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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 7

Mitleid beigelegt, aber man zweifelte doch immer an demselben. Die Götter lassen kein Unheil ungestraft, ja sie strafen dasselbe an den Nachkommen des Übelthäters, sogar an dem Gemeinwesen, dem er angehört; Belohnung der Guten dagegen findet nicht statt, versöhnende Gnade gibt es nicht. Die Gottheit erscheint von Neid gegen allzu großes Menschenglück und von der Furcht erfüllt, es könne ihrer Macht und Hoheit durch gewaltig sich erhebende, besonders vom Glück begünstigte Menschen Abbruch geschehen. Die Griechen hegten aber eine große Scheu und Ehrfurcht vor ihren Göttern und suchten den Willen derselben bei jedem einzelnen Vorhaben zu erforschen. Deshalb spielte die Mantik, die Kunst, göttliche Offenbarungen hervorzurufen, bei ihnen eine bedeutende Rolle. Auf der Scheu vor den Göttern beruht die Frömmigkeit; aus ihr geht auch das sittliche Handeln hervor, für welches zugleich auch die Rechtssatzung des Menschenlebens bestimmend ist. Alle Tugend beruht auf der Beobachtung des rechten Maßes, dessen Überschreitung Sünde ist und Strafe nach sich zieht. Früher wurde mitunter die Schuld an der Sünde den Göttern zugeschrieben, die spätere Zeit aber macht den Menschen für die mit Wissen und Willen begangenen Vergehen vollständig verantwortlich. Die den Sünder treffende Vergeltung ward als eine Sühne des Unrechts angesehen; doch mußte der Mensch die Götter durch demütige Unterwerfung zu versöhnen suchen, damit sie ihn von den Folgen der Sünde freimachten.

Was die Fortdauer nach dem Tod betrifft, so nimmt die Homerische Dichtung ein gefürchtetes Schein- oder Schattenleben im Hades an. Die Eleusinischen Mysterien boten zwar den Eingeweihten beruhigendere Vorstellungen über das Leben nach dem Tod, aber die Homerische Ansicht vom Hades blieb doch die vorherrschende. Ein Fortschritt war es, daß man glaubte, in der Unterwelt werde jede während des Lebens begangene Sünde bestraft, die Verstorbenen hätten Kenntnis von allem, was auf der Oberwelt vorginge, und lebten glücklich in Gemeinschaft mit den Göttern der Unterwelt. Die Gebildeten freilich sahen meist nur in dem Andenken bei der Nachwelt Fortleben und Unsterblichkeit.

