Otto Stern (Physiker)

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Porträtfoto von Otto Stern

Otto M. Stern (* 17. Februar 1888 in Sohrau, Landkreis Rybnik, Oberschlesien; † 17. August 1969 in Berkeley) war ein deutscher, 1933 in die USA emigrierter Physiker. Im Jahr 1943 erhielt er den Nobelpreis für Physik für seine Beiträge zur Entwicklung der Molekularstrahl-Methode und für die Entdeckung des magnetischen Moments des Protons.

Seine Eltern waren der Mühlenbesitzer Oscar Stern (1850–1919), der seit 1892 in Breslau war, und Eugenie, geb. Rosenthal (1863–1907), die aus Rawitsch in Posen stammte. Otto Stern hatte einen Bruder und drei Schwestern. Seine Nichte war die Chemikerin Lieselotte Templeton.[1] Sein Großvater, Abraham Stern, hatte in erster Ehe mit Nanni, geb. Freund, fünf Kinder, darunter Heinrich Stern (1833–1908), der Vater des Mediziners Richard Stern,[2][3] der wiederum Großvater des Historikers Fritz Stern war. In zweiter Ehe war Abraham Stern mit Berta Bender verheiratet, mit der er weitere sechs Kinder hatte, wobei Oscar Stern das dritte dieser Kinder war. Otto Stern war zeitlebens unverheiratet.

Die Abkürzung Otto M. Stern taucht nur im Emeritierungsdokument der Carnegie Institution auf, ansonsten steht in allen Dokumenten nur der Vorname Otto.[3]

Otto Stern besuchte das gemischt-konfessionelle Johannesgymnasium Breslau. Er stammte aus einer wohlhabenden jüdischen Familie, zu der Getreidehändler und Mühlenbesitzer gehörten. Das verschaffte Stern auch später finanzielle Unabhängigkeit im Wissenschaftsbetrieb. Nach dem Abitur in Breslau 1906 begann er das Studium der Mathematik und Naturwissenschaften, unter anderem bei Arnold Sommerfeld in München, in Freiburg und an der Universität Breslau. Experimentalphysik hörte er bei Otto Lummer und Ernst Pringsheim. Insbesondere lernte er aber statistische Mechanik und Thermodynamik im Selbststudium aus den Schriften von Ludwig Boltzmann, Rudolf Clausius und Walther Nernst. Er wurde 1912 an der Universität Breslau in physikalischer Chemie bei Otto Sackur promoviert (mit einer Dissertation über den osmotischen Druck von Kohlendioxid in konzentrierten Lösungen). Im selben Jahr ging er zu Albert Einstein an die Karls-Universität Prag und folgte ihm schließlich 1913 an die Eidgenössische Technische Hochschule nach Zürich, wo er sich 1913 in physikalischer Chemie habilitierte. Mit Einstein – der am Beginn seiner Karriere als Physiker als Spezialist für Thermodynamik galt – arbeitete er insbesondere über Probleme der statistischen Mechanik. Mit ihm verband ihn eine lebenslange Freundschaft. Er kam in Zürich auch in Kontakt mit Paul Ehrenfest und Max von Laue. Im folgenden Jahr ging er an die Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main, wo er sich 1915 für theoretische Physik umhabilitierte. Er blieb als Privatdozent für theoretische Physik in Frankfurt bis 1921, unterbrochen vom Wehrdienst im Ersten Weltkrieg, in dem er sich gleich nach Kriegsausbruch freiwillig meldete und an der russischen Front diente,[4] erst als Gefreiter und dann als Unteroffizier in technischer Verwendung. Max Born sorgte dafür, dass er einer Forschungsabteilung der Universität Berlin zugewiesen wurde.[5] 1919 erhielt er den Professorentitel und war Assistent von Max Born in Frankfurt. In dieser Zeit wandte er sich von der theoretischen Physik der Experimentalphysik zu. 1921 erhielt Stern einen Ruf auf ein Extraordinariat für theoretische Physik an der Universität Rostock, wo er bis 1922 blieb. Ein Grund für den Wechsel war Antisemitismus in Frankfurt (der Physiker und Universitätsrektor Richard Wachsmuth wollte ihm aus diesem Grund keine etatmäßige Professur geben).[6] 1923 folgte ein Ruf an das neugegründete Institut für physikalische Chemie der Universität Hamburg als Ordinarius und Direktor. In Hamburg begann eine enge, die Hamburger Zeit überdauernde Freundschaft mit seinen Kollegen, dem Astronomen Walter Baade, dem Mathematiker Erich Hecke und dem (damals noch angehenden) Physiker Wolfgang Pauli. Zu seinen Post-Doktoranden gehörten dort Isidor Isaac Rabi und Ronald G. J. Fraser. 1930/31 war er Dekan der Universität Hamburg und 1931 bis 1932 Mitglied des Senats der Universität. 1931 wurde er zum korrespondierenden Mitglied der Göttinger Akademie der Wissenschaften gewählt.[7]

