„Gil Evans“ – Versionsunterschied

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==== Big Stuff (1957–64) ====
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Im Herbst 1957 nahm Evans sein erstes eigenes Album auf: ''Big Stuff'' (alias ''Gil Evans & Ten'') – unverkennbar das ‚Präludium‘ einer markanten Entwicklung, welche in den folgenden Jahren mit ''Out Of The Cool'' und ''The Individualism'' zur einmaligen Vollendung gelangte. Zunächst erschienen jedoch noch zwei Jazzanthologien: ''New Bottle, Old Wine'' (1958, mit Julian [[Cannonball Adderley]] (1928–75; as)) und ''Great Jazz Standards'' (1959, feat. [[Johnny Coles]] (1926–97; t)).
Im Herbst '''1957''' nahm Evans sein erstes eigenes Album auf: ''Big Stuff'' (alias ''Gil Evans & Ten'') – unverkennbar das ‚Präludium‘ einer markanten Entwicklung, welche in den folgenden Jahren mit ''Out Of The Cool'' und ''The Individualism'' zur einmaligen Vollendung gelangte. Zunächst erschienen jedoch noch zwei Jazzanthologien: ''New Bottle, Old Wine'' (1958, mit Julian [[Cannonball Adderley]] (1928–75; as)) und ''Great Jazz Standards'' (1959, feat. [[Johnny Coles]] (1926–97; t)).


Ende 1960 folgte das programmatische ''Out Of The Cool'' (mit „La Nevada“) und '''1964''' ''The Individualism Of Gil Evans'' (mit „Las Vegas Tango“, Grammy-nominiert). Die Alben enthalten Kompositionen von Evans und Evans/Davis, frühe [[Kurt Weill|Weill]]-Songs und Titel von J.B. Brooks, G. Russell, B. Dorough, H. Silver, J. Lewis, W. Dixon. Die hochkarätigen Mitspieler: Ernie Royal, Johnny Coles, Louis Mucci, Thad Jones, Jimmy Cleveland, Jimmy Knepper, Wayne Shorter, Phil Woods, Eric Dolphy, Bob Tricario, Steve Lacy, Bill Barber, Kenny Burrell, Ron Carter, Paul Chambers, Gary Peacock, Elvin Jones u.a.
Ende '''1960''' folgte das programmatische ''Out Of The Cool'' (mit „La Nevada“) und '''1964''' das zutreffend betitelte ''The Individualism Of Gil Evans'' (mit „Las Vegas Tango“, Grammy-nominiert). Die Alben enthalten Kompositionen von Evans und Evans/Davis, frühe [[Kurt Weill|Weill]]-Songs und Titel von J.B. Brooks, G. Russell, B. Dorough, H. Silver, J. Lewis, W. Dixon. Die hochkarätigen Mitspieler: Ernie Royal, Johnny Coles, Louis Mucci, Thad Jones, Jimmy Cleveland, Jimmy Knepper, Wayne Shorter, Phil Woods, Eric Dolphy, Bob Tricario, Steve Lacy, Bill Barber, Kenny Burrell, Ron Carter, Paul Chambers, Gary Peacock, Elvin Jones u.a.


Auf diesen fulminanten und erfolgreichen Alben gelangen bis dahin so noch nicht gehörte Farben und Texturen seiner unverwechselbaren orchestralen Handschrift als ‚Neutöner‘ kompromißlos zur Entfaltung – einzigartige und faszinierende Klangwelten des Jazz, die bis heute nichts an Substanz und Kraft verloren haben.
Auf diesen fulminanten und erfolgreichen Big Band-Alben gelangen bis dahin so noch nicht gehörte Farben und Texturen seiner unverwechselbaren orchestralen Handschrift als ‚Neutöner‘ kompromißlos zur Entfaltung – einzigartige und faszinierende Klangwelten des Jazz, die bis heute nichts an Substanz und Kraft verloren haben.


==== Weitere Projekte (1958–70) ====
==== Weitere Projekte (1958–70) ====

Version vom 7. Juli 2006, 15:28 Uhr

Gil Evans (* 13. Mai 1912 in Toronto, Kanada; † 20. März 1988 in Cuernavaca, Mexiko);  Jazzmusiker in den USA: Arrangeur und Komponist, Bandleader und Pianist; in den 1940–70er Jahren bedeutender Neuerer der konzertanten Big Band-Musik in den Stilrichtungen: Cool Jazz, Modaler Jazz, Free Jazz, Jazzrock.