Je dunkler für den Griechen das Jenseits war, desto leichter ist es begreiflich, daß er so sehr am Leben und an dessen Genüssen hing, ja daß nach Lockerung der religiösen Schranken Genußsucht und Gewinnsucht überhandnahmen. Die bestehende Religion wurde zuerst gefährdet durch die Philosophie, welche um 600 v. Chr. in den griechischen Kolonien Kleinasiens erwachte. In dem Mutterland war dies so bald noch nicht der Fall, vielmehr hob sich durch die Perserkriege das religiöse Bewußtsein im Volk und zeigte sich in dem Bestreben, die schönsten Götterbilder aufzustellen und prächtige Tempel zu bauen; doch wurde der Volksglaube bald erschüttert. Die Bekanntschaft mit auswärtigen Völkern, die veränderte Art des Lebens, die reichern und mannigfaltigern Anschauungen, der erwachende wissenschaftliche Geist und das prüfende philosophische Denken wirkten allmählich zersetzend auf die religiösen Überlieferungen ein, und es entstanden nun drei Richtungen des religiösen Lebens: eine atheistische, eine pantheistische und deistische, endlich eine ethische, welche, ohne den bestehenden Glauben anzutasten, sittlich hohe und reine Vorstellungen von der Gottheit zu gewinnen suchte. Letztere Richtung ging von Sokrates aus, und große Denker bekannten sich zu ihr; aber für den eigentlichen Volksglauben konnte sie natürlich auch keine Stütze werden. So viel nun auch von seiten des Staats für Aufrechthaltung des Volksglaubens gethan wurde, indem derselbe für den Kultus sorgte und gegen Unterlassung religiöser Pflichten, gegen Leugnung der Götter und Einführung fremder Gottesdienste strafend einschritt, so wenig konnte er den Verfall der Religiosität aufhalten. Der religiöse Glaube schwand vielmehr um so rascher, je mehr auch Sittenlosigkeit unter den Griechen einriß. Die alte einfache Sitte der Hellenen aber wich mit der seit den Perserkriegen steigenden Wohlhabenheit mehr und mehr, an ihre Stelle traten Leichtfertigkeit und Genußsucht, und durch den Peloponnesischen Krieg wurde die Sittlichkeit vollends untergraben. Kein Wunder daher, wenn fromme, religiöse Gesinnung immer seltener wurde, dagegen Unglaube und frevelhafter Spott gegen die Religion reißend schnell um sich griffen. Einen Ersatz für den vernichteten Glauben vermochte die Philosophie dem Volk nicht zu bieten, da ihre Lehren und das Verständnis derselben nur innerhalb des Kreises der Gebildeten blieben. Nach Alexanders Zeit konnte der Philosoph Euemeros, ein Zeitgenosse des Kassandros, bereits unter vielem Beifall den Satz aussprechen, die Götter seien ursprünglich nur verdiente Menschen gewesen, die man nach ihrem Tod wegen ihrer Großthaten verehrt habe. Wo aber noch das Bedürfnis einer Gottesverehrung vorhanden war, da führte es zur Hingabe an abergläubische und unsittliche orgiastische Kulte. Es ist das sogen. hellenistische Zeitalter, in welchem die Auflösung und völlige Zersetzung der Religion bei den Griechen erfolgte.

Die vornehmsten Bestandteile des religiösen Kultus waren Gebete und Gelübde, Reinigungen des Körpers, der Kleider, heiliger Geräte und Örter, teils bei Gebeten, Opfern und andern religiösen Handlungen, teils zur Entsündigung und Sühnung einzelner Menschen, Familien oder ganzer Völker, Opfer und andre Geschenke. Zur würdigen Verehrung der Götter wählte man geeignete Örter, besonders Berge und Haine, aus und sonderte sie von dem profanen Gebrauch ab (Temenos); später errichtete man daselbst sowie in den Städten besondere Tempel, die anfänglich bloß mit Opferaltären und rohen Idolen, wie Holzklötzen, Steinen etc., später mit Götterbildern versehen waren. Innerhalb des Kreises der Familie pflegte der Familienvater, bei öffentlichen, den ganzen Staat angehenden gottesdienstlichen Leistungen anfangs der König Gebete und Opfer zu verrichten. Daneben aber traten schon sehr frühzeitig eigentliche Priester auf, zu deren Amt außer den zum Kultus gehörigen Funktionen noch Raterteilung in religiösen Angelegenheiten, nie aber die Aufsicht über Lehrmeinungen oder öffentlicher Religionsunterricht gerechnet wurde. „Es stand keine bevorzugte Priesterkaste zwischen Göttern und Menschen; die Religion war Gewissenssache des einzelnen und die vollständige Ausübung des Gottesdienstes ein persönliches Recht jedes freien Mannes. Aber eines besondern Priestertums bedurfte es dennoch, damit der Opferdienst unabhängig von dem religiösen Gefühl und Bedürfnis des einzelnen und der Gottesdienst ein stetiger und regelmäßiger wäre und nach festem Herkommen verwaltet würde. Es konnte nun auch nicht jeder jedes Gottes Priester sein, sondern die Priestertümer waren an gewisse Geschlechter gebunden. Bildeten nun aber die Priester keinen besondern Stand, so waren sie und ihre Angehörigen dennoch wegen ihres nahen und persönlichen Verhältnisses zu den Göttern und wegen ihrer Kenntnis des den Göttern Zukommenden in den Augen des Volkes mit besonderer

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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 7. Bibliographisches Institut, Leipzig 1887, Seite 679. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b7_s0679.jpg&oldid=- (Version vom 16.5.2023)