Ed Dubinsky

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Ed Dubinsky, 2013 bei einem Workshop an der Ostfalia Hochschule

Ed Dubinsky (* 7. Februar 1935 in Philadelphia; † 8. Mai 2022 in Miami Springs) war an US-amerikanischer Mathematiker, Mathematikdidaktiker, Hochschullehrer und Bürgerrechtsaktivist mit dem vollen Namen Edward Leonard Dubinsky. Zu seinen bedeutendsten Arbeiten zählt die APOS-Theorie.

Leben

Seine Eltern waren Emigranten aus Kiew. Er wuchs in Philadelphia auf, wo er zunächst an der Temple University (Abschluss B.Sc., 1956) und dann an der University of Pennsylvania Mathematik (Abschluss M.A., 1958) studierte. Um sich das Studium zu finanzieren, arbeitete er zeitgleich als Programmierer. 1962 promovierte er bei Robert K. Ritt an der University of Michigan zum Thema Differential equations and differential calculus in Montel spaces.[1]

Nach der Promotion ging er als Freiwilliger des Peace-Corps nach Westafrika, wo er am University College of Sierra Leone (1962-1963) und an der Universität von Ghana (1963-1964) Mathematik lehrte. An der Universität von Ghana leitete er auch das Rechenzentrum.[2] In Westafrika entwickelte er einen kritischen Blick auf die sozio-politischen Verhältnisse in seinem Heimatland, insbesondere die Rassentrennung.[3]

Nach der Rückkehr in die USA wurde er 1964 Professor für Mathematik an der Tulane University in New Orleans. Dort erhielt er 1968 eine Festanstellung, wurde aber 1969 im Zusammenhang mit seiner Beteiligung an Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg entlassen.[3][4] Dadurch gebrandmarkt erhielt er keine Anstellung an einer anderen amerikanischen Universität. Nach Zwischenstationen als Forschungsassistent an der McMaster University in Kanada (1969-1970), als Gastprofessor an der Polnischen Akademie der Wissenschaften (1970-1972) und der Universität Bonn (1972) sowie zahlreichen erfolglosen Bewerbungen erhielt er 1972 an der Clarkson University wieder eine Professur in seinem Heimatland.[2]

Seit seiner Rückkehr aus Ghana engagierte sich Ed Dubinsky in der Bürgerrechtsbewegung und als Aktivist für soziale Gerechtigkeit (siehe unten).[5]

Unzufrieden mit der Wirksamkeit seiner Lehre setzte er sich in den 1980er Jahren intensiv mit den Arbeiten von Jean Piaget auseinander und wandte sich der Mathematikdidaktik zu. Zu seinen bedeutendsten Beiträgen zählt die APOS-Theorie (siehe unten). Er gilt als Mitbegründer der Hochschulfachdidaktik der Mathematik in den USA (Research in Undergraduate Mathematics Education - RUME).[4]

Zu dieser Zeit gingen die Studierendenzahlen in der Mathematik deutlich zurück. Für viele Mathematik-Fachbereiche brachte das die Gefahr mit sich, geschlossen zu werden. Gleichzeitig bot die als akademische Disziplin neu aufkommende Informatik mögliche Beschäftigungsmöglichkeiten für Mathematiker in Forschung und Lehre. Mit Unterstützung der Sloan Foundation gründete Ed Dubinsky das Institute for Retraining in Computer Science. Dort wurden in Sommerkursen Mathematiker auf eine Tätigkeit in der Informatik vorbereitet. Zu den bekanntesten Mitwirkenden zählt Michael Sipser.[6]

1987 wechselte er an die Purdue University, 1996 an die Georgia State University, wo er bis 2000 forschte und lehrte. Dazwischen lagen mehrere Gastaufenthalte an anderen amerikanischen Universitäten.[2]

Auch im Ruhestand war Ed Dubinsky weiterhin in der Mathematikdidaktik aktiv. Mit dem Bürgerrechtler Bob Moses entwickelte er im Rahmen des Algebra Project Mathematik-Curricula für sozial benachteiligte Schüler.[7][8]. 2013 und 2014 war er Gastprofessor an der Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften in Wolfenbüttel.[9]

Engagement in der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung[3][4][5]

Nach seiner Rückkehr aus Ghana unterstützte Ed Dubinsky im Sommer 1964 als Freiwilliger des Student Nonviolent Coordinating Committee den Freedom Summer in Mississippi, bevor er seine Stelle an der Tulane University antrat. Im Rahmen dieser Sommeroffensive wurden Schwarze über die eigenen Rechte aufgeklärt und sollten dazu gebracht werden, sich in Wählerlisten einzutragen und von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen.

