„Thaumaturgie“ – Versionsunterschied
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'''Thaumaturgie''' ([[Altgriechische Sprache|griech.]] θαυματουργός „Wundertäter“, zu θαῦμα „Wunder“ und ἔργον „Arbeit“) oder '''Wundertätigkeit''' bedeutet so viel wie das Vermögen, Wunder bewirken zu können. ''Thaumaturg'' ist der Beiname mehrerer griechischer [[Heiliger]], zum Beispiel von [[Nikolaus von Myra|Nikolaus dem Wundertäter]]. Ganz allgemein werden damit auch Wunder bewirkende Menschen bezeichnet. Die [[Thaumatologie]] ist in der Theologie die Lehre von den [[Wunder]]n. |
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== Könige als Thaumaturgen == |
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⚫ | Bis weit in die [[Neuzeit]] wurden die französischen und englischen [[König]]e als [[Geistheilung|Heiler]] verehrt. In [[Frankreich]] wird der Beginn dieses Glaubens auf die Regierungszeit [[Philipp I. (Frankreich)|Philipps I.]] (ca. 1059–1108) datiert, in England auf [[Eduard der Bekenner|Eduard den Bekenner]]. Der König sollte die [[Skrofulose|Skrofeln]] durch Handauflegen heilen können. Der Begriff Skrofeln leitet sich vom lateinischen Wort ''scrofula'' ab, welches so viel wie „Halsdrüsengeschwulst“ bedeutet. Darunter wurden im Mittelalter bis in die frühe Neuzeit Entzündungen der [[Lymphknoten]] sowie alle anderen Krankheiten am Hals bezeichnet, die sich durch Entzündungen und Vereiterungen zeigten. |
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⚫ | Die Heilung der Skrofeln wird als erstem [[Robert II. (Frankreich)|Robert dem Frommen]] in der ''Epitoma Vitae Regis Rotberti Pii'' des [[Helgaud von Fleury]] zugeschrieben. Da dieses Werk den [[Hagiographie|hagiographischen]] Mustern der damaligen Zeit folgt, ist nicht sicher, ob die königlichen Wunderheilungen tatsächlich stattfanden. |
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Bis weit in die [[Neuzeit]] hinein wurden die französischen und englischen [[König]]e als Wunderheiler verehrt. Der Beginn wird allgemein in [[Frankreich]] in der Regierungszeit [[Philipp I. (Frankreich)|Philipps I.]] gesehen und in England bei [[Eduard der Bekenner|Eduard dem Bekenner]]. |
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⚫ | |Text=Quid quod dominum nostrum Ludovicum regem consuetudinario uti videmus prodigio? Hos plane, qui scrophas circa jugulum, aut uspiam in corpore patiuntur, ad tactum eius, superadit crucis signo, vidi catervatim, me ei coherente et edam prohibente, concurrere. Quos tamen ille ingenita liberalitate, serena ad se manus obuncans, humillime consignabat. Cuius gloriam miraculi cum Philippus pater ejus alacriter exerceret, nescio quibus incidendbus culpis amisi. |
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⚫ | |Übersetzung=Was sage ich? Haben wir nicht gesehen, wie unser Herr, der König Ludwig, das gewohnte Wunder vollbrachte? Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie Kranke, die am Hals oder an anderen Teilen des Körpers von den Skrofeln befallen waren, in Massen herbeiströmten, um sich von ihm berühren zu lassen und das Kreuzeszeichen von ihm zu empfangen. Ich stand dort ganz nahe bei ihm und suchte sie sogar von ihm abzuhalten. Der König jedoch zog sie in seiner angeborenen Großmut mit der erlauchten Hand zu sich heran und bekreuzigte sie überaus demütig. Sein Vater Philipp hatte ebenfalls mit Eifer von dieser wunderbaren Kraft Gebrauch gemacht, doch verlor er sie durch mir unbekannte Sünden, die er auf sich lud.}} |
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⚫ | Es handelt sich bei der Heilung also um ein gewohntes (''consuetudinarius'') Wunder, das schon sein Vater ([[Philipp I. (Frankreich)|Philipp I.]]) vollbracht hatte. Spätestens seit diesem Zeitpunkt, also ca. 70 Jahre nach Robert dem Frommen, erwartet man dieses Wunder, und die Fähigkeit dazu wird vererbt. |
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⚫ | In [[England]] entsteht der Glaube an königliche Heilungskraft zu etwa der gleichen Zeit, wurde jedoch von den Zeitgenossen gerne in die Herrschaft [[Eduard der Bekenner|Eduard des Bekenners]] zurückverlegt. [[Wilhelm von Malmesbury]] schreibt in seiner ''Gesta regum Anglorum'', der Glaube, die Heilkraft Eduards habe in seinem königlichen Blut gelegen, sei ein [[Häresie|Irrglaube]]. Dies belegt, dass zu Wilhelms Zeiten dieser „Irrglaube“ verbreitet war. |
