„Herrenlosigkeit“ – Versionsunterschied

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== Allgemeines ==
== Allgemeines ==
Das [[Bürgerliches Gesetzbuch|Bürgerliche Gesetzbuch]] (BGB) musste Regelungen für die Fälle vorsehen, bei denen eine bewegliche Sache niemals jemandem gehört hat oder der frühere Eigentümer auf sein Eigentum verzichtet und den Besitz aufgegeben hat. Darin unterscheidet sich die herrenlose Sache („res nullius“) von der lediglich [[Besitz (Deutschland)|besitzlosen]] Sache, die sich jemand nicht unmittelbar aneignen kann, sondern allenfalls als [[Fundrecht|Fundgegenstand]] ({{§|965|bgb|juris}} BGB) oder [[Schatz]] ({{§|984|bgb|juris}} BGB) unter strengen Voraussetzungen angeeignet werden kann.<ref>[http://books.google.de/books?id=nZY9y6EdMv8C&pg=RA3-PA83&dq=aneignung+herrenlos&hl=de&sa=X&ei=r0kPUsL9LobbsgbahoHgAQ&ved=0CDIQ6AEwAA#v=onepage&q=aneignung%20herrenlos&f=false Johannes Denecke, ''Das Bürgerliche Gesetzbuch'', Band 1, 1953, S. 83]</ref> Die besitzlose Sache hat nämlich grundsätzlich einen Eigentümer und ist daher nicht herrenlos. Der Begriff Herrenlosigkeit erstreckt sich meist lediglich auf bewegliche Sachen, weil es in Deutschland wegen der gesetzlichen Regelung nur sehr selten herrenlose [[Grundstück]]e mehr geben kann. Ein Grundstück kann allerdings dann herrenlos werden, wenn der Eigentümer gegenüber dem [[Grundbuchamt]] auf sein Eigentum verzichtet und jenes den Verzicht im [[Grundbuch]] [[Eintragung|einträgt]] ({{§|928|bgb|juris}} Abs. 1 BGB). Dann hat allerdings nicht jedermann ein Aneignungsrecht, sondern nur das betroffene Bundesland (§ 928 Abs. 2 BGB). Nur für den seltenen Fall, dass dieses auf sein originäres Aneignungsrecht verzichtet, kann ein Grundstück dauerhaft herrenlos werden.<ref>[http://books.google.de/books?id=ah1R4n_pe-sC&pg=PA143&dq=grundst%C3%BCck+herrenlos&hl=de&sa=X&ei=WKMPUtbzF8jPsgbT44CoDw&ved=0CDYQ6AEwATgK#v=onepage&q=grundst%C3%BCck%20herrenlos&f=false Kurt Schellhammer, ''Sachenrecht nach Anspruchsgrundlagen'', 2009, S. 142]</ref> Verzichtet ein Bundesland wie im Fall der Zuckerfabrik in [[Hecklingen]] auf sein originäres Aneignungsrecht, kann es in seltenen Fällen zur Herrenlosigkeit auch eines Grundstücks kommen.<ref>[http://www.volksstimme.de/nachrichten/lokal/stassfurt/1216521_Jeder-kann-sich-herrenlose-Liegenschaft-aneignen.html Volksstimme.de vom 29. Januar 2014, Jeder kann sich herrenlose Liegenschaft aneignen]</ref> [[Grundstücksgleiches Recht|Grundstücksgleiche Rechte]] wie [[Erbbaurecht]] oder [[Wohnungseigentum]] können durch Verzicht nicht herrenlos werden.<ref>Johannes Denecke, a.a.O., S. 148</ref>
Das [[Bürgerliches Gesetzbuch|Bürgerliche Gesetzbuch]] (BGB) musste Regelungen für die Fälle vorsehen, bei denen eine bewegliche Sache niemals jemandem gehört hat oder der frühere Eigentümer auf sein Eigentum verzichtet und den Besitz aufgegeben hat. Darin unterscheidet sich die herrenlose Sache („res nullius“) von der lediglich [[Besitz (Deutschland)|besitzlosen]] Sache, die sich jemand nicht unmittelbar aneignen kann, sondern allenfalls als [[Fundrecht|Fundgegenstand]] ({{§|965|bgb|juris}} BGB) oder [[Schatz]] ({{§|984|bgb|juris}} BGB) unter strengen Voraussetzungen angeeignet werden kann.<ref>Johannes Denecke, [http://books.google.de/books?id=nZY9y6EdMv8C&pg=RA3-PA83&dq=aneignung+herrenlos&hl=de&sa=X&ei=r0kPUsL9LobbsgbahoHgAQ&ved=0CDIQ6AEwAA#v=onepage&q=aneignung%20herrenlos&f=false ''Das Bürgerliche Gesetzbuch''], Band 1, 1953, S. 83.</ref> Die besitzlose Sache hat nämlich grundsätzlich einen Eigentümer und ist daher nicht herrenlos. Der Begriff Herrenlosigkeit erstreckt sich meist lediglich auf bewegliche Sachen, weil es in Deutschland wegen der gesetzlichen Regelung nur sehr selten herrenlose [[Grundstück]]e mehr geben kann. Ein Grundstück kann allerdings dann herrenlos werden, wenn der Eigentümer gegenüber dem [[Grundbuchamt]] auf sein Eigentum verzichtet und jenes den Verzicht im [[Grundbuch]] [[Eintragung|einträgt]] ({{§|928|bgb|juris}} Abs. 1 BGB). Dann hat allerdings nicht jedermann ein Aneignungsrecht, sondern nur das betroffene Bundesland (§ 928 Abs. 2 BGB). Nur für den seltenen Fall, dass dieses auf sein originäres Aneignungsrecht verzichtet, kann ein Grundstück dauerhaft herrenlos werden.<ref>Kurt Schellhammer, [http://books.google.de/books?id=ah1R4n_pe-sC&pg=PA143&dq=grundst%C3%BCck+herrenlos&hl=de&sa=X&ei=WKMPUtbzF8jPsgbT44CoDw&ved=0CDYQ6AEwATgK#v=onepage&q=grundst%C3%BCck%20herrenlos&f=false ''Sachenrecht nach Anspruchsgrundlagen''], 2009, S. 142.</ref> Verzichtet ein Bundesland wie im Fall der Zuckerfabrik in [[Hecklingen]] auf sein originäres Aneignungsrecht, kann es in seltenen Fällen zur Herrenlosigkeit auch eines Grundstücks kommen.<ref>[http://www.volksstimme.de/nachrichten/lokal/stassfurt/1216521_Jeder-kann-sich-herrenlose-Liegenschaft-aneignen.html Jeder kann sich herrenlose Liegenschaft aneignen], Volksstimme.de vom 29. Januar 2014.</ref> [[Grundstücksgleiches Recht|Grundstücksgleiche Rechte]] wie [[Erbbaurecht]] oder [[Wohnungseigentum]] können durch Verzicht nicht herrenlos werden.<ref>Johannes Denecke, ''Das Bürgerliche Gesetzbuch'', Band 1, 1953, S. 148.</ref>


