„Hamas-Charta“ – Versionsunterschied
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Artikel 10 erklärt, die Hamas sei eine Stütze für alle Unterdrückten und werde keine Mühen scheuen, um dem Recht Geltung zu verschaffen und Unrecht zu beseitigen.<ref name=":0" /> |
Artikel 10 erklärt, die Hamas sei eine Stütze für alle Unterdrückten und werde keine Mühen scheuen, um dem Recht Geltung zu verschaffen und Unrecht zu beseitigen.<ref name=":0" /> |
Version vom 29. November 2024, 12:44 Uhr
In der als Hamas-Charta oder Charta der Hamas (arabisch ميثاق حماس, DMG Mīṯāq Ḥamās) bezeichneten „Charta“ sind Programm und Ziele der 1987 gegründeten palästinensischen Terrororganisation Hamas festgeschrieben. Die Hamas veröffentlichte ihr durch die Ideologie des Islamismus geprägtes Grundsatzpapier am 18. August 1988. Sie dokumentiert den Anspruch der Terrororganisation auf das ihr als Waqf geltende Gebiet der Region Palästina. In dem Papier wird das Existenzrecht Israels bestritten. Alle Muslime und Araber werden zur Befreiung von Palästina und zur Unterstützung der Hamas im Kampf gegen eine postulierte „zionistische Invasion“ aufgerufen. Dabei wird auf ein traditionelles Hadith hingewiesen, das zum Töten aller Juden aufruft. In der Charta wird behauptet: „Der Zionismus macht nirgends Halt: Nach Palästina strebt er eine Expansion vom Nil bis zum Euphrat an, und wenn er sich diese Region einverleibt hat, folgt weitere Expansion und so fort.“[1] Als Beleg wird auf die „Protokolle der Weisen von Zion“ und „die derzeitigen Taten der Zionisten [im August 1988]“ verwiesen.[1]
Ein Grundsatzpapier der Hamas von 2017 ersetzte die antisemitischen Verschwörungstheorien mit einer moderater klingenden antizionistischen und antikolonialistischen Argumentation. Es bekräftigte das Ziel eines islamischen Staates in ganz Palästina anstelle Israels, erklärte aber auch, ein Staat Palästina „entlang den Linien von 1967“ sei die Formel für einen „nationalen Konsens“. Die ursprüngliche Charta wurde dabei nicht widerrufen.
Historiker wie Jeffrey Herf erklären die Terrorangriffe der Hamas auf Israel, zuletzt ihr Massaker vom 7. Oktober 2023, aus der in der Charta verankerten antisemitischen Ideologie der Hamas.
Aufbau und Inhalt
Die Charta beginnt mit einem längeren Koranzitat (3:110–112), das die Auserwähltheit der Muslime und ihre Überlegenheit gegenüber „Leuten der Schrift“ betont.[2] Direkt nach dem Koranzitat steht eine Aussage des „Märtyrers Imam Hassan al-Banna“, des Gründers der agyptischen Muslimbrüder: „Israel wird bestehen und so lange bestehen bleiben, bis der Islam es annulliert, so wie er davor Bestehendes annulliert hat.“[2][3]
Darauf folgen eine einleitende Präambel und fünf Kapitel mit insgesamt 36 Artikeln.[2][3] Die Kapitelüberschriften entsprechen nicht immer streng den darin dargestellten Positionen.[4]
Präambel
Die Präambel beschreibt in zeitrafferartigem Stil die Entstehung der Hamas-Bewegung, vom Reifen einer Idee über das Wachsen einer Saat und das Wurzelschlagen eines Sprosses im Boden der Realität bis hin zur Gründung der „Islamischen Widerstandsbewegung (Hamas)“, die gemeinsam mit allen, die Palästina befreien wollen, kämpfen wird.[3] Der Kampf mit den Juden sei ein sehr großer und schwerer, der alle aufrichtigen Anstrengungen erfordere, werde aber letztendlich zum im Koran (58:21) verheißenen Sieg führen.[2]
Erstes Kapitel: Definition der Bewegung (Art. 1–8)
