„2666 (Roman)“ – Versionsunterschied

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Hauptfigur des dritten Teils ist der für das Resort Politik und Gesellschaft bei der afroamerikanischen Zeitung „Schwarzen Morgen“ in Harlem, New York, schreibende 30-jährige schwarze Journalist Quincy Williams, der seine Artikel unter dem Namen Oscar Fate veröffentlicht. Als er gerade in Detroit den Schriftsteller Barry Seaman interviewt, erhält er den Auftrag, eine Reportage über den Boxkampf von Count Pickett, einem Halbschwergewichtler aus New York, gegen den Mexikaner Merolino Fernández, in Santa Teresa zu berichten.
Hauptfigur des dritten Teils ist der für das Resort Politik und Gesellschaft bei der afroamerikanischen Zeitung „Schwarzen Morgen“ in Harlem, New York, schreibende 30-jährige schwarze Journalist Quincy Williams, der seine Artikel unter dem Namen Oscar Fate veröffentlicht. Als er gerade in Detroit den Schriftsteller Barry Seaman interviewt, erhält er den Auftrag, eine Reportage über den Boxkampf von Count Pickett, einem Halbschwergewichtler aus New York, gegen den Mexikaner Merolino Fernández, in Santa Teresa zu berichten.


In Santa Teresa erfährt er von den rätselhaften Frauenmorden, vermutet einen großen Stoff für seine Zeitung und bietet seiner Redaktion an, einige Zeit in der Stadt zu bleiben und zu recherchieren. Die aus der Hauptstadt angereiste Journalistin Guadalupe Roncal weist ihn auf die gefährliche Mission hin und bittet ihn, sie ins Gefängnis zu begleiten. Sie soll für einen mit der Untersuchung beauftragten und daraufhin ermordeten Kollegen einen seit einiger Zeit inhaftierten Hauptverdächtigen, einen US-Amerikaner, besuchen und herausfinden, ob die Anschuldigungen gegen ihn nur als Ablenkungsmanöver der Behörden dient, um eventuell von einflussreichen mafiösen Gruppen abzulenken.<ref>Im vierten und fünften Romanteil wird die Geschichte des Angeklagten Klaus Haas, dem Neffen Archimboldis, erzählt.</ref> Fate gerät in eine abenteuerliche Situation, als er beim Boxkampf durch Chucho Flores, Journalist einer Lokalzeitung und beim Rundfunk, die schöne Tochter des Professors Amalfitano kennenlernt und sich in sie verliebt. Rosa hat gerade ihr Liebesverhältnis mit Flores wegen dessen Eifersuchtsattacken beendet, trifft sich aber weiterhin mit ihm, ihrer Freundin Rosa Méndez ihren reichen Junkie-Freunden in die Disco-Party-Szene. Zum Abschluss des Abends fahren alle zum Haus des Videoladen-Besitzers Charley Cruz und zeigen Fate den Porno-Filmraum. Fate, für gesellschaftlich prekäre Situationen und geheime Machtstrukturen sensibilisiert, schöpft Verdacht, als die Frauen verschwunden sind. Er findet Rosa apathisch im Kokain-Rausch, kann sie überreden, nach Hause zu gehe, und bringt sie gegen den Widerstand der Männer aus der Villa.
In Santa Teresa erfährt er von den rätselhaften Frauenmorden, vermutet einen großen Stoff für seine Zeitung und bietet seiner Redaktion an, einige Zeit in der Stadt zu bleiben und zu recherchieren. Die aus der Hauptstadt angereiste Journalistin Guadalupe Roncal weist ihn auf die gefährliche Mission hin und bittet ihn, sie ins Gefängnis zu begleiten. Sie soll für einen mit der Untersuchung beauftragten und daraufhin ermordeten Kollegen einen seit einiger Zeit inhaftierten Hauptverdächtigen, einen US-Amerikaner, besuchen und herausfinden, ob die Anschuldigungen gegen ihn nur als Ablenkungsmanöver der Behörden dient, um eventuell von einflussreichen mafiösen Gruppen abzulenken.<ref>Im vierten und fünften Romanteil wird die Geschichte des Angeklagten Klaus Haas, des Neffen Archimboldis, erzählt.</ref> Fate gerät in eine abenteuerliche Situation, als er beim Boxkampf durch Chucho Flores, Journalist einer Lokalzeitung und beim Rundfunk, die schöne Tochter des Professors Amalfitano kennenlernt und sich in sie verliebt. Rosa hat gerade ihr Liebesverhältnis mit Flores wegen dessen Eifersuchtsattacken beendet, trifft sich aber weiterhin mit ihm, ihrer Freundin Rosa Méndez ihren reichen Junkie-Freunden in die Disco-Party-Szene. Zum Abschluss des Abends fahren alle zum Haus des Videoladen-Besitzers Charley Cruz und zeigen Fate den Porno-Filmraum. Fate, für gesellschaftlich prekäre Situationen und geheime Machtstrukturen sensibilisiert, schöpft Verdacht, als die Frauen verschwunden sind. Er findet Rosa apathisch im Kokain-Rausch, kann sie überreden, nach Hause zu gehe, und bringt sie gegen den Widerstand der Männer aus der Villa.


