Hauptstadtbeschluss

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Als Hauptstadtbeschluss wird der Beschluss des Deutschen Bundestages vom 20. Juni 1991 bezeichnet, infolge der deutschen Wiedervereinigung seinen Sitz von Bonn nach Berlin zu verlegen. Der Begriff Hauptstadtbeschluss ist dabei irreführend, weil Berlin bereits 1990 mit Inkrafttreten des Einigungsvertrages Bundeshauptstadt der Bundesrepublik Deutschland geworden war.[1]

Die Verlegung des Parlaments- und Regierungssitzes nach Berlin erfolgte weitgehend im Sommer 1999, wobei jeweils Zweitsitze der Bundesregierung (über die Bundesministerien) und der Legislative (über den Bundesrat) in Bonn verblieben – wodurch auch von einem „geteilten“ Regierungssitz gesprochen werden kann.

Hintergrund

Bei der Diskussion der Hauptstadtfrage 1948 und 1949 bekräftigte der Bundestags den Status Berlins als deutsche Hauptstadt. Zudem sah der Beschluss vor, dass die leitenden Bundesorgane ihren Sitz nach Berlin verlegen sollen "sobald allgemeine, freie, gleiche, geheime und direkte Wahlen in ganz Berlin und in der Sowjetischen Besatzungszone durchgeführt sind“.[2][3] Diese Bekenntnis wurde 1990 aber nicht direkt umgesetzt. Dafür gab es vielfältige Gründe. Einerseits hatten sowohl die alliierten Siegermächte als auch viele Deutsche Bedenken, ob das ehemalige Machtzentrum des "Dritten Reiches" als politische Zentrale des neuen demokratischen Deutschlands geeignet sei.[4] Zudem wurden finanzielle Argumente und die nationale Symbolik als Argumente gegen Berlin angeführt.[4] Dabei stand Bonn für Bescheidenheit und demokratische Verlässlichkeit, während Berlin für Größenwahn und eine obrigkeitshörige Staatsauffassung stand.[4]

Beschluss und Umsetzung

Abstimmung

Der Antrag Vollendung der Einheit Deutschlands, mit dem Inhalt, den künftigen Regierungssitz in Berlin zu etablieren, war parteiübergreifend von prominenten Abgeordneten formuliert und eingebracht worden. Darunter befanden sich Abgeordnete der SPD (Willy Brandt, Hans-Jochen Vogel, Wolfgang Thierse), der FDP (Burkhard Hirsch, Hermann Otto Solms, Rainer Ortleb), der CDU/CSU (Helmut Kohl, Günther Krause, Wolfgang Schäuble, Oscar Schneider) und des Bündnis 90 (Wolfgang Ullmann). Nach kontroverser Debatte mit mehr als 600 Minuten beantragter Redezeit nahm der Bundestag mit 338 zu 320 Stimmen den Antrag in namentlicher Abstimmung an. Für die Abstimmung war die Fraktionsdisziplin aufgehoben. Zunächst war ein Ergebnis von 337 zu 320 festgestellt und bekanntgegeben worden; dann stellte sich heraus, dass beim Auszählen eine Ja-Stimme übersehen worden war. Eine Stimme war ungültig und es gab eine Enthaltung.[5]

Bei der Abstimmung zeigte sich, dass die regionale Herkunft der Abgeordneten von großer Bedeutung war. Abgeordnete aus Nord- und Ostdeutschland stimmten überwiegend für Berlin, solche aus Süd- und Westdeutschland überwiegend für Bonn.[6] Von den direkt gewählten Abgeordneten der 328 Wahlkreise stimmten 169 für Bonn und 153 für Berlin. Von den über die Landeslisten gewählten Abgeordneten waren 185 für Berlin und 151 für Bonn. Zudem lässt sich ein starker Zusammenhang von Konfessionszugehörigkeit und Abstimmungsverhalten feststellen. So stimmten 67% der katholischen Abgeordneten für Bonn hingegen aber nur 36% der evangelischen Abgeordneten.[6] Bei Meinungsumfragen in der Bevölkerung hatte sich gezeigt, dass ältere Bundesbürger Berlin über Bonn bevorzugten, während es bei jüngeren Bundesbürgern umgekehrt war. Dies spiegelte sich auch im Abstimmungsverhalten der Parlamentarier wieder. Die Jahrgänge bis 1940 stimmten mit einer sehr viel geringeren Mehrheit für Bonn als die nach 1940 geborenen Parlamentarier.[6]