Artikel 1 erklärt, der Islam sei die Grundlage und Inspiration für die Hamas.[2][3] Artikel 2 erklärt, dass ihr Verständnis des Islams dabei von dem der Muslimbrüder geprägt sei.[2] Artikel 3 nennt als Mitglieder der Hamas ausschließlich Muslime, obwohl während der Zweiten Intifada auch Christen mit der Hamas gekämpft haben sollen.[3] Helga Baumgarten zitiert einen palästinensischen Muslimbruder, dem zufolge jeder Muslimbruder zur Hamas gehöre, aber nicht jedes Hamas-Mitglied auch ein Muslimbruder sei; Nicht-Muslime, so sagte er, könnten nur bei der Hamas Mitglieder werden.[3] Ziel der Hamas ist, im Heiligen Krieg gegen die Unterdrücker – gemeint waren die Israelis – zu kämpfen.[2][3] Artikel 4 ruft jeden gleichgesinnten Muslim auf, sich diesem Kampf anzuschließen, und verheißt göttlichen Lohn.[2] Laut Artikel 5 ist Gott das Ziel der Hamas, der Prophet Mohammed ihr Vorbild, der Koran ihre Verfassung.[3] Darum sei diese Bewegung zeitlich und räumlich unbegrenzt.[3] In Artikel 6 definiert sie sich ausdrücklich als palästinensische, nationale und islamische Bewegung, deren Ziel sei, „Gottes Banner auf jedem Fußbreit Palästinas zu hissen“.[3][4] Dieser Artikel geht auch auf die nichtmuslimischen Minderheiten in Palästina ein – diese könnten unter der Herrschaft des Islams alle in Sicherheit zusammenleben.[2] Ohne den Islam komme es dagegen zu Konflikten, Unrecht, Korruption und Kriegen.[3]
Artikel 7 trägt den Titel „Der weltweite Charakter der Islamischen Widerstandsbewegung“.[2][3] Hier beschreiben die Autoren den religiösen Kontext des Kampfes gegen die Zionisten.[2] Als historisches Vorbild wird der 1935 von britischen Sicherheitskräften in Palästina getötete syrische Scheich Izz ad-Din al-Qassam gepriesen.[2] Weitere Vorläufer seien der Aufstand der Muslimbrüder in Palästina 1936 sowie der Kriegseinsatz der Muslimbrüder im Krieg von 1948 und deren Beteiligung an Guerilla-Aktionen gegen Israel im Jahr 1968 (nach dem Sechstagekrieg 1967) gewesen.[2][3] Ignoriert wurde dabei laut Joseph Croitoru, dass säkulare palästinensische Kampforganisation wie die Fatah seit den 60er-Jahren einen wesentlich größeren Anteil am nationalen Befreiungskampf gehabt hatten als die Muslimbrüder.[2] Nach diesem Aufruf zum weltweiten Kampf der Muslime gegen Israel zitiert die Charta ein Mohammed zugeschriebenes Zitat aus den Hadithen (Nr. 2922 in der Hadith-Sammlung Sahīh Muslim):[2] „Die Stunde (der Auferstehung) wird nicht kommen, bis die Muslime gegen die Juden kämpfen. Die Muslime werden sie töten, bis sich der Jude hinter Stein und Baum verbirgt, und Stein und Baum dann sagen: ‚Oh Muslim, oh Diener Gottes! Da ist ein Jude hinter mir. Komm und töte ihn‘, außer der Gharqad-Baum, denn er ist ein Baum der Juden.“[2][3] Artikel 8 nennt als Losung der Hamas: „Gott ist ihr Ziel, der Gesandte Gottes ist ihr Vorbild, der Koran ist ihre Verfassung, der Dschihad ist ihr Weg, und der Tod für die Sache Gottes ist ihr erhabenster Wunsch.“[2][3] Sie übernahm damit die Losung der Muslimbruderschaft.[5][6]
Zweites Kapitel: Ziele (Art. 9–10)
Das zweite Kapitel ist kurz. Es betont den Herrschaftsanspruch des Islams und den Auftrag der Hamas, die Heimat zurückzugewinnen und den Ruf zum Gebet von den Moscheen in Palästina ertönen zu lassen.[2]
Artikel 9 erklärt, alles entstandene Unrecht – Heimatverlust, Vertreibung und Diaspora – sei in erster Linie darauf zurückzuführen, dass der Islam nicht mehr präsent gewesen sei.[3] Das Ziel der Hamas sei, erneut einen islamischen Staat in Palästina zu schaffen.[3]
Artikel 10 erklärt, die Hamas sei eine Stütze für alle Unterdrückten und werde keine Mühen scheuen, um dem Recht Geltung zu verschaffen und Unrecht zu beseitigen.[3]
Drittes Kapitel: Strategien und Mittel (Art. 11–22)
Nach Artikel 11 glaubt die Hamas, dass der historische Raum Palästina (in Gestalt der Grenzen von Britisch-Palästina nach dem Logo der Hamas) seit seiner Eroberung während der Islamischen Expansion bis zum Jüngsten Gericht den Muslimen als Waqf-Land vermacht ist und weder als Ganzes, noch in Teilen aufgegeben werden darf.[7]
Nach Artikel 12 ist Patriotismus fester Bestandteil des Glaubens der Hamas und der Muslime. Für die Muslime sei es eine individuelle Pflicht (Fard), sich dem Feind (gemeint ist der Staat Israel) entgegenzustellen. Während der Nationalismus anderer Länder sich auf materielle, menschliche oder regionale Faktoren berufe, beruft sich die Hamas dabei auf Allah.[8]