Professor Amalfitano fürchtet eine Racheaktion, denn alle könnten irgendwie in die Mordfälle verwickelt sein. Er rät Fate zur sofortigen Rückkehr in die USA und bittet ihn, seine Tochter über die Grenze mitzunehmen und zum nächsten Flughafen zu bringen, um nach Barcelona zu fliegen.
Professor Amalfitano fürchtet eine Racheaktion, denn alle könnten irgendwie in die Mordfälle verwickelt sein. Er rät Fate zur sofortigen Rückkehr in die USA und bittet ihn, seine Tochter über die Grenze mitzunehmen und zum nächsten Flughafen zu bringen, um nach Barcelona zu fliegen.

Version vom 30. Dezember 2023, 21:13 Uhr

2666 ist der Titel des letzten, 2004 postum veröffentlichten Romans des 2003 nach vielen Jahren der Krankheit verstorbenen chilenischen Schriftstellers Roberto Bolaño. Zentrum der labyrinthartigen Handlungen, und Zielpunkt der zufälligen Reisen der Protagonisten (Teile 1–3), ist Santa Teresa, eine fiktive Stadt in Nordmexiko, in der von den 1990er Jahren an bis in die Roman-Gegenwart unter mysteriösen Umständen viele Frauen ermordet wurden (Teil 4). Die deutsche Übersetzung von Christian Hansen erschien am 7. September 2009.[1]

Handlung

Das Werk besteht aus fünf Teilen, die in sich jeweils abgeschlossen, aber personell und thematisch lose miteinander verwoben sind und sich zunehmend auf die Kriminalfälle konzentrieren.

Der Teil der Kritiker

Vier Literaturwissenschaftler, der Franzose Jean-Claude Pelletier, der Spanier Manuel Espinoza, der Italiener Piero Morini und die Engländerin Liz Norton, erforschen in den 1990er Jahren die Romane des wenig bekannten deutschen Schriftstellers Hans Reiter, der unter dem Pseudonym Benno von Archimboldi veröffentlicht und den sie für den bedeutendsten deutschen Autor des 20. Jahrhunderts halten. Sie treffen sich immer wieder auf Kongressen über deutsche Literatur, halten Vorträge über ihr Spezialgebiet und diskutieren über ihre Veröffentlichungen. Da sie in ihren Analysen weitgehend übereinstimmen, bilden sie gegenüber anderen Kollegen eine Fraktion, freunden sich an, telefonieren häufig miteinander und besuchen sich. Berufliches und privates mischt sich in der auf Symposien miteinander konkurrierenden, oft selbstreferentiellen Wissenschaftsszene. So werden ihre Beziehungen immer intimer und Norton geht eine sexuelle Beziehung sowohl mit Pelletier als auch mit Espinoza ein.

Durch weitere Romanveröffentlichungen und auch durch die Übersetzungen und Publikationen der Germanisten ist der inzwischen 80-jährige Archimboldi in der Literaturszene bekannt und Nobelpreis-Kandidat geworden. Da über sein Leben und seine Aufenthaltsorte nichts bekannt ist, entwickeln die Forscher den Ehrgeiz, ihn aufzuspüren und mit ihm über seine Werke zu sprechen. Nach wenig ergiebigen Recherchen bei seinem Verlag erfahren sie, dass er sich in Mexiko aufhalten soll. Norton, Pelletier und Espinoza folgen der Spur und reisen, während der an Multiple Sklerose leidende und auf einen Rollstuhl angewiesene Morini zu Hause bleibt, in die fiktive Stadt Santa Teresa in der nordmexikanischen Provinz Sonora. Dort hilft ihnen der an der Universität der Stadt lehrende chilenischen Professor Óscar Amalfitano bei der letztlich erfolglosen Suche. Nachdem sie erfahren, dass in Santa Teresa Frauen ermordet wurden, mehr als zweihundert Opfer, und viele Taten immer noch nicht aufgeklärt sind, bricht Liz Norton den Aufenthalt ab und reflektiert über ihr Leben, das ihr angesichts der Probleme Mexikos eitel und weltfremd vorkommt. Sie hat erkannt, dass sie den zurückhaltenden Morini liebt und mit ihm zusammenleben will. Pelletier und Espinoza verbringen vor ihrer Rückreise noch einige Zeit in Santa Teresa. Während der Spanier die Hoffnung aufgegeben hat, den Schriftsteller zu finden, und eine Affäre mit der jungen Teppichverkäuferin Rebeca hat, studiert Pelletier Romane Archimboldis und ist fest davon überzeugt, dass sich der Autor in Santa Teresa versteckt hat.