Die Herrenlosigkeit war bereits im [[Römisches Recht|römischen Recht]] bekannt. An Sachen („res derelictae“), woran der bisherige Eigentümer Besitz und Eigentum absichtlich (mit „animus dereliquendi“) aufgegeben hat, ohne sie einem andern zuzuwenden, wurde das Eigentum von demjenigen erworben, der sie in Besitz nahm.
Die Herrenlosigkeit war bereits im [[Römisches Recht|römischen Recht]] bekannt. An Sachen („res derelictae“), woran der bisherige Eigentümer Besitz und Eigentum absichtlich (mit „animus dereliquendi“) aufgegeben hat, ohne sie einem andern zuzuwenden, wurde das Eigentum von demjenigen erworben, der sie in Besitz nahm.
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=== Nachträglich herrenlos ===
=== Nachträglich herrenlos ===
Erst nachträglich herrenlos werden Sachen, bei denen der ursprüngliche Eigentümer auf sein Recht verzichtet und den Besitz an ihr aufgibt (Dereliktion; {{§|959|bgb|juris}} BGB). [[Dereliktion]] ist juristisch das Herrenloswerden einer Sache. Ein wildes Tier wird herrenlos, wenn es sich mit Erfolg der menschlichen Beherrschung entzieht. Ein ungezähmtes Wildtier wird herrenlos, wenn es seine Freiheit wiedererlangt und vom Eigentümer nicht unverzüglich verfolgt wird oder er die Verfolgung aufgibt (§ 960 Abs. 2 BGB). Das gilt auch für den aus seinem [[Bienenstock|Stock]] ausgezogenen [[Bienenrecht|Bienenschwarm]] ({{§|961|bgb|juris}} BGB). Ein gezähmtes Tier (Haustier) wird herrenlos, wenn es die Gewohnheit aufgibt, an den ihm vom Menschen bestimmten Ort („animus revertendi“) zurückzukehren (§ 960 Abs. 3 BGB). Die bewusste Eigentumsaufgabe an anderen Sachen (z. B. der Leser lässt die ihm gehörende Zeitung im Zug liegen) und die Besitzaufgabe hieran lässt sich durch die Begleitumstände erkennen.<ref>[http://books.google.de/books?id=OC2n5NgqWWgC&pg=PA514&dq=aneignung+herrenlos&hl=de&sa=X&ei=r0kPUsL9LobbsgbahoHgAQ&ved=0CDcQ6AEwAQ#v=onepage&q=aneignung%20herrenlos&f=false Harm Peter Westermann, ''Sachenrecht'', 2011, S. 516]</ref>
Erst nachträglich herrenlos werden Sachen, bei denen der ursprüngliche Eigentümer auf sein Recht verzichtet und den Besitz an ihr aufgibt (Dereliktion; {{§|959|bgb|juris}} BGB). [[Dereliktion]] ist juristisch das Herrenloswerden einer Sache. Ein wildes Tier wird herrenlos, wenn es sich mit Erfolg der menschlichen Beherrschung entzieht. Ein ungezähmtes Wildtier wird herrenlos, wenn es seine Freiheit wiedererlangt und vom Eigentümer nicht unverzüglich verfolgt wird oder er die Verfolgung aufgibt (§ 960 Abs. 2 BGB). Das gilt auch für den aus seinem [[Bienenstock|Stock]] ausgezogenen [[Bienenrecht|Bienenschwarm]] ({{§|961|bgb|juris}} BGB). Ein gezähmtes Tier (Haustier) wird herrenlos, wenn es die Gewohnheit aufgibt, an den ihm vom Menschen bestimmten Ort („animus revertendi“) zurückzukehren (§ 960 Abs. 3 BGB). Die bewusste Eigentumsaufgabe an anderen Sachen (z. B. der Leser lässt die ihm gehörende Zeitung im Zug liegen) und die Besitzaufgabe hieran lässt sich durch die Begleitumstände erkennen.<ref>Harm Peter Westermann, [http://books.google.de/books?id=OC2n5NgqWWgC&pg=PA514&dq=aneignung+herrenlos&hl=de&sa=X&ei=r0kPUsL9LobbsgbahoHgAQ&ved=0CDcQ6AEwAQ#v=onepage&q=aneignung%20herrenlos&f=false ''Sachenrecht''], 2011, S. 516.</ref>