Nach Artikel 13 lehnt die Hamas friedliche Lösungen und internationale Konferenzen zur Lösung der Palästina-Frage ab, da sie im Widerspruch zu ihrer Ideologie stünden. Der Verzicht auf nur einen Teil Palästinas sei ein Verzicht auf einen Teil des Glaubens. Stattdessen könne die Palästina-Frage nur durch den Dschihad gelöst werden. Diplomatische Initiativen, Vorschläge und internationalen Konferenzen seien „sinnlose Zeitvergeudung, frevelhaftes Spiel, und das palästinensische Volk ist zu kostbar, als dass man mit seiner Zukunft, seinem Recht und seinem Schicksal ein frevelhaftes Spiel treiben könnte.“[8]
Nach Artikel 14 hängt die Befreiung Palästinas von drei „Kreisen“ ab: dem palästinensischen, arabischen und islamischen Kreis. „Jeder dieser drei Kreise“, so die Charta, „spielt seine Rolle im Kampf mit dem Zionismus, jeder hat seine Pflichten. Die Vernachlässigung eines dieser drei Kreise wäre ein gewaltiger Fehler und zeugt von schändlicher Unwissenheit […]“[9] Die Hamas erkennt damit sowohl den palästinensischen, als auch pan-arabischen Nationalismus als vereinigendes Element an und stellt sich damit dezidiert gegen andere islamistische Bewegungen, wie etwa die ebenfalls palästinensische, aber ausschließlich pan-islamische Bewegung der Hizb ut-Tahrir, die jede Form des Nationalismus ablehnt. Für die Hamas ist der Islam als einigendes Element jedoch die tragende Säule.[9]
Artikel 15 beschreibt den Dschihad als individuelle Pflicht des Muslims, sobald muslimisches Territorium angegriffen wird. „Gegenüber der Usurpierung Palästinas durch die Juden muss zwingend das Banner des Dschihad erhoben werden.“,[9] wobei die Hamas diesen Dschihad als nicht nur eine militärische, sondern auch als intellektuelle und gesellschaftliche versteht, bei der vor allem in Wissenschaft, Erziehung, Bildung und Medien der Gedanke des Dschihad sowohl von den Eliten aber auch der breiten Masse propagiert werden muss.[9]
Artikel 16 betont die Notwendigkeit, dass die junge Generation islamisch religiös „im rechten Denken“ erzogen werden muss.[9]
Nach Artikel 17 hat die Frau „im Befreiungskampf eine ebenso wichtige Rolle wie der Mann“,[9] da sie neue Männer gebiert und diese erzieht – der Frau komme also in erste Linie die Rolle der Mutter zu. Der Artikel behauptet weiter, dass der „Feind“ glaubt, den Kampf gewinnen zu können, wenn es ihm „gelingt, die Frauen so zu lenken und zu formen, wie sie es wollen, nämlich (sie) dem Islam entfremdet.“[9] Dies versuche er „unermüdlich durch Medien, Filme und Lehrpläne mithilfe ihrer Marionetten in zionistischen Organisationen und Formen“, darunter „Freimaurerlogen, Rotary-Clubs, Spionagegruppen“. Die Hamas sieht daher den palästinensischen Befreiungskampf bzw. vor allem die Frauen, auch durch eine kulturelle Beeinflussung, etwa eine mögliche Säkularisierung, „Verwestlichung“ und stärkere Emanzipation der Frauen, bedroht.[9]
Die bereits im Artikel 17 angedeutete primäre Rolle der Frau auf eine Rolle als Hausfrau und Mutter wird im Artikel 18 deutlich fixiert.[9]
Artikel 19 thematisiert die Notwendigkeit einer „islamischen Kunst“.[9]
Artikel 20 betont die Notwendigkeit einer innermuslimischen Solidarität, wobei er eine schwere Anklage gegen den „Feind“ erhebt (gemeint ist faktisch der Staat Israel, wobei jedoch der Begriff Juden verwendet wird). So wird etwa die Anwendung von Kollektivstrafen und Gewalt durch israelisches Militär mit scharfen Worten angegriffen. Weiter schreibt die Hamas: „Die Juden handeln unterschiedslos nazistisch auch gegen Frauen und Kinder, sie terrorisieren alle, rauben gar den Lebensunterhalt und das Vermögen und treten die Menschenwürde mit Füßen. Wie die schlimmsten Kriegsverbrecher gehen sie mit ihren Gräueltaten mit den Menschen um. Die Ausweisung aus dem eigenen Land nutzen sie wie eine andere Form des Mordens.“ Gegen diese Gewalt des Feindes könne sich die muslimische Gemeinschaft nur wehren, indem sie untereinander solidarisch sei.[9]