Der Teil von Amalfitano

Der zweite Teil spielt nach der Ankunft des chilenischen Philosophie-Professors Óscar Amalfitano und seiner Tochter Rosa in Santa Teresa. Nach dem Ende seines Vertrags in Barcelona hat der 50-Jährige eine Anstellung an der Universität in Santa Teresa angenommen, aber er fühlt sich in der neuen Umgebung unwohl. Die Universität kommt ihm wie ein Friedhof vor, „die plötzlich in haltloses Reflektieren verfällt.“[2] Er ist müde und bedrückt, hat Ängste, wacht nachts aus Alpträumen auf, fühlt sich beobachtet und kontrolliert das Haus. Durch die Nachrichten von der Entführung und Ermordung junger Frauen ist er in Sorge um seine 17-jährige Tochter, die mit seiner Kollegin Silvia Pérez, einer alten Bekannten aus Argentinien und Spanien, die ihm bei der neuen Anstellung behilflich war, für eine Forcierung der schleppenden Aufklärung der Morde demonstriert. Er hört Stimmen, die ihn nach seiner Persönlichkeit, seiner Familiengeschichte, homosexuellen Neigungen usw. befragen, und fürchtet, dies seien Anzeichen eines beginnenden Wahnsinns. Auch kann er sich nicht erinnern, warum er ein Buch des galizischen Dichters Rafael Dieste über Geometrie mit nach Mexiko genommen hat, und hängt es, wie in einer „Readymade“ Aktion Duchamps, in seinem kleinen Garten an eine Wäscheleine, um die vom Wind bewegten Blätter zu beobachten. Er spekuliert über einen möglichen Jetlag als Ursache seiner Schmerzen. Diese Phantastereien verwandelten „den lange währenden, natürlichen und stets siegreichen Schmerz“ „in einzelne Erinnerung, die menschlich ist und kurz und sich irgendwann davonstiehlt. Verwandelten eine barbarische Geschichte von Ungerechtigkeiten und Übergriffen, ein unzusammenhängendes Geheul ohne Anfang und Ende, in eine gut strukturierte Geschichte“, in der die Möglichkeit, sich umzubringen, gewahrt blieb. […] Verwandelten die „Flucht in Freiheit, mochte die Freiheit auch nur noch dienen, die Flucht fortzusetzen. Verwandelten das Chaos in Ordnung, wenngleich um den Preis dessen, was man gemeinhin Vernunft nennt“.[3] Der sargähnliche Schatten von Diestes Buch erscheint „eindeutiger, gefestigter und vernünftiger als alles, was er in der Umgebung von Santa Teresa und in der Stadt selbst gesehen hatte, […] Bilder ohne Halt, Bilder, in denen die ganze Verwaistheit der Welt enthalten war, Fragmente, Fragmente“.[4] Er erinnert sich immer wieder an Chile, seine Flucht vor der Pinochet-Diktatur und seine Ehe mit der Spanierin Lola, die ihn ca. 1986, zwei Jahre nach der Geburt Rosas verlassen hat, um einen von ihr geliebten wahnsinnigen Dichter aus der Anstalt Mondragon bei San Sebastian zu befreien, dann jahrelang durch Frankreich vagabundiert ist und ihn 1991 noch einmal Aids-krank besuchte.

Der Teil von Fate

Hauptfigur des dritten Teils ist der für das Resort Politik und Gesellschaft bei der afroamerikanischen Zeitung „Schwarzen Morgen“ in Harlem, New York, schreibende 30-jährige schwarze Journalist Quincy Williams, der seine Artikel unter dem Namen Oscar Fate veröffentlicht. Als er gerade in Detroit den Schriftsteller Barry Seaman interviewt, erhält er den Auftrag, eine Reportage über den Boxkampf von Count Pickett, einem Halbschwergewichtler aus New York, gegen den Mexikaner Merolino Fernández, in Santa Teresa zu berichten.