Otto Stern und Lise Meitner, 1937
Plakette an der Universität Hamburg
Erinnerungstafel in Frankfurt, am Haus des Physikalischen Vereins

Wegen seiner jüdischen Herkunft[8][9] emigrierte er 1933 in die USA und nahm 1939 die US-amerikanische Staatsbürgerschaft an.[9] Er war von 1933 bis zur Emeritierung 1945 Forschungsprofessor der Physik am Carnegie Institute of Technology in Pittsburgh. In Kalifornien setzte er sich im darauf folgenden Jahr zur Ruhe. Er starb 1969 während eines Kinobesuchs an einem Herzinfarkt.

Ein frühes Interesse von Stern war die statistische Mechanik und das Entropie-Konzept. 1924 veröffentlichte er sein Modell[10] der elektrochemischen Doppelschicht, das heute unter seinem Namen bekannt ist.

Viele der Arbeiten Sterns beruhen auf seiner Molekularstrahl-Methode, die auch für die weitere Entwicklung der Experimentalphysik und Quantenphysik von fundamentaler Bedeutung war. Die Molekular- oder Atomstrahl-Methode selbst stammte von Louis Dunoyer de Segonzac (1911). Die ursprünglichen Veröffentlichungen von Stern dazu dienten der Messung der Maxwellschen mittleren thermischen Geschwindigkeit.[11][12]

Die Stern-Volmer-Gleichung[13] geht auf eine Zusammenarbeit mit Max Volmer am Berliner physikochemischen Institut zurück. 1913 veröffentlichte er mit Albert Einstein in den Annalen der Physik über die Nullpunktsenergie.[14]

Im Versuch von Stern maß er erstmals direkt die Geschwindigkeit von Atomen. Im Februar 1922 führte er zusammen mit Walther Gerlach im Physikalischen Verein in Frankfurt am Main den Stern-Gerlach-Versuch[15] zum Nachweis der Richtungsquantelung, der Quantisierung des Drehimpulses, durch (vorhergesagt 1916 durch Peter Debye und Arnold Sommerfeld).[16] Mit Gerlach bewies er auch, dass Atome ein magnetisches Moment haben.[17] Er bestimmte erstmals mit Gerlach experimentell das Bohrsche Magneton am Silberatom.[18][19]

Ihm gelang der Nachweis der Interferenz an Atomstrahlen[20] und die Messung der De-Broglie-Beziehung an Atomstrahlen. Von ihm stammt die erste Messung des magnetischen Moments von Proton und Deuteron.[21][22]

Zu seinen Mitarbeitern zählten unter anderem Walther Gerlach, Otto Robert Frisch und Immanuel Estermann.

Mitgliedschaften und Ehrungen

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Stern erhielt 1943 als „Anerkennung seines Beitrags zur Entwicklung der Molekularstrahl-Methode und für seine Entdeckung des magnetischen Moments des Protons“ den Nobelpreis für Physik.[23] Die Richtungsquantelung wurde nicht erwähnt, aber der Gutachter Erik Hulthén hob in einem Beitrag im schwedischen Radio im Dezember 1944 vor allem die Richtungsquantelung hervor.[24] Zwischen 1901 und 1950 war er mit 82 Nominierungen der Physiker mit der höchsten Anzahl an Nominierungen für den Nobelpreis.

Die Universität Frankfurt ehrte Otto Stern, indem sie das 2011 fertiggestellte zentrale Hörsaal- und Bibliotheksgebäude am neuen Campus Riedberg nach ihm als Otto-Stern-Zentrum benannte.[25] Die Stern-Gerlach-Medaille der DPG ist nach ihm und Gerlach benannt. Der Fachverband Magnetische Resonanz der GDCh verleiht den Otto-Stern-Preis für außerordentliche wissenschaftliche Beiträge zur Magnetresonanz. 2013 wurde der Asteroid (14468) Ottostern nach Otto Stern benannt.