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Ab dem 9. Jh. sind sogenannte thaumaturgisch handelnde [[Rabbi (Gelehrter)|Rabbis]], sogenannte [[Ba‘al Schem|Ba'alei Shemot]] (Sg. {{heS|בַּעַל שֵׁם}}) bezeugt, die nach jüdischer Praxis der [[Kabbala]] Wunder taten. Erzählungen berichten von der Heilung verschiedener Gesundheitsprobleme, von [[Exorzismus|Exorzismen]], Eindämmungen von [[Epidemie]]n, Visionen, [[Traumdeutung]]en. Im Judentum vermittelten ähnliche Thaumaturgen schon vor der Entstehung des [[Talmud|talmudischen Judentums]] im 3. Jahrhundert zwischen irdischen Realitäten und spirituellen Bereichen. Im Mittelalter wurden pflanzliche Volksheilmittel, [[Amulett]]e, zeitgenössische medizinische Heilmittel sowie magische und mystische Lösungen in Übereinstimmung mit den traditionellen kabbalistischen Lehren sowie angepassten [[Isaak Luria|lurianischen Richtlinien]] verwendet.<ref>{{Internetquelle |url=https://jewishencyclopedia.com/articles/2249-ba-al-shem |titel=BA'AL SHEM - JewishEncyclopedia.com |abruf=2024-01-21}}</ref> Einer der prominentesten Ba'alei Schemot war [[Israel ben Elieser|Israel ben Eliezer]], ein polnischer Rabbiner und mystischer Heiler. Durch seine Lehren wurde die Anwendung der praktischen Kabbala in das [[Chassidismus|chassidische Judentum]] überführt. |
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Allgemein kann es sich so abgespielt haben, dass in England und Frankreich jeweils der "heilige" König der Ausgangspunkt war. Diese Heilkraft, die zuanfangs als persönliche Gabe durch besondere Heiligkeit verliehen wurde, entwickelte sich zu einer "skrofelspezialisierten Amtsheiligkeit", die mit dem königlichen Blute weitervererbt wurde. |
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==Siehe auch== |
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*[[Handauflegen]] |
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== Bibliographie == |
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Das bis heute immer noch wichtigste Buch über Könige als Thaumaturgen: |
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Neuestes deutschsprachiges Buch über dieses Thema, das im ersten Kapitel auch auf Könige als Thaumaturgen eingeht: |
Neuestes deutschsprachiges Buch über dieses Thema, das im ersten Kapitel auch auf Könige als Thaumaturgen eingeht: |
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* Franz-Reiner Erkens ''Herrschersakralität im Mittelalter. Von den Anfängen bis zum Investiturstreit'' Stuttgart |
* [[Franz-Reiner Erkens]]: ''Herrschersakralität im Mittelalter. Von den Anfängen bis zum Investiturstreit.'' Stuttgart 2006. |
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== Einzelnachweise == |
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[[Kategorie: |
[[Kategorie:Glaube und Dogma]] |
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[[Kategorie:Magie]] |
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[[ru:Тавматургия]] |
Aktuelle Version vom 30. Juni 2024, 04:12 Uhr
Thaumaturgie (griech. θαυματουργός „Wundertäter“, zu θαῦμα „Wunder“ und ἔργον „Arbeit“) oder Wundertätigkeit bedeutet so viel wie das Vermögen, Wunder bewirken zu können. Thaumaturg ist der Beiname mehrerer griechischer Heiliger, zum Beispiel von Nikolaus dem Wundertäter. Ganz allgemein werden damit auch Wunder bewirkende Menschen bezeichnet. Die Thaumatologie ist in der Theologie die Lehre von den Wundern.
Berühmte Thaumaturgen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Könige als Thaumaturgen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Bis weit in die Neuzeit wurden die französischen und englischen Könige als Heiler verehrt. In Frankreich wird der Beginn dieses Glaubens auf die Regierungszeit Philipps I. (ca. 1059–1108) datiert, in England auf Eduard den Bekenner. Der König sollte die Skrofeln durch Handauflegen heilen können. Der Begriff Skrofeln leitet sich vom lateinischen Wort scrofula ab, welches so viel wie „Halsdrüsengeschwulst“ bedeutet. Darunter wurden im Mittelalter bis in die frühe Neuzeit Entzündungen der Lymphknoten sowie alle anderen Krankheiten am Hals bezeichnet, die sich durch Entzündungen und Vereiterungen zeigten.
Die Heilung der Skrofeln wird als erstem Robert dem Frommen in der Epitoma Vitae Regis Rotberti Pii des Helgaud von Fleury zugeschrieben. Da dieses Werk den hagiographischen Mustern der damaligen Zeit folgt, ist nicht sicher, ob die königlichen Wunderheilungen tatsächlich stattfanden.