In Santa Teresa erfährt er von den rätselhaften Frauenmorden, vermutet einen großen Stoff für seine Zeitung und bietet seiner Redaktion an, einige Zeit in der Stadt zu bleiben und zu recherchieren. Die aus der Hauptstadt angereiste Journalistin Guadalupe Roncal weist ihn auf die gefährliche Mission hin und bittet ihn, sie ins Gefängnis zu begleiten. Sie soll für einen mit der Untersuchung beauftragten und daraufhin ermordeten Kollegen einen seit einiger Zeit inhaftierten Hauptverdächtigen, einen US-Amerikaner, besuchen und herausfinden, ob die Anschuldigungen gegen ihn nur als Ablenkungsmanöver der Behörden dient, um eventuell von einflussreichen mafiösen Gruppen abzulenken.[5] Fate gerät in eine abenteuerliche Situation, als er beim Boxkampf durch Chucho Flores, Journalist einer Lokalzeitung und beim Rundfunk, die schöne Tochter des Professors Amalfitano kennenlernt und sich in sie verliebt. Rosa hat gerade ihr Liebesverhältnis mit Flores wegen dessen Eifersuchtsattacken beendet, trifft sich aber weiterhin mit ihm, ihrer Freundin Rosa Méndez ihren reichen Junkie-Freunden in die Disco-Party-Szene. Zum Abschluss des Abends fahren alle zum Haus des Videoladen-Besitzers Charley Cruz und zeigen Fate den Porno-Filmraum. Fate, für gesellschaftlich prekäre Situationen und geheime Machtstrukturen sensibilisiert, schöpft Verdacht, als die Frauen verschwunden sind. Er findet Rosa apathisch im Kokain-Rausch, kann sie überreden, nach Hause zu gehe, und bringt sie gegen den Widerstand der Männer aus der Villa.

Professor Amalfitano fürchtet eine Racheaktion, denn alle könnten irgendwie in die Mordfälle verwickelt sein. Er rät Fate zur sofortigen Rückkehr in die USA und bittet ihn, seine Tochter über die Grenze mitzunehmen und zum nächsten Flughafen zu bringen, um nach Barcelona zu fliegen.

Der Teil von den Verbrechen

Teil 4 schließlich, der umfangreichste Abschnitt des Romans, konzentriert sich auf die Frauenmorde in Santa Teresa, die 1993 erstmals auftreten. Modell stehen Bolaño die Frauenmorde von Ciudad Juárez. Teilweise im Stil von Polizeiberichten werden die regelmäßigen Leichenfunde und Ermittlungen beschrieben. Eingeflochten sind Erzählungen vom beruflichen wie privaten Alltag ermittelnder Polizisten, von Journalisten, die über die Morde berichten und einer Parlamentsabgeordneten, deren Freundin in Santa Teresa spurlos verschwindet. Es wird deutlich, dass sich dieses Geschehen in einem teilweise extrem frauenfeindlichen Klima und angesichts hoher sozialer Ungleichheit vollzieht. Die ermordeten Frauen entstammen weitgehend der am Rande des Existenzminimums lebenden Arbeiterschicht der Maquiladoras, viele planen illegal in die USA einzuwandern.

Der Teil von Archimboldi

„Der Teil von Archimboldi“, Teil 5, mit dem der Roman abschließt, beginnt als eine Art Biografie von Hans Reiter, dem deutschen Schriftsteller. Geschildert werden Kindheit und Jugend nahe der Ostsee und Berlins. Daran schließt sich Reiters aktive Teilnahme am Zweiten Weltkrieg an: Einmarsch in Polen, Angriff auf Frankreich, Verlegung an die Ostfront, wo er in der Ukraine verwundet wird. Während seiner Rekonvaleszenz entdeckt er die Aufzeichnungen eines jüdischen Russen, der sich vor den Einsatzgruppen versteckt hatte: Eine subjektive (teils exemplarische, teils fantastische) Darstellung der Entwicklung eines jüdischen Intellektuellen in der Sowjetunion, von der Oktoberrevolution bis zu den stalinistischen Schauprozessen. Während des Rückzugs der Wehrmacht stößt Hans Reiter auf einen gekreuzigten rumänischen General, es folgt der Aufenthalt in einem amerikanischen Kriegsgefangenenlager in Ansbach. Dort ermordet Reiter einen Mitgefangenen, der ihm von seiner Mitwirkung am Holocaust berichtet hatte. Danach lässt sich Reiter in Köln nieder und schreibt seinen ersten Roman. Inspiriert von dem manieristischen Maler Giuseppe Arcimboldo nimmt er den Künstlernamen Benno von Archimboldi an. Ein Roman folgt dem anderen (mit geringer öffentlicher Resonanz). Umzug nach Kempten, danach Aufenthalt in Italien, wo er scheinbar für Jahre verschwindet. Tod der Lebensgefährtin. Weitere Romane. Aufenthalte auf griechischen Inseln, Rückkehr nach Italien, Venedig. Zum Ende dieses Buches kehrt der Roman zurück nach Santa Teresa, dem geografischen wie ideellen Zentrum des Werkes.

