RE:Euripides 4
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft | |||
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att. Tragiker im 5. Jh. v. Chr. | |||
Band VI,1 (1907) S. 1242 (IA)–1281 (IA) | |||
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Leben und Person
4) Euripides aus Athen, der Tragiker. Als Quellen für sein Leben stehen zunächst einige antike Kompilationen zur Verfügung. Ein γένος, das in einigen Hss. erhalten ist, bildet selbst [1243] wieder eine Kompilation mehrerer Kompilationen etwa gleichen Wertes. Aus diesem γένος, das damals noch umfangreicher in den Hss. des E. gestanden haben wird, hat Gellius entweder selbst genommen, was er n. a. XV 20 gibt, oder ein Mittelsmann, den er benutzt (XVII 4, 3 zitiert er für eine Angabe, die auch das γένος und Suidas haben, Varro). Endlich bewahrt Suidas einen parallelen Notizenkomplex. Es wird dem allen ein γένος zu Grunde liegen, das einer Ausgabe von Tragödien des E. beigegeben war, mindestens schon im 1. Jhdt. v. Chr., wenn Varro es übernahm (den Stand der Tradition bis zu dieser Zeit zeigt auch der βίος des Sophokles), spätestens bis zum 2. Jhdt. n. Chr., da Gellius es haben konnte. Der Grundstock stammt wohl von einem Alexandriner des 3. bis 2. Jhdts. (v. Wilamowitz[WS 1] Her. I¹ 12 setzt 230–130). Direkt zitiert werden für bestimmte Angaben Theopomp (Gell. XV 20, 1), Eratosthenes (Vita p. 3, 3 Schwartz), Philochoros (Vita p. 3, 3. Gell. XV 20, 5. Suidas für drei verschiedene Angaben), Hermippos (Vita p. 5, 14); Verse z. Β. des Alexander Aitolos (Gell. XV 20, 8). Der Prozeß des Zufügens und Auslassens ist natürlich nur sehr allmählich, niemals ganz bis zu den Überlieferungen, die wir haben, zum Stillstand gekommen. Das γένος ist am besten ediert in der Scholienausgabe von Eduard Schwartz[WS 2] (s. u.), über die Komposition des βίος handelt am schärfsten und eingehendsten Leo Die griech.-röm. Biographie 24ff. Die einzelnen Notizen, die wir außer den genannten Überlieferungen in antiker Literatur besitzen, finden sich am vollständigsten in Naucks[WS 3] Ausführungen De Euripidis vita poesi ingenio vor seiner Ausgabe I p. Xff. Kurze aktenmäßige Zusammenstellung bei Kirchner[WS 4] Prosopographia attica I 386ff. (nr. 5953). Die einschneidendste und wertvollste Behandlung des Lebens des E. ist die von v. Wilamowitz Herakles I¹ 1ff. (weiteres s. u.).
Das Todesjahr des E. ist nach der parischen Chronik Ol. 93, 2 = 407/6. Die Richtigkeit der Angabe ist zu beweisen. Als die Frösche des Aristophanes an den Lenaeen 405 (Januar) aufgeführt wurden, war E. vor kurzem gestorben; er war tot, als Aristophanes den Plan des Stückes entwarf. Sophokles starb nach E. Am Proagon der Dionysien 406 (März) soll Sophokles zu Ehren des verstorbenen E. den Chor ohne Kränze haben auftreten lassen; eine durchaus wahrscheinliche Angabe. Im Winter 407/6 muß E. gestorben sein. Eratosthenes und Apollodor gaben 406/5 (480 geboren, 75 Jahre alt geworden), s. Jacoby Apollodors Chronik 250ff. Das Geburtsjahr konnte man auch bei E. wie meist im Altertum nur berechnen, und zwar entweder nach Angaben oder Erinnerungen, wie alt E. gewesen, als er starb, oder nach dem Datum der ersten Aufführung 455, indem man schloß, daß er damals mindestens 20 Jahre alt sein mußte. Man kam so auf approximative Zahlen. Es ist sehr begreiflich, daß man 480 angab, und nun hatte in demselben Jahr Aischylos in der Schlacht mitgekämpft, Sophokles den Siegesreigen getanzt, E. wurde auf Salamis geboren. So gab auch Eratosthenes, der den E. 75 Jahre alt werden ließ. Wer den E. 455 20jährig annahm, rechnete 70 Jahre Lebenszeit. So gab Philochoros [1244] nicht an, sondern gegen diese Rechnung betont er, daß E. gestorben sei ὑπὲρ τὰ ἐβδομήκοντα γεγονώς (Vita p. 3, 3). Soviel wird er aus Angaben von Leuten, die das noch wissen konnten, festgestellt haben. Gibt nun die parische Chronik 484, so können hier immerhin begründete Angaben über das Alter des E. bei seinem Tode zu Grunde liegen; jedenfalls halte ich uns nicht für berechtigt, der Zahl der Chronik, die den Synchronismus von 480 nicht mitmacht, das nachweisbar richtige Todesjahr gibt, als veranlaßt durch den Ansatz des ersten Sieges des Aischylos auch nur symbolische Bedeutung beizumessen (v. Wilamowitz a. a. O. 5, von dem ich nur in diesem Punkte der Beurteilung der Daten abweiche, vgl. Mendelssohn Acta societ. phil. Lips. II 176f. 180; v. Wilamowitz gab Anal. Eurip. 148, 3 das Geburtsjahr 484). Die Eltern des E. hießen Mnesarchides oder Mnesarchos (ein häufiger Wechsel der Namensformen bei der gleichen Person) und Kleito. Die γένος-Überlieferung gibt an, daß der Vater Höker gewesen sei, die Mutter Gemüsehändlerin, sie hätten in Boiotien gewohnt, wohin sie hätten fliehen müssen, dann in Attika als Metoeken; nach einer Erzählung bei Nikolaos von Damaskos frg. 113, FHG III 458 wurde dem bankerotten und verschuldeten Vater des E. sogar auf dem Markte der κόφινος aufgesetzt (vgl. Crusius Mélanges Weil 87). Es ist zu beweisen, daß dies alles nicht wahr sein kann, zum Teil bezeugtermaßen nicht wahr ist. Bei Suidas ist der Satz erhalten: οὐκ ἀληθὲς δὲ ὡς λαχανόπωλις ἦν ἡ μήτηρ αὐτοὺ· καὶ γὰρ τῶν σφόδρα εὐγενῶν ἐτύγχανεν, ὡς ἀποδείκνυσι Φιλάγορος. Des Philochoros Zeugnis gilt: sie war hochadelig. Mnesarchides war aus dem Demos Phlya der kekropischen Phyle, auch E. heißt Φλυεύς IG II 973. 992, vgl. Harpokr. Suid. s. Φλυεία. Nun bezeugt Theophrastos bei Athen. X 424 e mit ausdrücklicher Berufung auf ein Schriftstück im δαφνηφορεῖον in Phlya: Εὐριπίδης ᾠνοχόει Ἀθήνησι τοῖς ὀρχησταῖς καλουμένοις. ὠρχοῦντο δὲ οὗτοι περὶ τὸν τοῦ Ἀπόλλωνος νεῶν τοῦ Δηλίου τῶν πρώτων ὄντες Ἀθηναίων. ὁ δὲ Ἀπόλλων οὗτός ἐστιν, ᾧ τὰ Θαργήλια ἄγουσι. Eine andere Überlieferung in der Vita p. 2, 4 (eine Quelle ist nicht angegeben) besagt von Ε. γενέσθαι δὲ αὐτὸν καὶ πυρφόρον τοῦ Ζωστηρίου Ἀπόλλωνος und gibt damit ein anderes Zeugnis der Beziehung des E. und seines Geschlechtes zum Apollonkult. Dies Geschlecht muß mindestens sehr angesehen und alteingesessen gewesen sein. Der Vater hatte auch Besitz in Salamis, den E. ererbte. Von der Grotte, die man späterhin zeigte als den Ort da E. gedichtet habe, hatte schon Philochoros gesprochen (Gell. XV 20, 5); daß E. auf Salamis geboren sei, ist möglich, aber nicht gut bezeugt; diese Angabe könnte sehr wohl durch den erwähnten Synchronismus veranlaßt sein. Ist sie aber richtig, so hat der Preis von Salamis Troad. 799ff. seine besondere Bedeutung. Eine Grotte pflegt wohl Geburtsstätte von Göttern und Heroen zu sein, aber schwerlich hat sich die vornehme wohlhabende Gutsbesitzersfrau dort von ihrer Stunde überraschen lassen.Die für uns so seltsamen üblen Nachrede über die Eltern stammen zum Teil erkennbar aus [1245] den Scherzen und Spöttereien der Komödie; der stehende Scherz über den Kerbel der Mutter ist schon in den Achaniern (v. 478) etwas ganz Bekanntes. Solche Schimpfreden würde erst wirklich erklären helfen eine Untersuchung des dem alten wie auch noch dem heutigen Griechenvolke gewohnten Brauches, bei der Schmähung irgend eines dessen Eltern in ganz bestimmten Formeln zu schmähen, auch wenn man nichts von ihnen weiß. Mancher Krämer oder Sklave als Vater, manche Hökerin oder auch Hure als Mutter wird sich in der antiken Literaturgeschichte so erklären, manche Schmähung in den Komödien wie besonders bei den Rednern wird erst so verständlich.
Die Überlieferung, die dem E. Eltern niederen Gewerbes gibt, gibt ihm zwei Frauen. Zuerst habe er die Melito geheiratet, dann die Choirile (Chorine), sagt die Vita p. 2, 11, an einer andern Stelle heißt es ebenda, er habe die Tochter des Mnesilochos Choirile geheiratet (p. 5, 4), wiederum an einer andern Stelle wird von dem Haussklaven Kephisophon erzählt, der mit dem Weibe des E. Ehebruch getrieben habe, das an dieser Stelle nicht benannt wird (τὴν οἰκείαν γυναῖκα p. 6, 3). Bei Suidas steht, Ε. habe zuerst die Choirile, die Tochter des Mnesilochos, geheiratet; nachdem er die habe verstoßen müssen, habe er eine andre genommen, die gerade so sittenlos gewesen sei. Bei Gellius endlich steht (XV 20, 6), daß er zwei Weiber zugleich gehabt habe. Es liegt auf der Hand, daß es sich in dem allem wiederum um Spott und Schmähung handelt, die aufkamen, weil E. als der erste weibliche Untreue auf die Bühne brachte und in seinen Stücken von Weibertugend oft gering geredet ward. Bezeichnenderweise ist in den Thesmophoriazusen, die alles zum Angriff gegen E. vereinigen, noch nichts von diesen Dingen auch nur angedeutet, als E. schon 73 Jahre alt war. Da nun gerade Philochoros die obszöne Bedeutung von Choirile beobachtet und bewiesen hatte, und zwar in derselben Schrift, in der er die oben erwähnten Widerlegungen der Nachreden über E. gab, so ist mit Recht geschlossen worden (v. Wilamowitz Anal. Eur. 149; Her. I¹ 7), daß dieser letztere nur ein Schmähname der Melito war und daß Mnesilochos deren Vater, vermutlich ein Verwandter des Mnesarchides, gewesen sein wird. Der κηδεστής der Thesmophoriazusen ist natürlich nicht dieser Mnesilochos (s. Hiller Herm. VIII 449).
E. hatte drei Söhne. Der älteste, Mnesarchides, sei Kaufmann geworden, der zweite, Mnesilochos, Schauspieler, der dritte, Euripides (s. Nr. 5), führte hinterlassene Stücke des Vaters auf.Dem staatlichen Leben hielt E. sich fern. So ist keine Tatsache irgend einer Amtsführung zu berichten. Nur das eine erfahren wir von öffentlicher Betätigung, daß er Liturgien zu leisten hatte wie jeder, der einiges Vermögen besaß; er hat einen Handel durch ἀντίδοσις mit Hygiainon gehabt (nach 428, dem jüngeren Hippolytos, der vorausgesetzt wird, Aristot. Rhet. III 15 p. 1416 a 28).
