„Normativ“ – Versionsunterschied

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Der Begriff ''[[Norm]]'' ([[Latein|lat.]] „Winkelmaß, Richtschnur, Regel“) ist mehrdeutig. Das Adjektiv '''''normativ''''' wird nur für einen Teilbereich der Bedeutungen des Begriffs ''Norm'' verwendet:
Das Adjektiv '''''normativ''''' ist mehrdeutig. Es wird nur für einen Teilbereich der Bedeutungen des Begriffs ''Norm'' (von {{LaS|''norma''}}, ursprünglich ‚Winkelmaß‘, dann aber auch ''Richtschnur, Maßstab, Regel, Vorschrift'') verwendet:
* [[Soziale Norm]], konkrete Handlungsanweisungen für das [[Sozialverhalten]]
* Norm als Werteordnung innerhalb einer Gesellschaft, [[soziale Norm]]
* [[Normethik]], eine bestimmte Art ethischer Theorien
* Normen als ethische Werte und Maßstäbe, siehe [[Normethik]]
* [[Rechtsnorm]], eine gesetzliche Regelung oder Vorschrift
* Norm als eine rechtliche Vorschrift, [[Rechtsnorm]]
Zwischen diesen drei Bereichen gibt es Schnittmengen und [[Korrelation]]en.
Alle drei Normbereiche implizieren [[Regel (Richtlinie)|Regeln]], ein [[Sollen]] und / oder Müssen.


Zwischen diesen drei Bereichen gibt es Überschneidungen und [[Korrelation|Wechselbeziehungen]]. Alle drei Teilbereiche des ''Normativen'' beinhalten [[Regel (Richtlinie)|Regeln]], ein [[Sollen]] und/oder Müssen, vgl. [[Moral]].
'''Normativität''' ist ein in vielen Bereichen übliches Konzept, das u. a. in der [[Philosophie]], im [[Rechtswesen]] und in den Kultur- und [[Sozialwissenschaft]]en verwendet wird. Es gibt zwei große Gruppen von Gedanken (z. B. Theorien), nämlich deskriptive (beschreibende) und normative. Mit dieser Dualität beschäftigt sich unter anderem die [[Wissenschaftstheorie]].


Bei einigen Forschungsansätzen ist ''normativ'' ein Namensbestandteil (zum Beispiel [[normativ-ontologisch]]e Ansätze).
'''Normativität''' ist ein in vielen Bereichen übliches Konzept, das u. a. in der [[Philosophie]], in der [[Rechtswissenschaft]] und in den Kultur- und [[Sozialwissenschaft]]en verwendet wird. Es gibt zwei große Gruppen von Gedanken (z. B. Theorien), nämlich deskriptive (beschreibende) und präskriptive (vorschreibende) normative. Mit dieser Dualität beschäftigt sich unter anderem die [[Wissenschaftstheorie]]. Bei einigen Forschungsansätzen ist ''normativ'' ein Namensbestandteil (zum Beispiel [[normativ-ontologisch]]e Ansätze).

In der Rechtswissenschaft hat der Begriff mehrere Bedeutungen.


== Philosophie ==
== Philosophie ==
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Erst im 18. Jahrhundert wies [[David Hume]] darauf hin, dass es diesen [[Logik|logischen]] Unterschied zwischen wertenden und beschreibenden Sätzen gibt ([[Humes Gesetz]]). Verschiedene philosophische Schulen beschäftigen sich mit der Frage nach der [[Rationalität]] und objektiven Begründbarkeit normativer Sätze. Während Ansätze wie die von [[Platon]], [[Aristoteles]] über [[Kant]] bis [[Jürgen Habermas|Habermas]] von dieser Möglichkeit ausgehen, bestreiten dies neben anderen die [[Politische Theorie und Ideengeschichte#Empirisch-analytischer Ansatz|empirisch-analytisch]] arbeitenden Schulen (z. B. [[logischer Empirismus]]).
Erst im 18. Jahrhundert wies [[David Hume]] darauf hin, dass es diesen [[Logik|logischen]] Unterschied zwischen wertenden und beschreibenden Sätzen gibt ([[Humes Gesetz]]). Verschiedene philosophische Schulen beschäftigen sich mit der Frage nach der [[Rationalität]] und objektiven Begründbarkeit normativer Sätze. Während Ansätze wie die von [[Platon]], [[Aristoteles]] über [[Kant]] bis [[Jürgen Habermas|Habermas]] von dieser Möglichkeit ausgehen, bestreiten dies neben anderen die [[Politische Theorie und Ideengeschichte#Empirisch-analytischer Ansatz|empirisch-analytisch]] arbeitenden Schulen (z. B. [[logischer Empirismus]]).