Entstehungs- und Publikationsgeschichte

Als Roberto Bolaño 2003 starb, hinterließ er 2666 als unvollendetes Werk. Die Materialien dazu hat er bereits ca. fünfzehn Jahre vor der Publikation gesammelt und die Beschäftigung mit der Figur des Benno von Archimboldi ist zumindest seit 1998 belegt.[6] Informationen über Orte, an denen er noch nie gewesen war, wie Ciudad Juárez, und über die Frauenmorde in dieser Stadt erhielt er von Kollegen und Freunden wie Sergio González Rodríguez.[7] In einem Interview, das im Januar 2001, im Entstehungsprozess des Werkes, veröffentlicht wurde, klagte der Autor über seine anstrengende Arbeit:[8]2666 ist eine so tierische Arbeit, dass sie meine Gesundheit zerstören kann, die ohnehin schon empfindlich ist.“

Nach Aussagen Jorge Herraldes, des Direktors des Anagrama-Verlags, plante Bolaño zunächst, das Buch als ein einziges großes Werk von mehr als tausend Seiten zu publizieren, später dachte er an eine Teilung in zwei Bände und kurz vor seinem Tod entschied er sich für fünf kleine Romane, die in jährlichem Abstand veröffentlicht und somit leichter verkaufen werden sollten.[9][10] In der „Vorbemerkung der Erben des Autors“[11] begründen diese die Entscheidung für die ursprüngliche Planung und danken dem Literaturkritiker Ignazio Echevarria, der die hinterlassenen Aufzeichnungen gesichtet und für die postume Veröffentlichung 2004 lektoriert hat, für seine Arbeit. Bolaños Witwe Carolina López übernahm zunehmend die Verwaltung und Publikation des literarischen Erbes, trennte sich von Echevarria und wechselte vom Anagrama zum Alfaguara Verlag.[12]

Im Jahr 2016 legte Alfaguara 2666 neu auf: mit Abbildungen aus den Schreibnotizbüchern des Autors und ohne die „Notiz der Erben“ aus der Erstauflage.[13] Dadurch können, nach der Meinung des Kritikers Alejandro Martínez, neue Erkenntnisse über den Roman gewonnen werden.[14]

Titel

Der Titel ist dem Nachwort von Ignacio Echevarría, einem Freund und engen Vertrauten des Autors, zufolge, als Jahreszahl gemeint. Echevarría zitiert dazu aus Bolaños Roman Amuleto: „Die Avenida ähnelt um diese Stunde vor allem einem Friedhof, aber weder einem Friedhof von 1974 noch einem von 1968 oder 1975, sondern einem Friedhof im Jahre 2666, einem Friedhof, vergessen hinter einem toten oder ungeborenen Augenlid, dem wässrigen Rest eines Auges, das, weil es etwas vergessen möchte, am Ende alles vergessen hat.“

In ihren Versuchen, diese rätselhafte Friedhofs-Metaphorik zu deuten, weisen einige Interpreten auf die biblische Zahl Sechshundertsechsundsechzig aus der Apokalypse (Offb. 13, 18) hin, die in der Zahlenmystik des Okkultismus und der Esoterik von Bedeutung ist. Dementsprechend vermutet Larry Rohter,[15] dass Bolaño der Jahreszahl offenbar eine apokalyptische Qualität zuspricht. Emmanuel Bouju[16][17] sieht in der Kombination des Zeichens des Bösen (666) mit dem neuen Jahrtausend u. a. eine metaphorische Vision für das heutige Mexiko. Bouju erklärt die Zahl auch als Chiffre auf Bolaños mehrteiliges Roman-Werk mit seinen an Eschers Treppen erinnernden paradoxen endlosen Strukturen: Das Folgende kann das Vorhergehende sein, Oberfläche kann Tiefe, der Eingang der Ausgang, die Antwort die Frage sein usw. Alles sei Optische Täuschung, „Illusion, die durch die außergewöhnliche Lücke zwischen der konkreten Dicke des narrativen Details an jeder Stelle des Romans und der Ausdehnung des durchquerten Textraums ermöglicht wird; Oder genauer gesagt, die Illusion, die die Erzählung ermöglicht, wenn sie ihre Elemente in einer spiralförmigen Bewegung führt, einem Abstieg in einen schwindelerregenden Strudel.“