Biografie

Geboren im Mai 1912 im kanadischen Toronto als Ian Ernest Gilmore Green, übernahm Gil den Familiennamen Evans von seinem Stiefvater, einem Bergmann. Noch während seiner Kindheit zog die Familie nach Kalifornien/USA, wo sie sich zuletzt in Stockton niederließ und Gil Schule und College besuchte.  –  Ab 1946 lebte und arbeitete Evans in New York, wo er 1963 in zweiter Ehe die junge Afroamerikanerin Anita Cooper heiratete, die ihm die Söhne Miles und Noah gebar und bis zu seinem Lebensende zur Seite stand. –  Evans ist nicht verwandt mit verschiedenen zeitgenössischen US-Jazzmusikern gleichen Namens, darunter der bekannte Pianist Bill Evans (1929–80) und die Percussionistin Sue Evans (* 1951), die 1969–82 auch im Gil Evans Orchestra mitwirkte.


Frühe Jahre

Gil Evans war ein hoch talentierter Autodidakt. Sein Faible für den Jazz entdeckte er mit 15, sein erstes Album unter eigenem Namen nahm er jedoch erst dreissig Jahre später auf. Frühe Einflüsse kamen von der Casa Loma Band (Detroit), den Bands von Claude Hopkins (1903–84; p) und Don Redman (1900–64, as) sowie den frühen Schallplatten von Duke Ellington (1899–1974) und Louis Armstrong (1901–71). –  Mit 21 hatte Gil 1933 seine erste Band in Stockton, 1937 eine andere in Balboa Beach, welche er mangels kaufmännischer Ambitionen 1938 dem Bandsänger Skinnay Ennis überließ, während er weiter musikalischer Leiter blieb. Es existieren keine Aufnahmen.


Arrangeur bei Claude Thornhill (1941–48)

1941–42 und nach dem Zweiten Weltkrieg wieder 1946–48 arbeitete Evans als Arrangeur aktueller Tanz- und Unterhaltungsstücke für das moderne und anspruchsvolle (‚sophisticated‘) Orchester des Pianisten Claude Thornhill (1909–65). Evans nutzte die von Thornhill um French Horn (Waldhorn) und Tuba erweiterte Instrumentierung zu neuen, volleren und wärmeren Klangfarben. Schon dort finden sich auch experimentelle Ansätze zu seinen späteren chromatisch gebrochenen Harmonien (z. B. Intro „La Paloma“ auf Adios).

Kriegszeiten

Mit dem Ende der 1930er Jahre war die kreative Entwicklung des Swing beendet; er war in den USA als kommerzieller Mainstream etabliert und wurde in den folgenden Kriegsjahren auch zur ‚moralischen Stärkung‘ bei der alliierten Truppenbetreuung wie an der patriotischen ‚Heimatfront‘ funktionalisiert (typ. Beisp. Glenn Miller Orchestra).  –  Von August 1942 bis November 1944 bestreikte die Musikergewerkschaft AFM im Kampf um bessere Bezahlung die Plattenstudios mit dem „recording ban“. Davon ausgenommen waren nur die sogenannten „V-discs“ (victory discs, Platten für den Sieg) hauptsächlich weißer Orchester.

Der ab 1940 aufkommende schwarze Bebop protestierte gegen die ‚gesellschaftsfähig‘ glättende musikalische wie wirtschaftliche Vereinnahmung des Jazz durch den weißen Mainstream. Der schnelle und vielfältig komplexe „Bop“ war weder tanz- noch singbar, sondern Sessionmusik. Er war während der US-amerikanischen Kriegsbeteiligung für Radiosender verboten und existierte auch mangels Aufnahmemöglichkeiten bis 1945 praktisch nur in Clubs.  –  Zur bestehenden farbigen Diskriminierung kam bis in den folgenden „Kalten Krieg“ hinein noch eine durch einen fanatischen Mr. McCarthy (1908–57; politics) betriebene gesinnungsmäßige hinzu, unter welcher viele Künstler aller Sparten zu leiden hatten.