Unterschieden werden muss, besonders wenn der Begriff ''normativ'' im Zusammenhang mit Theorien gebraucht wird, zwischen normativen Theorien und [[teleologisch]]en Theorien. Im Gegensatz zu teleologischen Theorien versuchen normative Wissenschaften nicht das tatsächliche Vorgegebensein einer Norm oder eines Zieles an sich zu begründen. Normative Theorien setzten also eine Norm hypothetisch als gegeben voraus, ohne selbst zu begründen, ''warum'' man dieser Norm folgen soll. Allerdings beschreiben normative Theorien z. B., welche Bedingungen gegeben sein müssen oder welche Handlungen vollbracht werden müssen, um eine bestimmte Norm erfüllen zu können. Insofern sind normative Theorien selbst deskriptiv. Der Philosoph und Soziologe [[Georg Simmel]] drückt diesen Sachverhalt so aus:
Unterschieden werden muss, besonders wenn der Begriff ''normativ'' im Zusammenhang mit Theorien gebraucht wird, zwischen normativen Theorien und [[teleologisch]]en Theorien. Im Gegensatz zu teleologischen Theorien versuchen normative Wissenschaften nicht das tatsächliche Vorgegebensein einer Norm oder eines Zieles an sich zu begründen. Normative Theorien setzten also eine Norm hypothetisch als gegeben voraus, ohne selbst zu begründen, ''warum'' man dieser Norm folgen soll. Allerdings beschreiben normative Theorien z. B., welche Bedingungen gegeben sein müssen oder welche Handlungen vollbracht werden müssen, um eine bestimmte Norm erfüllen zu können. Insofern sind normative Theorien selbst deskriptiv. Der Philosoph und Soziologe [[Georg Simmel]] drückt diesen Sachverhalt so aus:


{{Zitat|Was man normative Wissenschaft nennt, ist tatsächlich nur Wissenschaft vom Normativen. Sie selbst normiert nichts, sondern sie erklärt nur Normen und ihre Zusammenhänge, denn Wissenschaft fragt stets nur kausal, nicht teleologisch, und Normen und Zwecke können wohl so gut wie alles andere den Gegenstand ihrer Untersuchung, aber nicht ihr eigenes Wesen bilden.<ref>Georg Simmel, Einleitung in die Moralwissenschaft. Eine Kritik der ethischen Grundbegriffe. I, 321 [http://socio.ch/sim/moral/moral_4.htm]</ref>}}
{{Zitat|Was man normative Wissenschaft nennt, ist tatsächlich nur Wissenschaft vom Normativen. Sie selbst normiert nichts, sondern sie erklärt nur Normen und ihre Zusammenhänge, denn Wissenschaft fragt stets nur kausal, nicht teleologisch, und Normen und Zwecke können wohl so gut wie alles andere den Gegenstand ihrer Untersuchung, aber nicht ihr eigenes Wesen bilden.<ref>Georg Simmel: ''Einleitung in die Moralwissenschaft. Eine Kritik der ethischen Grundbegriffe.'' I, S. 321 [https://socio.ch/sim/moral/moral_4.htm]</ref>}}


== Rechtswesen ==
== Rechtswissenschaft ==
In der [[Rechtswissenschaft]] sind verschiedene Bedeutungsnuancen zu unterscheiden.<ref name="hilgendorf2011">[[Eric Hilgendorf]]: [https://www.jura.uni-wuerzburg.de/fileadmin/02150100/Publikationen_Vita/III_126_Was_heisst_normativ.pdf ''Was heißt „normativ“? Zu einigen Bedeutungsnuancen einer Modevokabel.''] In: Matthias Mahlmann (Hrsg.): ''Gesellschaft und Gerechtigkeit''. Festschrift für [[Hubert Rottleuthner]]. Nomos, 2011, S. 45–61, 59.</ref>
In der Rechtswissenschaft sind zwei Grundbedeutungen zu unterscheiden:


In seiner Kernbedeutung bedeutet ''normativ'' im rechtswissenschaftlichen Gebrauch so viel wie ''bewertend'' und bezieht sich auf Aussagen oder – allgemeiner – Sätze. Danach sind Aussagen wie "Dieser Mensch ist gut" normativ.<ref name="hilgendorf2011"/>
Zunächst bezieht sich das Adjektiv ''normativ'' auf die [[Rechtsnorm]], also eine Maßnahme eines Trägers öffentlicher Gewalt, die einen abstrakten [[Sachverhalt]] generell, also für eine Vielzahl von Adressaten außerhalb des Trägers selbst (Außenwirkung), regelt. So sind ''Normativbestimmungen'' im [[Gesellschaftsrecht]] gesetzliche Vorschriften, die den Inhalt der Satzungen juristischer Personen regeln und im [[Arbeitsrecht]] die Inhalte eines [[Tarifvertrag]]s, die im Gegensatz zu schuldrechtlichen Bestimmungen die Arbeitsverhältnisse der Tarifgebundenen betreffen.<ref>Köbler, Gerhard: ''Juristisches Wörterbuch.'' 13. Auflage, Vahlen, München 2005.</ref><ref>Tilch, Horst/Arloth, Frank (Hrsg.): ''Deutsches Rechts-Lexikon.'' 3. Auflage, Beck, München 2001.</ref>


Das Adjektiv ''normativ'' beschreibt auch alle wertenden oder bewertenden [[Normativer Rechtsbegriff|Rechtsbegriffe]], die in einer gesetzlichen Regelung ([[Rechtsnorm]]) vorkommen, außerdem die Gesamtheit der gesetzlichen Regelungen als normative Ordnung.<ref>[[Jan-Reinard Sieckmann|Jan Sieckmann]]: ''Recht als normatives System. Die Prinzipientheorie des Rechts.'' Nomos, 2009, ISBN 978-3-8329-4115-4.</ref> Normativ ist aber auch die gesetzgebende Tätigkeit der Parlamente.
Vor allem unterscheidet man jedoch ''normative'' und ''deskriptive'' [[Tatbestandsmerkmal]]e innerhalb von Rechtsnormen. Ihre Bedeutung muss durch [[Interpretation]] wertend ausgefüllt werden. Dazu gehört zum Beispiel der Begriff ''fremd'' in {{§|242|stgb|dejure}} [[Strafgesetzbuch (Deutschland)|Strafgesetzbuch]] oder ''Treu und Glauben'' in {{§|242|bgb|dejure}} [[Bürgerliches Gesetzbuch]].<ref>Creifelds, Carl (Begr.)/Weber, Klaus (Hrsg.): ''Rechtswörterbuch.'' 20. Auflage, Beck, München 2011.</ref><ref>Tilch, Horst/Arloth, Frank (Hrsg.): Deutsches Rechts-Lexikon. 3. Auflage, Beck, München 2001.</ref>

Die Rechtswissenschaft und die Soziologie können als normative Wissenschaften bezeichnet werden, weil sie sich mit Rechtsnormen bzw. [[Soziale Norm|sozialen Normen]] befassen, interdisziplinär beispielsweise im [[Exzellenzcluster Normative Orders]].

Normativbestimmungen im [[Gesellschaftsrecht]] sind gesetzliche Vorschriften, die den Inhalt der Satzungen juristischer Personen regeln, im [[Arbeitsrecht]] gesetzliche Vorschriften, die die Inhalte eines [[Tarifvertrag]]s regeln, welche die Arbeitsverhältnisse der Tarifgebundenen betreffen.<ref>Köbler, Gerhard: ''Juristisches Wörterbuch.'' 13. Auflage, Vahlen, München 2005.</ref><ref name="tilch2001">Tilch, Horst/Arloth, Frank (Hrsg.): ''Deutsches Rechts-Lexikon.'' 3. Auflage, Beck, München 2001.</ref> Die Verabschiedung einer Satzung oder die Verhandlungen über einen Tarifvertrag sind normative Tätigkeiten, weil sie ihrerseits Normen setzen.