Artikel 21 definiert die Solidarität sowohl als materielle als auch moralische Hilfe für Bedürftige sowie als die Notwendigkeit für das Wohl der Masse zu agieren.[9]
Im Artikel 22 bedient sich die Hamas des antisemitischen Narrativs von der Existenz einer „jüdischen Weltverschwörung“ und steigert sich in eine Tirade, nach der die Gründung Israels als ein von den Juden bzw. Zionisten von langer Hand minutiös geplantes Unternehmen dargestellt wird. Dabei habe der Feind gewaltige Reichtümer und Einfluss angehäuft, um seine Ziele zu verwirklichen und sämtliche Arten von Medien weltweit unter Kontrolle gebracht. Weiterhin habe er mit seinem Vermögen in verschiedensten Teilen der Welt Revolutionen angezettelt, etwa die Französische Revolution, die Oktoberrevolution und andere. Zudem habe man vermeintliche Geheimorganisationen wie die Freimaurer, die Rotary-Clubs, die Lions Clubs und B’nai B’rith gegründet, um die Gesellschaft zu sabotieren und ihre Interessen durchzusetzen. Auch sei man für den Kolonialismus verantwortlich sowie den Ersten Weltkrieg, die Abschaffung des islamischen Kalifats im Jahr 1924 unter Mustafa Kemal Atatürk. Nach der britischen Zusicherung der Balfour-Deklaration habe der Feind ebenso den Völkerbund gegründet, um durch ihn die Welt zu beherrschen. Ebenso stecke der Feind hinter dem Zweiten Weltkrieg und habe sich am Handel mit Rüstungsgütern bereichert. Nach dem Weltkrieg habe der Feind dann die Vereinten Nationen und den UN-Sicherheitsrat gegründet.[10] „Es gibt keinen Krieg, bei dem sie nicht hinter den Kulissen ihre Finger im Spiel hätten.“ Dabei werde der Feind sowohl von den imperialistischen Mächten des kapitalistischen Westens als auch des kommunistischen Ostens unterstützt. Die Hamas nimmt diese Behauptungen zum Anlass, um mit Verweis auf eine Sure im Koran (Sure 3:118) deutlich zu machen, dass sich die islamische Gemeinschaft nur auf sich selbst verlassen könne.[9][11]
Viertes Kapitel: Haltung gegenüber anderen islamischen und nationalen Bewegungen (Art. 23–33)
Nach Artikel 23 ist die Hamas bestrebt, auf Ausgleich und Kooperation mit anderen islamistischen Bewegungen zu setzen.[9]
Nach Artikel 24 lehnt die Hamas die öffentliche Verleumdung und Anprangerung anderer Akteure ab, sofern es sich nicht um unterschiedliche Standpunkte und Handlungsweisen handelt. Hier behält sie sich „das Recht vor, Irrtümer aufzuzeigen sowie andere davon abzubringen“.[9]
Nach Artikel 25 und 26 sieht die Hamas andere, auch nicht-islamistische palästinensische Widerstandsgruppen positiv und ist bestrebt, mit ihnen zusammenzuarbeiten.[9]
Nach Artikel 27 sieht sich die Hamas der Palästinensischen Befreiungsorganisation gegenüber in einem engen, brüderlichen Verhältnis, lehnt aber entschieden ihr Anliegen eines säkularen Staates ab.[9]
Im Artikel 28 wendet sich die Hamas an die Staaten und Regierungen der arabischen und muslimischen Welt und warnt vor einer „Invasion der Kreuzritter“, die nicht nur militärisch, sondern auch kulturell erfolge, weshalb es gelte, entsprechende Gegenmaßnahmen zu unternehmen. Weiter werden die Staaten aufgefordert, ihre Grenzen für Dschihad-Kämpfer gen Palästina zu öffnen.[9]
In den Artikeln 29 und 30 wirbt die Hamas bei nationalen und religiösen Institutionen sowie in anderen Staaten darum, Aktivitäten insbesondere im kulturellen Bereich zu unternehmen, die geeignet sind, den Kampf der Hamas in Palästina zu unterstützen.[9]
