Piktogramm
Ein Piktogramm (von lateinisch pictum ‚gemalt‘, ‚Bild‘ und altgriechisch γράφειν gráphein, deutsch ‚schreiben‘) ist ein einzelnes Symbol oder Icon, das eine Information durch vereinfachte grafische Darstellung vermittelt. Ein Piktogramm kann aus einer ikonischen Darstellung von Objekten, Szenen, abstrakten Symbolen, Zahlen oder Textelementen bestehen. Typischerweise ist ein Piktogramm in ein Piktogrammsystem eingebunden.
Archaischer Vorläufer der Schrift und neue visuelle Kommunikationsform der Neuzeit
Piktogramme werden auch die Abbildungen von alten Bilderschriften (Piktographie) genannt. Sie sind die Vorläufer verschiedener Schriften, wie der Keilschrift, und haben sich später zu Logogrammen weiterentwickelt, so die Schriftzeichen der chinesischen Sprache (und die daraus entlehnten Kanji-Zeichen der japanischen Sprache) oder der hieroglyphischen Schrift, die eine Bilderzeichenschrift darstellt und die älteste geschriebene Form von antiker ägyptischer Sprache ist. In vielen der einfacheren Schriftzeichen lässt sich der bildliche Ursprung leicht erkennen.
門 | Tor | 木 | Baum | 火 | Feuer | 人 | Mensch | 川 | Fluss | 山 | Berg |
Mittlerweile wird der Begriff Piktogramm für die graphischen Hinweisschilder oder Warnhinweise auf Flughäfen und in anderen öffentlichen Gebäuden, im Straßenverkehr, und für die ikonischen graphischen Abbildungen in Gebrauchsanweisungen oder auf technischen Geräten benutzt.
Als Vater dieser neuen visuellen Kommunikationsform kann sicherlich Otto Neurath (1882–1945), ein österreichischer Sozialphilosoph und Ökonom, bezeichnet werden. Er entwickelte gemeinsam mit dem Grafiker Gerd Arntz 1936 Isotype (International System of Typographic Picture Education), ein Visualisierungssystem, mit dem komplexe Zusammenhänge auf einfache Weise durch Piktogramme international verständlich dargestellt werden sollen.
Verwendung
Für die Olympischen Spiele 1964 in Tokio entwarf der japanische Grafiker Katsumi Masaru ein Bildzeichensystem zur Kennzeichnung von Sportarten.
Otl Aicher, der Gestaltungsbeauftragte der Olympischen Sommerspiele 1972 von München, reduzierte diese bis dahin noch sehr figurativen Piktogramme weiter. Außerdem entwickelte er für den Flughafen München-Riem ein komplexes Leitwegesystem, das international verständlich ist. In Zusammenarbeit mit der Firma ERCO entstanden unzählige Piktogramme zur Bebilderung des täglichen Lebens.
Die Erfindung des Personalcomputers mit einer grafischen Benutzeroberfläche hat eine weitere Flut an Piktogrammen ausgelöst, die als Icons bezeichnet werden. Auch Emoticons wie der Smiley sind Piktogramme.
Piktogramme werden im Zeitalter der Globalisierung und Internationalisierung in standardisierter Form verwendet, um Informationen sprachunabhängig oder möglichst schnell (als Verkehrszeichen oder Sicherheitszeichen) zu vermitteln oder um als Gefahrensymbole oder Warnschilder vor Gefahren zu warnen.
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Damentoilette
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Läufer
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Behindertengerecht
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Flughafen
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Drücken
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Ziehen
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Rindfleisch
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Kontrollrad an einer Spiegelreflexkamera Canon EOS 100 (1991)
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Bedienoberfläche der Klimaanlage in einem Auto
Um beobachtete oder vorhergesagte Wetterverhältnisse darzustellen, dienen geläufige Symbole für Sonnenschein (Sonne mit Strahlenkranz), klare Nacht (Mondsichel und Sterne; invertiert), Bewölkung (Wolke), Niederschlagsart und -stärke (Regen: schräge Striche, Tropfen; Schnee: verästelter Kristall, Punkteschar), Gewitter (Blitz), Nebel (waagrechte Striche), Frosttemperatur (Schneekristall + Flüssigkeitsthermometer). Diese Symbole werden in Tabellen eher einzeln eingetragen, auf Landkarten jedoch meist als Gruppe positioniert, eventuell erweitert um Temperaturangaben und Zusatztext (z. B. Sturm). Diese Piktogramme unterliegen gewissen Abwandlungen durch ihr Design, um rasch erkennbar zu sein, allerdings auch um dem Erscheinungsbild eines Medienunternehmens zu entsprechen. In TV-Sendungen werden das Fallen von Regen oder Schnee, Funkeln der Sterne, Wabern des Nebels mitunter bewegt dargestellt.