Rezeption

Wie die große Mehrheit der vom Roman begeisterten internationalen Literaturkritiker[18] äußerten sich 2009 auch viele Rezensenten der deutschen überregionalen Presse nach der Publikation der Übersetzung von Christian Hansen:[19]

  • „[G]roße weltliterarische Entdeckung der vergangenen zehn Jahre“ und „ein Meilenstein der literarischen Evolution“. Bei der Frage, ob es sich um einen absurden Alptraum oder einen realistischen Roman handelt, sei wohl das Letztere die richtige Antwort.[20]
  • „Meisterwerk. Das aufregendste Buch eines lateinamerikanischen Schriftstellers seit Gabriel Garcia Márquez“, eine „Art wuselnd bewegtes Schreckenspanorama, in dem bizarre Schönheit und Mord und Totschlag sich so zwingend und logisch verbinden, wie es sonst nur in Träumen geschieht“. Obwohl kein Rätsel und keine Story dieses Romans je restlos aufgeklärt und die Handlungsstränge immer wieder abgebrochen werden, sei man als Leser nie gekränkt oder ermüdet.[21]
  • „Leitstern am Firmament der Weltliteratur“[22]
  • „[G]roßes, überschäumendes Werk“, in dem der Autor scheinbar entfernte Lebens- und Todessphären nebeneinanderstelle, in dem er seine Literaturwissenschaftler in eine Welt führe, „in der Spiel und Terror, Kunst und Gewalt durch Flügeltüren miteinander verbunden sind“.[23]
  • Für 2666 müsse man „eine neue Bezeichnung in der Literaturgeschichte einführen: bolañoesk“.[24]
  • Bolaño nehme den Leser mit „auf eine Höllenfahrt, auf was für eine.“[25]
  • Der Versuch des Autors, „die Welt in ihrer Totalität zu erfassen“ führe in den Abgrund, Santa Teresa sei „eine Metapher für den Wahnsinn der globalisierten Welt, aber auch Realität“. Von der linken Utopie der Erlösung sei in 2666 „die Verwandlung des Schmerzes in Form übrig geblieben und der Versuch, in einer erodierenden Wirklichkeit die Würde des Ich und die Souveränität der Sprache zu bewahren“. Aber die Sprache müsse den Leser nicht erheben, sie könne ihn auch vernichten.[26]
  • In einem Teil des Romans entwerfe Roberto Bolaño das „präzise Bild einer durch Drogenökonomien und neoliberalem Dritte-Welt-Kapitalismus aus den Fugen geratenen Grenzregion“, in der Gewalt strukturell und gesellschaftlich ebenso verankert sei, wie der Mangel an Widerstand gegen diese Verhältnisse. Ein anderer führe ins von den Radikalismen des 20. Jahrhunderts geprägte Europa. Trotz ihrer Schwierigkeiten, die im Roman beschriebenen Grausamkeiten zu lesen, wird Bolaños Fähigkeit gewürdigt, „mit leichter Geste, ohne sichtbare Anstrengung verschiedene Welten zu verknüpfen. So sei die Lektüre insgesamt ein seltenes Vergnügen“.[27]

Dem allgemeinen Lob gegenüber stehen nur kleine Einschränkungen:

  • z. B. das Bedauern, dass durch den Tod des Autors nur ein „gigantischer Torso“ anstelle eines fertigen, autorisierten Romanes publiziert worden sei.[28]
  • Bolaños Vermächtnis sei „ungeheuerlich“. Er wage sich „hinab in die Grabkammern der Gegenwart“. Zwar sei 2666 nicht in allen Teilen brillant und insbesondere in der Geschichte des deutschen Schriftstellers mitunter nicht recht plausibel, doch „aufregender könne ein Roman nicht sein“.[29]

