Anonym: Edda | |
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mit dem Horn und gab es dem Thor in die Hand. Da sprach Utgardloki: Aus diesem Horn scheint uns wohl getrunken, wenn es auf Einen Trunk leer wird; Einige trinken es auf den zweiten aus, aber Keiner ist ein so schlechter Trinker, der es nicht in dreien leerte. Thor sah sich das Horn an: es schien ihm nicht zu groß, obwohl ziemlich lang; er war aber auch sehr durstig. Er fing an zu trinken und schlang gewaltig und glaubte nicht nöthig zu haben, öfter abzusetzen und ins Horn zu sehen. Als ihm aber der Athem ausging, setzte er das Horn ab und sah zu, wie viel Trank noch übrig sei. Da schien es ihm ein sehr kleiner Betrag, um den das Horn jetzt leerer sei denn zuvor. Da sprach Utgardloki: Es ist wohl getrunken; aber doch nicht gar viel: ich hätte es nicht geglaubt, wenn mir gesagt worden wäre, daß Asathor nicht beßer trinken könne. Ich weiß aber, du wirst es beim zweiten Zug austrinken. Thor antwortete nichts, sondern setzte das Horn an den Mund und dachte nun einen größern Trank zu thun, und bemühte sich zu trinken so lang ihm der Athem vorhielt, sah aber doch, daß das Ende des Horns nicht so hoch hinauf wollte als er gewünscht hätte, und als er das Horn vom Munde nahm, schien es ihm als wenn nun noch weniger abgegangen wär als das erste Mal; doch konnte man das Horn nun tragen ohne zu verschütten. Da sprach Utgardloki: Wie nun, Thor? Willst du dich immer sparen, einen Trunk mehr zu thun als dir gut ist? Nun scheint mir, wenn du mit dem dritten Trunk das Horn leeren willst, so muß dieser Zug der gröste sein. Du wirst aber hier bei uns kein so großer Mann heißen können als wofür du bei den Asen giltst, wenn du in andern Spielen nicht mehr leistest als du mir in diesem zu vermögen scheinst. Da ward Thor zornig, setzte das Horn an den Mund und trank aus allen Kräften und so lang er trinken mochte und als er ins Horn sah, war doch nun mehr als zuvor ein Abgang bemerklich. Da gab er das Horn zurück und wollte nicht mehr trinken. Da sprach Utgardloki: Es ist nun offenbar, daß deine Macht nicht so groß ist als wir dachten. Denn man sieht nun, daß du hierin nichts vermagst. Thor antwortete: Ich will mich noch in andern Spielen versuchen; aber wunderlich würd es mich dünken, wenn ich daheim bei den Asen wäre und solche Trünke würden für klein geachtet. Doch welches Spiel wollt ihr mir nun anbieten? Da sprach Utgardloki: Junge Bursche pflegen hier, was wenig zu bedeuten scheint, meine Katze dort von der Erde aufzuheben, und nicht würd ich gedenken, solches dem Asathor anzumuthen, wenn ich nicht zuvor gesehen hätte, daß du viel weniger vermagst als ich dachte. Alsbald lief eine graue, ziemlich große Katze über den Estrich der Halle, Thor ging
Karl Simrock (Hrsg.): Die Edda, die ältere und jüngere, nebst den mythischen Erzählungen der Skalda, 6. Aufl., Stuttgart 1876, Seite 282. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Edda_(1876).djvu/290&oldid=- (Version vom 31.7.2018)