Reisen des E. sind nicht bekannt außer seiner letzten nach Makedonien. Was hinter der Angabe der Vita 2, 7f. μετέστη δ’ ἐν Μαγνησίᾳ καὶ προξενίᾳ [1246] ἐτιμήθη καὶ ἀτελείᾳ steckt (ἐκεῖθεν sei er nach Makedonien gekommen), ist nicht mit genügender Sicherheit auszumachen. Stammt sie wirklich nur daher, daß man auf einer Inschrift entdeckt hatte, E. sei von Magnesia mit Proxenie und Atelie geehrt worden (v. Wilamowitz Herakl. I¹ 11), so braucht er natürlich nicht dort gewesen zu sein. In Makedonien, am Hofe des Archelaos zu Pella, war er die letzten etwa 1½ Jahre seines Lebens. 408 hat er noch den Orest in Athen aufgeführt und im Winter 407/6 ist er gestorben (s. Ritschl Opusc. I 128). Von irgend etwas Besonderem beim Tode des E. weiß Aristophanes in den Fröschen noch nichts, wo er es sich kaum hätte entgehen lassen. Überhaupt kannte die ältere Schicht der Tradition, Philochoros u. a., nichts davon. Möglich, daß bei dem allmählichen Auswachsen der verschiedenen Geschichten vom Tode durch Hunde oder Weiber das Ende der Götterbeleidiger Aktaion und namentlich des Pentheus gerade in des E. Bakchen (v. 731 κύνες die Mainaden) und die Weiberverfolgung der Thesmophoriazusen eine Rolle gespielt hat (Piccolomini Annali delle università Toscane XVIII, Pisa 1883. W. Nestle Philolog. LVII 134ff.). Das Grab des E. ward bis in späte Zeit gekannt und besucht. Von der geistigen Entwicklung des E., antik ausgedrückt von seinen Lehrern, wissen wir nichts Sicheres. In der Vita, bei Suidas und Gellius wird E. Schüler oder Hörer genannt des Anaxagoras, Prodikos, Protagoras, Archelaos (ὁ φυσικός, vgl. Suid. s. Ἀρχέλαος· οἱ δὲ καὶ Εὐριπίδην [so Küster, Εὐριπίδης oder Εὐριπιδου Hss.] φασὶν [μαθητήν]), Sokrates. Den Grad der geistigen Beeinflussung durch diese Männer können wir nur aus den Werken des E. zu erschließen suchen. Daß den E. sein Vater, durch ein mißverstandenes Orakel veranlaßt, zum Athleten hätte ausbilden lassen, ist eine Nachricht ohne alle Gewähr, die entstanden ist aus einem bekannten novellistischen Wandermotiv (z. Β. Horodot. IX 33). Wer in E.s Werken mehr ‚malerische‘ Neigungen zu entdecken glaubt als bei andern Dichtern, mag der Nachricht, daß E. früher Maler gewesen sei, mehr Gewähr zutrauen. Von Lehrern des E. in der Poesie wird nichts gesagt: daß er von Sophokles ‚lernte‘, ist selbstverständlich. Daß beide auch späterhin ihr Leben lang neidlos von einander lernten, erkennen wir. Eine andere Quelle, die Beziehungen des E. zu Wissenschaft und Kunst seiner Zeit und deren Vertretern zu erkennen, als seine Tragödien, gibt es nicht, natürlich das eingeschlossen, was aus Spott und Parodie der Komödie zu entnehmen ist. E. soll eine reiche Bibliothek besessen haben (Athen. I 3 a, vgl. Aristoph. Frösche 948. 1409). Von der äußeren Physiognomie des E. können wir uns noch nach den erhaltenen antiken Büsten sehr wohl eine Vorstellung machen. Die Neapler Büste trägt den vollständigen Namen in echter Unterschrift, in einer Reihe Doppelhermen ist E. mit Sophokles gepaart. Die erhaltenen Büsten sind besprochen bei Bernoulli Griech. Ikonographie I 148ff. (dort weitere Literatur).Werke
Das Werk des E. waren seine Tragödien; von andern Dichtungen haben wir nur ein paar [1247] ganz geringe Spuren. Er soll für die in Sicilien Gefallenen ein ἐπικήδειον gemacht haben (Plut. Nic. c. 17, wo ein Distichon zitiert wird). Ein ἐπινίκιον für den Alkibiades wird bei Plutarch Alkib. c. 11 mit einigen Versen citiert, in der Vita des Demosth. c. 1 heißt es ὁ μὲν γράψας τὸ ἐπὶ τῇ νίκῃ τῇ Ὀλυμπιάσι, ἱπποδρομίας εἰς Ἀλκιβιάδην ἐγκώμιον εἴτ’ Εὐριπίδης ὡς ὁ πολὺς κρατεῖ λόγος εἰθ’ ἕτερός τις ἦν κτλ. Ein Epigramm wird ihm noch bei Athen. II 61 b fälschlich zugeschrieben (vgl. Schenkl Philol. XXIII 349), s. Bergk PLG II⁴ 265f. Das Grabepigramm bei Kaibel Epigr. 21 hat man dem E. mehrfach zuweisen wollen. Andere als ganz subjektive Gründe können dafür nicht beigebracht werden.
Überlieferung
Über den dichterischen Nachlaß des E. haben wir gute Überlieferungen. Die Vita gibt 92 Dramen im ganzen an und genau ebenso Suidas, der außerdem 22 Aufführungen feststellt. 22 Tetralogien gäben 88 Stücke. Eine Tetralogie war bestritten: die Vita führt ausdrücklich Tennes, Rhadamanthys, Peirithoos und von den 8 Satyrspielen, die erhalten gewesen seien, eins als bestritten an 88 + 4 = 92. Freilich kann das Gesamtwerk des E. nicht in diese Rechnung aufgehen; denn innerhalb der Tetralogien stand nicht der Archelaos und nicht die Andromache (Schol. Androm. 445).
Was in Alexandreia erhalten war, wird genau angegeben. Die Vita gibt 78 – 3 unechte (die oben genannten), außerdem rechnet sie 67 erhaltene + 3 ἀντιλεγόμενα + 8 Satyrspiele, wovon 1 bestritten. Je nachdem die 3 und das 1 zugezählt oder weggelassen wurden, gibt das: alles Bestrittene weggelassen 74, die bestrittenen 3 Tragödien zugezählt, das bestrittene Satyrspiel weggelassen 77, die bestrittenen 3 Tragödien weggelassen, das bestrittene Satyrspiel zugezählt 75, alles Bestrittene zugezählt 78. Die letzte Zahl gab die Vita an der erst erwähnten Stelle (p. 3, 2), 77 steht bei Suidas, 75 nach Varro bei Gell. XVII 4, 3. Bei Suidas muß an der betreffenden Stelle eine Verschiebung der Worte stattgefunden haben; es ist überliefert δράματα δὲ αὐτοῦ κατὰ μέν τινας οε’, κατὰ δὲ ἄλλους ϟβ’, σῴζονται δὲ οζ’. Wenn die Überlieferung des γένος und bei Suidas wirklich auf einen Grundstock zurückgehen, so müssen die Worte, die möglicherweise schon vor ihrem Einmünden in das Lexikon durcheinandergelaufen waren, gestellt gewesen sein: δράματα δὲ αὐτοῦ ϟβ’ σῴζονται δὲ κατὰ μέν τινας οε’, κατὰ δὲ ἄλλους οζ’. Die geringe Zahl der Satyrspiele erklärt sich nicht sowohl daraus, daß andre Stücke für Satyrspiele eintreten konnten, als daraus, daß schon im Altertum eine Reihe wenig geschätzter Satyrspiele des E. verloren waren, wie das von einigen direkt angegeben wird (s. Hypoth. zur Medeia und den Phoinissai). In E.-Hss. mag einst wie in denen des Aischylos (s. Bd. I S. 1069) neben dem γένος ein κατάλογος τῶν δραμάτων alphabetisch geordnet gestanden haben. Aus solchen κατάλογοι stammen die inschriftlichen Dramenlisten auf der Rückseite der Statue des Louvre (Welcker Gr. Trag. 444f.) und auf einem Stein des Peiraieus (v. Wilamowitz Anal. Eurip. 139). Nur fünf Siege des K. werden angegeben (Vita p. 4, 10. Gell. XVII 4, 3), den fünften habe er erst nach seinem Tode davongetragen (Suid. und Schol. Aristoph. Frösche 67).
[1248] Die Fasti scaenici, die durch direkte Überlieferung sicher stehen, sind folgende:
- 455 Peliaden. E. 3. Vita 2, 15.
- 442 1. Sieg, Marm. Par.
- 438 Kreterinnen, Alkmeon in Psophis, Telephos, Alkestis. E. 2, Sophokles 1 (Hypoth. Alk.).
- 431 Medea, Philoktet, Diktys, Theristai. E. 3, Sophokles 2, Euphorion 1 (Hypoth. Med.).
- 428 Hippolytos (II στεφανίας), E. 1, Iophon 2, Ion 3 (Hypoth. Hipp.).
- 415 Alexandros, Palamedes, Troades, Sisyphos. E. 2, Xenokles 1. Aelian. v. h. II 8.
- 412 Andromeda, Helena. Schol. Aristoph. Thesmoph. 1060. Schol. Frösche 53. Schol. Thesmoph. 1012.
- 408 Orestes. Schol. Orest. 371.
- 406 (nach dem Tode des E.) Iphigenia in Aulis, Alkmeon in Korinth, Bakchen, Schol. Arist. Frösche 67.
Wir können noch eine ganze Reihe von Stücken mit größerer oder geringerer Sicherheit datieren, vielfach in nicht zu weit von einander entfernte Termini post quem und ante quem einschließen. Die wesentlichsten Hülfsmittel solcher Datierung sind die Parodien und Anspielungen bei Aristophanes, die Selbstwiederholung des E. in einzelnen Versen und Wendungen, falls man mit Sicherheit urteilen kann, wo eben die Wiederholung vorliegt (das Material bei Schröder De iteratis apud trag. graec., Dissert. Argentor. VI 1ff.), die bei E. durchaus nicht seltenen politischen und zeitgeschichtlichen Anspielungen, ferner in einigen Fällen das Verhältnis zu Stücken des Sophokles im dramaturgischen Aufbau, in der Übernahme und Weiterbildung von Motiven, ja einzelnen Wendungen. Bei E. ist einigemale versteckte Polemik gegen Sophokles unschwer zu erkennen. Eine sekundäre Bedeutung für die zeitliche Anordnung der Stücke hat die Beobachtung der metrischen Praxis sowohl in der freier werdenden Behandlung des Trimeters (Auflösungen, Anapäste) als in dem von der neuen Musik und Dithyrambik beeinflußten Aufbau der Chorlieder und Monodien. Man hat sich gewöhnt, als ungefähres Epochenjahr des Beginns der größeren Laxheit oder Freiheit das J. 420 gelten zu lassen.
Da es unmöglich ist, alle einzelnen in Betracht kommenden Momente aller einzelnen Stücke hier zu besprechen, so seien versuchsweise die bekannten Stücke, so weit es eben möglich ist zeitlich angeordnet und so auch die Dramen, die nur in Bruchstücken erhalten sind, angeführt. Auch das ist untunlich, diese im einzelnen zu besprechen und die Versuche ihrer Rekonstruktion zu beurteilen; darum werden gleich hier einige wesentliche Arbeiten – auf Welckers 2. Bd der griech. Tragödien und Naucks TGF wird im einzelnen nicht mehr hingewiesen – bei den einzelnen Titeln angeführt. Im übrigen muß ich auf die bekannten Sammelstellen literarischer Nachweise (s. u.) hinweisen und werde nur zu den erhaltenen Stücken kurz die wesentlichsten Fragen herauszuheben suchen. Wir kennen die Titel aller der 67 Tragödien, die die Alexandriner besaßen, und die Namen der drei unechten (Tennes Rhadamanthys, Peirithoos). Wir kennen 6 Titel der ihnen erhaltenen Satyrspiele, haben den Anfangsbuchstaben eines 7. (Π..... Stele vom Peiraieus [1249] Ζ. 19, v. Wilamowitz Anal. Eur. 139), wir kennen den Namen des unechten Satyrspiels (Sisyphos), wir kennen sogar noch zwei Namen von Satyrspielen, die den Alexandrinern verloren waren (Theristai Hypoth. Med., den echten Sisyphos) und wissen noch von einem dritten, dessen Titel in der Hypothesis der Phoinissen ausgefallen ist (... ⟨οὐ⟩ σῴζεται). Erhalten sind uns von E. durch glücklichen Zufall nicht bloß sieben Stücke, sondern achtzehn, und zu ihnen ist in den Hss. ein unechtes gefügt.
Die Handschriften, die uns diese Stücke erhalten haben, stammen alle, soweit sie irgend welchen Wert haben, aus dem 10. bis 15. Jhdt. Wir unterscheiden unter ihnen verschiedenartige Gruppen. Wir besitzen eine Anzahl von Hss., die wenigstens sechs Dramen Hekabe, Orestes, Phoinissen, Hippolytos, Medeia, Andromache enthalten und dazu Scholien. Seit Kirchhoff werden einige dieser Hss. benützt, deren gegenseitiges Verhältnis durch ein Stemma nicht dargestellt werden kann. Die beste und älteste unter ihnen ist Marcianus 471 saec. XII, neben und nächst ihr Paris. 2712 saec. XIII, am wertvollsten da, wo der Marcianus fehlt (am Schluß des Hippolytos). Wo beide fehlen, in der Alkestis, tritt ein zweiter Parisinus 2713 (Par. B) ein. Alkestis, Rhesos, Troerinnen stehen außer jenen sechs Stücken nur im Vaticanus 909, einer flüchtigen Bombycin-Hs. des 13. Jhdts., die sehr stark beeinflußt ist von der gleich zu besprechenden zweiten Gruppe von Hss.