Krisenzeiten (1946–48)

1946, frisch aus der siegreichen US-Army entlassen, trafen Thornhill und Evans auf ein Krisenszenario (Wirtschaftsrezession): Innerhalb kurzer Zeit mussten viele namhafte und teure weiße Big Bands der Swing-Ära aufgeben, so Benny Goodman, Woody Herman, Harry James, Les Brown, Jack Teagarden, Tommy Dorsey. Die schwarzen Bands konnten sich besser halten, da sie ihre Musiker nur pro Auftritt bezahlten.

1946 übersiedelte Evans mit dem Thornhill-Orchester nach New York, auch um dort näher am aktuellen musikalischen Geschehen zu sein. Aufnahmen des Thornhill-Orchesters aus 1946/47 finden sich auf: Gil Evans Adios (compil. 2000 A&R). 1948 gab er die Arrangeursarbeit für Thornhill auf, als ihm dessen Klangvorstellungen zu düster (‚somber‘) wurden; sein Nachfolger wurde George Russell.

Evans' äußerst schlichtes Einraum-Souterrain ‚der offenen Tür‘ in der 55th Street war permanenter Diskussionstreff für Musiker aus der Thornhill-Truppe und den in der Stadt arbeitenden Bebop-Gruppen, darunter: George Russell, John Carisi, Louis Mucci, Jake Koven, Lee Konitz, Miles Davis, Charlie Parker, Gerry Mulligan, Jay Jay Johnson, Bill Barber, Lewis & Al Haig, Max Roach, Kenny Clarke, John Lewis u.a.m.  Evans, gut ein Jahrzehnt älter als die meisten von ihnen, war in gewisser Weise musikalischer Mentor dieser Szene, seine damalige Bleibe eine Art ‚Kreativ-Küche‘ der zumeist gut ausgebildeten ‚jungen Aufrührer‘. Mangels geeigneter Räumlichkeiten wurde gelegentlich im Freien geprobt.


Birth of the Cool (1948–50)

1948 machte Miles Davis (1926–91; t, flh) daraus Nägel mit Köpfen – sein historisches Nonett, quasi ein verkleinertes Thornhill-Orchester. Damit hatte er im Herbst 1948 einige Auftritte im Royal Roost (Hähnchenbraterei) und schaffte es 1949/50, bei Capitol Aufnahmemöglichkeiten für ein Dutzend Titel (78er Singles) zu organisieren. Die Hälfte der Arrangements kam von Mulligan, die weiteren von Evans („Boplicity“ unter Pseudonym Cleo Henry, „Moon Dreams“ und live-Intro), Lewis und Carisi.

Ausserhalb von Musikerkreisen fanden die Aufnahmen erst später als LP Birth Of The Cool (1957) gebührende Beachtung. Der eingängige Albumtitel ist leicht irreführend: Cool war hier nicht kühl. Die Stücke von 1949 stehen im Tempo überwiegend dem Bebop nahe („Budo“-Plattenetikett: Bop Instrumental), entfernen sich aber in der Spielweise von diesem. Die gegenüber der typischen Bop-Besetzung Trompete, Altsax, Piano, Kontrabaß, Schlagzeug hier um Tenorsax, Posaune, Waldhorn (french horn) und Tuba erweiterte Bläsergruppe erlaubte wieder tragende und eigenständige Harmonieführungen des Ensembles. „Cool“ meinte 1957 – in Abgrenzung vom ‚heissen‘ (schnellen, in den Soli artistisch bis nervös phrasierten), quasi ‚extrovertierten‘ Bebop eines Charlie Parker (1920–55; as) oder Dizzy Gillespie (1917–93; t, p) – einen geradlinigeren und melodischeren, keineswegs kühlen, eher lyrisch-emotionalen, tendenziell ‚introvertierten‘ Jazz; die Tempi variieren, später bis hin zu ausgesprochen getragenen Metren.