== Herrenlosigkeit bei Abfall ==
== Herrenlosigkeit bei Abfall ==
Kompliziert ist die Lösung der Alltagsfrage im Hinblick auf die Bereitstellung der [[Mülltonne]]n oder das Abstellen von [[Sperrmüll]] für die [[Müllabfuhr]]. Dabei sind nach dem [[Abfallrecht (Deutschland)|Abfallrecht]] nur diejenigen Abfälle herrenlos, für die es keinen Abfallbesitzer gibt (z.B. § 3 Abs. 6 brandenburgisches [[Kreislaufwirtschaftsgesetz|Kreislaufwirtschafts]]- und Bodenschutzgesetz). Als Abfallbesitzer gilt jede natürliche oder juristische Person, die tatsächliche Sachherrschaft über Abfälle hat; das sind meist öffentlich-rechtliche [[Entsorgungsfachbetrieb|Entsorgungsträger]]. Herrenlos ist damit nur derjenige Abfall, der auf den für die Allgemeinheit frei zugänglichen Grundstücken verbotswidrig abgelagert wird. Sperrmüll ist nur dann herrenlos, wenn er nicht Teil von öffentlichen Sammelaktionen im Rahmen einer Sperrmüllabholung darstellt. Ob allerdings aus § 13 KrW/AbfG ein Dereliktionsverbot abgeleitet werden kann, ist umstritten.<ref>[http://books.google.de/books?id=ZXTQxzYDUVoC&pg=PA458&dq=abfall+herrenlos&hl=de&sa=X&ei=wi4RUrv7KsSOtQat-4GADg&ved=0CF8Q6AEwCA#v=onepage&q=abfall%20herrenlos&f=false Wolfgang Brehm, ''Sachenrecht'', 2006, S. 458]</ref> In der Regel wird mit der Abfallentstehung die Einforderung einer öffentlichen Dienstleistung nach dem Abfallgesetz verbunden sein. Die zivilrechtliche Dereliktion und die abfallrechtliche Entledigung stimmen deshalb meistens nicht überein.<ref>[http://books.google.de/books?id=ZNFTQf0PdOMC&pg=PA76&dq=abfallrecht+herrenlos&hl=de&sa=X&ei=ADIRUvHsIYnAswbJqoDwAQ&ved=0CDgQ6AEwAQ#v=onepage&q=abfallrecht%20herrenlos&f=false Michael Kotulla (Hrsg.), ''Umweltrecht und Umweltpolitik'', 1998, S. 78]</ref> Wirft jemand achtlos eine Sache weg, so ist dies abfallrechtlich unzulässig, da Abfälle immer einem Entsorgungspflichtigen zu überlassen sind (§ 3 Abs. 1 AbfG); zivilrechtlich ist die Person aber nicht gehindert, ihr Eigentum und ihren Besitz hieran jederzeit aufzugeben. Auskunft gibt im Zweifel die örtliche Abfallsatzung.
Kompliziert ist die Lösung der Alltagsfrage im Hinblick auf die Bereitstellung der [[Mülltonne]]n oder das Abstellen von [[Sperrmüll]] für die [[Müllabfuhr]]. Dabei sind nach dem [[Abfallrecht (Deutschland)|Abfallrecht]] nur diejenigen Abfälle herrenlos, für die es keinen Abfallbesitzer gibt (z.B. § 3 Abs. 6 brandenburgisches [[Kreislaufwirtschaftsgesetz|Kreislaufwirtschafts]]- und Bodenschutzgesetz). Als Abfallbesitzer gilt jede natürliche oder juristische Person, die tatsächliche Sachherrschaft über Abfälle hat; das sind meist öffentlich-rechtliche [[Entsorgungsfachbetrieb|Entsorgungsträger]]. Herrenlos ist damit nur derjenige Abfall, der auf den für die Allgemeinheit frei zugänglichen Grundstücken verbotswidrig abgelagert wird. Sperrmüll ist nur dann herrenlos, wenn er nicht Teil von öffentlichen Sammelaktionen im Rahmen einer Sperrmüllabholung darstellt. Ob allerdings aus § 13 KrW/AbfG ein Dereliktionsverbot abgeleitet werden kann, ist umstritten.<ref>Wolfgang Brehm, [http://books.google.de/books?id=ZXTQxzYDUVoC&pg=PA458&dq=abfall+herrenlos&hl=de&sa=X&ei=wi4RUrv7KsSOtQat-4GADg&ved=0CF8Q6AEwCA#v=onepage&q=abfall%20herrenlos&f=false ''Sachenrecht''], 2006, S. 458.</ref> In der Regel wird mit der Abfallentstehung die Einforderung einer öffentlichen Dienstleistung nach dem Abfallgesetz verbunden sein. Die zivilrechtliche Dereliktion und die abfallrechtliche Entledigung stimmen deshalb meistens nicht überein.<ref>Michael Kotulla (Hrsg.), [http://books.google.de/books?id=ZNFTQf0PdOMC&pg=PA76&dq=abfallrecht+herrenlos&hl=de&sa=X&ei=ADIRUvHsIYnAswbJqoDwAQ&ved=0CDgQ6AEwAQ#v=onepage&q=abfallrecht%20herrenlos&f=false ''Umweltrecht und Umweltpolitik''], 1998, S. 78.</ref> Wirft jemand achtlos eine Sache weg, so ist dies abfallrechtlich unzulässig, da Abfälle immer einem Entsorgungspflichtigen zu überlassen sind (§ 3 Abs. 1 AbfG); zivilrechtlich ist die Person aber nicht gehindert, ihr Eigentum und ihren Besitz hieran jederzeit aufzugeben. Auskunft gibt im Zweifel die örtliche Abfallsatzung.