Es gibt zwei Hss., in denen 18 Stücke stehen: Laurentianus 32, 2 saec. XIV Anfang und Palatinus 287 (die Hs. ist am genauesten beschrieben von Wünsch Rh. Mus. LI 141f., vor ihm von Kirchhoff ed. 1855 p. VIII. v. Wilamowitz Anal. Eurip. 7 und Stevenson im Katalog der gr. Hss. der Bibl. Vat. Pal. 165) zusammen mit dem Laurentianus 172 (früher in der Badia von Florenz) saec. XIV Ende (denn diese beiden bald nach 1400 zerrissenen Stücke sind Teile einer Hs., Robert[WS 5] Herm. XIII 133ff.). In beiden Hss. stehen keine Scholien. Im Laurentianus ist durch vorgesetzte Ziffern folgende Ordnung der Stücke gegeben: Hekabe, Orestes, Phoinissen, Hippolytos, Medeia, Alkestis, Andromache, Rhesos, Bakchen, Helena, Elektra, Herakles, Herakliden, Kyklops, Ion, Hiketiden, Iphigeneia in Taurien, Iphigeneia in Aulis. Die Ziffer θ’ der Bakchen ist auf Rasur geschrieben; sie waren ι’ und die Troerinnen, die ausgefallen sind, θ’. Zwei Gruppen sind unter diesen 19 gemeinsam überlieferten Dramen deutlich: Helena bis Iphigeneia in Aulis, wie sie im Laurentianus stehen, aus einer alphabetisch geordneten Reihe von Dramen, Hekabe bis Bakchen die Reihenfolge einer Ausgabe, der jene erste Gruppe von Hss. folgt. Es stammt also die erste Reihe lediglich aus einer Ausgabe, wie die war, aus der jene kommentierten Stücke der ersten Gruppe stammen, wenn auch diese Überlieferung recht früh abgezweigt ist. Die zweite Reihe stammt aus einer Gesamtausgabe der alphabetisch geordneten Stücke. Einmal hat ein Mann in den Band der kommentierten Auswahl der 10 Stücke die 9 unkommentierten aus einem Band der Gesamtausgabe hinzugeschrieben. Der Schluß der Iphigeneia in Aulis fehlt: er wurde ergänzt, und Markos Musuros [1250] hat ihn eigenhändig in den Palatinus eingetragen. Ob er ihn verfaßt hat wie den falschen Prolog der Danae (Wünsch Rh. Mus. LI 138ff.), ist noch nicht endgültig festgestellt. Musuros war der Berater des Aldus, als dieser 1503 wesentlich nach dem Palatinus den E. druckte.
Der Palatinus ist jedenfalls keine Abschrift vom Laurentianus (schlagende Belege bei Radermacher Gött. Gel. Anz. 1899, 692), wenn er auch in manchen Stücken nur Wert hat, wo er im Laurentianus das verwüstete Ursprüngliche erkennen hilft. Er ist viel flüchtiger geschrieben als der Laurentianus. Er enthält von E.-Stücken die Andromache, Medea, Hiketiden, Rhesos, Ion, die beiden Iphigenien, den falschen Anfang der Danae, Hippolytos, Alkestis, Troades, Bakchen, Kyklops, Herakliden. Der andre Teil der Hs., Laur. 172, enthält von E. außer den drei ersten Stücken Helena, Elektra, Herakles. Sind die neun scholienlosen Dramen aus der Vorlage abgeschrieben, die auch der Laurentianus hatte, so ist für die andern neben dieser Vorlage noch eine Hs. benutzt von der Art etwa des Vaticanus und Parisinus B, und außerdem muß ihm, da die Troerinnen nicht aus dem Laurentianus stammen können, der sie nicht hat, und da deren Text von dem der kommentierten Dramengruppen stark abweicht, da er ferner die Bakchen vollständig hat, die im Laurentianus von v. 756 an fehlen, und in deren Text da, wo auch der Laurentianus vorhanden ist, vielfach abweicht, noch eine neben dem Laurentianus selbständige Hs., aber derselben Art, vorgelegen haben. In den verschiedenen Stücken ist die Abhängigkeit von den verschiedenen Vorlagen verschieden (für einige der berührten Fragen s. namentlich E. Bruhn Lucubrationes Euripideae, Diss. Kiel 1886, Jahrb. f. Philol. Suppl. XV 225ff., dazu v. Wilamowitz Her. I¹ 209).
Die gesamte Überlieferung war ursprünglich einheitlich, hatte sich aber schon im Altertum gespalten. Der Text der Gruppe der 19 hatte sich schon von der übrigen Überlieferung abgezweigt, als die Paraphrase, die in den Rhesosscholien steht, gemacht wurde (v. Wilamοwitz De Rhesi scholiis, Progr. Greifswald 1877). Weitere Anhaltspunkte für die Zeit der Entstehung der Ur-Hs. dieser Überlieferungsschicht sind kaum zu gewinnen. Die ältesten Zeugen aber eines Textes überhaupt sind die bereits zahlreichen Papyrusstücke, die wiedergefunden sind.
Von den Tragikerfragmenten auf ägyptischen Papyri (im weiteren Sinne) gehören dem E. bisher achtzehn Nummern meist geringen Umfange, die sich dem Alter nach auf ein ganzes Jahrtausend verteilen. Dementsprechend wechselt das Äußere. Die klassische Chartarolle der Ptolemaeerzeit (opisthograph nr. 1) wird in der spätrömischen und byzantinischen Epoche durch den Kodex aus Papyrus (nr. 5. 11. 18) oder Pergament (nr. 4. 17) verdrängt. Ungleich ist auch der Charakter der Manuskripte. Neben dem regulären Buchhändlerexemplar erscheint die aufs Verso gebrauchter Papiere angewiesene Privatabschrift, neben der Vorlagetafel (nr. 8) das stümpernde Schulheft (nr. 2). Nicht immer handelt es sich um den vollen Teil der Dramen, der einmal von Scholien (nr. 16), einmal gar von Noten (nr. 9) begleitet [1251] wird. In zwei Fällen (nr. 6. 18) haben wir bloß die Inhaltsangaben. Mitunter sind nur Partien ausgehoben, sei es zu Übungszwecken (nr. 2) oder für Florilegien (nr. 12. 15?). Auf Verszitate (auch aus verlorenen Tragödien wie Diktys, Phoinix, Skyrioi?, Sthenoboia) beschränkt sich das Pariser fragmentum de dialectica: 1. v. Chr. 2. Jhdt., Notic. et Extr. XVIII 2 (1865) nr. 2. Genauere Nachweise über die Publikationen bis 1897 (Pergamente ausgenommen) bieten C. Haeberlins Griechische Papyri, Centralbl. f. Bibl.-W. XIV, die neuen Funde werden jeweils im Archiv f. Papyrusf. verzeichnet (Referent bis 1903 W. Crönert, jetzt F. Blass). Von den erhaltenen Stücken des E. kommen, chronologisch geordnet, folgende in Betracht: Medeia: 2. V. 5–12, v. Chr. 2. Jhdt., H. Weil Un papyrus inédit, Paris 1879. 3. V. 710–715, n. Chr. 3. Jhdt., Oxy(rhynchos) P. III 1903 nr. 450. Hippolytos: 4. V. 242–515, n. Chr. 5./6.? Jhdt., M.-Ber. Akad. Berl. 1881, 982ff. Andromache: 5. V. 5–48, n. Chr. 3. Jhdt., Oxy. III nr. 449. Elektra: 6. Hypothesis, n. Chr. 3. Jhdt, Oxy. III nr. 420. Phoinissai: 7. V 1017–1071, n. Chr. 3.? Jhdt., Oxy. II 1899 nr. 224. 8. V. 1097–1107. 1126–1137, n. Chr. 4./5. Jhdt., Holztafel, Mitt. P. Rainer V 1892, 74ff. (vgl. VI 1897, 1ff.: Vorderseite mit der Hekale des Kallimachos). Orestes: 9. V. 330–335, v. Chr. 1. Jhdt., Mitt. P. Rainer V 1892, 65ff. 10. V. 1062–1090, n. Chr. 2./3. Jhdt., Rev. de phil. XIX 1895, 105f. (aus Genf). Rhesos: 11. V. 48-96, n. Chr. 4./5. Jhdt., S.-Ber. Akad. Berl. 1887, 813ff. (in Paris). Es folgen alphabetisch die Reste sonst verschollener Dramen: Antiope: 12. 3 Verse, v. Chr. 3. Jhdt., Cunningh. Mem. VIII 1891 nr. III 1. 13. ca. 127 Verse, v. Chr. 3. Jhdt., ebd. nr. If. Archelaos: 14. Frg. 275 N., n. Chr. 2./3. Jhdt., Oxy. III nr. 419. Ino?: 15. ptolem., Cunningh. Mem. IX 1893 nr. 49 d. Melanippe?: 16. n. Chr. 3. Jhdt., Greek Papyri, Ser. II 1897 nr. 12. Melanippe ἡ δεσμῶτις: 17. n. Chr. 4./5.? Jhdt., Äg. Ztschr. 1880, 37ff. (aus Berlin). Skiron (Satyrspiel): 18. Hypothesis, n. Chr. 6./7. Jhdt., Amherst. P. II 1901 nr. 17 [Σμοδρεγάτης?: 44 Verse, enthalten in nr. 2 (s. v. Wilamowitz Her. I¹ 41)]. nr. 9 (Orestes) enthält Bruchstücke einer Partitur, vgl. Crusius Philologus LII 174ff.; Delph. Hymnen 147ff. Tierfelder Philol. LVI 517.
Der große Wert der Papyrusfunde für die Textrezension besteht darin, daß wir nun urkundlich sehen, daß eine Trennung der zwei Hss.-Klassen nicht besteht (z. Β. der Rhesospapyrus hat von den zwei Klassen im wesentlichen das Richtige, v. Wilamowitz Her. I¹ 214) und daß wir in denjenigen Stücken, in denen wir die große Anzahl Hss. haben, aus den Hss. ungefähr den Text konstituieren können, den man im 3. und 4. Jhdt. auch hatte, daß also bei diesen Stücken von der maßlosen Korruption in der Zwischenzeit zu reden Unfug ist.
Sehr geringe Bedeutung für den E.-Text hat die indirekte Überlieferung, d. h. Zitate und Anspielungen bei andern Schriftstellern, in Florilegien usw. Der späte Cento Χριστὸς πάσχων (Hilberg Wiener Stud. VIII 282ff.) kann an ganz wenigen Stellen einmal eine gute Lesart gerettet haben, gibt z. Β. in den Bakchen einiges [1252] wenige von dem, was verloren ist. Die völlige Willkür des Verfassers im Ändern und Verarbeiten der Verse macht aber das Stück fast überall ganz wertlos.
Scholien besitzen wir nur zu den Stücken die in der ersten Hss.-Gruppe überliefert sind. Wir können sie jetzt in einer vortrefflichen Ausgabe benutzen, von E. Schwartz (2 Bde., Berlin 1887. 1891), der in der Praefatio über die Hss., wie sie für die Scholien in Betracht kommen, Auskunft gibt. Die Quellen unserer Scholien sind schwer aufzudecken. Wir unterscheiden ohne weiteres alte gelehrte Angaben und eine fortlaufende paraphrastische Erklärung, die am breitesten aufgelaufen ist zu Hekabe, Orestes, Phoinissen, der von den Byzantinern herausgehobenen letzten Auswahl. Weiter weist eine Subskription zum Orestes: πρὸς διάφορα ἀντίγραφα παραγέγραπται ἐκ τοῦ Διονυσίου ὑπομνήματος ὁλοσχερῶς καὶ τῶν μικτῶν, zur Medeia: πρὸς διάφορα ἀντίγραφα, Διονυσίου ὁλοσχερὲς καί τινα τῶν Διδύμου. Wir konstatieren also zunächst einen Mann, der nach verschiedenen Hss. derselben Scholien diesen Komplex zusammengeschrieben hat – er wird nicht sehr viel älter gewesen sein, als unsere Hss., die wenig von einander abweichen –, dann den Dionysios, den wir nicht näher bestimmen können. Da er ganz übernommen ist, so hat man immerhin mit Wahrscheinlichkeit vermutet, daß er die fortlaufende Trivialerklärung zusammengestellt habe. Endlich werden wir zu Didymos gewiesen, der auch sonst mehrfach zitiert und mannigfach kenntlich ist (v. Wilamowitz Her. I¹ 155 u. bes. 159, 81). Barthold De schol. in Eur. veterum fontibus, Bonn 1864.