Exkurs: Zu den Vätern des Cool Jazz gehören neben Evans und Davis mit Gerry Mulligan (1927–96; bs) und John Lewis (1920–2001; p) in einem zweiten Zirkel noch der aus Chicago gleichfalls 1946 nach New York gezogene und beboperprobte weisse Pianist Lennie Tristano (1919–78) mit seinen Schülern und Mitspielern Billy Bauer (1915–2005; g) und Warne Marsh (1927–87; ts), sowie aus der Thornhill-Crew der umtriebige Lee Konitz (*1927; as), welcher damals auch bei Davis und Tristano spielte. Besonders die Tristano-Schule stand den musiktheoretischen Vorstellungen von George Russell (* 1923; comp, arr) nahe: The lydian chromatic concept of tonal organization (publ. 1953 & 2001; siehe auch Modal Jazz). „Cool“ klang hier etwas ‚konstruktivistisch‘ kühler als bei Evans und Davis. –  Der New Yorker Cool Jazz – als kooperative künstlerische Auseinandersetzung primär weisser und etlicher schwarzer Musiker um ein anspruchsvolles neues Idiom des frühen ‚Modern Jazz‘ – wirkte nachfolgend auch an der „West Coast“ (ab 1952 über Mulligan) und auf den europäischen Jazz. Daneben tauchte in den USA ab Mitte der 1950er als weitere Bop-Entwicklung bereits der Hard Bop mit seinen ‚retro‘-regressiven und einigen progressiven Elementen auf.

Evans, ein „musicians' musician“

Persönliche Freiheit und Konzentration auf die Musik waren Evans zeitlebens wichtiger als Starglanz und grosses Geld; so nahm seine öffentliche und finanzielle Karriere im Land des „big showbiz“ einen etwas durchwachsenen Verlauf. Einhellig rühmten die Musiker seine integere, bescheidene und freundliche Art; ebenso seine Großzügigkeit gegenüber Anderen – solange es nicht um die musikalische Präzision ging.

Seine Instrumentierungen und die in Melodie und Rhythmik, bei den Harmonien noch bis in die inneren Stimmenführungen subtil ausgearbeiteten Arrangements (manchmal eher Rekompositionen der Vorlagen) und seine eigenen Kompositionen gaben den Spielern immer einen idealen Raum zur solistischen und improvisatorischen Entfaltung. Bei Bedarf konnte er jedoch auch schwierigste ‚Improvisationen‘ überzeugend notieren und wusste genau, wie ein Instrument bei einem bestimmten Spieler herüberkam – Evans war ein echter und hoch geschätzter „musicians' musician“. Mit den Traditionen bestens vertraut, hatte er darüber hinaus stets ein ‚pfadfinderisch‘ offenes Ohr für ‚neue Töne‘.

Die Kritik sieht ihn zu Recht im Rang wegweisender Innovatoren neben Ellington/Strayhorn oder Mingus. Später einmal gefragt, ob etwa seine meisterlichen Davis-Alben mehr zur Klassik oder zum Jazz zählten, entschied er nüchtern: „Das ist ein Verkäuferproblem, nicht meines.“

Freelancer (1950–56)

In den frühen 1950ern arbeitete Evans als freier Arrangeur für Radio- und TV-Shows, sowie für bekannte Gesangsstars wie Tony Bennett, Peggy Lee, Pearl Bailey u. a. Ab 1952 spielte er eine Zeit lang als Pianist mit Mulligan im Club Basin Street und arrangierte 1953 einiges für Parker. 1956 nahm er (arr, cond) mit Helen Merrill (* 1930; voc) das Album Dream Of You auf (Jazz-Combo + Hornsektion & Streicher).


Die Davis/Evans-Alben (1957–63)

Ungenannt hatte Evans 1955 für Davis' Quintett Monk's „Round Midnight“ arrangiert. Ab 1957 kam es auf Davis' Wunsch auch offiziell zu einer kongenialen Zusammenarbeit, in großer Besetzung für die Columbia: „Miles Davis + 19“ waren Davis' Flügelhorn + 5 Trompeten, 4 Posaunen, 2 Waldhörner (french horn), Tuba, 4 Flöten/Klarinetten, Kontrabass, Schlagzeug - und Evans als Komponist, Arrangeur und Dirigent. Aus eigenen Evans/Davis- und weiteren Stücken schuf Evans großartige, dabei stets auf die emotionale Linie des Solisten Davis abgestimmte Orchesterstücke. In loser stilistischer Anknüpfung an die 1957 erschienenen Birth Of The Cool und Round About Midnight entstanden bei Kritik und Publikum erfolgreiche, im doppelten Sinne ‚klassische‘ Meisterwerke des konzertanten Big Band Jazz, welche Evans' und Davis' Namen weithin etablierten: Miles Ahead  (1957, Suite), Porgy & Bess  (1958, Filmmusik), Sketches Of Spain  (1960, Impressionen, von alten Volksweisen bis zum „Concierto de Aranjuez“ von Rodrigo).