[[Normatives Tatbestandsmerkmal|Normative Tatbestandsmerkmale]] sind wertausfüllungsbedürftig (mehrdeutig) und erfordern eine juristische oder soziale Bewertung. Ihre Bedeutung ergibt sich aus einer bewertenden [[Auslegung (Recht)|Auslegung]]. Dazu gehören zum Beispiel der Begriff ''fremd'' in {{§|242|stgb|dejure}} [[Strafgesetzbuch (Deutschland)|StGB]] oder ''Treu und Glauben'' in {{§|242|bgb|dejure}} [[Bürgerliches Gesetzbuch|BGB]].<ref>Creifelds, Carl (Begr.)/Weber, Klaus (Hrsg.): ''Rechtswörterbuch.'' 20. Auflage, Beck, München 2011.</ref><ref name="tilch2001"/>


== Sozialwissenschaften ==
== Sozialwissenschaften ==
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Die [[Sozialpsychologie]] erforscht den ''[[Konformität#Normativer sozialer Einfluss|normativen sozialen Einfluss]]'', jenen Einfluss, den Gruppen auf das Verhalten von Individuen ausüben, weil diese nicht durch Verstoß gegen Gruppennormen unangenehm auffallen wollen.
Die [[Sozialpsychologie]] erforscht den ''[[Konformität#Normativer sozialer Einfluss|normativen sozialen Einfluss]]'', jenen Einfluss, den Gruppen auf das Verhalten von Individuen ausüben, weil diese nicht durch Verstoß gegen Gruppennormen unangenehm auffallen wollen.

In den [[Wirtschaftswissenschaft]]en wird zwischen [[positive und normative Ökonomik|positiver und normativer Ökonomik]] unterschieden.

== Allgemeiner Sprachgebrauch ==
Im allgemeinen Sprachgebrauch bedeutet ''normativ'' so viel wie ''maßgebend'', ''verbindlich'', ''als Richtschnur dienend''.<ref>{{Internetquelle |url=https://www.dwds.de/wb/normativ|titel=„normativ“, in: DWDS – Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache |hrsg=[[Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften]]|abruf=2023-05-15}}</ref>

== Normung ==
In der [[Normung]] wird ''normativ'' für die Aspekte einer Norm verwendet, die von jedem konformen System eingehalten werden müssen.<ref>{{Internetquelle |url=https://www.iso.org/obp/ui#home|titel=Online Browsing Platform (OBP) - Terms and Definitions|hrsg=[[ISO]] |abruf=2023-05-13}}</ref><ref name='iso-iec'>{{Internetquelle|url=https://www.iso.org/sites/directives/current/part2/index.xhtml
|titel=ISO/IEC Directives, Part 2, Principles and rules for the structure and drafting of ISO and IEC documents|hrsg=ISO IEC|datum=2021|abruf=2023-05-17}}</ref><ref>{{Internetquelle |url=https://boss.cen.eu/media/BOSS%20CEN/ref/ir3_d.pdf |titel=Geschäftsordnung – Teil 3, Regeln für den Aufbau und die Abfassung von CEN- und CENELEC Publikationen (ISO/IEC Directives — Part 2:2021, modifiziert) |hrsg=[[Europäisches_Komitee_für_Normung|CEN]]-[[CENELEC]] |datum=2022-07 |abruf=2023-05-13}}</ref>


== Siehe auch ==
== Siehe auch ==
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* [[Politische Theorie und Ideengeschichte]]
* [[Politische Theorie und Ideengeschichte]]
* [[Präskription]]
* [[Präskription]]
* [[Rechtswissenschaften]]
* [[Rechtsphilosophie]]
* [[Rechtsphilosophie]]
* [[Wiener Kreis]]
* [[Wiener Kreis]]
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== Literatur ==
== Literatur ==
* {{Literatur | Autor=Peter Stemmer | Titel=Normativität. Eine ontologische Untersuchung. | Verlag=Gruyter | Jahr=2008 | ISBN=978-3-11-020035-5}}
* {{Literatur | Autor=Peter Stemmer | Titel=Normativität. Eine ontologische Untersuchung. | Verlag=Gruyter | Jahr=2008 | ISBN=978-3-11-020035-5}}
* Tatjana Tarkian: ''Moral, Normativität und Wahrheit''. Paderborn: mentis, 2009, <nowiki>ISBN 978-3897852181</nowiki>.
* Tatjana Tarkian: ''Moral, Normativität und Wahrheit.'' mentis, Paderborn 2009, ISBN 978-3-89785-218-1.