Die ὑποθέσεις, die vor einer großen Reihe von Stücken stehen, mehr oder weniger verstümmelt, sind ganz unabhängig von der Scholienüberlieferung. Sie sind verschiedener Art, bald ausführlichere Erzählung der dem Stück vorausgehenden Geschehnisse und der Handlung des Stückes selbst, bald kurze Erzählung der Handlung des Stückes, bald nur der Ereignisse bis zum Beginn des Stückes (z. Β. Herakles, Ion, Iphig. Taur.; Lücken sind dort nicht anzusetzen). Daran schließen sich dann bald mehr, bald weniger vollständig die didaskalischen Angaben über Zeit der Aufführung, die konkurrierenden Dichter und Stücke, die Konkurrenten, die obsiegten (deshalb kann, wenn Ε. δεύτερος war, die Angabe des dritten fehlen und es ist keine Lücke anzunehmen, so in der Hypothesis der Alkestis), über den Ort der Handlung, über die Behandlung des selben Stoffes durch die andern drei großen Tragiker. Je nachdem steht noch ein ästhetisches Urteil dabei. Die verschiedenen Arten der Hypotheseis – abgesehen von den späten und spätesten Machwerken – erheischen eingehende Untersuchung, die jetzt durch Auffindung der Hypothesis des Dionysalexandros des Kratinos sehr gefördert werden kann, s. vorläufig A. Körtes Bemerkungen Hem. XXXIX 1904, 494ff. Es ist kaum Zufall, daß in den Stücken, die nicht zur Sylloge der kommentierten gehörten, in der Regel die Erzählung nur der Vorgeschichte des Stückes vorliegt (auch in der Hypothesis der Helena führt nur ein Satz darüber hinaus, ähnlich in der zum Kyklops). Aristophanes von Byzanz hat seiner [1253] Ausgabe ὑποθέσεις beigefügt, und mindestens beträchtliche Bestandteile der uns erhaltenen (welche der verschiedenen Arten war ursprünglich die seine?) gehen auf ihn zurück.
Gedruckt wurde E. zuerst in den Ausgaben Florenz 1496 (nur vier Stücke) und der Aldina 1503, die Musuros, und der Ausgabe von 1545, die Victorius besorgte. Die Gesamtausgabe von Barnes, Cantabrig. 1694, die mit den Noten Samuel Musgraves (Ausgabe 1778) von Christian Daniel Beck neu besorgt wurde, Leipzig 1788, hat noch heute unmittelbaren Wert durch den Index verborum im dritten Bande. Weitere Hauptstationen sind die Ausgabe Valckenaers (der Phoenissen 1755, des Hippolytos 1758: seine Diatribe in Eur. perd. dram. rel. 1767 war von größter Bedeutung für alle Fortschritte der E.-Studien) und die Ausgaben der Engländer, namentlich von Porson (Hecuba 1797, Orestes, Phoenissae 1799, Medea 1801) und Elmsley (Medea 1818, cum adnot. G. Hermanni, Leipzig 1822; Herakliden, Oxford 1813; Bakchen 1821). Lange und viel gebraucht ward die Ausgabe von L. Dindorf, Leipzig 1825. Die Ausgabe von Matthiae, Lpz. 1813–36 enthält im 10. Bande den Anfang eines E.-Lexikons α–γ (wie die Glasgower Ausgabe von 1821 im 9. Bande einen Index gibt). G. Hermann gab Separatausgaben der meisten Stücke (Herakles 1810, Supplices 1811, Bacchae 1823, Ion 1827, Hecuba 1831, Iphigenie in Aulis 1831, Iphigenie in Tauris 1833, Helene 1837, Andromache 1838, Cyclops 1838, Phoenissae 1840, Orestes 1841). J. A. Hartung edierte 1848–1853 alle Stücke mit Übersetzungen und Anmerkungen. Epoche macht die große Ausgabe Kirchhoffs mit kritischem Apparat, in dem zum erstenmale die Hss. zu werten und zu sichten versucht war, Berlin 1855 (kleinere Ausgabe 1867). Kritisch höchst bedeutsam ist die Textausgabe bei Teubner von A. Nauck, 1854; 3. Aufl. 1869–71. Von besonderem Werte durch die feinsinnigen Einleitungen und erklärende Bemerkungen, auch die Rezension des Textes, ist die Ausgabe der Sept tragédies von Weil, 2. Ausgabe 1879, 3. Ausgabe zu Ende geführt 1904. Den bisher vollständigsten Apparat bietet die im J. 1902 fertig gewordene Ausgabe von Prinz-Wecklein (mit den Rumpelkammern für überflüssige Konjekturen am Schlusse jedes Stücks). Die bei weitem größte Förderung in allen E.-Studien so auch im besonderen für Rezension und Erklärung der Stücke verdanken wir v. Wilamowitz Analecta Euripidea, Berlin 1875 (mit Kollationen der Stücke der 2. Hss.-Klasse und Ausgabe der Supplices), vor allem der großen Ausgabe des Herakles, 2 Bde., Berlin 1889 (I. Einleitung in die att. Tragödie; II. E. Herakles, Text u. Kommentar), 2. Ausgabe 1895 (aus dem früheren I. Bd. nur die Partie über die Heraklessage und der frühere II. Bd.), Hippolytos griech. und deutsch, 1891 (Übersetzung des Hippolytos, der Hiketiden und des Herakles mit Einleitungen in den Griechischen Tragödien, übersetzt, I 1899). Andere wichtige oder meines Erachtens nützliche Ausgaben der einzelnen Stücke werden bei deren Besprechung unten angeführt. Die genannten Ausgaben werden nicht im einzelnen wieder genannt. Auch die zahlreichen Ausgaben von Wecklein, auch seine Neubearbeitungen der Pflugk-Klotzschen [1254] Edition nenne ich nicht weiter im einzelnen. Sog. Schulausgaben werde ich nur anführen, wo ich ihnen einen besonderen Wert zuschreibe; auf die hübschen, zum Teil sehr brauchbaren Ausgaben der Pitt Press Series bes. von Hadley (Hippolyt, Hekabe, Alkestis), Headlam (Medea, aul. Iphigenie), Pearson (Helena) mache ich aufmerksam. Um überflüssige Wiederholungen zu vermeiden, sei hier noch die große, seit 1888 bis zu 3 Bänden bisher gediehene Ausgabe von Bernardakis genannt (Εὐρ. δράματα ἐξ ἑρμηνείας καὶ ἀναγνώσεως Δημητρίου Ν. Βερναρδάκη), deren 1. Band die Phoenissen, der 2. Hekabe, Ion, Medea, der 3. Iphigenia Aul. und Taur., Elektra und Alkestis enthält. Hier muß noch das Lexikon der Tragikerfragmente überhaupt genannt werden, das Nauck geliefert hat: Tragicae dictionis index spectans ad trag. Gr. fragmenta ab Aug. Nauck edita, Petersburg 1892.
Erhaltene Dramen
Medea, 431 aufgeführt, deutlich außer stofflichem Zusammenhange mit den andern Stücken der Tetralogie. Medea, die aus Rache an dem ihr treulosen Iason seine und ihre Kinder mordet, ist Mittelpunkt des Dramas. Es war ein ganz neuer Stoff der Tragödie, den aus verratener Liebe geborenen wilden Haß des barbarischen Weibes darzustellen; ihr Kindermord ist die bewundernswerte Erfindung des E. Das Altertum wußte das (wie z. Β. auch die Anekdote Schol. Med. 10 zeigt); was an Tradition vorhanden war (die Korinther hatten die Kinder der Verbannten umgebracht), läßt Schol. zu 278 erkennen (die Angabe des Parmeniskos, nicht die von Didymos dazu zitierte, für uns unkontrollierbare Notiz aus einem Kreophylos ist von Wert). Unvermittelt bricht das Neue, der Gedanke des Kindermords, in Medeas Seele nach der Aigeusszene hervor, nachdem sie vorher im frühern Monolog nur die Rache an dem Brautpaar und Kreon plante. Die Aigeusszene ist schon von Aristoteles (Poetik c. 25 p. 1461 b 22) getadelt worden; sie wird allein so zu begreifen sein, daß der edle attische Heros der korinthischen Teufelin gegenüber den Athenern im Anfang des Peloponnesischen Krieges nicht frostig vorkam wie dem Aristoteles und uns. Die Angabe der Hypothesis, daß E. sein Stück von einem Neophron entlehnt habe, wofür des Dikaiarchos Ἑλλάδος βίος und des Aristoteles ὑπομνήματα angeführt werden, hat viele vielfach irregeleitet. Die Autorität des Aristoteles ist nicht vorhanden, die ὑπομνήματα sind nicht sein Werk, und in der Poetik weiß er nichts von der seltsamen Entlehnung der Medea. Dikaiarchos hat einer böswilligen Nachrede Glauben geschenkt. Die drei Fragmente, die aus der Medea des Neophron zitiert werden (Nauck² 730ff.), sind nachweisbar später als des E. Medea. Wenn die neuentdeckten Reste der Verse auf dem Londoner Papyrus Brit. Mus. nr. CLXXXVI wirklich der Medea des Neophron gehören (veröffentlicht von W. Crönert Archiv f. Papyrusf. III 1903, 1ff.), so bestätigen auch sie, daß dies Stück eine Nachahmung des Euripideischen war. Von einer zweiten Bearbeitung des Euripideischen Stückes ist nichts überliefert und nichts zu erschließen. Die verschiedenen ‚Dittographien‘ beweisen nichts derart, zumal bei den häufigen Neuaufführungen in späterer Zeit mancherlei Eingriffe der Schauspieler und Regisseure selbstverständlich sind. In einer Reihe der besprochenen Fragen hat v. Wilamowitz Herm. XV 481ff. das Richtige verfochten, vgl. v. Arnim Ausgabe der Medea² VIIff. Eine Ausgabe von Sakorraphos, Athen 1891, und die eben zitierte v. Arnims in der Weidmannschen Sammlung, 2. Aufl. 1886, mögen nur außer den oben bezeichneten genannt sein.
Hippolytos, 428 aufgeführt. Den der Artemis ergebenen, stolz unnahbaren Sohn des Theseus liebt seine Stiefmutter Phaidra, siech vor Leidenschaft. Deren Amme treibt die Handlung und gibt dem Hippolytos Kunde von der Herrin Sehnsucht. Seine grimmige Abweisung zieht Phaidras Tod, der Fluch des durch ihren verleumdenden [1256] Brief getäuschten Theseus den Tod des Sohnes nach sich. Wie trozenische Kultelemente und attische Sagenüberlieferungen zu dem alten Novellenmotiv vom keuschen Jüngling sich verbinden, wie E. das Gegebene gestaltet, erörtert ausgezeichnet v. Wilamowitz im Vorwort der Ausgabe (s. u.). E. hatte bereits früher (auch vor der Medea) denselben Stoff behandelt. Der Hauptunterschied, den die Bezeichnung dieses Hippolytos als καλυπτόμενος ausdrückt, war der, daß Phaidra dem Stiefsohne selbst die Liebe gestand, der sich vor Entsetzen verhüllte. Diesem Stücke haben Seneca und Ovid nachgedichtet (Hiller im Liber miscell. phil. Bonn. 34ff. Kalkmann De Hippolytis Euripideis quaestiones novae, Bonn 1882). Man hat kombiniert, daß dieser Hippolytos eine Trilogie bildete mit Aigeus und Theseus (v. Wilamowitz Herm. XV 481f.). Die Phaidra des Sophokles kann erst nach dem zweiten Hippolytos des E. gedichtet sein. Ausg. von Monk Cambridge 1811 (zuletzt Leipzig 1823). v. Wilamowitz mit Übersetzung und Anmerkungen, Berlin 1891.Hekabe. Die beiden Tragödien vom Tode der Polyxena und von der Rache an Polymestor für den Verrat des jüngsten Priamiden Polydoros wurden nur in eine zusammengeschlossen durch die Person der Hekabe, des dämonischen Weibes übermenschlicher Schmerzen und unmenschlicher Rache. Die Polyxenatragödie nahm den Stoff aus dem Epos (Ἰλίου πέρσις), den auch Sophokles in der Polyxena bereits behandelt hatte (vgl. Schol. Hec. 3). Daß zwischen den wenigen Angaben der Ilias von Polydoros und dem Drama des E. eine poetische Ausgestaltung des Stoffes lag, hat man allein aus der Angabe erschlossen, daß Hekabe die Tochter des Kisseus sei (bei Homer ist sie Tochter Dymas des Phrygiers), der hier nicht einmal als thrakischer Fürst bezeichnet, wird, als der er bei Homer erscheint; was für Ε. ohne Bedeutung und eine unverständliche Änderung wäre, wenn er sie vorgenommen, hat einem Vorläufer gedient, die Versendung des Polydoros, nach Thrakien zu motivieren. Denn Polydoros ist auch bei E. nicht Sohn des Priamos und der Laothoe (Il. XXI 85), sondern des Priamos und der Hekabe (s. Weil Einleitung zur Hekabe in Sept tragédies² 207). Die Zeit des Dramas wollte man daraus bestimmen, daß 458ff. Delos und sein Fest so gefeiert wird, daß an die Neugestaltung der Delien im Frühjahr 425 (Thukyd. III 104) gedacht sein müsse (Matthiae hat es schon bemerkt). Da E. nur allgemein von Liedern und Tänzen der Δηλιάδες κοῦραι redet, die es längst vorher gab, würde man nur sagen können, daß E. durch die attischen Delien unwillkürlich veranlaßt worden sei, hier von Deliaden zu reden, mehr nicht (v. Wilamowitz Herakles I² 140ff.). Das aber ist sicher, daß Hekabe v. 162 in den Wolken des Aristophanes 708 parodiert ist, und dieser Vers gehört sehr wahrscheinlich der erst Gestalt der Wolken, die 423 aufgeführt wurden, so wird die Hekabe vor 423 gesetzt. Die Tatsache, daß die Hekabe vor den Troerinnen (415) aufgeführt sein müsse, in denen das Opfer der Polyxena absichtlich mit wenigen Worten übergangen wird, ist dann hier für uns ohne Βedeutung.