Sein Engagement brachte ihn teiweise in lebensgefährliche Situationen. Er wurde mehrfach körperlich angegriffen. Einmal wurde er von Gegnern der Bürgerrechtsbewegung in Sichtweite einer Polizeistation angegriffen und von schwarzen Amerikanern gerettet, die beherzt eingriffen. Danach wurde Dubinsky von der Polizei wegen Prügelei festgenommen.[3]

In New Orleans wohnte er zunächst zu Miete. Seine Mietwohnungen musste er mehrfach zwangsräumen, nachdem er Afroamerikaner bei sich wohnen lies. Um dieser Problematik zu umgehen, kaufte er schließlich ein eigenes Haus, das zum Treffpunkt der Bürgerrechtsbewegung in New Orleans wurde.[3] Seine Beteiligung an der Bürgerrechtsbewegung führte zu engeren Bekanntschaften und teilweise lebenslangen Freundschaften mit einigen ihrer prominenteren Vertreter wie Bob Moses und Matt „Flukey“ Suarez[10]. Er selbst bezeichnete sich als „Fußsoldat der Bürgerrechtsbewegung“.[3]

1968 wohnte der Aktivist H. Rap Brow zeitweise bei Dubinsky, der für ihn einen Vortrag an der Tulane University arrangierte. Dubinksy vermutete später darin den eigentlichen Auslöser, dass ihm gekündigt wurde. 1969 beteiligte er sich an Protesten gegen den Vietnamkrieg auf dem Universitätscampus. Ein Protest am Rande einer Veranstaltung im Reserve Officer Training Corps-Programm wurde von der Hochschulleitung als Störung einer Lehrveranstaltung gewertet und führte zu seiner Entlassung durch die Hochschulleitung.[11] Zuvor hatte ein Anhörungsausschuss der Universität Dubinskys Verhalten als eine schwerwiegende Verletzung von Universitätsregeln bewertet, die allerdings aus Sicht des Ausschusses nicht ausreichten, eine Entlassung zu rechtfertigen. Die American Mathematical Society engagierte sich für eine Rücknahme der Entlassung.[12] Eine Untersuchungskommission der Amerikanischen Vereinigung von Universitätsprofessoren bemängelte etliche Fehler im Verfahren und vermutete, dass es ohne diese wohl zu einem anderen Ausgang gekommen wäre.[11]

Während seiner Zeit an der Clarkson University in Upstate New York unterstütze Ed Dubinsky die Akwesasne Mohawk Nation bei deren Souveränitätsbestrebungen. Deren Stammesgebiet liegt sowohl in den USA als auch Kanada. Der amerikanische Teil ist im Norden durch den Sankt-Lorenz-Strom begrenzt. Nachdem 1980 einige Mohawks versucht hatten, nichtindianische Wilderer von der Jagd auf ihrem Territorium abzuhalten, gingen US-Behörden gegen die Mowhaks vor. Die Situation eskalierte und schließlich wurde das Akwesasne Stammesgebiet vom US-amerikanischen Süden her von der Polizei abgeriegelt. Die Fronten verhärteten sich und die Blockade dauerte mehrere Monate an. Während dieser Zeit versorgte Ed Dubinsky mit anderen Freiwilligen die eingeschlossene Bevölkerung, indem sie Lebensmittel, Waffen und Munition zunächst nach Kanada brachten und dann per Kanu über den Sankt-Lorenz-Strom in die abgeriegelten Gebiete der Mohawks.[3] Dubinsky berichtete regelmäßig über den Stand des Konflikts.[13] (todo:REF)

Parallel zu seiner Tätigkeit als Professor lehrte er zeitweise Mathematik an der Akwesasne Freedom School.[14] Später engagierte er sich gegen die exzessive Errichtung von Hochspannungsleitungen an seinem Wohnort und trat für unschuldig Inhaftierte ein.[5]

APOS-Theorie

Die APOS-Theorie ist eine konstruktivistische Theorie darüber, wie mathematisches Verständnis funktioniert und sich entwickelt. Sie beschreibt modellhaft, was im Kopf einer Person vor sich gehen könnte, wenn sie versucht, ein mathematisches Konzept zu erlernen. Sie postuliert, dass sich das Verständnis eines Individuums für ein mathematisches Thema entwickelt, indem es über Probleme und deren Lösungen in einem sozialen Kontext nachdenkt, bestimmte mentale Strukturen konstruiert oder rekonstruiert und diese in Schemata organisiert, um sie bei der Lösung von Problemen einzusetzen. Die von der APOS-Theorie vorgeschlagenen mentalen Strukturen sind Handlungen (engl. actions), Prozesse, Objekte und Schemata; daher das Akronym APOS. Die APOS-Theorie ist eine Weiterentwicklung von Piagets Theorie der reflexiven Abstraktion.

Ein prototypisches Beispiel[15] ist das Konzept der mathematischen Funktion, bei der je nach Entwicklungsstadium des Verständnisses eine andere mentale Struktur im Vordergrund steht. Im Action-Stadium wird die Funktion lediglich als Handlungsanweisung gesehen, die angibt, wie der Funktionswert zu berechnen ist. Im Prozess-Stadium wird die Funktion als Prozess betrachtet, der jeder möglichen Eingabe eine Ausgabe zuordnet. Dieser Prozess kann gedacht werden, ohne dass die in der Definition der Funktion genannten Handlungsanweisungen ausgeführt werden müssen oder bekannt sein müssen. Im Objekt-Stadium wird die Funktion zu einem Objekt, auf das wiederum selbst Prozesse wirken können (z.B. Differentiation). Noch weitergehend können Funktionen als Objekte mit anderen mathematischen Objekten zu Schemata organisiert werden (z.B. Funktionenräume).