== Quellen ==
== Quellen ==
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[[Kategorie:Metaethik]]
[[Kategorie:Metaethik]]
[[Kategorie:Sozialwissenschaft]]
[[Kategorie:Sozialwissenschaft]]
[[Kategorie:Rechtstheorie]]

Aktuelle Version vom 28. Mai 2024, 22:40 Uhr

Das Adjektiv normativ ist mehrdeutig. Es wird nur für einen Teilbereich der Bedeutungen des Begriffs Norm (von lateinisch norma, ursprünglich ‚Winkelmaß‘, dann aber auch Richtschnur, Maßstab, Regel, Vorschrift) verwendet:

Zwischen diesen drei Bereichen gibt es Überschneidungen und Wechselbeziehungen. Alle drei Teilbereiche des Normativen beinhalten Regeln, ein Sollen und/oder Müssen, vgl. Moral.

Normativität ist ein in vielen Bereichen übliches Konzept, das u. a. in der Philosophie, in der Rechtswissenschaft und in den Kultur- und Sozialwissenschaften verwendet wird. Es gibt zwei große Gruppen von Gedanken (z. B. Theorien), nämlich deskriptive (beschreibende) und präskriptive (vorschreibende) normative. Mit dieser Dualität beschäftigt sich unter anderem die Wissenschaftstheorie. Bei einigen Forschungsansätzen ist normativ ein Namensbestandteil (zum Beispiel normativ-ontologische Ansätze).

Philosophische Normativität gibt an, wie etwas sein sollte (englisch: ought). Normativ ist in der Philosophie in der Regel dem Attribut deskriptiv (beschreibend) als Beschreibung für Theorien und Begriffe entgegengesetzt. Deskriptive Aussagen sind Sätze über die Realität und können überprüft und gegebenenfalls auch widerlegt werden (Falsifikation). Normative Sätze geben vor, wie etwas sein soll, also wie etwas zu bewerten ist. In der Moralphilosophie wird beispielsweise normativ geklärt, ob etwas gut oder böse ist oder welche Handlungen moralisch geboten sind.

Erst im 18. Jahrhundert wies David Hume darauf hin, dass es diesen logischen Unterschied zwischen wertenden und beschreibenden Sätzen gibt (Humes Gesetz). Verschiedene philosophische Schulen beschäftigen sich mit der Frage nach der Rationalität und objektiven Begründbarkeit normativer Sätze. Während Ansätze wie die von Platon, Aristoteles über Kant bis Habermas von dieser Möglichkeit ausgehen, bestreiten dies neben anderen die empirisch-analytisch arbeitenden Schulen (z. B. logischer Empirismus).

Unterschieden werden muss, besonders wenn der Begriff normativ im Zusammenhang mit Theorien gebraucht wird, zwischen normativen Theorien und teleologischen Theorien. Im Gegensatz zu teleologischen Theorien versuchen normative Wissenschaften nicht das tatsächliche Vorgegebensein einer Norm oder eines Zieles an sich zu begründen. Normative Theorien setzten also eine Norm hypothetisch als gegeben voraus, ohne selbst zu begründen, warum man dieser Norm folgen soll. Allerdings beschreiben normative Theorien z. B., welche Bedingungen gegeben sein müssen oder welche Handlungen vollbracht werden müssen, um eine bestimmte Norm erfüllen zu können. Insofern sind normative Theorien selbst deskriptiv. Der Philosoph und Soziologe Georg Simmel drückt diesen Sachverhalt so aus:

„Was man normative Wissenschaft nennt, ist tatsächlich nur Wissenschaft vom Normativen. Sie selbst normiert nichts, sondern sie erklärt nur Normen und ihre Zusammenhänge, denn Wissenschaft fragt stets nur kausal, nicht teleologisch, und Normen und Zwecke können wohl so gut wie alles andere den Gegenstand ihrer Untersuchung, aber nicht ihr eigenes Wesen bilden.[1]

Rechtswissenschaft

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In der Rechtswissenschaft sind verschiedene Bedeutungsnuancen zu unterscheiden.[2]

In seiner Kernbedeutung bedeutet normativ im rechtswissenschaftlichen Gebrauch so viel wie bewertend und bezieht sich auf Aussagen oder – allgemeiner – Sätze. Danach sind Aussagen wie "Dieser Mensch ist gut" normativ.[2]

Das Adjektiv normativ beschreibt auch alle wertenden oder bewertenden Rechtsbegriffe, die in einer gesetzlichen Regelung (Rechtsnorm) vorkommen, außerdem die Gesamtheit der gesetzlichen Regelungen als normative Ordnung.[3] Normativ ist aber auch die gesetzgebende Tätigkeit der Parlamente.