[1257] Herakliden. Die Rettung der von Iolaos beschützten und geführten Heraklessöhne, die von allen Hellenen ausgestoßen und verlassen sind, vor den Verfolgern Eurystheus und seinem Herold Kopreus durch das menschenfreundliche Athen und seinen König Demophon ist der Inhalt. Der Opfertod der Makaria, einer ganz vom Dichter erfundenen Gestalt (einer ‚Vorstudie zur Polyxena‘) und das Auftreten der haß- und racheerfüllten alten Alkmene (einer ‚Vorstudie zur Hekabe‘) ragen aus der einfachen Handlung hervor. Doch ist mit Sicherheit nachgewiesen, daß uns eine Bearbeitung eines Theaterregisseurs des 4. Jhdts. erhalten ist, der ein Epeisodion gestrichen und namentlich den folgenden Teil (nach 620) so umgeformt hat, daß die Lücke verdeckt sein sollte; er hat besonders die jetzt folgende Szene so erweitert und das Auftreten der Alkmene, die ursprünglich schon in der gestrichenen Szene agierte, so gestaltet, wie wir es lesen, die Botenrede 790ff. stark erweitert (v. Wilamowitz Herm. XVII 337ff.; de Euripidis Heraclidis, Progr. Greifswald S. S. 1882). Der Zeitbestimmung des einen Stückes wird durch die Parodie in Aristoph. Wespen 1160 (= Heraklid. 1006) mit Sicherheit als Terminus ante quem 422, durch die Angabe des Schol. Αrist. Ritter 214 παρῴδησε τὸν ἴαμβον ἐξ Ἡρακλειδῶν Εὐριπίδου, auch wenn der Vers in der erhaltenen Bearbeitung nicht steht, mit Wahrscheinlichkeit als Terminus ante quem 424 gewonnen. Aber viel mehr ergibt das Vaticinium am Schlusse des Stückes 1027ff. Das Grab des Eurystheus in Pallene soll den Herakliden = Spartanern, wenn sie darüber vordringen wollten, Niederlage bringen. Bei frühern Einfällen haben sie die Gegend noch geschont, 427 ungestraft verwüstet. Vor 427 müssen die Herakliden aufgeführt sein; v. Wilamowitz Analecta Euripidea. 151ff. Genannt sei wenigstens Gualt. Schmidt Qua ratione E. res sua aetate gestas adhibuerit in Heraclidis potissimum quaeritur, Diss. Halle 1881, nach den Münsterer Dissertationen von Theis (1868), Potthast (1872), Hoeveler (1878).
Andromache. Schol. Andr. 445 εἰλικρινῶς τοὺς τοῦ δράματος χρόνους οὐκ ἔστι λαβεῖν· οὐ δίδακται γὰρ Ἀθήνησιν· ὁ δὲ Καλλίμαχος ἐπιγραφῆναί φησι τῇ τραγῳδία Δημοκράτην … φαίνεται δὲ γεγραμμένον τὸ δρᾶμα ἐν ἀρχῇ τοῦ Πελοποννησιακοῦ πολέμου. Das stimmt zu allem, was wir aus politischen Anspielungen und der Metrik entnehmen können (richtig Firnhaber Philol. III 408ff., falsch Zirndorfer De chronologia fab. E., Marburg 1889, dessen sonst vielfach treffliche Darlegungen hier ein für allemal zitiert sein mögen, und Bergk Herm. XVIII 487ff., zuletzt Mosimann Inwieweit hat E. in den Hiket., Andromache und den Troerinnen auf polit. Konstellationen seiner Zeit angespielt, Diss. Bern 1897). Das Stück zerfällt in zwei nur ganz äußerlich verbundene Dramen. Im ersten wird am Altar Andromache mit ihrem Kinde von Menelaos und Hermione aufs äußerste bedrängt, in höchster Todesnot von Peleus befreit, im zweiten Teil wird Hermione von Orestes entführt, die Ermordung des Neoptolemos berichtet und seine Leiche gebracht; Thetis offenbart am Schlusse das Schicksal des Leibes des Neoptolemos, der [1258] Andromache, des Peleus und des Achilleus. Der erste Teil, der in der Sage keinen Anhalt hatte, ist ganz analog gebaut dem ersten Teil des Herakles, und eine Reihe von Versen und Redewendungen zeigen eine nicht zufällige Übereinstimmung (Dieterich Pulcinella 9ff.). Erfunden ohne Anlaß in der Sage ist auch der erste Akt des Herakles. Das natürlichste Vorbild des ‚Altarmotivs‘, der zum äußersten steigenden Bedrängnis durch mächtige Feinde und der plötzlichen Rettung durch einen Befreier, sind Sagenstoffe, wie der, den Aischylos schon in den Hiketiden behandelt hat. Die früheste Verarbeitung dieses Motivs durch E. scheint in den Herakliden vorzuliegen. Sonderausgabe von Lenting, Zutphaniae 1829.
Herakles. Der erste Teil führt die Bedrängnis des Amphitryon und der Megara mit ihren Kindern durch den Tyrannen Lykon vor und die Befreiung durch Herakles, der zweite Teil den Kindermord des in Wahnsinn verfallenen eben heimgekehrten Überwinders aller Schrecken der Erde und des Hades. Über den Herakles der Sage und die Gestaltung des Stoffes und der Charaktere bei E. s. die umfassende Darlegung von v. Wilamowitz im 1. Bd. der Ausgabe² 1–134. Über die Datierung des Dramas ist ausführlich gehandelt ebd. 134ff. E. nennt sich selbst γέρων, zwischen Hiketiden und Troerinnen rückt die Gesamtstimmung den Herakles, ψόγος und ἔπαινος τοξότου ergibt als wahrscheinliche Grenze 423–416. Dazu stimmen metrische Beobachtungen. Man darf ansetzen 420–416. Das Verhältnis zwischen Herakles und den Trachinierinnen des Sophokles läßt sich sicher dahin bestimmen, daß Sophokles der Nachahmende war; die Art der Ausführung der Schlafszene und die Art des Auftretens des tragischen Herakles überhaupt bleiben der sicherste Beweis (so nach v. Wilamowitz Herakles II¹ 341ff., etwas ausgeführt und ergänzt von Dieterich Rh. Mus. XLVI 25ff. v. Wilamowitz Herakles I² 152ff.; Zielinskis höchst lehrreiche Ausführungen Philologus N. F. IX 622ff. haben mich nicht vom Gegenteil überzeugt; vgl. M. L. Earle in den Transactions und Proceedings of the American Philological Association XXXII 1902).
Hiketiden. Wie die Mütter der vor Theben gefallenen Sieben von Theseus, den seine Mutter Aithra dazu bestimmen soll, die Befreiung und Bestattung ihrer Söhne auswirken, wird vorgeführt. Besondere bemerkenswert ist der Chor der 15 Mütter, obwohl, wenn man genau inquiriert, nicht einmal alle sieben gegenwärtig sein können. Was das Epos und heimische Überlieferungen erzählten (bei Eleusis stand ein Grabhügel, der für das Grab der Sieben galt), hatte schon Aischylos in den Ἐλευσινιοι zu einem Drama gestaltet, in dem Theseus nur durch Vermittlung die Freigebung der Leichen erreicht und die Beisetzung möglich macht. Die Version, daß das nur durch Waffengewalt zu erreichen war, steht schon unter den festen τόποι athenischer Doxologie bei Herodot. IX 27. Als Szene stärkster Wirkung ist eingelegt, wie Euadne in den Scheiterhaufen des Kapaneus springt, dem Gatten als treueste der Gattinnen in den Tod, ja in den Fluch der Vernichtung folgt. Das Ganze ist ein [1259] hohes Lied auf die Menschlichkeit Athens, ein ἐγκώμιον Ἀθηνῶν, wie die alte Hypothesis sagt, ein Festspiel, in dem die Mahnung zum Frieden als stärkste Tendenz hervortritt. Argos wird am Schlusse verpflichtet, gegen Athen nicht Krieg zu führen und Athen, wenn es bedroht sei, zu helfen. Nach der Schlacht von Delion hatten die Thebaner dem Herold der Athener die Abholung der Leichen geweigert (Thuk. IV 97ff.), und das ist augenscheinlich der erste Anlaß der Euripideischen Dichtung. Höchst wahrscheinlich ist sie kurz vor dem Frieden 421 aufgeführt, zusammen mit dem Erechtheus, in dem auch ein Orakel die Opferung einer Königstochter verlangte, v. Wilamowitz Einleitung zu der Übersetzung ‚der Mütter Bittgang‘, Griech. Tragödien I 185ff.; vieles treffend bei Lugge Quomodo Euripides in Suppl. tempora sua respexerit, Diss. Münster 1887 (weitere Literatur dort S. 4). Ausgabe von Markland, Oxford 1811.
Ion. Das Stück ist in Aufbau, Motivierung und Handlung verschieden von allen andern. Eine Intrigue, die von Apollon selbst bewegt wird, schaukelt dreimal hin und her; der göttliche Ursprung und die große Zukunft des Ion, des Tempeldieners in Delphi, ist Zielpunkt des Ganzen. Das Paar Xuthos und Kreusa kommen zum delphischen Orakel wegen ihrer Kinderlosigkeit, Xuthos erkennt, durch das Orakel getäuscht, in Ion seinen Sohn; Kreusa will den Bastard beseitigen; Ion, gerettet, sinnt auf Rache; die bedrängte Kreusa am Altar, die von Ion zum Tode geführt werden soll, wird erlöst durch die Botschaft der Pythia selbst, die durch die Erkennungszeichen seiner Herkunft den Ion als Sohn des Apollon und der Kreusa erweist. Der Verzweiflung des Ion, welcher der Offenbarungen er glauben soll, macht Athene, für Apollon eintretend, ein Ende, die die Zukunft des Ion und der andern Stammheroen kündet. Zusammenstellungen für die Frage, was E. übernommen und umgestaltet, bei Ermatinger Die attische Autochthonensage, Berlin 1897 (alles Wesentliche für die Motivierung des Dramas scheint Eigentum des E. zu sein: die Liebe des Apollon und der Kreusa, Ion als Gottesdiener in Delphi, die Orakelfahrt der Alten). Zur Datierung des Stückes läßt sich nur sagen, daß es nicht vor den Erechtheus 421 und nicht nach die Katastrophe 413 fallen kann (neben der Elektra 413 kann es auch schwerlich stehen), vgl. v. Wilamowitz Herm. XVIII 242. Darin liegt, wie ich überzeugt bin, zugleich, daß für die Stimmung des Ε., für den das attische Reich zerbrochen war, als er die Troerinnen schrieb, das Stück von da an unmöglich war. Das beweist namentlich der für Athen und die Ionier patriotische, hoffnungsfreudige Schluß des Ion. Die Beobachtungen über die Metrik stellen Ion zu den jüngeren Stücken (Enthoven De Ione fab. Eur., Bonn 1880), schließen aber seine Abfassungszeit ein oder ein paar Jahre vor 415 durchaus nicht aus. Die Literatur über die ganze Frage findet man angeführt bei Ermatinger a. a. O. 138f. Bemerkt mag nur im einzelnen noch sein, daß die seit Boeckh (De graec. trag. princ. 191) viel vorgebrachte Kombination, daß die im Ion beschriebenen Gemälde der Tempelhalle die seien, die Athen nach dem Siege von Rhion gelobt habe, [1260] schon darum nicht stichhaltig sein kann, weil jene Halle, wie wir jetzt wissen, sehr viel älter ist (Köhler Rh. Mus. XLVI 160). Kinesias endlich in Aristoph. Lysistr. 911 brauchte gewißlich kein literarisches Vorbild, um die Pansgrotte zum Liebesschlupfwinkel vorzuschlagen. Ausgaben von Badham, London 1853. van Herwerden, Utrecht 1875. Μ. Α. Bayfield, London 1889. A. W. Verrall, Cambridge 1890.