1960 wurde er Ehrendoktor der ETH Zürich. Er war Mitglied der National Academy of Sciences (1945), der American Association for the Advancement of Science (1940), der American Philosophical Society, der Königlich Dänischen Akademie der Wissenschaften und der Göttinger Akademie der Wissenschaften, aus der er in der NS-Zeit ausgeschlossen worden war und in die er später nicht wieder eintrat.

Schriften (Auswahl)

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  • Horst Schmidt-Böcking, Karin Reich, Alan Templeton, Wolfgang Trageser, Volkmar Vill (Hrsg.): Otto Sterns Veröffentlichungen. 5 Bände, Springer Spektrum 2016.
  • Horst Schmidt-Böcking, Alan Templeton, Wolfgang Trageser: Otto Sterns Gesammelte Briefe. Band 1, Springer Spektrum 2018.
  • Eine direkte Messung der thermischen Molekulargeschwindigkeit. In: Zeitschrift für Physik. Band 2, 1920, S. 49–56.
  • Ein Weg zur experimentellen Richtungsquantelung im Magnetfeld. In: Zeitschrift für Physik. Band 7, 1921, S. 249–253.
  • mit W. Gerlach: Der experimentelle Nachweis des magnetischen Moments des Silberatoms. In: Zeitschrift für Physik. Band 8, 1921, S. 110–111.
  • mit W. Gerlach: Der experimentelle Nachweis der Richtungsquantelung im Magnetfeld. In: Zeitschrift für Physik. Band 9, 1922, S. 349–352.
  • mit W. Gerlach: Das magnetische Moment des Silberatoms. In: Zeitschrift für Physik. Band 9, 1922, S. 353–355.
  • Horst Schmidt-Böcking und Karin Reich: Otto Stern. Physiker, Querdenker, Nobelpreisträger. Societäts-Verlag, Frankfurt am Main 2011, ISBN 978-3-942921-23-7.
  • Peter Toennies, Horst Schmidt-Boecking, Bretislav Friedrich, Julian Lower: Otto Stern (1888–1969) – the founding father of experimental atomic physics. In: Annalen der Physik. Band 523, 2011, S. 1045–1070.
  • Bretislav Friedrich, Dudley Herschbach: Stern and Gerlach – how a bad cigar helped reorient atomic physics. In: Physics Today. Dezember 2003, S. 57 (Digitalisat, PDF auf physlab.lums.edu.pk).
  • Emilio Segré: Otto Stern 1888–1969. Biographical Memoirs National Academy of Sciences, (Digitalisat, PDF auf nasonline.org).
  • Dieter Hoffmann: Otto Stern. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 25, Duncker & Humblot, Berlin 2013, ISBN 978-3-428-11206-7, S. 281 f. (Digitalisat).
  • Horst Schmidt-Böcking, Wolfgang Trageser: Ein fast vergessener Pionier. Die von Otto Stern entwickelte Molekularstrahlmethode ist essenziell für Physik und Chemie. In: Physik Journal. Wiley-VCH Verlag Chemie, März 2012, S. 47–51 (pro-physik.de [PDF]).
  • Karin Reich / Horst Schmidt-Böcking: Otto Stern (1888–1969). In: Joachim Bahlcke (Hrsg.): Schlesische Lebensbilder. Band XIII. Stiftung Kulturwerk Schlesien, Würzburg 2021, ISBN 978-3-929817-11-9, S. 295–308.