Was zuvor schon zeitgenössische Komponisten wie Stravinsky (1882–1971) oder Gershwin (1898–1937) versuchten, legen Evans' Werke aus dieser Periode tatsächlich vor – eine von Komponisten wie de Falla, Rodrigo, Delibes, Debussy und Ravel inspirierte echte Fusion von Klassik und modernem Jazz.

Ab Juli 1962 folgten die sich seitens Davis etwas hinziehenden Aufnahmen zu Quiet Nights (1963): Evans/Davis-eigene Verarbeitungen spanischer Impressionen und der brasilianischen Bossa Nova, die ab 1963 die USA über den Jazz (Stan Getz, Herbie Mann u.v.a.) hinaus eroberte. –  Schließlich, während Davis sich 1963 bereits auf ein neues Quintett konzentrierte, entstand als gemeinsame Auftragsarbeit noch eine Bühnenmusik für Peter Barnes' The Time Of The Barracudas; das Stück erreichte allerdings nie den Broadway.


The Gil Evans Orchestra

Ab 1957 produzierte Evans, nach zwanzig Jahren erstmals wieder mit eigener Band: „Gil Evans & Ten“ (teils Thornhill-Musiker, Evans am Piano), danach als „The Gil Evans Orchestra“, neben der Arbeit mit Davis auch unter eigenem Namen.

Big Stuff (1957–64)

Im Herbst 1957 nahm Evans sein erstes eigenes Album auf: Big Stuff (alias Gil Evans & Ten) – unverkennbar das ‚Präludium‘ einer markanten Entwicklung, welche in den folgenden Jahren mit Out Of The Cool und The Individualism zur einmaligen Vollendung gelangte. Zunächst erschienen jedoch noch zwei Jazzanthologien: New Bottle, Old Wine (1958, mit Julian Cannonball Adderley (1928–75; as)) und Great Jazz Standards (1959, feat. Johnny Coles (1926–97; t)).

Ende 1960 folgte das programmatische Out Of The Cool (mit „La Nevada“) und 1964 das zutreffend betitelte The Individualism Of Gil Evans (mit „Las Vegas Tango“, Grammy-nominiert). Die Alben enthalten Kompositionen von Evans und Evans/Davis, frühe Weill-Songs und Titel von J.B. Brooks, G. Russell, B. Dorough, H. Silver, J. Lewis, W. Dixon. Die hochkarätigen Mitspieler: Ernie Royal, Johnny Coles, Louis Mucci, Thad Jones, Jimmy Cleveland, Jimmy Knepper, Wayne Shorter, Phil Woods, Eric Dolphy, Bob Tricario, Steve Lacy, Bill Barber, Kenny Burrell, Ron Carter, Paul Chambers, Gary Peacock, Elvin Jones u.a.

Auf diesen fulminanten und erfolgreichen Big Band-Alben gelangen bis dahin so noch nicht gehörte Farben und Texturen seiner unverwechselbaren orchestralen Handschrift als ‚Neutöner‘ kompromißlos zur Entfaltung – einzigartige und faszinierende Klangwelten des Jazz, die bis heute nichts an Substanz und Kraft verloren haben.

Weitere Projekte (1958–70)

Im Weiteren waren Evans' Bemühungen um interessante Projekte während dieser produktiven Jahre wechselnd erfolgreich.

Ein 1958 zusammen mit dem von ihm geschätzten Lester Young (1909–59; ts) geplantes Album war an dessen fortgeschrittenem Akoholismus und baldigem Tod gescheitert. –

1961 bot Evans (cond) mit Into The Hot unter seinem Namen auch progressiven Projekten der jüngeren Musiker John Carisi (1922–90; t) und Cecil Taylor (*1929; p) eine großzügige Plattform. –

1964 beim Grammy-Award besprach er mit dem ebenfalls nominierten und einem gemeinsamen Projekt nicht abgeneigten Louis Armstrong (1901-71) eine Album-Idee mit Schwerpunkt auf dessen kreativen frühen Jahren; die Sache scheiterte jedoch an Armstrongs Manager. –