Troerinnen. 415 aufgeführt mit Alexandros, Palamedes und dem Satyrspiel Sisyphos. Eine Reihe der erschütterndsten Szenen zeigen den Zusammenbruch alles Glanzes und aller Hoffnungen Troias und seines Königsgeschlechts. Hekabe ist die Person, durch die alle Bilder des Schreckens, und der Verzweiflung dramatisch lose verbunden sind; die Schreckensbotschaft des Talthybios, die Vernichtung der letzten Hoffnung, des Astyanax, die wirkungsvolle Gegenüberstellung der Hekabe und der Helena, die wieder aus allem Unheil gerettet, zur Heimat zieht: die gefangenen Troerinnen gehen zu Schiff im Angesicht der brennenden zusammenbrechenden Vaterstadt. Und die abziehenden Achaeer werden von den Göttern heimgesucht werden: Athene wird die Blitze in ihre Flotte schleudern; Untergang und Verzweiflung ist überall das Ende in diesem Drama des letzten Gerichts (die Anschauungen der sehr anregenden Abhandlung H. Steigers Philol. LIX [1902] 362ff. teile ich nur zum Teil). Ausgabe von Burges 1807. Seidler 1813.
Elektra. Das Stück behandelt im allgemeinen denselben Stoff, den die Choephoren des Aischylos (über die Kritik, die E. an Aischylos übt, zuletzt Radermacher Rh. Mus. LVIII 546ff.), die Elektra des Sophokles enthalten; im einzelnen ist aufs stärkste geändert. Seit v. Wilamowitz Herm. XVIII 214ff. der Euripideischen die Priorität vor der Sophokleischen zugesprochen hatte, ist die lebhafteste Diskussion über diese Frage geführt worden (die Literaturangaben findet man in der letzten bedeutendsten Abhandlung darüber von H. Steiger Philologus LVI 561 ff.); sie kann als dahin entschieden gelten, daß die Elektra des Sophokles vor die des E. fällt (auch v. Wilamowitz hat das jetzt zugegeben Herm. XXXIV 57f., 2). Das Stück des E. ist eine Auflehnung gegen den Gott, der einen Muttermord befiehlt, und eine Kritik einer sittlichen Anschauung, die einen Muttermord ohne Reue und Strafe kennt. E. verurteilt mehrmals ausdrücklich den Gott und seinen Orakelspruch und fordert für Orestes Sühne und Strafe. Das ist der Hauptpunkt. Sein Stück ist ein Tendenzstück, das den Mythus, den es darstellt, selbst verneint und vernichtet. Die hochwandelnden Gestalten mit den konventionell gewordenen Taten sind mit Absicht in gewöhnliches Tagesleben hineingerückt: Elektra, an einen, Bauer verheiratet, weiß ihre Mutter durch List in ihre Hütte zu bringen und hilft selbst sie erschlagen. Sie soll als das schauerlich unmenschliche Weib, die Teufelin erscheinen, als die Elektra in des Dichters Zeit in Wahrheit erscheinen würde. Die Revolution gegen die Unsittlichkeit der Götter und des Mythus hat das Kunstwerk als solches zerstört. Die Zeit des Stückes ist fest bestimmt; die Helena, die 412 aufgeführt wurde (s. o.), ist v. 1280 direkt [1261] angekündigt. Am Schlusse aber (1347) ist von der Flotte im sizilischen Meere die Rede und deutlich auf den geächteten Gottesfrevler Alkibiades hingedeutet, dem die Götter nicht beistehen konnten, und den frommen Nikias, dem sie nun helfen werden. Das paßt allein auf 413. Ich will an dieser Stelle das neue Programm des Baseler Gymn. 1905 von Jakob Oeri, E. unter dem Drucke des Sizilischen und des Dekeleischen Krieges, wenigstens einmal nennen, in dem Elektra, Helena und die beiden Iphigenien zum Teil wesentlich anders datiert werden. Ich kann fast nirgends folgen. Ausgaben von Seidler, Leipzig 1813. Camper, Leiden 1831.
Iphigenie in Taurien. Die Priesterin der Artemis im Lande des Thoas, die alle Fremden der Göttin opfern muß, erkennt in einer der am kunstreichsten gebauten ἀναγνώρισις-Szenen des alten Dramas einen von zwei gefangenen Hellenen als ihren Bruder Orestes; sie bewerkstelligen nun mit List ihre Flucht samt dem Kultbilde der Artemis; Athene verhindert den Thoas an der Verfolgung. Wie aus der epischen Geschichte vom Opfer am Euripos und der Entrückung der Iphigenie einerseits, durch den Ritus der Ἄρτεμις Ταυροπόλος, des alten Artemiskults und der Tradition von Iphigenie in Brauron anderseits die Grundlage der Fabel gewonnen wurde, die nun mit der Orestessage künstlich verbunden wurde (dadurch, daß die Befreiung von allen Erinyen erst an die Heimholung des Artemisbildes geknüpft wurde, obwohl doch der Freispruch auf dem Areshügel so feste Tradition war), ist am klarsten dargelegt von Βruhn in der Einleitung zu seiner Ausgabe (Berlin 1894), vgl. vorher Robert Archaeol. Märchen 147. Die Zeit des Stückes wird bestimmt, durch den völlig analogen dramaturgischen Aufbau der Helena (was meines Wissens zuerst von Firnhaber Ztschr. f. d. Altertumswissensch. VI 1839, 1ff.; Verdächtigungen eurip. Verse 1840, 21f. erkannt und zum Teil dargelegt ist) und dazu die deutliche Steigerung der Kunstmittel in etlichen Partien der Iphigenie gegenüber der Helena (namentlich Iphig. 1194ff. ~ Hel. 1291ff.): Iphigenie ist vor Helena aufgeführt. Ich vermute, daß die sakrale Lokaltradition von Halai und Brauron viel stärkern Anhalt für E. für den Zug des Orest gab, als wir wissen können. Die Entführung eines heiligen Bildes aus der Ferne, der widerspenstige Barbarenkönig, die göttergeleitete glückliche Fahrt u. a. entsprechen der Art, wie die Kultlegende zu erzählen liebt. Wenn E. doch wohl durch den Erfolg der Iphigenie veranlaßt war, die Helena zu konzipieren, er selbst aber in der Elektra 413 die Helena bereits direkt ankündigt, so muß die Iphigenie auch noch vor die Elektra fallen, Bruhn a. a. O. 11ff. Ausgaben von Markland, London 1771. Seidler, Leipz. 1813. Badham, London 1851. Bruhn, Berlin 1894 (Neue Bearbeit. von Schöne-Köchly Ausgew. Trag. des Ε. II).
Helena, 412 aufgeführt. Auf der Grundlage, die dem E. die Stesichoreische Dichtung von dem εἴδωλον der Helena bot, das nach Troia entführt ward, während die echte Helena in Ägypten für Menelaos aufgehoben worden sei (eine rationalistische Version der Geschichte Herodot. II [1262] 112ff.), hat der Dichter ein Intriguenstück im wesentlichen dadurch aufgebaut, daß er den Proteus gestorben sein und seinen Sohn Theoklymenos die Helena umwerben und bedrängen, die Tochter Eido-Theonoe als Seherin den Menelaos und dessen Pläne erkennen, dann aber seine Partei nehmen läßt. Mehr als den Namen (Εἰδώ s. Od. IV 365. Aisch. frg. 208, Theonoe χρηστήριον ὄνομα, vgl. Plat. Krat. 407b. Hyg. fab. 150; Θεοκλύμενος ist wohl völlig frei hinzugesetzt, Od. XV 182 erklärt nichts) hat er für diese Gestalten schwerlich überkommen. Über das Verhältnis von Vorlage und freier Erfindung des E. findet man die umfangreiche Literatur angegeben bei v. Premerstein Philolog. LV 640. 647. Ausgaben von Badham (mit Iphigenie, s. o.), London 1851. Herwerden, Leiden 1895.
Phoenissen. In diesem Stücke häuft der Dichter noch einmal alle Motive der alten thebanischen Labdakidensagen zu einem großen ‚Schauergemälde‘, sozusagen einem Panorama der Tragödien des Oidipusgeschlechts. Die Teichoskopie, die glänzenden Schlachtenberichte, die Aufopferung des Menoikeus und als höchster Effekt Oidipus und Iokaste, die Uralten (schon im Oidipus hatte er Iokaste im Leben bei dem Gatten ausharren lassen), im Jammer über alles hereingebrochene Elend und die gefallenen Söhne. Iokaste tötet sich, und der Schmerzensmann Oidipus bleibt allein übrig, der seine toten Söhne jammernd betastet. Und es fehlt nicht der Konflikt Kreons und der Antigone wegen der Bestattung des Polyneikes und zuletzt auch nicht die den Vater ins Elend begleitende Tochter. Die bisherige Literatur über den vielumstrittenen Schluß bei Lindskog a. a. O. 149. Die große letzte Szene hat v. Wilamowitz verständlich gemacht S.-Ber. Akad. Berl. 1903, 587ff. und v. 1736ff. als Dublette zu v. 1710–35 erklärt, die der Verfertiger der Ausgabe in einem andern Exemplar fand und zu dem ersten Schlusse zuschrieb. Nur was den Widerspruch zwischen dem Abgang der Antigone und der Bestattung des Polyneikes betrifft, scheint mir eine andere Auffassung nötig, die hier nicht begründet werden kann.
Die Zeitbestimmung des Stückes kann sich nur stützen auf Schol. Arist. Frösche 53 (zu τὴν Ἀνδρομέδαν) διὰ τί δὲ μὴ ἄλλο τι τῶν πρὸ ὀλίγου διδαχθέντων καὶ καλῶν Ὑψιπύλης Φοινισσῶν Ἀντιόπης· ἡ δὲ Ἀνδρομέδα ὀγδόῳ ἔτει προῆλθεν. Also zwischen 411 und 408. Wenn aber πρὸ ὀλίγου so stark der langen Zeit gegenüber gestellt ist, so muß man schließen, daß 411 und 410 in diesem Gegensatz niemals πρὸ ὀλίγου heißen würde, und da 408 (Ol. 92, 4) durch den bezeugten Orest ausgeschlossen ist (wir kennen ja die ganze Trilogie, in denen die Phoinissen standen, Oinomaos und Chrysippos waren die beiden andern Stücke), die folgenden Jahre durch die Abwesenheit des E. in Makedonien, so bleibt 409 (Ol. 92, 3). In der verstümmelten Hypothesis der Phoenissen ist ἐπὶ Ναθσικράτους ἄρχοντος angegeben; der Name ist für uns unfassbar. Die Archonten des J. 410 (Ol. 92, 2) waren Mnasilochos (2 Monate), Theopompos (10 Monate), der Archen des J. 409 (Ol. 92, 3) war Glaukippos; die Möglichkeit, auch 409 einen zweiten Archon anzunehmen, der Nausikrates geheißen hätte, fällt [1263] dadurch weg, daß durch die Hypothesis des Sophokleischen Philoktet als festgebender Archon Glaukippos bezeugt wird. Es folgt, daß Ναυσικράτους ein wie auch immer entstandener falscher Name und daß Γλαυκίππου dagestanden haben muß. Dem allem fügt sich aufs trefflichste, daß die Hypothesis des Philoktet von Sophokles angibt πρῶτος ἦν, die Hypothesis der Phoenissen δεύτερος Εὐριπίδης. Nur Sophokles konnte damals über die Trilogie des E. siegen.
Orestes, 408 aufgeführt. Das Stück ist eine Fortsetzung der Elektra und zugleich eine Fortsetzung der Kritik der Sophokleischen Elektra. Eine der glänzendsten Szenen, die E. je geschaffen, zeigt zu Beginn die Folgen des Muttermords: Orestes, von der Schwester gehütet, liegt krank, gehetzt vom Wahnsinn der Erinyen, er erwacht vor unsern Augen. Die demokratische Volksversammlung kennt keine Schonung für sein Vergehen: er soll sterben wie seine Schwester, Menelaos, der heimkehrt, der listige Spartaner, der Weiberknecht, tut nichts für ihn. In letzter Verzweiflung wenden sich Orest und Pylades gegen Helena, die Veranlassung all ihres Jammers; da sie entkommt, gegen Hermione. Der Schluß, daß Orestes die Hermione heiraten und, freilich nach langer Büßung, in Argos herrschen soll, ist blutiger Hohn auf den Mythus und das, was er fordert. Die innern Widersprüche des Stückes sind ebenso aufzufassen, wie bei der Elektra angedeutet wurde (s. bes. H. Steiger Progr. Gymn. Augsburg 1898).