== Leichnam ==
== Leichnam ==
Die Beurteilung eines [[Leichnam]]s im Hinblick auf die Herrenlosigkeit ist umstritten. Der Leichnam ist zivilrechtlich keine Sache. Die in ihm enthaltenen künstlichen Sachen (wie [[Prothese]]n, [[Herzschrittmacher]], künstlichen [[Organ (Biologie)|Organe]] oder [[Zahnkrone#Die künstliche Krone|Goldzähne]]) erhalten nach dem Tod und ihrer Trennung vom Leichnam ihre Sacheigenschaft zurück, werden nach Trennung vom Leichnam herrenlos und unterliegen dem Aneignungsrecht der Familienangehörigen<ref>RGSt 64, 515</ref> oder [[Erbe]]n des Verstorbenen.<ref>Wilhelm Weimar, JR 1979, 363, 364</ref> Werden diese künstlichen Sachen noch zu Lebzeiten vom Körper getrennt (etwa wegen Austauschs), so ist nach [[Herrschende Meinung|herrschender Meinung]] {{§|953|bgb|juris}} BGB analog anwendbar; mit ihrer Trennung stehen sie im Eigentum dessen, mit dessen Körper sie bisher fest verbunden waren. Ein Leichnam ist nach herrschender Auffassung nicht herrenlos, da {{§|168|stgb|juris}} StGB ([[Störung der Totenruhe]]) von einem „Gewahrsam“ des „Berechtigten“ an der Leiche ausgeht.<ref>[http://books.google.de/books?id=Tj0MSDeBDzsC&pg=PA220&dq=leichnam+herrenlos&hl=de&sa=X&ei=SdURUpDtNoPjswbt3oCwCw&ved=0CEYQ6AEwBA#v=onepage&q=leichnam%20herrenlos&f=false Gert Brüggemeier, ''Haftungsrecht: Struktur, Prinzipien, Schutzbereich'', 2006, S. 220]</ref>
Die Beurteilung eines [[Leichnam]]s im Hinblick auf die Herrenlosigkeit ist umstritten. Der Leichnam ist zivilrechtlich keine Sache. Die in ihm enthaltenen künstlichen Sachen (wie [[Prothese]]n, [[Herzschrittmacher]], künstlichen [[Organ (Biologie)|Organe]] oder [[Zahnkrone#Die künstliche Krone|Goldzähne]]) erhalten nach dem Tod und ihrer Trennung vom Leichnam ihre Sacheigenschaft zurück, werden nach Trennung vom Leichnam herrenlos und unterliegen dem Aneignungsrecht der Familienangehörigen<ref>RGSt 64, 515.</ref> oder [[Erbe]]n des Verstorbenen.<ref>Wilhelm Weimar, JR 1979, 363, 364</ref> Werden diese künstlichen Sachen noch zu Lebzeiten vom Körper getrennt (etwa wegen Austauschs), so ist nach [[Herrschende Meinung|herrschender Meinung]] {{§|953|bgb|juris}} BGB analog anwendbar; mit ihrer Trennung stehen sie im Eigentum dessen, mit dessen Körper sie bisher fest verbunden waren. Ein Leichnam ist nach herrschender Auffassung nicht herrenlos, da {{§|168|stgb|juris}} StGB ([[Störung der Totenruhe]]) von einem „Gewahrsam“ des „Berechtigten“ an der Leiche ausgeht.<ref>Gert Brüggemeier, [http://books.google.de/books?id=Tj0MSDeBDzsC&pg=PA220&dq=leichnam+herrenlos&hl=de&sa=X&ei=SdURUpDtNoPjswbt3oCwCw&ved=0CEYQ6AEwBA#v=onepage&q=leichnam%20herrenlos&f=false ''Haftungsrecht: Struktur, Prinzipien, Schutzbereich''], 2006, S. 220.</ref>