Dubinsky formulierte die APOS-Theorie in der Mitte der 1980er Jahre, nachdem er sich länger mit den Arbeiten von Piaget auseinandergesetzt hatte.

ACE-Zyklus

Dubinsky nutzte die APOS-Theorie auch um Unterrichtsmaterialien zu entwerfen. Daraus sind u.a. Lehrbücher für Diskrete Mathematik, Analysis und Abstrakte Algebra entstanden.

Um die Entwicklung der durch die APOS-Theorie beschriebenen mentalen Strukturen bei Lernenden zu fördern, entwickelte Dubinsky den ACE-Zyklus als Lehrmethode.[16] Dabei wird jeder Themenbereich durch Aktivitäten eingeführt, die die Studierenden vor der eigentlichen Unterrichtszeit durchführen. Die Unterrichtszeit dient vorrangig einer gemeinsamen Diskussion der Inhalte (engl. Class Discussion). Danach üben die Lernenden die diskutierten Konzepte anhand von Übungsaufgaben (engl. Exercises) ein. Die drei Säulen Aktivitäten, Class Discussion und Exercises führen zum Akronym ACE.

Der ACE-Zyklus kann als eine Form des invertierten Unterrichts betrachtet werden.

Research in Undergraduate Mathematics Education

Community Building

Schriften (Auswahl)

Stichpunkte und to do

  • Jennie Dautermann

Einzelnachweise

  1. E. Dubinsky: Differential equations and differential calculus in Montel spaces. In: Transactions of the American Mathematical Society. Band 110, Nr. 1, 1964, ISSN 0002-9947, S. 1–21, doi:10.1090/S0002-9947-1964-0163191-9 (ams.org [abgerufen am 24. April 2024]).
  2. a b c Ed Dubinsky: Resume. Abgerufen am 24. April 2024.
  3. a b c d e f g Professor Ed Dubinsky civil rights pioneer. Abgerufen am 23. April 2024.
  4. a b c Annie Selden, Draga Vidakovic: Remembering Ed Dubinsky and his Visionary Work. In: International Journal of Research in Undergraduate Mathematics Education. Band 8, Nr. 3, 1. Oktober 2022, ISSN 2198-9753, S. 421–436, doi:10.1007/s40753-022-00201-z (doi.org [abgerufen am 23. April 2024]).
  5. a b c Veterans of the Civil Rights Movement —  Ed Dubinsky. Abgerufen am 23. April 2024.
  6. A Clarkson Mosaic. Abgerufen am 24. April 2024.
  7. Who We Are | The Algebra Project INC. Abgerufen am 24. April 2024 (amerikanisches Englisch).
  8. Aidan Soguero: The Surprising Depth of Elementary Mathematics | The Algebra Project INC. Abgerufen am 24. April 2024 (amerikanisches Englisch).
  9. Ed Dubinsky, Peter Riegler: In the Footsteps of Leibniz: A Visit to Wolfenbüttel, Germany. In: The Mathematical Intelligencer. Band 36, Nr. 1, 1. Februar 2014, ISSN 1866-7414, S. 68–70, doi:10.1007/s00283-013-9423-3 (doi.org [abgerufen am 24. April 2024]).
  10. Veterans of the Civil Rights Movement -- Matt Suarez. Abgerufen am 28. April 2024.
  11. a b Academic Freedom and Tenure: Tulane University. In: AAUP Bulletin. Band 56, Nr. 4, 1970, ISSN 0001-026X, S. 424–435 (jstor.org [abgerufen am 29. April 2024]).
  12. Dismissal of Dr. Dubinsky. American Mathematical Society, November 1969, abgerufen am 29. April 2024.
  13. Ed Dubinsky: blabla. In: Peace Newsletter. mehrere (to do).
  14. Indian Time: Indian Time Notes Passing of Professor Ed Dubinsky Memorial Service October 22. Abgerufen am 24. April 2024 (englisch).
  15. Daniel Breidenbach, Ed Dubinsky, Julie Hawks, Devilyna Nichols: Development of the process conception of function. In: Educational Studies in Mathematics. Band 23, Nr. 3, Juni 1992, ISSN 0013-1954, S. 247–285, doi:10.1007/bf02309532 (doi.org [abgerufen am 30. April 2024]).
  16. Mark Asiala, Anne Brown, David DeVries, Ed Dubinsky, David Mathews, Karen Thomas: A framework for research and curriculum development in undergraduate mathematics education. In: Research in Collegiate Mathematics Education. II. 15. August 1996, ISSN 1047-398X, S. 1–32, doi:10.1090/cbmath/006/01 (doi.org [abgerufen am 30. April 2024]).