Iphigenie in Aulis, nach dem Tode des E. aufgeführt (s. o.). Die Handlung dreht sich um das Opfer der Iphigenie, das der Griechenflotte günstige Fahrt nach Troia schaffen soll. Die außerordentlich verwickelt geschlungenen Motive, daß die unter dem Vorwand, dem Achilleus vermählt zu werden, ins Lager hereingeholte Iphigenie, der nun Achilleus gegen das Heer Rettung bringen will, selbst durch freiwilligen Entschluß sich zu opfern die Lösung schafft, geben ein außerordentlich prächtig mannigfaltiges Rührstück. Der Zustand der Anfangspartie und vor allem der Schluß haben alsbald den Gedanken nahegelegt, daß E. das Stück unvollendet hinterließ und der jüngere E., der es aufführte, die Ergänzung und Umarbeitung vornahm. Auf die mannigfaltigste Weise sind die Lösungen dieser Schwierigkeiten hinundhergeschoben worden. Daß es noch einen andern Schluß gab, zeigen die Verse bei Aelian. hist. an. VII 39. Ausgaben von Markland, Lond. 1771. Höpfner, Halle 1795. Firnhaber, Leipz. 1841. Vitelli, Florenz 1878. Ε. Β. England, London 1891.
Bakchen. Das Stück ist erst nach seinem Tode aufgeführt (s. o.); es behandelt den Sieg des gewaltigen Gottes Dionysos über den Feind Pentheus, den die eigene Mutter im Wahnsinn des Gottes in Stücke reißt (über Aischylos als Vorgänger des E. s. besonders Bruhn in der Einleitung der Ausgabe 25). Die Bakchen sind in Makedonien gedichtet, wo den greisen Dichter der dionysische Gottesdienst mit seiner ganzen ursprünglichen Wildheit und orgiastischen Macht anzog. Er suchte sich von den wilden Geistern, die ihn in ihren Taumel rissen, los zu machen, indem er sie verkörperte (so v. Wilamowitz Her. [1264] I² 134, weiteres bes. bei Bruhn a. a. O. v. Arnim in der Einleitung seiner Übersetzung, Wien 1903). E. gibt sich dem poetischen Zauber des Dionysosdienstes einmal ganz gefangen als ein echter Dichter und hat nicht selbst die Stimmung seines Gedichtes zerstört. Nicht Teiresias sagt die Meinung des Dichters. Die Sehnsucht nach Frieden, ja das hier und da hervorbrechende Gefühl, den Frieden gefunden zu haben, wenn es am Ende auch nur eine Betäubung war, fühlen wir, zumal in den Liedern, als im Dichter selbst lebendig heraus. Ausgaben von E. Bruhn (Ausgew. Trag. d. E. I³) 1891. Sandys, 4. ed. London 1904. Tyrrell, zuerst London 1871.
Kyklops. Das Stück ist das einzige uns erhaltene Satyrspiel. Handlung und Personen sind für das Satyrdrama des E. typisch: der riesige Unhold Polyphem, in seiner Gefangenschaft Silen und die Satyrn, dann der kluge Held Odysseus, der sie alle mit List befreit. Die lustige Person ist recht eigentlich der Silen mit seiner drolligen Trinklust, Feigheit und Verlogenheit. Man beobachtet, daß E. in einer Reihe der uns kenntlichen Satyrspiele Unholde ähnlicher Art immer wieder zum Mittelpunkt machte, Busiris, Skiron, Syleus. Namentlich im Syleus ist die Ähnlichkeit des Aufbaus noch klar erkennbar. Die Zeit des Kyklops ist mit einiger Sicherheit nicht zu bestimmen. Kaibel Herm. XXX 71ff. wollte den Kyklops über die Alkestis hinaufrücken. Ein von dem Stück abhängiges Vasenbild wird in das letzte Viertel des 5. Jhdts. gesetzt, publiziert von Winter Arch. Jahrb. 1891, Taf. VI; s. dazu Furtwängler Meisterw. 150. Reisch Z. Vorgesch. d. att. Trag., Festschr. f. Gomperz 455. Zu Stil und Metrik vgl. Th. Neumann Quid ex E. Cyclope et ad elocutionem et ad rem metricam dramatis satyrici accuratius definiendam redundet pluribus explicatur, Progr. Colbg. 1887. Ausgabe von Höpfner, Leipz. 1789.
Rhesos. Die homerische Δολωνεία ist dramatisiert. Es ist ein Nachtstück und Soldatenstück, in dem Griechen und Barbaren als Gegenrollen wirksam Kontrast machen, Hektor und Dolon, Diomedes und Odysseus. Die Hypothesis lehrt, daß schon im Altertum das Stück für unecht erklärt wurde, und daß man zwei verschiedene Prologe hatte. Krates wird im Schol. zu v. 528 angeführt, der einen astronomischen Irrtum rügt den E. begangen διὰ τὸ νέον ἔτι εἶναι. Seit Scaliger (Proleg in Manil. VIf.), Valckenaer Diatribe 88ff. und G. Hermann Opusc. III 262 kann als ausgemacht gelten, daß der Rhesos euripideisch nicht sein kann. Eine Reihe der gewichtigsten Momente (z. Β. öfteres Brechen eines Verses unter zwei Personen, deus ex machina, Verwendung von vier Schauspielern) rücken ihn zu den späten Tragödien des Ε., von denen ihn im übrigen nahezu alles scheidet. Man darf die Ansicht ignorieren, die diesen Rhesos für ein Jugendwerk des E. halten will, auch wenn L. Eysert Rhesos im Lichte des eurip. Sprachgebrauchs, Progr. Böhm. Leipa 1891, gezeigt hat, daß mit sprachlicher Statistik die Unechtheit nicht beweisen ist. In vielem des Stils und der Metrik ist aber die Nachahmung des Sophokles fühlbar und auch faßbar. Ich könnte mir allenfalls die Möglichkeit denken, daß unser Stück eine recht [1265] weitgreifende Umarbeitung des tatsächlich vorhanden gewesenen Rhesos des E. sei (vgl. die verschiedenen Prologe, die vorhanden waren). Nur die Zeit der Dichtung oder Umarbeitung bleibt unsicher. Daß der Rhesos eine alexandrinische Tragödie sei, ist unmöglich (G. Hermann), v. Wilamowitz setzt ihn in die Zeit des zweiten Seehundes (De Rhesi scholiis, Greifswald 1877; Her. I¹ 41, vgl. Anal. Eur. 142ff.). Die umfangreiche Literatur s. zusammengestellt bei W. Nestle Eurip. 381, 28 und bei John C. Rolfe Harvard studies in class. phil. IV (1893) 61ff. Ausgabe von Vater, Berlin 1837.
Fragmentarisch erhaltene Dramen
Nur Bruchstücke sind uns erhalten von 48 Dramen. Ich zitiere zu den einzelnen Titeln weder Nauck, dessen Nachweise ich nicht ausschreibe, noch Welcker, auch nicht Hartung Euripides restitutus, Hamburg 1843. 1846, auf die ich ein für allemal verweise, und gebe nur über die Aufführungszeit an, was man sicher wissen kann und neuere wichtige Arbeiten über die einzelnen Stücke. Ein für allemal seien auch zwei Hilfsmittel genannt, in denen die Vasenbilder angeführt sind, die auch zur Rekonstruktion hier und da nützlich waren und nützlich werden können, Vogel Szenen eur. Trag. auf Vasenbildern, Leipz. 1886, und Huddilston Greek Tragedy in the light of Vase Paintings, London 1898, für Euripides S. 78ff. und die Listen S. 178ff. (deutsche Übersetzung von Maria Hense, Freiburg 1900); vgl. v. Prott Sched. philol. H. Usenero oblatae 57ff. A. Körte Berl. Phil. Wochenschr. 1898, 1459ff. Watzinger De vasculis pictis Tarentinis 33ff.
Aigeus (vor der Medea 431, v. Wilamowitz Herm. XV 482. R. Wagner Epit. Vatic. p. 124. M. Mayer De E. mythopoeia 59ff.).
Aiolos.
Alexandros, 415 (Robert Bild und Lied 234ff. Wentzel im Epithalamium für W. Passow, Göttngen 1890, XXVff).
Alkmene, vor 405, Aristoph. Frösche 93. 536 (Engelmann Beitr. zu Ε. Ι Alkmene, Progr. Friedr.-Gymn., Berlin 1882; Arch. Studien zu den Trag. 1900, 52ff.).
Alkmeon in Psophis, 438 (A. Schöll Beitr. z. Kenntn. der trag. Poesie der Griechen I 132ff. Bethe Theban. Heldenlieder 137ff. v. Wilamowitz De trag. graec. frgm., Ind. lect. aest. Gott. 1893, 12ff.). Ein kurz nach Aufführung des Stückes gemaltes attisches Vasengemälde aus Kamarina, jetzt in Syrakus, stellt die feierliche Übergabe des Racheschwertes durch Amphiaraos an Alkmeon dar: Orsi Mon. dei Lincei IX 1899, 238; vgl. Rizzo ebd. XIV 1905, mit tav. IV, der aber seinen Widerspruch nach privater Mitteilung wieder aufgibt).
Alkmeon in Korinth, 406 (Basedow De Ε. fabula Ἀ. διὰ Κορίνθου, Rostock. Diss. 1872. v. Wilamowitz a. a. O.).
Alope (Matz-v. Duhn Antike Bildwerke in Rom II 2888; vgl. Robert bei Preller Myth. I⁴ 589).
Andromeda, 412 (Robert Arch. Ztg. XXXVI 18ff. Johne Die A. des E., Progr. Landskron 1883. Wecklein S.-Ber. Akad. München 1888, I 87ff. Bethe Arch. Jahrb. 1896, 292ff. Engelmann Arch. Stud. zu den Trag. 63ff. Petersen Journ. of Hell. Stud. XXIV 1904, 99ff.).
[1266] Antigone, zwischen 441 und 406 (Vogel Szenen eur. Tragödien auf gr. Vasenb. 50ff. M. Mayer De E. mythop. 73ff., vgl. Heydemann Über eine nacheur. Antig., Berlin 1868. John H. Huddilston Am. Journ. Arch. 1899, 183ff.).
Antiope. Schol. Aristoph. Frösche 53 … τὴν Ἀνδρομέδαν· διὰ τί δὲ μὴ ἄλλο τι τῶν πρὸ ὀλίγου διδαχθέντων καὶ καλῶν Ὑψιπύλης Φοινισσῶν Ἀντιόπης· ἡ δὲ Ἀνδρομέδα ὀγδόῳ ἔτει προεισῆλθεν. Wenn es richtig ist, daß die Phoenissen mit Oinomaos und Chrysippos 409 aufgeführt wurden (s. o. zu den Phoenissen), 411 und 410 aber wegen des πρὸ ὀλίγου kaum möglich ist, so wäre die Antiope 408 neben den Orest zu setzen (407 war E. fort). Für die Hypsipyle bliebe dann auch nichts anderes übrig und wir kennten dann die Trilogie von 408 Antiope, Hypsipyle, Orestes (Jahn Arch. Ztg. XI 66ff. Wecklein S.-Ber. Akad. München 1878, II 170ff. Graf Die Antiopesage 29ff. Mahaffy Hermathena XVII 38ff.; vgl. v. Wilamowitz Her. I² 137, besonders aber Weil Étede sur le drame antique 1897, 213ff.; ganz neuerdings A. Taccone Rivista di filol. 1905, 32ff.).
Archelaos. Vita 2, 8f. … εἰς Μακεδονίαν παρὰ Ἀρχέλαον γενόμενος διέτριψε καὶ χαριζόμενος αὐτῷ δρᾶμα ὁμωνύμως ἔγραψε.
Auge, zwischen 415 und 405, Aristoph. Frösche 1080 (Wecklein S.-Ber. Akad. München 1890, 1ff. Jahn Telephos u. Troilos 52ff. v. Wilamowitz Anal. Eur. 186ff. Robert Arch. Jahrb. II 246ff., vgl. 22. Hall. Winckelmannsprogr. 1898, 41ff.).
Bellerophon, vor 425, Aristoph. Acharn. 426 (Fischer Bellerophon 50ff. Wecklein S.-Ber Akad. München 1888. I 98ff.).
Chrysippos, 409, Hypothesis zu den Phoenissen (v. Wilamowitz De trag. graec. frgm. 6ff.).
Danae, vor 411, Aristoph. Thesmoph. 21 (über den gefälschten Anfang Wünsch Rh. Mus. LI 138f.).
Diktys, 431 (Wecklein S.-Ber. Akad. Μünch. 1888, I 109ff.).
[Epeios, nur als Titel erhalten auf dem Marmor Albanum, CIG 6047, 25].
Erechtheus, 421 (Plut. Nik. 8. Hiller v. Gaertringen Wochenschr. f. kl. Phil. 1887, 571ff. Wecklein S.-Ber. Akad. Münch. 1890, 8ff.).