Auszeichnungen

  • Premio Ciudad de Barcelona 2004
  • Premio Salambó (Barcelona) 2004
  • Premio Altazor de las Artes Nacionales de Chile 2005
  • Santiago Municipal Literature Award 2005
  • National Book Critics Circle Award 2008.
  • Bestes Belletristik-Buch des Jahres 2008 (Time)[30]
  • Aufnahme in die neue Zeit-Bibliothek der Weltliteratur „100 Bücher, 100 Gefährten“[31]

Adaption

  • Teatre Lliure in Barcelona. Uraufführung am 29. Juni 2007 im Rahmen des Grec-Festivals. Regie: Àlex Rigola. Drehbuch Pablo Ley und Alex Rigola. Spielzeit: 5 Stunden.[32] Max Award 2008 für das beste Theaterstück.[33][34]
Gastspiele in Madrid, Granada, Las Palmas (Teatro Cuyàs des Cabildo de Gran Canaria), Paris, Santiago de Chile u. a. sowie beim Internationalen Festival von Santiago a Mil 2008[35]
  • Goodman Theater in Chicago. Uraufführung: 6. Februar 2016. Robert Falls (künstlerische Leitung), Seth Bockley (Dramaturgie und Regie).[36][37]
  • Julien Gosselins Kollektiv Si vous pouiez lécher mon cœur. Premiere der ca. zwölfstündigen Show: 18. Juni 2016 im Théâtre Phénix cène Nationale in Valenciennes. Weitere Aufführungen während einer Frankreich-Tournee: 70. Festival d'Avignon, Théâtre National de Strasbourg, Odéon-Théâtre de l'Europe (Paris) im Rahmen des Festival d'Automne.[38], 70. Festival d'Avignon, Théâtre national de Toulouse, MC2 Maison de la Culture de Grenoble, Stadsschouwburg Amsterdam, La Filature, Scène nationale – Mulhouse, Le Quartz – Scène nationale de Brest.

Ausgaben

Literatur

  • Manuel Clemens, Arbeitszimmer mit Ausblick. Der Gelehrtenroman am Beispiel von Roberto Bolaños „2666“ und Sibylle Lewitscharoffs „Blumenberg“, in: Ibero-amerikanisches Jahrbuch für Germanistik, Nr. 7 (2014), S. 153–175.
  • Ursula Hennigfeld (Hrsg.): Roberto Bolaño: Violencia, escritura, vida. Madrid: Vervuert. 2015.
  • Nataniel Christgau: Tod und Text. Zu Roberto Bolaños „2666“. Matthes und Seitz, Berlin 2016. ISBN 978-3-88221-094-1.
  • Christian De Cock, Damian O’Doherty, Christian Huber, Sine Nørholm Just (Hrsg.): Organization 2666: Literary Troubling, Undoing and Refusal. Springer Fachmedien Wiesbaden, Wiesbaden 2020, ISBN 978-3-658-29649-0, doi:10.1007/978-3-658-29650-6.