== Aneignung ==
== Aneignung ==
Nimmt jemand herrenlose Sachen an sich, spricht man von ''Okkupation''. Die [[Aneignung]] herrenlosen Gutes ist ein Unterfall des [[Originärer Eigentumserwerb|originären Eigentumserwerbs]]. Eigentümer durch Aneignung wird, wer eine herrenlose Sache in [[Besitz|Eigenbesitz]] nimmt. Der Eigenbesitzer besitzt die herrenlose Sache „als ihm gehörend“ ({{§|872|bgb|juris}} BGB). Voraussetzung für eine Aneignung ist jedoch, dass das Aneignungsrecht nicht kraft Gesetzes jemand anderem zusteht wie im [[Jagdrecht (Deutschland)|Jagd]]- und [[Fischereirecht]]. Ein Aneignungsrecht steht hier lediglich dem Grundstückseigentümer zu. Nimmt der Berechtigte diesen Fang in Besitz, wird er auch Eigentümer. Der [[Wilderei|Wilderer]] hingegen erlangt hieran durch unberechtigte Aneignung kein Eigentum, vielmehr bleiben diese Tiere herrenlos.<ref>[http://books.google.de/books?id=f5bvxNXQZ8kC&pg=PA63&dq=bgb+herrenlos&hl=de&sa=X&ei=4lAOUrKaJc_ntQbNvoGYDg&ved=0CD4Q6AEwAjgK#v=onepage&q=bgb%20herrenlos&f=false ''Leipziger Kommentar'', Band 8, §§ 242-262, 2010, S. 63]</ref> Deshalb ist die freie Aneignung fast nur noch bei wertlosen Sachen möglich (eingeschränkt bei Müll und Sperrmüll). Die freie Aneignung wirtschaftlich wertvoller Sachen ist auf die Fischerei im offenen Meer und Küstengewässer beschränkt.<ref>Harm Peter Westermann, a.a.O., S. 514.</ref>
Nimmt jemand herrenlose Sachen an sich, spricht man von ''Okkupation''. Die [[Aneignung]] herrenlosen Gutes ist ein Unterfall des [[Originärer Eigentumserwerb|originären Eigentumserwerbs]]. Eigentümer durch Aneignung wird, wer eine herrenlose Sache in [[Besitz|Eigenbesitz]] nimmt. Der Eigenbesitzer besitzt die herrenlose Sache „als ihm gehörend“ ({{§|872|bgb|juris}} BGB). Voraussetzung für eine Aneignung ist jedoch, dass das Aneignungsrecht nicht kraft Gesetzes jemand anderem zusteht wie im [[Jagdrecht (Deutschland)|Jagd]]- und [[Fischereirecht]]. Ein Aneignungsrecht steht hier lediglich dem Grundstückseigentümer zu. Nimmt der Berechtigte diesen Fang in Besitz, wird er auch Eigentümer. Der [[Wilderei|Wilderer]] hingegen erlangt hieran durch unberechtigte Aneignung kein Eigentum, vielmehr bleiben diese Tiere herrenlos.<ref>[http://books.google.de/books?id=f5bvxNXQZ8kC&pg=PA63&dq=bgb+herrenlos&hl=de&sa=X&ei=4lAOUrKaJc_ntQbNvoGYDg&ved=0CD4Q6AEwAjgK#v=onepage&q=bgb%20herrenlos&f=false ''Leipziger Kommentar''], Band 8, §§ 242-262, 2010, S. 63.</ref> Deshalb ist die freie Aneignung fast nur noch bei wertlosen Sachen möglich (eingeschränkt bei Müll und Sperrmüll). Die freie Aneignung wirtschaftlich wertvoller Sachen ist auf die Fischerei im offenen Meer und Küstengewässer beschränkt.<ref>Harm Peter Westermann, ''Sachenrecht'', 2011, S. 514.</ref>
Eignet sich jemand eine Sache an, von der er irrig meint sie sei herrenlos, sie gehört aber in Wirklichkeit jemand anderem, so handelt es sich um besitzlose Sachen. Entweder gilt der Aneignende als Finder (bei verlorengegangenen Sachen), Wilderer (bei Fischen in stehenden Gewässern und jagdbarem Wild) oder Schatzfinder. In diesen Fällen hat der wirkliche Eigentümer, dem nur der Besitz abhandengekommen ist, einen [[Herausgabeanspruch]] ({{§|985|bgb|juris}} BGB)<ref>Johannes Denecke, a.a.O., S. 96.</ref> bzw. Anspruch auf hälftigen Anteil am Schatzfund ({{§|984|bgb|juris}} BGB).
Eignet sich jemand eine Sache an, von der er irrig meint sie sei herrenlos, sie gehört aber in Wirklichkeit jemand anderem, so handelt es sich um besitzlose Sachen. Entweder gilt der Aneignende als Finder (bei verlorengegangenen Sachen), Wilderer (bei Fischen in stehenden Gewässern und jagdbarem Wild) oder Schatzfinder. In diesen Fällen hat der wirkliche Eigentümer, dem nur der Besitz abhandengekommen ist, einen [[Herausgabeanspruch]] ({{§|985|bgb|juris}} BGB)<ref>Johannes Denecke, ''Das Bürgerliche Gesetzbuch'', Band 1, 1953, S. 96.</ref> bzw. Anspruch auf hälftigen Anteil am Schatzfund ({{§|984|bgb|juris}} BGB).


