Anonym: Edda | |
|
Gegenstand behandeln, sind uns dagegen in den Nibelungen in großer Ausführlichkeit überliefert, und wir werden ihren Inhalt ihres Orts zu vergleichen haben. Nur über die innere Form der eddischen Heldenlieder, denn die äußere haben wir schon in der Einleitung besprochen, stehe hier eine allgemeine Betrachtung, die wir nicht treffender als mit W. Grimms Worten D. Heldens. S. 365 geben könnten: „Die Eigentümlichkeit der eddischen Lieder beruht darin, daß zunächst die Absicht nicht dahin geht, den Inhalt der Sage darzustellen, den sie vielmehr als bekannt voraussetzen, sondern daß sie einen einzelnen Punkt, wie er gerade der poetischen Stimmung dieser Zeit zusagt, herausheben und auf ihn den vollen Glanz der Dichtung fallen laßen. Nur was zu seinem Verständniss dient, wird aus der übrigen Sage angeführt, oder daran wird erinnert. Eine Beziehung auf das zunächst Vorangegangene folgt vielleicht erst einer Andeutung der Zukunft, das Entfernte wird durch kühne Übergänge in die Nähe gerückt, und zu ruhiger Entfaltung und gleichförmigem epischen Fortschreiten gelangt diese Poesie nicht. Wo sie etwa den Anfang dazu macht, wird sie durch die Neigung zu lebhafter dramatischer Darstellung gestört, die überall durchbricht und dieser Betrachtungsweise völlig angemeßen scheint. Die schönsten Lieder gehen bald in Gespräche über, oder sind ganz darin abgefaßt; die erzählenden Strophen wahren nur den Zusammenhang. Auch im Einzelnen verläugnet sich nicht der Geist des Ganzen: oft wird ein bedeutender Zug allein herausgenommen, alles Übrige im Dunkel zurückgelaßen. So wird z. B. Sigurds Mord einmal nur mit wenigen Worten erzählt: „leicht wars Gutthorm anzureizen: das Schwert stand in Sigurds Herzen.“ Wie unzulänglich für epische Entwickelung und doch wie poetisch anschaulich! Das Erhabene der eddischen Lieder beruht auf diesem in der Höhe genommenen Standpunkt, wo das Auge über die Ebenen wegschauend nur auf hervorragenden Gipfeln verweilt. Der Ausdruck edel und einfach, aber scharf und genau bezeichnend, ist nur durch reiche und kühne Zusammensetzungen geschmückt; da wo es schwer und tiefsinnig wird, blitzt der Gedanke uns doch entgegen.“ An einer andern Stelle S. 9 sagt er: „Auch die Form der Eddalieder verdient Berücksichtigung, denn auf ähnliche Weise mochten die deutschen Vorbilder abgefaßt sein. Kürzere Gesänge, die zwar häufig den Gang andeuten und voraussetzen, aber doch nur bei einzelnen, besonders hervorgehobenen Punkten verweilen. Sie laßen sich meist in einer gewissen chronologischen Folge zu einem Ganzen ordnen. Überall ein genauer, höchst angemeßener Ausdruck, zwar ohne die Breite und sinnliche Ausführlichkeit der Nibelungennoth, man kann
Karl Simrock (Hrsg.): Die Edda, die ältere und jüngere, nebst den mythischen Erzählungen der Skalda, 6. Aufl., Stuttgart 1876, Seite 421. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Edda_(1876).djvu/429&oldid=- (Version vom 31.7.2018)