Einzelnachweise und Anmerkungen

  1. im Carl Hanser Verlag, München
  2. Roberto Bolaño: 2666. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main, 2011, S. 248.
  3. Roberto Bolaño: 2666. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main, 2011, S. 254.
  4. Roberto Bolaño: 2666. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main, 2011, S. 277.
  5. Im vierten und fünften Romanteil wird die Geschichte des Angeklagten Klaus Haas, des Neffen Archimboldis, erzählt.
  6. Josep Massot: El archivo de Roberto Bolaño contiene dos novelas inéditas. La Vanguardia, 2009. https://www.lavanguardia.com/cultura/20090307/53654079845/el-archivo-de-roberto-bolano-contiene-dos-novelas-ineditas.html.
  7. Dunia Gras, Leonie Meyer-Krentler, Siqui Sánchez: El viaje imposible. En México con Roberto Bolaño. Tropo Editores. Zaragoza, 2010. Einleitung S. 7–11, Kap. Santa Teresa, un oasis de horror en un desierto de aburrimiento, S. 99–132.
  8. Andrés Braithwaite (Hrsg.): Bolaño por sí mismo – entrevistas escogidas. Ediciones Universidad Diego Portales, Santiago de Chile, 2006. Extracto de la entrevista por Antonio Lozano, revista Qué Leer, Barcelona, enero de 2001, S. 113.
  9. Adiós a Bolaño. Herralde, 2005, S. 11–15.
  10. 2666, Datos editoriales. Herralde, 2005, S. 49–51.
  11. Roberto Bolaño: 2666. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main, 2011, S. 9.
  12. Xavi Ayén: La viuda de Bolaño sienta al crítico Ignacio Echevarría en el banquillo. La Vanguardia. Archivado desde el original el 18 de diciembre de 2019. Consultado el 18 de diciembre de 2019. https://www.lavanguardia.com/libros/20191217/472301765573/echevarria-bolano-viuda-juicio-wylie.html
  13. El espíritu de la ciencia-ficción', novela inédita de Bolaño, se publicará el próximo 3 de noviembre. Europa Press. 2016. https://www.lainformacion.com/arte-cultura-y-espectaculos/literatura/ficcion/espiritu-ciencia-ficcion-Bolano-publicara-noviembre_0_953905921.html
  14. Alejandro Martínez: Contiendas de archivo: sobre la reinvención de Roberto Bolaño. Revista de Literatura, Teoría y Crítica, 27. 2. 2022. https://revistas.uniandes.edu.co/doi/abs/10.25025/perifrasis202213.25.14
  15. Larry Rohter: A Writer Whose Posthumous Novel Crowns an Illustrious Career. The New York Times, 9. August 2005. https://www.nytimes.com/2005/08/09/books/09bola.html
  16. Emmanuel Bouji: Pour une histoire secrète du roman contemporain: ›2666‹ de Roberto Bolaño. enriquevilamatas.com. http://www.enriquevilamatas.com/escritores/escrboujue2.html
  17. ebenso Wolfgang Höbel: Betörend schönes Schreckenspanorama. Der Spiegel vom 1. Oktober 1009.
  18. Überblick in der spanischen, englischen und französischen Wikipedia
  19. z. T. zitiert in: Roberto Bolaño: 2666. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main, 2011.
  20. Ijoma Mangold in Die Zeit vom 10. September 2009
  21. Wolfgang Höbel in Der Spiegel vom 1. Oktober 2009. https://www.spiegel.de/kultur/literatur/roman-meisterwerk-2666-betoerend-schoenes-schreckenspanorama-a-652560.html
  22. Thomas Klupp in Welt am Sonntag
  23. Lothar Müller in: Süddeutsche Zeitung vom 5. September 2009
  24. Felicitas von Lovenberg in Frankfurter Allgemeine Zeitung
  25. Christoph Kuhn in: Tages Anzeiger
  26. Andreas Breitenstein in Neue Zürcher Zeitung vom 12. September 2009
  27. Eva-Christina Meier in: Die Tageszeitung vom 12. September 2009
  28. Daniel Kehlmann in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 14. Oktober 2009
  29. Maike Albath in Frankfurter Rundschau vom 15. September 2009
  30. https://www.time.com/time/specials/2008/top10/article/0,30583,1855948_186[4238,00.html "Top 10 Fiction Books – 1. 2666, by Roberto Bolaño"]. Time.
  31. Die Zeit, 25. November 2023
  32. Ginart Belén: El „testamento“ de Bolaño. El País, 23 de junio de 2007. https://elpais.com/diario/2007/06/23/cultura/1182549611_850215.html
  33. Joseph Lapidario: Roberto Bolaño, el último perro romántico. Jot Down Cultural Magazine 2012. https://www.jotdown.es/2012/01/roberto-bolano-el-ultimo-perro-romantico-i/. https://web.archive.org/web/20160304113546/http://www.que.es/las-palmas/200903311221-2666-alex-rigola-premio-max.html
  34. ›2666‹ de Àlex Rigola, premio Max a la mejor obra de teatro. Que.es, 31 de marzo de 2009. https://www.que.es/las-palmas/200903311221-2666-alex-rigola-premio-max.html
  35. Pedro Bahamondes: ›2666‹, el gran retorno de Roberto Bolaño al teatro. La Tercera, 4 de mayo de 2015. https://www.latercera.com/noticia/cultura/2015/05/1453-628080-9-2666-el-gran-retorno-de-roberto-bolano-al-teatro.shtml
  36. ›2666‹ at Goodman Theater. https://www.goodmantheatre.org/2666. https://web.archive.org/web/20150313173031
  37. Charles Isherwood: Bolano's Mysterious ›2666‹ Distilled to 5 Hours by the Goodman Theater. The New York Times, 17. February 2016. https://www.nytimes.com/2016/02/17/theater/review-bolanos-mysterious-2666-distilled-to-5-hours-by-the-goodman-theater.html
  38. Julien Gosselin. ›2666‹. Festival d'Automne à Paris. 2016. https://www.festival-automne.com/en/edition-2016/julien-gosselin-2666