== Strafrecht ==
== Strafrecht ==
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== Österreich ==
== Österreich ==
Auch in Österreich ist Herrenlosigkeit bekannt und wird rechtlich wie in Deutschland beurteilt. Herrenlose Sachen werden in Österreich „freistehende Sachen“ genannt ({{§|386|ABGB|RIS-B|}} [[ABGB]]). Sachen, die nur zum Gebrauch überlassen werden (wie Straßen, Flüsse, Seehäfen und Meeresufer (!)) heißen hier öffentliches Gut. Herrenlosigkeit entsteht auch durch eine erbenlose [[Verlassenschaft]]. In Österreich können außerdem herrenlose Grundstücke von jedem Staatsbürger angeeignet werden ({{§|382|ABGB|RIS-B|}} ABGB). Freistehende Sachen können durch Zueignung (= Aneignung) in Besitz genommen und als die eigene behandelt werden ({{§|381|ABGB|RIS-B|}} ABGB). Die Preisgabe erfolgt durch Besitzaufgabe, die aus den Umständen eindeutig erkennbar sein muss. Die Beweispflicht obliegt demjenigen, der sich auf die Herrenlosigkeit beruft.<ref>[http://books.google.de/books?id=j74lVFf_wMAC&pg=PA260&lpg=PA260&dq=%C3%B6sterreich+freistehende+Sachen++%C2%A7+287+abgb&source=bl&ots=70ZKoRNSLp&sig=5p-SM7cPtGjb0M-EQ-j8_B2pL-w&hl=de&sa=X&ei=Hb0RUvacDc_AtAbGg4CIBA&ved=0CEoQ6AEwBQ#v=onepage&q=%C3%B6sterreich%20freistehende%20Sachen%20%20%C2%A7%20287%20abgb&f=false Helmut Koziol (Hrsg.), ''Kurzkommentar zum ABGB'', 2007, S. 363]</ref> In Österreich verhindern Sondervorschriften wie die Abfallbeseitigungs- und Müllabfuhrgesetze die Herrenlosigkeit des Abfalls, da ein entschädigungsloser Erwerb durch Gemeinden vorgesehen ist.<ref>Helmut Koziol (Hrsg.), a.a.O., S. 363</ref>
Auch in Österreich ist Herrenlosigkeit bekannt und wird rechtlich wie in Deutschland beurteilt. Herrenlose Sachen werden in Österreich „freistehende Sachen“ genannt ({{§|386|ABGB|RIS-B|}} [[ABGB]]). Sachen, die nur zum Gebrauch überlassen werden (wie Straßen, Flüsse, Seehäfen und Meeresufer (!)) heißen hier öffentliches Gut. Herrenlosigkeit entsteht auch durch eine erbenlose [[Verlassenschaft]]. In Österreich können außerdem herrenlose Grundstücke von jedem Staatsbürger angeeignet werden ({{§|382|ABGB|RIS-B|}} ABGB). Freistehende Sachen können durch Zueignung (= Aneignung) in Besitz genommen und als die eigene behandelt werden ({{§|381|ABGB|RIS-B|}} ABGB). Die Preisgabe erfolgt durch Besitzaufgabe, die aus den Umständen eindeutig erkennbar sein muss. Die Beweispflicht obliegt demjenigen, der sich auf die Herrenlosigkeit beruft.<ref name="koziol">Helmut Koziol (Hrsg.), [http://books.google.de/books?id=j74lVFf_wMAC&pg=PA260&lpg=PA260&dq=%C3%B6sterreich+freistehende+Sachen++%C2%A7+287+abgb&source=bl&ots=70ZKoRNSLp&sig=5p-SM7cPtGjb0M-EQ-j8_B2pL-w&hl=de&sa=X&ei=Hb0RUvacDc_AtAbGg4CIBA&ved=0CEoQ6AEwBQ#v=onepage&q=%C3%B6sterreich%20freistehende%20Sachen%20%20%C2%A7%20287%20abgb&f=false ''Kurzkommentar zum ABGB''], 2007, S. 363.</ref> In Österreich verhindern Sondervorschriften wie die Abfallbeseitigungs- und Müllabfuhrgesetze die Herrenlosigkeit des Abfalls, da ein entschädigungsloser Erwerb durch Gemeinden vorgesehen ist.<ref name="koziol" />


== Einzelnachweise ==
== Einzelnachweise ==
<references />
<references />



{{Rechtshinweis}}
{{Rechtshinweis}}

Version vom 3. November 2016, 07:28 Uhr

Eine Sache ist herrenlos, wenn sie niemals einen Eigentümer oder Besitzer hatte, oder dieser Besitz und Eigentum aufgegeben hat (Dereliktion).

Allgemeines

Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) musste Regelungen für die Fälle vorsehen, bei denen eine bewegliche Sache niemals jemandem gehört hat oder der frühere Eigentümer auf sein Eigentum verzichtet und den Besitz aufgegeben hat. Darin unterscheidet sich die herrenlose Sache („res nullius“) von der lediglich besitzlosen Sache, die sich jemand nicht unmittelbar aneignen kann, sondern allenfalls als Fundgegenstand (§ 965 BGB) oder Schatz (§ 984 BGB) unter strengen Voraussetzungen angeeignet werden kann.[1] Die besitzlose Sache hat nämlich grundsätzlich einen Eigentümer und ist daher nicht herrenlos. Der Begriff Herrenlosigkeit erstreckt sich meist lediglich auf bewegliche Sachen, weil es in Deutschland wegen der gesetzlichen Regelung nur sehr selten herrenlose Grundstücke mehr geben kann. Ein Grundstück kann allerdings dann herrenlos werden, wenn der Eigentümer gegenüber dem Grundbuchamt auf sein Eigentum verzichtet und jenes den Verzicht im Grundbuch einträgt (§ 928 Abs. 1 BGB). Dann hat allerdings nicht jedermann ein Aneignungsrecht, sondern nur das betroffene Bundesland (§ 928 Abs. 2 BGB). Nur für den seltenen Fall, dass dieses auf sein originäres Aneignungsrecht verzichtet, kann ein Grundstück dauerhaft herrenlos werden.[2] Verzichtet ein Bundesland wie im Fall der Zuckerfabrik in Hecklingen auf sein originäres Aneignungsrecht, kann es in seltenen Fällen zur Herrenlosigkeit auch eines Grundstücks kommen.[3] Grundstücksgleiche Rechte wie Erbbaurecht oder Wohnungseigentum können durch Verzicht nicht herrenlos werden.[4]

Die Herrenlosigkeit war bereits im römischen Recht bekannt. An Sachen („res derelictae“), woran der bisherige Eigentümer Besitz und Eigentum absichtlich (mit „animus dereliquendi“) aufgegeben hat, ohne sie einem andern zuzuwenden, wurde das Eigentum von demjenigen erworben, der sie in Besitz nahm.

