Rudolf Rabenstein, Alexander Stenger: Einführung in die Systemtheorie. 4. Auflage. Teubner, Wiesbaden 2007, ISBN 978-3-8351-0176-0.

Einzelnachweise

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  1. Otto Zinke, Heinrich Brunswig: Physik - Ein Lehrbuch. 16. Auflage. 1989, ISBN 3-540-51196-2, Kapitel 4.1.2, S. 140 - 141.
  2. Mike Tooley: Electronic Circuits - Fundamentals And Applications. 5. Auflage. Routledge, 2020, ISBN 978-0-367-82265-1, Chapter 2: Passive circuits, S. 79 - 81.
  3. a b Christian Gerthsen, Hans O. Kneser, Helmut Vogel: Physik - Ein Lehrbuch. 16. Auflage. 1989, ISBN 3-540-51196-2, Kapitel 4.1.2, S. 140 - 141.
  4. Internationales Elektrotechnisches Wörterbuch – IEV 151-15-47
  5. Time and Frequency from A to Z: Quality Factor, Q. NIST, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 4. Mai 2008; abgerufen am 3. Dezember 2022.
  6. Patent US1628983: Electrical network. Veröffentlicht am 1923, Anmelder: Western Electric, Erfinder: Kenneth S. Johnson.
  7. Estill Green: The Story of Q. Bell Telephone Laboratories, 1955, abgerufen am 3. Dezember 2022.
  8. Internationales Elektrotechnisches Wörterbuch – IEV 151-15-45
  9. Internationales Elektrotechnisches Wörterbuch – IEV 151-15-48
  10. Erwin Böhmer, Dietmar Ehrhardt, Wolfgang Oberschelp: Elemente der angewandten Elektronik: Kompendium für Ausbildung und Beruf. 16. Auflage. Vieweg+Teubner, 2010, S. 69
  11. Dieter Meschede (Hrsg.), Christian Gerthsen: Gerthsen Physik. 21. Auflage. Springer, 2013, S. 150f
  12. Alan M. Portis, Hugh D. Young: Physik im Experiment. Vieweg, 1978, S. 34