Die Rechtswissenschaft und die Soziologie können als normative Wissenschaften bezeichnet werden, weil sie sich mit Rechtsnormen bzw. sozialen Normen befassen, interdisziplinär beispielsweise im Exzellenzcluster Normative Orders.

Normativbestimmungen im Gesellschaftsrecht sind gesetzliche Vorschriften, die den Inhalt der Satzungen juristischer Personen regeln, im Arbeitsrecht gesetzliche Vorschriften, die die Inhalte eines Tarifvertrags regeln, welche die Arbeitsverhältnisse der Tarifgebundenen betreffen.[4][5] Die Verabschiedung einer Satzung oder die Verhandlungen über einen Tarifvertrag sind normative Tätigkeiten, weil sie ihrerseits Normen setzen.

Normative Tatbestandsmerkmale sind wertausfüllungsbedürftig (mehrdeutig) und erfordern eine juristische oder soziale Bewertung. Ihre Bedeutung ergibt sich aus einer bewertenden Auslegung. Dazu gehören zum Beispiel der Begriff fremd in § 242 StGB oder Treu und Glauben in § 242 BGB.[6][5]

Sozialwissenschaften

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In den Sozialwissenschaften beschreibt normativ den Teil der gesellschaftlichen und kulturellen Strukturen, der die menschlichen sozialen Aktivitäten reguliert. Trotz vorhandener Regelverstöße (z. B. Verbrechen bei Rechtsnormen) führen diese gesellschaftlichen Normen zu einer homogenen, relativ stabilen Gesellschaftsordnung.

In der Soziologie bezeichnet man mit normativem Verhalten soziale Handlungen, die beabsichtigen, etwas gesellschaftlich akzeptabel zu machen, es quasi zu normalisieren.

Die Sozialpsychologie erforscht den normativen sozialen Einfluss, jenen Einfluss, den Gruppen auf das Verhalten von Individuen ausüben, weil diese nicht durch Verstoß gegen Gruppennormen unangenehm auffallen wollen.

In den Wirtschaftswissenschaften wird zwischen positiver und normativer Ökonomik unterschieden.

Allgemeiner Sprachgebrauch

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Im allgemeinen Sprachgebrauch bedeutet normativ so viel wie maßgebend, verbindlich, als Richtschnur dienend.[7]

In der Normung wird normativ für die Aspekte einer Norm verwendet, die von jedem konformen System eingehalten werden müssen.[8][9][10]

  1. Georg Simmel: Einleitung in die Moralwissenschaft. Eine Kritik der ethischen Grundbegriffe. I, S. 321 [1]
  2. a b Eric Hilgendorf: Was heißt „normativ“? Zu einigen Bedeutungsnuancen einer Modevokabel. In: Matthias Mahlmann (Hrsg.): Gesellschaft und Gerechtigkeit. Festschrift für Hubert Rottleuthner. Nomos, 2011, S. 45–61, 59.
  3. Jan Sieckmann: Recht als normatives System. Die Prinzipientheorie des Rechts. Nomos, 2009, ISBN 978-3-8329-4115-4.
  4. Köbler, Gerhard: Juristisches Wörterbuch. 13. Auflage, Vahlen, München 2005.
  5. a b Tilch, Horst/Arloth, Frank (Hrsg.): Deutsches Rechts-Lexikon. 3. Auflage, Beck, München 2001.
  6. Creifelds, Carl (Begr.)/Weber, Klaus (Hrsg.): Rechtswörterbuch. 20. Auflage, Beck, München 2011.
  7. „normativ“, in: DWDS – Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, abgerufen am 15. Mai 2023.
  8. Online Browsing Platform (OBP) - Terms and Definitions. ISO, abgerufen am 13. Mai 2023.
  9. ISO/IEC Directives, Part 2, Principles and rules for the structure and drafting of ISO and IEC documents. ISO IEC, 2021, abgerufen am 17. Mai 2023.
  10. Geschäftsordnung – Teil 3, Regeln für den Aufbau und die Abfassung von CEN- und CENELEC Publikationen (ISO/IEC Directives — Part 2:2021, modifiziert). CEN-CENELEC, Juli 2022, abgerufen am 13. Mai 2023.