Nach Artikel 31 sieht sich die Hamas als „eine humane Organisation, die die Menschenrechte achtet und der Toleranz des Islams gegenüber Anhängern anderer Religionen verpflichtet ist. Sie behandelt nur die als Feinde, die ihr auch Feindschaft entgegenbringen oder sich ihr in den Weg stellen, um sie in ihrem Tun zu behindern oder ihre Anstrengungen zunichte zu machen. Unter dem Islam, und nur unter dem Islam, können die Anhänger der drei monotheistischen Religionen Islam, Christentum und Judentum in Frieden und Sicherheit zusammenleben.“ Die Invasion der „Zionisten“ werde nicht von langer Dauer sein.[9]
Gemäß Artikel 32 versuchen „der weltweite Zionismus und die imperialistischen Mächte“ andere arabische Staaten vom Kampf gegen Israel auszuschließen, bis nur noch das palästinensische Volk selbst übrig ist.[9] So habe bereits Ägypten mit seinem Friedensschluss mit Israel 1978 den Kampf verlassen und weitere Staaten könnten folgen (so wie etwa Jordanien 1994). Die Hamas glaubt, dass Israel jedoch in Wahrheit vorhat, sein Staatsterritorium bis zum Nil und Euphrat und noch darüber hinaus zu erweitern, was man bereits in den Protokollen der Weisen von Zion nachlesen könne, die von der Hamas als authentisch erachtet werden. Für die Hamas ist „das Ausscheiden aus dem Konflikt mit dem Zionismus Hochverrat.“ Die Bewegung selbst „betrachtet sich als Speerspitze in der Auseinandersetzung mit dem Weltzionismus.“[9]
Artikel 33 legt fest, dass der Kampf gegen Israel andauern werde, bis der Sieg erfolgt sei.[9]
Fünftes Kapitel: Historische Belege (Art. 34–36)
Artikel 34 und 35 beschreiben Palästina als Nabel der Welt und als bereits in der Vergangenheit bedeutenden Ort des Dschihads gegen fremde Invasoren, darunter die Kreuzritter und die Mongolen. So wie man diese Invasoren zurückgeschlagen habe, werde auch die „zionistische Invasion“ beseitigt werden.[9]
Der letzte Artikel 36 fasst zusammen, dass die Hamas niemandem schaden wolle und sich ihr Kampf weder gegen Muslime noch Nichtmuslime richte, die ihr nicht feindlich gesinnt seien.[9]
Rezeption
Frage der Verbindlichkeit der Charta
Die Frage der Relevanz und Verbindlichkeit ist umstritten. Der Politikwissenschaftler Tristan Dunning schrieb 2017 vor dem Hintergrund der Veröffentlichung des Hamas-Grundsatzpapiers: „Sie (die Hamas-Führer) haben die Charta seit über 20 Jahren nicht mehr als Bezugspunkt für die Politik der Bewegung verwendet.“[12] und kritisierte weiter, dass die Charta oft als Vorwand benutzt worden sei, die Hamas von den Friedensgesprächen zwischen Israel und Palästina auszuschließen.[12] Ähnlich sieht dies der antizionistische Historiker Mohsen Mohammad Saleh in einer umfassenden Hamas-Studie: „[…] Die Gegner der Hamas zitieren ihre Charta viel mehr, als es ihre Mitglieder und Führer selbst tun.“[13], wobei er sich insbesondere auf die antisemitischen Inhalte und die Deutung des Artikels 7 als allgemeinen Tötungsaufruf gegen Juden bezog.[13]
Der Historiker Khaled Hroub sah in neueren Dokumenten der Hamas, etwa ihrem Wahlmanifest von 2005 für die Wahlen in den palästinensischen Autonomiegebieten Abweichungen von Positionen der Gründungscharta.[14] Der Politikwissenschaftler Tristan Dunning schrieb 2017, dass die Hamas seit Mitte der 1990er Jahre für eine Art dauerhafte Lösung mit Israel offen sei, wobei ihre Führer erklärten, dass sie eine Zwei-Staaten-Lösung akzeptieren würde, sofern das palästinensische Volk in einem Referendum darüber abstimmt.[15]
Am 1. Mai 2017 veröffentlichte die Hamas-Führung in Doha ein neues Grundsatzpapier, das in der Präambel den Selbstanspruch erhebt, den Konsens und die theoretischen und praktischen Ansichten der Bewegung zu verkörpern und damit die alte Gründungscharta der Hamas aus dem Jahr 1988 zu ersetzen.[16] Andere sehen in dem Dokument lediglich eine bloße Ergänzung der Gründungscharta.[17][18]
Antisemitismus