1965 nahm Evans (arr, cond) für Kenny Burrell (*1931; g), der bei Verve schon auf Evans' The Individualism mitgewirkt hatte, dessen bis heute anerkanntes ‚showcase‘ Guitar Forms auf. –

1966 folgte ein möglicherweise wegen der beiden populären Namen von den Verve-Managern angeregtes, gleichwohl hörbar Evans-fabriziertes cooles, teils modales 'Latin'-Album seines Orchesters mit Astrud Gilberto (*1940; voc) Look To The Rainbow – die ‚flat voice‘ des „Girl from Ipanema“ ist hier teilweise fast instrumental eingesetzt (starker Song „Maria Quiet“). Man mag allerdings meinen, daß die Sängerin 1967 beim Trio des brasilianischen Pianisten und Hammond-Organisten Walter Wanderley (1932–86) musikalisch mehr ‚bei sich zu Hause‘ war. –

1968 gewann Evans die renommierte Guggenheim Fellowship in Komposition. Ungenannt wirkte er auch an den Arrangements für Davis' Quintett-Album Filles De Kilimanjaro (1969). –

Ein von Evans gewünschtes Projekt mit Jimi Hendrix (1942–70; g, comp) – der des Pop-Rummels müde war und den Evans einen hervorragenden Gitarristen und Songschreiber nannte – war 1970 über Davis' Vermittlung mit dem Manager schon vorbesprochen, scheiterte jedoch kurz vor der persönlichen Begegnung an Hendrix' plötzlichem Tod in London. –

Free Jazz, Jazzrock (1970 ff.)

Ab 1970 fand Evans mit neuen Musikern auch zur Elektronik (E-Piano, Synthesizer) und zu zunehmend freieren und improvisatorischen Formen des experimentellen Free Jazz und Jazzrock: Blues In Orbit (1969/71, Ampex), Where Flamingos Fly (1971 NYC) und Svengali (1973 NYC live). „Svengali“ ist ein Anagramm (Verwürfelung) seines Namens; die teils ‚wilde‘ Instrumentierung und Collage-Technik mancher Stücke ist noch beim New Yorker Avantgardisten John Zorn (*1953; as, cl, comp) z.B. auf Spillane (1987) wiederzufinden. Die konzertante Big Band der gelegentlich als Evans-Nachfahrin angesprochenen Komponistin Carla Bley (*1938; p) ging etwas andere, stilistisch formalere Wege.

1974 gab Evans in der New Yorker Carnegie Hall ein großartiges Tribute-Konzert The Gil Evans Orchestra Plays The Music Of Jimi Hendrix, das einige Tage danach auch im RCA-Studio eingespielt wurde; kein blasser Krampf, sondern eine genuine Fusion von Jazz und Rock. Nachfolgende Konzerte enthielten immer wenigstens einen Hendrix-Titel, später auch solche von Charles Mingus (1922–79; b, p, comp). –  Auf There Comes A Time (1975 NYC, RCA) verließ Evans deutlich die Pfade des relativen Wohlklangs – es herrschen ausgesprochen rauhe Töne. Politisch spielte damals der Aufbruch des Neoliberalismus, 1980 wurde der republikanische Schauspieler R. Reagan US-Präsident.


Tourneen und späte Jahre

Amerika-Tourneen sind nicht bekannt. Erst nach 1970 ging das „Gil Evans Orchestra“ auf Auslands-Tourneen – nach Japan (1972, 1976) und vor allem durch Europa (1974 Montreux/Schweiz, Frankreich, Italien, Malmö/Schweden). Leider verteilen sich die Aufnahmen ab dieser Zeit auf viele verschiedene, teils auch kleinere lokale Labels. 1976 Synthetic Evans (in Warschau); 1978 live in Deutschland: Little Wing mit George Adams (1940-92; ts, fl); 1981 Europa-Tournee: Lunar Eclypse (Kopenhagen, Pori/Finl., Bolzano/It., Paris); 1983 Festivals in Camden/London und Bradford The British Orchestra, mit John Surman (*1944; as, ss), der ihn auch zu den Sommer-Festivals 1986/87 begleitete.

Zwischenzeitlich Auftritte in New York, davon die Alben: Priestress (1977), Live At The Public Theatre (1980), Live At Sweet Basil und Farewell (1984–86; „Gil Evans & The Monday Night Orchestra“). – Ganz ohne Big Band, nur am Piano live im Duo mit dem alten Gefährten Lee Konitz: Heroes & Anti-Heroes (1980 NYC).