Arten

Man unterscheidet Sachen danach, ob sie von Anfang an herrenlos waren oder erst nachträglich herrenlos geworden sind.

Von Anfang an herrenlos

Von vorneherein herrenlos sind Sachen, deren natürliche Eigenschaften eine eigentumsmäßige Beherrschung ausschließen wie Luft, fallender Regen und Schnee, Meerwasser oder in Freiheit lebende wilde Tiere (§ 960 Abs. 1 BGB). Diese Sachen sind von Anfang an herrenlos. Nicht herrenlos sind dagegen wilde Tiere in Tiergärten (Zoos) und Fische in Teichen, wildwachsende Pflanzen sowie Holz- und Laubabfälle in Wäldern. „Wild“ als Gattungsbegriff bezeichnet Tiere, die ihrer Art nach nicht der menschlichen Herrschaft unterliegen. Entlaufene oder verwilderte Haustiere sind mithin nicht herrenlos.

Nachträglich herrenlos

Erst nachträglich herrenlos werden Sachen, bei denen der ursprüngliche Eigentümer auf sein Recht verzichtet und den Besitz an ihr aufgibt (Dereliktion; § 959 BGB). Dereliktion ist juristisch das Herrenloswerden einer Sache. Ein wildes Tier wird herrenlos, wenn es sich mit Erfolg der menschlichen Beherrschung entzieht. Ein ungezähmtes Wildtier wird herrenlos, wenn es seine Freiheit wiedererlangt und vom Eigentümer nicht unverzüglich verfolgt wird oder er die Verfolgung aufgibt (§ 960 Abs. 2 BGB). Das gilt auch für den aus seinem Stock ausgezogenen Bienenschwarm (§ 961 BGB). Ein gezähmtes Tier (Haustier) wird herrenlos, wenn es die Gewohnheit aufgibt, an den ihm vom Menschen bestimmten Ort („animus revertendi“) zurückzukehren (§ 960 Abs. 3 BGB). Die bewusste Eigentumsaufgabe an anderen Sachen (z. B. der Leser lässt die ihm gehörende Zeitung im Zug liegen) und die Besitzaufgabe hieran lässt sich durch die Begleitumstände erkennen.[5]

Herrenlosigkeit bei Abfall

Kompliziert ist die Lösung der Alltagsfrage im Hinblick auf die Bereitstellung der Mülltonnen oder das Abstellen von Sperrmüll für die Müllabfuhr. Dabei sind nach dem Abfallrecht nur diejenigen Abfälle herrenlos, für die es keinen Abfallbesitzer gibt (z.B. § 3 Abs. 6 brandenburgisches Kreislaufwirtschafts- und Bodenschutzgesetz). Als Abfallbesitzer gilt jede natürliche oder juristische Person, die tatsächliche Sachherrschaft über Abfälle hat; das sind meist öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger. Herrenlos ist damit nur derjenige Abfall, der auf den für die Allgemeinheit frei zugänglichen Grundstücken verbotswidrig abgelagert wird. Sperrmüll ist nur dann herrenlos, wenn er nicht Teil von öffentlichen Sammelaktionen im Rahmen einer Sperrmüllabholung darstellt. Ob allerdings aus § 13 KrW/AbfG ein Dereliktionsverbot abgeleitet werden kann, ist umstritten.[6] In der Regel wird mit der Abfallentstehung die Einforderung einer öffentlichen Dienstleistung nach dem Abfallgesetz verbunden sein. Die zivilrechtliche Dereliktion und die abfallrechtliche Entledigung stimmen deshalb meistens nicht überein.[7] Wirft jemand achtlos eine Sache weg, so ist dies abfallrechtlich unzulässig, da Abfälle immer einem Entsorgungspflichtigen zu überlassen sind (§ 3 Abs. 1 AbfG); zivilrechtlich ist die Person aber nicht gehindert, ihr Eigentum und ihren Besitz hieran jederzeit aufzugeben. Auskunft gibt im Zweifel die örtliche Abfallsatzung.

Leichnam

Die Beurteilung eines Leichnams im Hinblick auf die Herrenlosigkeit ist umstritten. Der Leichnam ist zivilrechtlich keine Sache. Die in ihm enthaltenen künstlichen Sachen (wie Prothesen, Herzschrittmacher, künstlichen Organe oder Goldzähne) erhalten nach dem Tod und ihrer Trennung vom Leichnam ihre Sacheigenschaft zurück, werden nach Trennung vom Leichnam herrenlos und unterliegen dem Aneignungsrecht der Familienangehörigen[8] oder Erben des Verstorbenen.[9] Werden diese künstlichen Sachen noch zu Lebzeiten vom Körper getrennt (etwa wegen Austauschs), so ist nach herrschender Meinung § 953 BGB analog anwendbar; mit ihrer Trennung stehen sie im Eigentum dessen, mit dessen Körper sie bisher fest verbunden waren. Ein Leichnam ist nach herrschender Auffassung nicht herrenlos, da § 168 StGB (Störung der Totenruhe) von einem „Gewahrsam“ des „Berechtigten“ an der Leiche ausgeht.[10]