Ein zentrales Thema in der Rezeption der Charta, insbesondere im Westen, ist der klare Antisemitismus (vgl. insbesondere Artikel 22). Dieser diente westlichen Gegnern zur Abqualifizierung der Organisation.[3] Der Historiker Musa Budeiri schreibt über die antisemitischen Stellen der Charta: „Die Ideologie (der Hamas) speist sich aus einem vulgären und uninformierten Antisemitismus, der direkt aus dem rechten Gedankengut Europas im 19. Jahrhundert übernommen und einer fehlgeleiteten Interpretation der antagonistischen Beziehung des Propheten Muhammad mit der jüdischen Gemeinde in der arabischen Halbinsel übergestülpt wurde.“[19] Sari Nusseibeh, ehemaliger Präsident der al-Quds-Universität verglich die antisemitischen Narrative und Formulierungen der Charta mit dem nationalsozialistischen Hetzblatt Der Stürmer.[20] Der britische Historiker Colin Shindler bezeichnete die Charta als „Synthese aus koranischen Bildern, historischen Verzerrungen und unverfälschtem Antisemitismus“.[21] Der Islamwissenschaftler Olaf Farschid findet in der Charta trotz ihrer überwiegend antizionistischen Rhetorik nahezu alle Stereotype des Antisemitismus. Insbesondere der Mythos der jüdischen Weltverschwörung werde immer wieder beschworen und ihnen unterstellt, seit jeher eine „Verschwörung gegen den Islam“ zu betreiben.[22]
Der Politikwissenschaftler Armin Pfahl-Traughber hebt den Antisemitismus und Antizionismus der Hamas-Charta sowie die Aufforderungen zur Gewaltanwendung hervor: Die Charta fordere einen Palästinenserstaat und rufe ganz offen zur Tötung von Juden auf, um diesen zu erreichen.[4] Mit dem diesbezüglichen Hadithzitat folgte die Hamas Hauptvertretern des Islamismus wie Raschīd Ridā (ab 1930),[23] Mohammed Amin al-Husseini (ab 1937) und Nadim al-Jisr (Azhar-Universität Kairo, 1968). Zuvor war jenes Hadith laut Matthias Küntzel in der islamischen Literatur lange Zeit kaum erwähnt worden. Erst durch die Nationalsozialistische Propaganda, die islamistische Pamphlete ab 1937 aufgriff, sei es im ganzen arabisch-muslimischen Raum verbreitet worden.[24] Laut Küntzel macht das Hadith in der Charta die Auferstehung der Muslime von ihrer Ermordung der Juden abhängig und stellt das ganze Universum mit Bäumen und Steinen gegen die Juden.[25] Da es zur islamischen Überlieferung eines Endkampfs zwischen Muslimen und Juden vor dem Jüngsten Gericht gehört, wertet Küntzel es mit dem Antisemitismusforscher Yehoshafat Harkabi als religiösen Aufruf zu einer „eschatologischen Endlösung“.[26] Der Politikwissenschaftler Armin Pfahl-Traughber sieht das Hadith in der Charta als antisemitische, direkte Aufforderung der Hamas zur Gewaltanwendung.[4]
Laut dem Middle East Media Research Institute (MEMRI) war die arabische Originalfassung der Charta nur schwer aufzutreiben. Eine Befragung von Aktivisten und Abgeordneten der Hamas im Jahr 2006 ergab, dass einige die antisemitischen Aussagen der Charta nicht kannten.[27] Helga Baumgarten schrieb, die Charta habe „wenig bis keine Relevanz“ für die palästinensische Gesellschaft und die Hamas gehabt – kein Mitglied sei verpflichtet gewesen, sie zu studieren.[3] Azzam Tamimi, Leiter des „Instituts für Islamische Politische Theorie“ in London und eine Art Medienberater für die Hamas, sagte der Jerusalem Post 2006, die Hamas-Führung arbeite an einer gemäßigteren Charta ohne antisemitische Argumentationen: „Der ganze Unsinn über die Protokolle der Weisen von Zion und die Verschwörungstheorien, all dieser Mist, muss heraus. Er hätte von Anfang an nicht auftauchen dürfen.“[3][28]