Noch in seinen letzten Jahren – Photos lassen an einen stolzen alten Indianer denken – war Evans aktiv unterwegs. 1986 Europa-Tour: The Honey Man (Italien, Schweiz); We Remember Jimi mit John McLaughlin (*1942; g) in Ravenna. Im Juli 1987 Last Session mit Sting in Perugia. Danach mit Helen Merrill Collaboration, nach dreissig Jahren ein Studio-Remake von Dream Of You (August 1987 NYC). – Im Oktober 1987 kam Evans auf intensive Bitten von Laurent Cugny (*1955; p) für eine Konzerttour mit dessen „Big Band Lumière“ (Evans am Piano; Gast: Andy Sheppard, ts) nach Frankreich. Daraus entstanden im November die Pariser Studioeinspielungen für die Alben Rhythm-A-Ning und Golden Hair mit Titeln von Evans, Hendrix, Mingus, Monk u.a. Im Dezember 1987 dort im lyrischen Duo mit Steve Lacy (1934-2004; ss) die letzten Studioaufnahmen – Paris Blues.

Wie nicht selten bei Künstlern, welche sich dem industriell-kunstgewerblichen Mainstream entziehen, musste Evans in seinen späteren Jahren teilweise von Sozialhilfe leben; er erhielt derweil eine Reihe später Ehrungen. Gil Evans starb im März 1988 im mexikanischen Cuernavaca mit 75 Jahren an einer Lungenentzündung, am gleichen Ort wie neun Jahre zuvor Charles Mingus. Sein Sohn Miles Evans (t) führte das Evans Orchester fort.


Diskografie

Die Jahreszahlen der linken Spalte beziehen sich auf die Aufnahmejahre.
Besonders nach 1970 wurden manche Aufnahmen erst verspätet oder posthum veröffentlicht.
– rec: recorded, prod: produced, (P): published, (R): reissued

