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Anonym: Edda

15
Da sank aufs Kissen   zurück die Königin,

Ihr Stirnband riß,   roth war die Wange,
Ein Regenschauer   rann in den Schooß.

16
Da jammerte Gudrun,   Giukis Tochter,

Die verhaltnen Thränen   tropften nieder,
Und hell auf schrieen   im Hofe die Gänse,
Die zieren Vögel,   die Zöglinge Gudruns.

17
Da sprach Gullrönd,   Giukis Tochter:

„Euch vermählte   die mächtigste Liebe
Von allen, die je   auf Erden lebten.
Du fandest außen   noch innen Frieden,
Schwester mein,   als bei Sigurd nur.“

18
Da sprach Gudrun,   Giukis Tochter:

„So war mein Sigurd   bei den Söhnen Giukis,
Wie hoch aus Halmen   sich hebt edel Lauch,
Oder ein blitzender Stein   am Bande getragen,
Ein köstlich Kleinod,   über Könige scheint.

19
„So daucht auch ich   den Degen des Königs

Höher hier   als Herians Disen.
Nun lieg ich verachtet   dem Laube gleich,
Das im Forste fiel,   nach des Fürsten Tod.

20
„Nun miss ich beim Male,   miss ich im Bette

Den süßen Gesellen:   das schufen die Giukungen.
Die Giukungen schufen   mir grimmes Leid,
Schufen der Schwester   endlosen Schmerz.

21
„So habt ihr den Leuten   das Land verwüstet

Wie ihr übel   die Eide hieltet.
Nicht wirst du, Gunnar,   des Goldes genießen:
Dir rauben die rothen   Ringe das Leben,
Weil du Sigurden   Eide schwurst.

22
„Oft war im Volk   die Freude größer,

Als mein Sigurd   den Grani sattelte,
Und sie um Brynhild   zu bitten fuhren,
Die unselige,   zu übelm Heil.“

Empfohlene Zitierweise:
Karl Simrock (Hrsg.): Die Edda, die ältere und jüngere, nebst den mythischen Erzählungen der Skalda, 6. Aufl., Stuttgart 1876, Seite 205. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Edda_(1876).djvu/213&oldid=- (Version vom 31.7.2018)