Paul Scham, Professor für Jüdische Studien an der University of Maryland, und Osama Abu Irshaid äußerten 2010 in einem Sonderbericht für das United States Institute of Peace die Ansicht, die in den Anfangsjahren der Hamas-Bewegung in der Charta und anderer Literatur veröffentlichten antisemitischen Erklärungen hätten eine echte Verwirrung darüber widergespiegelt, wie man Juden begegnen sollte.[29] An die Stelle diese Verwirrung sei schließlich eine viel klarere Position getreten, die Feindseligkeit nicht gegenüber Juden als Juden, sondern basierend auf den Handlungen von Juden in Palästina zum Ausdruck gebracht habe.[29] Die 1988er Charta selbst enthalte Aussagen über das Zusammenleben unterschiedlicher Religionen, etwa in Artikel 31, die jedenfalls mit der Behauptung, es gebe für die Hamas eine religiöse Verpflichtung, Juden zu töten, unvereinbar seien.[29] Jim Zanotti merkte in einem ebenfalls 2010 verfassten Bericht für den Congressional Research Service an, viele Leute hätten behauptet, spätere Erklärungen der Hamas hätten die in der Charta enthaltenen Verschwörungstheorien und abwertenden Stereotypen über Juden unterlassen oder abgeschwächt.[30] Dennoch aber gebe es weiterhin zahlreiche antisemitische Äußerungen und Verweise auf abwertende Stereotypen in den von der Hamas kontrollierten Medien, einschließlich der Programme für Kinder und Erwachsene auf dem Hamas-Satellitenkanal Al Aqsa.[30]
Wer den Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 verstehen will, „das schlimmste Massaker an jüdischen Zivilisten seit dem Holocaust“, müsse die Gründungscharta von 1988 lesen, schrieb der amerikanische Historiker Jeffrey Herf. „Kurzfristige politische Überlegungen mögen den Zeitpunkt einzelner Angriffe erklären, doch der genozidale Rassismus, der den langfristigen Zielen der Hamas zugrunde liegt, ist nur aus der Geschichte des islamistischen Antisemitismus heraus zu verstehen.“[10][31]
Religion und Politik
Der Historiker und Terrorismusexperte Walter Laqueur sieht in der Charta „endzeitliche Züge“.[32] Der britische Historiker Colin Shindler erkennt in der Charta viele säkulare und nationale Ideen, die jedoch islamistisch getarnt seien.[21]
Grundsatzpapier 2017
Ein Grundsatzpapier der Hamas von 2017 bekräftigte das Ziel eines islamischen Staates in ganz Palästina anstelle Israels, erklärte aber auch, ein Staat Palästina „entlang den Linien von 1967“ sei die Formel für einen „nationalen Konsens“. Die ursprüngliche Charta von 1988 wurde dabei nicht widerrufen, sondern als „historisches Dokument“ und „Teil einer früheren Phase in unserer Evolution“ bezeichnet.[33][34]
Die Hamas veröffentlichte dieses neue politische Dokument nach vierjähriger Vorbereitung am 1. Mai 2017.[35] Das Dokument enthält keine antisemitischen Verschwörungstheorien mehr, sondern legitimiert die grundlegenden Forderungen der Hamas mit einer antizionistischen Argumentation:[36][37] Man habe den Konflikt mit dem zionistischen Projekt, nicht mit dem jüdischen Volk oder der jüdischen Religion.[37][38] Die Hamas spricht in dem Dokument von einem „nationalen Konsens“ eines Palästinenserstaats auf dem durch die Grüne Linie markierten Territorium, fordert aber gleichzeitig einen palästinensischen Staat auf dem Boden ganz Palästinas, bekräftigt ihr Ziel, ganz Palästina vom Jordan bis zum Mittelmeer vom „zionistischen Projekt“ (Israel) zu befreien, und bezeichnet dies als alternativlos.[38]
Analytiker kamen zu unterschiedlichen Bewertungen des Papiers; einige sahen darin Zeichen für eine Kursänderung der Hamas, andere werteten es als bloßes Täuschungsmanöver. Akademiker wie Khaled Hroub und Jerome Slater meinten, die internen Widersprüche des Dokuments böten potenzielle Ansatzpunkte für politische Verhandlungen.[37][39] Andere wie die Politikwissenschaftlerin Ljiljana Radonić sahen das Papier einfach als Reaktion auf das Verbot der Muslimbruderschaft in Ägypten und die wirtschaftlich angespannte Lage in Gaza, zuletzt die Energiekrise: Für mehr Unterstützung habe sich die Hamas moderat gegeben.[38] Der Historiker Michael Wolffsohn meinte, die Hamas habe ihr Terror-Haus mit dem Papier nur „pinselsaniert“; Friedfertigkeit sehe anders aus.[40] Das israelische Meir Amit Intelligence and Terrorism Information Center zeigte, dass das Papier die tragenden Prinzipien der Hamas-Ideologie und das Ziel, Israel durch bewaffneten Widerstand (Terror) zu eliminieren, unverändert beibehielt.[41] Ebenso äußerte sich der Extremismusforscher Armin Pfahl-Traughber, der auf die Kontinuitäten in mehreren wesentlichen Punkten hinwies und „strategische Täuschung“ als „klares Ziel“ des neuen Dokuments benannte.[42]