An Stelle der ursprünglich händischen Einträgen von Beobachtungen in Wetterkarten der Meteorologen haben sich zeitlich viel stabilere, international übliche Symbole, die präzisere Angaben für Windrichtung, -geschwindigkeit, Bewölkungsgrad und Niederschlag erlauben, durchgesetzt.
Die Internationale Organisation für Normung (ISO) hat eine Sammlung von Piktogrammen (ISO 7001) und grundlegende Gestaltungshinweise sowie Methoden zum Test der Qualität von Piktogrammen (ISO 9186) erschaffen, die die Nutzung von nicht standardisierten und nicht interkulturell verständlichen Piktogrammen reduzieren soll.
Mit der Inbetriebnahme des Hauptbahnhofs Wien haben die ÖBB neue Piktogramme entwickelt, die von den von dem Internationalen Eisenbahnverband (UIC) empfohlenen etwas abweichen. Wie bisher in Weiß auf Blau und mit abgerundeten Ecken. Die U-Bahn Wien als Teil der Wiener Linien zeichnet Piktogramme hingegen Schwarz auf Weiß in eckigem Rahmen.[1]
Kritik
Piktogramme werden oft eingesetzt, um vermeintlich sprach-, schrift- und kulturneutral Informationen weiterzugeben. Dass dies nicht immer funktioniert, verdeutlicht ein Beispiel aus Brasilien: Der Arzneistoff Thalidomid (früherer Handelsname Contergan) wird dort gegen Lepra eingesetzt. Um vor der fruchtschädigenden Wirkung zu warnen, ist auf den Packungen ein Piktogramm aufgedruckt (eine Schwangere mit durchgestrichenem Bauch), welches offenbar immer wieder als Kennzeichnung für ein Verhütungs- oder Abtreibungsmittel fehlgedeutet wird. Daraufhin kommen immer wieder Neugeborene mit den charakteristischen Fehlbildungen zur Welt.[2]
Siehe auch
Literatur
- Rayan Abdullah, Roger Hübner: Piktogramme und Icons, Pflicht oder Kür? Verlag Hermann Schmidt, Mainz 2005, ISBN 3-87439-649-5 (mit einem Experiment zur Bildersprache von Jochen Gros).
- Marion Ackermann (Hrsg.): Piktogramme – Die Einsamkeit der Zeichen. Deutscher Kunstverlag, München/Berlin 2006, ISBN 3-422-06674-8.
- Andreas Bauer: Piktogramme. Eine interkulturelle Bildersprache? Probleme in der internationalen Praxis und Lösungsansätze. BoD, Norderstedt 2005, ISBN 3-8334-3853-3.
- Alexander Christian: Piktogramme. Tendenzen in der Gestaltung und im Einsatz grafischer Symbole. Herbert von Halem Verlag, Köln 2017, ISBN 978-3-86962-243-9.
- Alexander Christian: Piktogramme. Kritischer Beitrag zu einer Begriffsbestimmung. Shaker, Aachen 2009, ISBN 978-3-8322-8021-5.
- Robert Klanten (Hrsg.): Lingua grafica. Großes Nachschlagewerk Bildsprache. Die Gestalten Verlag, Berlin 2001, ISBN 3-931126-53-6.
- Alexander Kranz, Ricarda Stiller: News-Sites, Design und Journalismus. Springer, Berlin u. a. 2003, ISBN 3-540-44082-8.
- Martin Krampen: Die Welt der Zeichen. Kommunikation mit Piktogrammen. Av Edition, Ludwigsburg 2007, ISBN 978-3-89986-086-3.
- Tiphaine Samoyault: Die Welt der Piktogramme. Übersetzung Patricia Lux-Martel. Mondo-Verlag, Vevey 1998.
- Daniela Stöppel: Visuelle Zeichensysteme der Avantgarden 1910 bis 1950. Verkehrszeichen, Farbleitsysteme, Piktogramme. Silke Schreiber Verlag, München 2014, ISBN 978-3-88960-123-0.
Weblinks
- Die 50 von AIGA entwickelten Symbole, die auf Flughäfen verwendet werden
- Frei Verwendbare Piktogramme des NounProject
- www.iso.org
Einzelnachweise
- ↑ ÖBB entwickeln neue Piktogramme, ORF.at, 17. August 2015.
- ↑ Christina Müller: Brasilien setzt auf Thalidomid. In: www.pharmazeutische-zeitung.de Ausgabe 31/2016. Abgerufen am 1. April 2017.