  • 1947: Adios (Claude Thornhill Orch.; G. Evans (arr); rec '46/47, (R)compil. 2000 A&R, Italy)
  • 1949: Birth Of The Cool (Miles Davis Nonet, G.E. arr & 'musical mentor'); rec '49/50 Capitol, (R)1957 (LP)
  • 1956: Dream Of You (Helen Merrill (voc), Gil Evans (arr, cond)); rec Jun'56 NYC, (R)1990 EmArcy
  • 1957: Miles Ahead („Miles Davis + 19“ & Gil Evans (comp, arr, cond)); rec May'57 NYC, (P)1957 CBS
  • 1957: Big Stuff („Gil Evans & Ten“); rec Oct'57 NJ, (R)1989 Prestige/ZYX
  • 1958: Porgy & Bess (Miles Davis & Gil Evans (comp, arr, cond), Studio-Ens.); rec Aug'58 NYC, (P)1958 CBS
  • 1958: New Bottle, Old Wine (The Gil Evans Orchestra, m. Cannonball Adderley)
  • 1959: Great Jazz Standards (The Gil Evans Orchestra, m. Johnny Coles)
  • 1960: Sketches Of Spain (Miles Davis & Gil Evans (comp, arr, cond), Studio-Ens.); rec Nov'59-Mar'60 NYC, (P)1960 CBS
  • 1961: Out Of The Cool (The Gil Evans Orchestra); rec Dec'60 NJ, prod CTI, (P)1961 MCA
  • 1961: Into The Hot (The G.E. O. / John Carisi, Cecil Taylor); rec Oct'61 NYC, prod CTI, (P)1961 MCA
  • 1963: Quiet Nights (Miles Davis & Gil Evans & his orchestra); rec Jun'62-Apr'63 NYC, (P)1963 CBS
  • 1964: The Individualism Of Gil Evans (The Gil Evans O.); rec Sep'63-Jul'64, prod CTI, (P)1964 Verve
  • 1965: Guitar Forms (Kenny Burrell (g), Gil Evans (arr, cond)); rec Dec'64, prod CTI. (P)1965 Verve
  • 1966: Look To The Rainbow (Astrud Gilberto (voc) & The Gil Evans O.); rec May/Jun'65, prod CTI, (P)1966 Verve
  • 1969: Blues In Orbit (The Gil Evans O.); rec '69+71 NYC, (P)1969 Ampex, (R)1989 Enja/DE
  • 1971: Where Flamingos Fly (The Gil Evans O.); rec '71 NYC, (P)1981/LP, (R)1989/CD A&M
  • 1972: Masabumi Kikuchi / Gil Evans (amer./jap. Orch.); rec Jul'72 Victor/Tokyo, (P)1976 Philips, (R)1988 EmArcy
  • 1973: Svengali (The Gil Evans O.); live rec May'73 NYC, (P)1973 Atlantic
  • 1974: The Gil Evans Orchestra plays the Music of Jimi Hendrix (The G.E.O.); rec Jun'74 NYC/RCA, (R)1988 RCA
  • 1975: There comes a Time (Gil Evans & his O.); rec Apr'75 NYC/RCA, (R)1988 RCA
  • 1976: Tokyo Concert (amer./jap. Orch.); live rec Jun'76 Tokyo, (P)Westwind
  • 1976: Strange Fruit (Gil Evans Orch.); live rec Nov '76, Belgrad),
  • 1976: Synthetic Evans (Gil Evans O.); live rec Oct'76 Warschau, (P)Poljazz, (R)1988 Zeta
  • 1977: Priestress (Gil Evans O.); live rec May'77 NYC, (P)1983 Antilles (LP)
  • 1978: Little Wing (The G.E.O. feat. George Adams); live rec Oct'78 Germany, (R)1990 West Wind
  • 1980: Heroes & Anti-Heroes (Gil Evans & Lee Konitz im Duo); live rec Jan'80 NYC, (P)1991 Verve - 2CD
  • 1980: Live At The Public Theater (Gil Evans O.); live rec Feb'80 NYC, (R)1994 Storyville - 2CD
  • 1981: Lunar Eclypse (Gil Evans & his O.) live rec Jul'81 Europa, (P)1992 Newtone, Italy
  • 1983: Misa Espiritual (Airto Moreira & G.E.(cond)+ WDR Big Band); rec '83, (P) ? Harm. mundi LP 663
  • 1983: Gil Evans: The British Orchestra (m. John Surman); live rec Mar'83 Bradford/UK, (P)1983 TAA/Mole
  • 1984: Live at Sweet Basil (G.E. & the Monday Night O.); live rec '84-86 NYC, (P)1987 King
  • 1986: Farewell (at Sweet Basil, wie vor); live rec Dec'86 NYC, (P)1987 King
  • 1986: The Honey Man (Gil Evans & his O.) live rec Italien & Schweiz)
  • 1986: We Remember Jimi (Gil Evans O. & John McLaughlin); live rec Jul'86 Ravenna, (P)1986 Dark Magus
  • 1987: Last Session (Gil Evans O. & Sting); live rec Jul'87 Perugia Jazz Festival, (P)1988 Jazz Door
  • 1987: Collaboration (Helen Merrill (voc) & Gil Evans again); rec Aug'87 NYC, (P) 1988 EmArcy
  • 1987: Rhythm-A-Ning (Gil Evans & Laurent Cugny & Big Band Lumière); rec Nov'87 Paris, (P)1988 EmArcy
  • 1987: Golden Hair (Gil Evans & Laurent Cugny & Big Band Lumière) rec Nov'87 Paris, (P)1989 EmArcy
  • 1987: Paris Blues (Gil Evans & Steve Lacy im Duo); rec Dec'87 Paris, (P)1988 OWL/Universal France


Literatur

  • Tetsuya Tajiri: Gil Evans Discography 1941–82   (1983, Tokyo: Tajiri, ill., 61 S.)
  • Raymond Horricks: Svengali, or the Orchestra Called Gil Evans   (1984, Spellmount, 96 S., en)
  • Laurent Cugny: Las Vegas Tango – Une vie de Gil Evans.   (1990, P.O.L./Coll. Birdland, 416 S., fr)
  • Stephanie Stein Crease: Gil Evans: Out of the Cool – His life and music.   (2001, A Cappella Books, 384 S., en)
  • Larry Hicock: Castles Made of Sound – The Story of Gil Evans.   (2002, Da Capo Press, 306 S., en)


  • Maison du Jazz – Laurent Cugny: Kurzbiografie und detaillierte Diskografie (franz./engl.)