Literatur
Deutsche Übersetzungen der Charta
- Helga Baumgarten: Hamas. Der politische Islam in Palästina. Hugendubel, München 2006, ISBN 3-7205-2820-0, S. 207–226
- Andreas Meier (Hrsg.): Politische Strömungen im modernen Islam. Quellen und Kommentare. Bundeszentrale für politische Bildung (BpB), Bonn 1995, ISBN 3-89331-239-0, S. 126–133
Analysen
- Joseph Croitoru: Hamas. Auf dem Weg zum palästinensischen Gottesstaat. Beck, München 2010, ISBN 978-3-423-34600-9, S. 88–101
- Jeffrey Herf: Why They Fight. Hamas' Too-Little-Known Fascist Charter 1, in: ders: Three Faces of Antisemitism. Right, Left and Islamist, Routledge, London 2023, ISBN 978-1-03-258301-3, Kapitel 12
- Raphael Israeli: The Charter of Allah: the Platform of the Hamas. In: Raphael Israeli: Fundamentalist Islam and Israel. Rowman & Littlefield, Lanham 1993, ISBN 0-8191-9199-X, S. 99–134
Weblinks
Originaltexte
- Arabisch:
- WAFA, Palestinian News & Info Agency
- Englisch:
- Yale Law School: The Covenant of the Islamic Resistance Movement, 18. August 1988. Avalon Project, 2008
- Muhammad Maqdsi: Charter of the Islamic Resistance Movement (Hamas) of Palestine. Journal of Palestine Studies, Band 22, Nr. 4 (Sommer 1993), S. 122–134
- Deutsch:
- Die Charta der Hamas von 1988 und 2017 im Wortlaut – ins Deutsche übersetzt. Vorwort von Heinz Gess. Kritiknetz – Zeitschrift für kritische Theorie der Gesellschaft, 2023 (PDF; 0,4 MB)
- Die Charta der Hamas. Audiatur-online.ch, 22. Juni 2011
Analysen und Kontext
- Armin Pfahl-Traughber: Antisemitismus und Antizionismus in der Charta der Hamas. Eine Fallstudie zur Judenfeindschaft im islamistischen Diskurs. Bundeszentrale für politische Bildung (BpB), 8. November 2023
- Intelligence and Terrorism Information Center at the Center for Special Studies (C.S.S): The Hamas Charter (1988). 21. März 2006
- Matthias Küntzel: Islamismus und Nationalsozialismus: Gibt es einen Zusammenhang? Friedrich-Ebert-Stiftung, 20. Oktober 2005
- Die radikalislamische Terrororganisation Hamas: Harakat al-Muqāwamat al-Islāmiyyah. HaGalil, 27. August 2003
Siehe auch
Einzelnachweise
- ↑ a b Hamas: Die Charta der Hamas von 1988 und 2017 im Wortlaut – ins Deutsche übersetzt, Vorwort von Heinz Gess. Kritiknetz, PDF, S. 23 f.
- ↑ a b c d e f g h i j k l m n o p q r Joseph Croitoru: Die Hamas: Herrschaft über Gaza, Krieg gegen Israel. C.H.Beck, 2024, ISBN 978-3-406-81699-4, S. 23–38 (google.co.uk [abgerufen am 28. November 2024]).
- ↑ a b c d e f g h i j k l m n o p q r s t u Helga Baumgarten: Hamas: Der politische Islam in Palästina. Gamila Basel, 2024, ISBN 978-3-7592-6909-6, S. 78–88, 281–318 (google.co.uk [abgerufen am 28. November 2024]).
- ↑ a b c d Armin Pfahl-Traughber: Antisemitismus und Antizionismus in der Charta der Hamas BpB, 8. November 2023
- ↑ Andreas Meier: Der politische Auftrag des Islam, Peter Hammer, Wuppertal 1994, ISBN 3-87294-616-1, S. 390.
- ↑ Shaul Mishal, Avraham Sela: The Palestinian Hamas: Vision, Violence, and Coexistence. Columbia University Press, 2006, ISBN 978-0-231-14006-5 (google.co.uk [abgerufen am 29. November 2024]).
- ↑ Hamas: Die Charta der Hamas von 1988 und 2017 im Wortlaut – ins Deutsche übersetzt, Vorwort von Heinz Gess. Kritiknetz, PDF S. 8
- ↑ a b Hamas: Die Charta der Hamas von 1988 und 2017 im Wortlaut – ins Deutsche übersetzt, Vorwort von Heinz Gess. Kritiknetz, PDF S. 9
- ↑ a b c d e f g h i j k l m n o p q r s t u v w x y Hamas: Die Charta der Hamas von 1988 und 2017 im Wortlaut – ins Deutsche übersetzt, Vorwort von Heinz Gess. Kritiknetz (PDF; 0,4 MB)
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