Die Schrift De Pignoribus Sanctorum von Guibert, Abt von Nogent-sous-Coucy, enthält den folgenden Absatz:
„Quid quod dominum nostrum Ludovicum regem consuetudinario uti videmus prodigio? Hos plane, qui scrophas circa jugulum, aut uspiam in corpore patiuntur, ad tactum eius, superadit crucis signo, vidi catervatim, me ei coherente et edam prohibente, concurrere. Quos tamen ille ingenita liberalitate, serena ad se manus obuncans, humillime consignabat. Cuius gloriam miraculi cum Philippus pater ejus alacriter exerceret, nescio quibus incidendbus culpis amisi.“
„Was sage ich? Haben wir nicht gesehen, wie unser Herr, der König Ludwig, das gewohnte Wunder vollbrachte? Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie Kranke, die am Hals oder an anderen Teilen des Körpers von den Skrofeln befallen waren, in Massen herbeiströmten, um sich von ihm berühren zu lassen und das Kreuzeszeichen von ihm zu empfangen. Ich stand dort ganz nahe bei ihm und suchte sie sogar von ihm abzuhalten. Der König jedoch zog sie in seiner angeborenen Großmut mit der erlauchten Hand zu sich heran und bekreuzigte sie überaus demütig. Sein Vater Philipp hatte ebenfalls mit Eifer von dieser wunderbaren Kraft Gebrauch gemacht, doch verlor er sie durch mir unbekannte Sünden, die er auf sich lud.“
Es handelt sich bei der Heilung also um ein gewohntes (consuetudinarius) Wunder, das schon sein Vater (Philipp I.) vollbracht hatte. Spätestens seit diesem Zeitpunkt, also ca. 70 Jahre nach Robert dem Frommen, erwartet man dieses Wunder, und die Fähigkeit dazu wird vererbt.
In England entsteht der Glaube an königliche Heilungskraft zu etwa der gleichen Zeit, wurde jedoch von den Zeitgenossen gerne in die Herrschaft Eduard des Bekenners zurückverlegt. Wilhelm von Malmesbury schreibt in seiner Gesta regum Anglorum, der Glaube, die Heilkraft Eduards habe in seinem königlichen Blut gelegen, sei ein Irrglaube. Dies belegt, dass zu Wilhelms Zeiten dieser „Irrglaube“ verbreitet war.
Das Ende der Ausübung des Heilkultes und damit auch das Ende dieses Volksglaubens kam in England mit der Herrschaft des Hauses Hannover (seit 1714) und in Frankreich mit der Französischen Revolution.
Rabbis als Wundertäter
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Ab dem 9. Jh. sind sogenannte thaumaturgisch handelnde Rabbis, sogenannte Ba'alei Shemot (Sg. hebräisch בַּעַל שֵׁם) bezeugt, die nach jüdischer Praxis der Kabbala Wunder taten. Erzählungen berichten von der Heilung verschiedener Gesundheitsprobleme, von Exorzismen, Eindämmungen von Epidemien, Visionen, Traumdeutungen. Im Judentum vermittelten ähnliche Thaumaturgen schon vor der Entstehung des talmudischen Judentums im 3. Jahrhundert zwischen irdischen Realitäten und spirituellen Bereichen. Im Mittelalter wurden pflanzliche Volksheilmittel, Amulette, zeitgenössische medizinische Heilmittel sowie magische und mystische Lösungen in Übereinstimmung mit den traditionellen kabbalistischen Lehren sowie angepassten lurianischen Richtlinien verwendet.[1] Einer der prominentesten Ba'alei Schemot war Israel ben Eliezer, ein polnischer Rabbiner und mystischer Heiler. Durch seine Lehren wurde die Anwendung der praktischen Kabbala in das chassidische Judentum überführt.
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Marc Bloch, Les rois thaumaturges. Paris 1924. Deutsche Ausgabe: Die wundertätigen Könige. Beck, München 1998, ISBN 3-406-44053-3.
Aufsätze über Könige als Thaumaturgen:
- Werner Tietz: Rex humillimus. Heiligkeit bei Helgaud von Fleury. In: Hagiographica; Journal of Hagiographie and Biographie of Società internazionale per lo studio del Medio Evo Latino Band IV. Florenz 1997, S. 113–132.
- Joachim Ehlers: Der wundertätige König in der monarchischen Theorie des Früh- und Hochmittelalters. In: P. Heinig, S. Jahns u. a. (Hrsg.): Reich, Regionen und Europa in Mittelalter und Neuzeit. Festschrift für Peter Moraw. Berlin 2000, S. 3–19.
Neuestes deutschsprachiges Buch über dieses Thema, das im ersten Kapitel auch auf Könige als Thaumaturgen eingeht:
- Franz-Reiner Erkens: Herrschersakralität im Mittelalter. Von den Anfängen bis zum Investiturstreit. Stuttgart 2006.
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ BA'AL SHEM - JewishEncyclopedia.com. Abgerufen am 21. Januar 2024.