Einzelnachweise

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  1. Horst Schmidt-Böcking, Alan Templeton, Wolfgang Trageser: Otto Sterns gesammelte Briefe. Band 1: Hochschullaufbahn und die Zeit des Nationalsozialismus. Springer, Berlin / Heidelberg 2018, ISBN 978-3-662-55735-8, S. 437 (books.google.de).
  2. Lt. Großnichte Diana Templeton-Killian.
  3. a b Schmidt-Böcking u. a. (Hrsg.): Otto Sterns gesammelte Briefe. Band 1, Springer-Spektrum 2018, S. 325 (Leseprobe: books.google.de).
  4. Porträt bei Jüdische Denkmäler Frankfurt (Memento vom 5. Juni 2015 im Internet Archive)
  5. Nancy Greenspan: Max Born. Spektrum Verlag, S. 83.
  6. Astrid Ludwig, Der vergessene Nobelpreisträger, Frankfurter Rundschau, 28. Dezember 2010, Horst Schmidt-Böcking über Otto Stern.
  7. Holger Krahnke: Die Mitglieder der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen 1751–2001 (= Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Philologisch-Historische Klasse. Folge 3, Band 246 = Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, Mathematisch-Physikalische Klasse. Folge 3. Band 50). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2001, ISBN 3-525-82516-1, S. 233.
  8. Wolfgang Walter: Otto Stern: Leistung und Schicksal. In: Mitteilungen, Gesellschaft Deutscher Chemiker. Band 3, 1989 (gdch.de [PDF]).
  9. a b Emilio Segre: Otto Stern 1888–1969. In: National Academy of Sciences (Hrsg.): Biographical Memoirs. 1973 (englisch, nasonline.org [PDF; 1000 kB]).
  10. Otto Stern: Zur Theorie der elektrolytischen Doppelschicht. In: Deutsche Bunsen-Gesellschaft für Angewandte Physikalische Chemie, Erich Müller (Hrsg.): Zeitschrift für Elektrochemie. Band 30, Nr. 21–22. Wiley‐VCH Verlag, November 1924, ISSN 0372-8323, S. 508–516, doi:10.1002/bbpc.192400182 (knowledge.electrochem.org [PDF]).
  11. Otto Stern: Eine direkte Messung der thermischen Molekulargeschwindigkeit. In: Physikalische Zeitschrift. Band 21, 1920, S. 582.
  12. Otto Stern: Eine direkte Messung der thermischen Molekulargeschwindigkeit. In: Zeitschrift für Physik. Band 2, Nr. 1, Februar 1920, ISSN 1434-6001, S. 49–56, doi:10.1007/BF01333787.
  13. Stern, Volmer, Über die Abklingungszeit der Fluoreszenz. Physikalische Zeitschrift, Band 20, 1919, S. 183–188.
  14. Einstein, Stern, Einige Argumente für die Annahme einer molekularen Agitation beim absoluten Nullpunkt, Annalen der Physik, Band 40, 1913, S. 629–632.
  15. Stern, Gerlach, Der experimentelle Nachweis der Richtungsquantelung im Magnetfeld, Z.f.Physik, 9, 1922, 349–352. Vorgeschlagen wurde der Versuch von Stern, Ein Weg zur experimentellen Prüfung der Richtungsquantelung im Magnetfeld, Z. f. Physik, Band 7, 1921, S. 249–253.
  16. Für den Versuch selbst erwartete Debye aber keinen Nachweis der Richtungsquantelung und Sommerfeld nur ein halbklassisches Ergebnis. Nur Bohr und Max Born (damals auch in Frankfurt) erwarteten ein positives Ergebnis. Gerlach und Stern waren für das Ergebnis offen. Gerlach, Erinnerungen an Albert Einstein 1908–1930, Physikalische Blätter Band 35, 1979, Heft 3, S. 97f.
  17. Walther Gerlach, Otto Stern: Der experimentelle Nachweis des magnetischen Moments des Silberatoms. In: Zeitschrift für Physik. Band 8, Nr. 1, Dezember 1922, ISSN 1434-6001, S. 110–111, doi:10.1007/BF01329580 (positron.physik.uni-halle.de [PDF]).
  18. Walther Gerlach, Otto Stern: Das magnetische Moment des Silberatoms. In: Zeitschrift für Physik. Band 9, Nr. 1, Dezember 1922, ISSN 1434-6001, S. 353–355, doi:10.1007/BF01326984.
  19. Otto Robert Frisch, Stern, Beugung von Materiestrahlen, Handbuch der Physik, Band 22, Teil 2, Springer 1933.
  20. Stern, Beugung von Molekularstrahlen am Gitter einer Kristallspaltfläche, Die Naturwissenschaften, 17, 1929, S. 391.
  21. Frisch, Stern, Über die magnetische Ablenkung von Wasserstoffmolekülen und das magnetische Moment des Protons, Teil 1, Z. f. Physik, Band 85, 1933, S. 4–16, Teil 2 mit Estermann, S. 17–24.
  22. Stern, Estermann, Über die magnetische Ablenkung von isotopen Wasserstoffmolekülen und das magnetische Moment des „Deutons“. Z. f. Physik, Band 86, 1933, S. 132–134.
  23. The Nobel Prize in Physics 1943. In: nobelprize.org. Abgerufen am 14. September 2023 (englisch).
  24. Otto Sterns Veröffentlichungen. Springer Spektrum, Band 1, 2016, S. 28.
  25. Mammutprojekt: Die Zukunft der Universität hat schon begonnen. In: fr-online.de. 27. Juni 2011, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 19. Dezember 2014; abgerufen am 19. Dezember 2014.
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