Aneignung

Nimmt jemand herrenlose Sachen an sich, spricht man von Okkupation. Die Aneignung herrenlosen Gutes ist ein Unterfall des originären Eigentumserwerbs. Eigentümer durch Aneignung wird, wer eine herrenlose Sache in Eigenbesitz nimmt. Der Eigenbesitzer besitzt die herrenlose Sache „als ihm gehörend“ (§ 872 BGB). Voraussetzung für eine Aneignung ist jedoch, dass das Aneignungsrecht nicht kraft Gesetzes jemand anderem zusteht wie im Jagd- und Fischereirecht. Ein Aneignungsrecht steht hier lediglich dem Grundstückseigentümer zu. Nimmt der Berechtigte diesen Fang in Besitz, wird er auch Eigentümer. Der Wilderer hingegen erlangt hieran durch unberechtigte Aneignung kein Eigentum, vielmehr bleiben diese Tiere herrenlos.[11] Deshalb ist die freie Aneignung fast nur noch bei wertlosen Sachen möglich (eingeschränkt bei Müll und Sperrmüll). Die freie Aneignung wirtschaftlich wertvoller Sachen ist auf die Fischerei im offenen Meer und Küstengewässer beschränkt.[12]

Eignet sich jemand eine Sache an, von der er irrig meint sie sei herrenlos, sie gehört aber in Wirklichkeit jemand anderem, so handelt es sich um besitzlose Sachen. Entweder gilt der Aneignende als Finder (bei verlorengegangenen Sachen), Wilderer (bei Fischen in stehenden Gewässern und jagdbarem Wild) oder Schatzfinder. In diesen Fällen hat der wirkliche Eigentümer, dem nur der Besitz abhandengekommen ist, einen Herausgabeanspruch (§ 985 BGB)[13] bzw. Anspruch auf hälftigen Anteil am Schatzfund (§ 984 BGB).

Strafrecht

Auch dem deutschen Strafrecht ist die Herrenlosigkeit nicht unbekannt. Diebstahl ist die Wegnahme fremder Sachen (§ 242 StGB). Eine Sache ist fremd, wenn sie verkehrsfähig und nicht herrenlos ist und auch nicht im Alleineigentum des Täters steht. Daraus ergibt sich, dass die Wegnahme herrenloser Sachen niemals Diebstahl sein kann. An herrenlosen Sachen kann auch keine Sachbeschädigung begangen werden (§ 303 StGB).

Schweiz

Zur Dereliktion des Eigentums an einer beweglichen Sache genügt in objektiver Hinsicht das willentliche Preisgeben und Verlassen der Sache. Gemäß dem Publizitätsprinzip muss die Besitzaufgabe tatsächlich und definitiv durchgeführt werden; dem Aufgebenden darf nach erfolgter Eigentumsaufgabe kein Gewahrsam an der Sache mehr zustehen. Auch bei Grundstücken ist in der Schweiz nach Art. 964 Abs. 1 ZGB die Eintragung erforderlich, ein vorrangiges Aneignungsrecht des Staates ist hingegen unbekannt. Nach Art. 664 ZGB gehören „herrenlose und öffentliche Sachen“ wie Berge, Gletscher und andere kulturunfähige Güter dem Kanton. Anders als in Deutschland ist lediglich die Behandlung von Abfall. In der Schweiz („was weggeworfen wird und nicht für Dritte bestimmt ist, gehört niemanden mehr“) ist jede Art von Abfall herrenlos.

Österreich

Auch in Österreich ist Herrenlosigkeit bekannt und wird rechtlich wie in Deutschland beurteilt. Herrenlose Sachen werden in Österreich „freistehende Sachen“ genannt (§ 386 ABGB). Sachen, die nur zum Gebrauch überlassen werden (wie Straßen, Flüsse, Seehäfen und Meeresufer (!)) heißen hier öffentliches Gut. Herrenlosigkeit entsteht auch durch eine erbenlose Verlassenschaft. In Österreich können außerdem herrenlose Grundstücke von jedem Staatsbürger angeeignet werden (§ 382 ABGB). Freistehende Sachen können durch Zueignung (= Aneignung) in Besitz genommen und als die eigene behandelt werden (§ 381 ABGB). Die Preisgabe erfolgt durch Besitzaufgabe, die aus den Umständen eindeutig erkennbar sein muss. Die Beweispflicht obliegt demjenigen, der sich auf die Herrenlosigkeit beruft.[14] In Österreich verhindern Sondervorschriften wie die Abfallbeseitigungs- und Müllabfuhrgesetze die Herrenlosigkeit des Abfalls, da ein entschädigungsloser Erwerb durch Gemeinden vorgesehen ist.[14]

Einzelnachweise

  1. Johannes Denecke, Das Bürgerliche Gesetzbuch, Band 1, 1953, S. 83.
  2. Kurt Schellhammer, Sachenrecht nach Anspruchsgrundlagen, 2009, S. 142.
  3. Jeder kann sich herrenlose Liegenschaft aneignen, Volksstimme.de vom 29. Januar 2014.
  4. Johannes Denecke, Das Bürgerliche Gesetzbuch, Band 1, 1953, S. 148.
  5. Harm Peter Westermann, Sachenrecht, 2011, S. 516.
  6. Wolfgang Brehm, Sachenrecht, 2006, S. 458.
  7. Michael Kotulla (Hrsg.), Umweltrecht und Umweltpolitik, 1998, S. 78.
  8. RGSt 64, 515.
  9. Wilhelm Weimar, JR 1979, 363, 364
  10. Gert Brüggemeier, Haftungsrecht: Struktur, Prinzipien, Schutzbereich, 2006, S. 220.
  11. Leipziger Kommentar, Band 8, §§ 242-262, 2010, S. 63.
  12. Harm Peter Westermann, Sachenrecht, 2011, S. 514.
  13. Johannes Denecke, Das Bürgerliche Gesetzbuch, Band 1, 1953, S. 96.
  14. a b Helmut Koziol (Hrsg.), Kurzkommentar zum ABGB, 2007, S. 363.