Abstimmungsverhalten der bei der Bundestagswahl in den Wahlkreisen gewählten Abgeordneten am 20. Juni 1991:
für Berlin (153)
für Bonn (169)
keine Teilnahme bzw. Ersatz durch Nachrücker (6)
Abstimmungsverhalten nach Parteizugehörigkeiten[5]
Partei für Berlin für Bonn
Stimmen Prozent Stimmen Prozent
CDU 146 54,1 124 45,9
CSU 8 16,7 40 83,3
SPD 110 46,6 126 53,4
FDP 53 67,1 26 32,9
Bü90 4 66,7 2 33,3
PDS 17 94,5 1 5,5
fraktionslos 0 0,0 1 100,0
Summe 338 51,5 320 48,5

Umsetzung

In der Folge wurden auf verschiedenen Ebenen Entscheidungen zum Umsetzen dieses Beschlusses getroffen. So sollten, in Wahrung der „fairen Arbeitsteilung“ zwischen Berlin und Bonn, von der im Beschluss die Rede war, neben dem

nach Berlin verlegt werden, diese jedoch einen zweiten Dienstsitz in Bonn behalten.

Folgende Bundesministerien sollten in Bonn bleiben, jeweils mit einem zweiten Dienstsitz in Berlin:

1994 wurde das Berlin/Bonn-Gesetz beschlossen. Ursprünglich sollten die Bundesministerien bereits 1995 nach Berlin umziehen, dieser Zeitplan konnte aber nicht eingehalten werden. Stattdessen erging ein Kabinettsbeschluss, in dem festgelegt wurde, dass der Umzug bis 2000 abgeschlossen sein sollte und ein Budget von 20 Milliarden DM (10,2 Milliarden EUR) nicht überschritten werden dürfe.

In dieser Zeit fielen grundlegende Entscheidungen, u. a.:

  • das Reichstagsgebäude wird ständiger Sitz des Bundestages,
  • die Mehrheit der Bundesministerien zieht nach Berlin um,
  • die Mehrheit der ministeriellen Arbeitsplätze verbleibt in Bonn,
  • die Bundesminister haben in Bonn bzw. Berlin einen Zweitsitz,
  • das Bundespräsidialamt hat seinen Sitz in Berlin.

Seit Herbst 1999 nimmt Berlin seine Funktion als Parlaments- und Regierungssitz der Bundesrepublik Deutschland wahr. Seit der Verlegung des Sitzes des Bundesrats im Sommer 2000 ist Berlin der Sitz beider legislativer Bundesverfassungsorgane.

Das vor der Umsetzung des Hauptstadtbeschlusses in Berlin ansässige Bundesverwaltungsgericht zog indessen nach Leipzig.

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Art. 2 des Einigungsvertrages
  2. Plenarprotokoll 01/14 des deutschen Bundestages vom 3. November 1949
  3. Drucksache 01/135 und 01/143 des Deutschen Bundestages
  4. a b c Die Entstehung der Berliner Republik. In: Bundeszentrale für politische Bildung. Abgerufen am 19. August 2021.
  5. a b Hans Georg Lehmann: Infografik: Abstimmung vom 20. Juni 1991. Bundeszentrale für politische Bildung, 11. Mai 2011, abgerufen am 6. Mai 2017.
  6. a b c Udo Wengst: Wer stimmte für Bonn, wer für Berlin? Die Entscheidung über den Parlaments- und Regierungssitz im Bundestag am 20. Juni 1991. JSTOR:24224798.

Literatur

  • Ekkehard Kohrs: Kontroverse ohne Ende. Der Hauptstadt-Streit. Argumente – Emotionen – Perspektiven (= Beltz-Quadriga-Taschenbuch. Bd. 558). Beltz Quadriga, Weinheim 1991, ISBN 3-407-30558-3.
  • Andreas Salz: Bonn-Berlin: Die Debatte um Parlaments- und Regierungssitz im Deutschen Bundestag und die Folgen. Monsenstein und Vannerdat, Münster 2006, ISBN 3-86582-342-4 (Zugl.: Bonn, Univ., Mag.-Arb., 2006).