Hippolytos (Ι καλυπτόμηενος), vor 428 (s. ο. zum erhaltenen Hippolytos), aber auch noch vor 431, s. zum Theseus (M. Mayer De E. mythopoeia 65ff.).
Hypsipyle, 408? (s. o. zur Antiope; zu dem Zeitansatz stimmt es vortrefflich, daß in den Fröschen des Aristophanes die Hypsipyle in einer Szene stark herangenommen wird: frg. 756 ~ Ar. Frösche 1822 mit Schol. frg. 769 ~ Ar. Frösche 1305 mit Schol.; s. v. Wilamowitz Her. II² 115).
Ino, vor 425, Aristoph. Acharn. 435.
Ixion, 410–8, Philochoros bei Diog. Laert. IX 55 (das Datum von Protagoras Tod richtig erörtert von Jacoby Apollodors Chronik 268f.).
Kadmos (Crusius in Rosch. Lex. II 850).
Kresphontes, Aristoph. Γεωργοί frg. 109K. nach frg. 453. Die Γεωργοί fallen nach 426 und vor 421, s. Kaibel o. Bd. II S. 978 (vgl. Bergk [1267] Rh. Mus. XXXV 247). v. Wilamowitz Her. I¹ 39, vgl. Ribbeck Röm. Trag. 186ff. Vahlen Ind. lect. bib. Berol. 1888, 16ff.
Kreter, vor 406, Aristoph. Frösche 849. 1356 (Jahn Arch. Beiträge 237ff. G. Körte Histor. und philol. Aufsätze E. Curtius gewidm. 197ff. Kuhnert Jahrb. f. Philol. Suppl. XV 192ff. Robert Der Pasiphaesarkophag, 14. Hall. Winckelmannsprogr. 1890. v. Wilamowitz De trag. graec. frgm. 17f. R. Holland Die Sage von Daidalos und Ikaros, Abh. zum Bericht der Thomasschule in Leipzig 1901/2, Leipzig 1902, bes. S. 7ff.).
Kreterinnen, 438 (v. Wilamowitz Anal. Eur. 255).
Likymnios (nach Nauck² p. 507 bezieht sich darauf Aristoph. Vögel 1242, dagegen v. Wilamowitz Obs. crit. in com. gr. sel. 12f.).
Melanippe (ἡ σοφή), vor 411, Aristoph. Lysistr. 1124 mit Schol.
Melanippe (ἡ δεσμῶτις. Ribbeck Röm. Trag. 176ff. Wünsch Rh. Mus. XLIX 91ff.; vgl. Beloch Herm. XXIX 605ff. v. Wilamowitz Her. I² 10).
Meleagros, vor 415? Aristoph. Vögel 831, jedenfalls vor 406, Aristoph. Frösche 1238. 1316. 1402 (Ribbeck Röm. Trag. 506ff. Μ. Μayer De E. mythopoeia 77ff., besonders auch Kuhnert bei Röscher Myth. Lex. II 2598ff. Engelmann Arch. Stud. zu den Trag. 76ff. Robert Ant. Sarkophagreliefs III 2, 275ff.).
Oidipus, jedenfalls nach dem Oidipus des Sophokles (Robert 50. Berl. Winckelmannsprogr. 1890, 76ff., besonders Bruhn in der Ausg. des Soph. Oid. 54ff., vgl. v. Wilamowitz S.-Ber. Akad. Berl. 1903, 589).
Oineus, vor 425, Arist. Acharn. 418 u. Schol. (vgl. Ribbeck Röm. Trag. 301ff. Wecklein S.-Ber. Akad. München 1890, 10ff.).
Oinomaos, 409 mit Phoenissen und Chrysippos aufgeführt, s. o. S. 12621 (Kramer De Pelopis fabula 23ff.).
Palamedes, 415 (v. Wilamowitz Her. I² 115).
Peleus, vor 423? Aristoph. Wolken 1063 (es ist nicht auszumachen, ob der Vers der ersten oder zweiten Bearbeitung gehört).
Peliades, 455 (Robert Arch. Ztg. 1875, 134ff., vgl. E. Schwartz De Dionysio Scytobr. 9).
Phaethon (v. Wilamowitz Herm. XVIII 396ff. Blass Diss. de Phaethontis Eur. frgm. Clarom., Kiel. Progr. 1885. Wecklein S.-Ber. Akad. München 1888, I 118ff., vgl. Knaack bei Roscher Myth. Lex. III 2184ff.).
Philoktetes, 431 (Wecklein S.-Ber. Akad. München 1888, I 127ff.).
Phoinix, vor 425, Arist. Acharn. 421 (v. Wilamowitz Her. I¹ 38).
Phrixos, vor 406, Arist. Frösche 1225. Ein Φρίξος δεύτερος wird erwähnt Schol. Aristoph. Frösche 1225. Etym. M. 714, 21. Tzetzesschol. 616 Keil, dazu v. Wilamowitz Her. I¹ 42.
Pleisthenes, vor 415, Aristoph. Vögel 1232 ~ frg. 628. Die Echtheit bezweifelt v. Wilamowitz Herm. XL 1905, 131ff.
Polyidos.
Protesilaos (Max. Mayer Herm. XX 101ff.).
Skyrioi (Robert Bild und Lied 34; Arch. Anz. 1889, 151. Wecklein S.-Ber. Akad. Münch. 1890, 13).
[1268] Stheneboia, vor 422, Aristoph. Wespen 711. 1074 (Wecklein S.-Ber. Akad. München 1888 I 98ff. Engelmann Annali d. Inst. 1874, 35ff. Vogel Szenen eur. Trag. auf Vasenb. 85f. Engelmann Arch. Stud. zu den Trag. 85ff.).
Telephos, 438 (O. Jahn Telephos und Troilos, 1841. Ribbeck Röm. Trag. 105ff. Wecklein S.-Ber. Akad. München 1878, II 198ff. Vogel a. a. Ο. 89ff. Robert Arch. Jahrb. II 244ff.; Bild u. Lied 146. C. Pilling Quomodo Telephi fabulam et scriptores et artifices veteres tractaverint, Diss. Halle 1886).
Temenidai, vor 406, Schol. Arist. Frösche 1338.
Temenos.
Theseus, vor 422, Aristoph. Wespen 312 (v. Wilamowitz Anal. Eur. 171 f.); da Theseus mit Aigeus und Hippolytos I eine Trilogie war, vor 431 (v. Wilamowitz Herm. XV 481ff. Robert Bild und Lied 33. M. Mayer De E. mythopoeia 62ff. G. Körte Strena Helb. 169, vgl. aber Robert Journ. of Hell. Stud. XX 94).
Thyestes, vor 425, Aristoph. Acharn. 433.
Bruchstücke sind erhalten von den Satyrspielen (für die ich von vornherein auf die vortreffliche Abhandlung von Reichenbach, Progr. Znaim 1889, und die dort angeführte Literatur verweise, der ich nur einiges Wichtigere zu den einzelnen Stücken beizufügen habe; eben erschien Joh. Schmidt E. Verhältnis zu Komik u. Komödie, 1. Teil Kap. 1 u. 2. Progr. Grimma 1905, wo S. 4–11 die Satyrspiele, weiterhin ‚komische Elemente‘ in andern Stücken des E. behandelt werden) Autolykos, Busiris (v. Wilamowitz De trag. graec. frgm. 18; Radermachers Beobachtung Rh. Mus. LVII 278ff. wäre weiterzuführen und zu beweisen, daß der Busiris vor dem Orest gedichtet wurde, was freilich auch so fast selbstverständlich ist), Eurystheus (Lamia nur als Titel erwähnt in unsicheren Zeugnissen, vgl. auch M. Mayer Arch. Ztg. XLIII 119ff.; Athen. Mitt. XVI 300f.), Skiron (vgl. Wernicke Arch. Jahrb. VII 212, Reste der Hypothesis auf einem Papyrus, Amherst Papyri II p. 60, s. o., dazu Weil Études de littérature et de rythmique grecques 8f.), Syleus, der allein mit Wahrscheinlichkeit annähernd datiert werden kann, zwischen 438 und 424, v. Wilamowitz Her. I² 74 (Reichenbach a. a. O. 7ff. und v. Wilamowitz a. a. O. ergeben die fast vollständige Rekonstruktion).
Schaffen
Der Überblick über die erhaltenen Dramen allein kann auch einige Stufen der Entwicklung der Dichtung des E. erkennen lassen. Von dem eigentlichen Werden und ersten Wachsen seiner Kunst freilich wissen wir nichts; das erste Stück das wir noch lesen, schrieb er, als er bereits die ἀκμή des Lebens, das 45. Lebensjahr, überschritten hatte; die ersten seiner großen Tragödien, die wir noch haben, schrieb er, als er über 50 Jahr alt war. Wenig helfen uns die paar Daten und die Fragmente aus der früheren Zeit, die uns wenige Stücke einigermaßen kenntlich machen (Phaethon). Aber innerhalb der späteren Zeit können wir einige Perioden nicht schwer unterscheiden. Ich setze deren fünf an.
1. Die Zeit der neuen, vor allem erotischen Stoffe und Motive. Es gilt für die gesamte Dichtung [1269] des Ε., daß er lange nicht so wie die beiden andern großen Tragiker sich anschließt an homerische, epische Stoffe. In dieser Zeit zeigt sich besonders, daß er bisher nicht behandelte Stoffe aufsucht, von denen es heißt oder heißen könnte παρ’ οὐδετέρῳ κεῖται. Er erobert das erotische Motiv für die tragische Bühne, eine künstlerische Tat von unermeßlichen Folgen: Hippolytos (den Stoff behandelt er zweimal, vor und nach der Medea) und Medea sind die ersten uns erhaltenen Stücke, die das Dämonische der Liebesleidenschaft und der Eifersucht im Drama darstellen. Eine Reihe anderer Stücke dieser früheren Zeit, wie namentlich die Stheneboia und der Aiolos (der Inzest der Geschwister Makareus und Kanake war Hauptmotiv), gehören in die Reihe der Darstellungen der gleichen Probleme; man erkennt, wie E. gerade die unheimlich brütenden Leidenschaften, schwüle, ja krankhafte Verhältnisse aufsucht. Gerade aber auch Dramen, in denen die Auflehnung gegenüber der hergebrachten Religion, der Zweifel an Walten und Dasein der Götter zum Ausdruck kam, fallen in diese erste, uns bekanntere Epoche. Der Himmelstürmer Bellerophon und die Sophistin Melanippe sind die deutlichsten Typen solcher religiösen Revolutionsdramen.
2. Die Zeit der politischen und patriotischen Dichtung. Eine Abgrenzung dieser beiden ersten Perioden ist zeitlich schwer möglich und die Werke beider Art gehen mannigfaltig neben einander her. Wie die Stücke der Art, wie ich sie zur ersten Epoche charakterisierte, bis weit in die 20er Jahre hineinreichen, so gehen Dramen der zweiten Gruppe jedenfalls bis gegen den Anfang des Peloponnesischen Kriegs zurück. Attische Stoffe hat E. in allen verschiedenen Perioden aufgesucht, bevorzugt gerade in dem ersten Jahrzehnt des Krieges (Aigeus [sogar vor 431], Theseus, Hippolytos, Ion, Erechtheus [die Zeit der Alope ist unbekannt]). Die Herakliden und die Hiketiden sind für uns die Beispiele der Poesie des E., die die Menschlichkeit Athens und die Herrlichkeit seines Vaterlandes preist und in die politischen Verhältnisse, wie es auch in der Andromeda zu Anfang des Krieges geschieht, von der Buhne aus hineinspricht. Die Hiketiden, zugleich mit dem Erechtheus aufgeführt, sind ein Festspiel zum Frieden 421, ein ἐγκώμιον Ἀθήνων, wie schon die Alten es bezeichneten.
3. Eine Zeit der politischen Verzweiflung und des ‚Weltschmerzes‘, wie man nicht ganz treffend sich ausgedrückt hat, läßt sich einigermaßen abgrenzen. Man mag über den Herakles subjektiv verschieden urteilen, ob er bereits der Zeit, da er für sein Vaterland keine Hoffnung mehr hat, angehört (s. v. Wilamowitz Her. I² 132ff.). Sicher weist ihn die ganze Stimmung des Dichters zwischen die Hiketiden und die Troerinnen. Auch die Vermutung, die v. Wilamowitz ausgesprochen hat (a. a. O. 135), daß der Bruch des E. mit allen nationalen Hoffnungen zusammenhänge mit der Person des Alkibiades, dem er noch 420 (die Zeit scheint mir sicher) ein Siegeslied gedichtet hat, wird unbeweisbar, aber wahrscheinlich bleiben. Die troische Trilogie 415 ist erklärlich in völligster Verzweiflung an allen irdischen Hoffnungen gedichtet, eine Tragödie des letzten Gerichts über alles Griechentum.
[1270] 4. Die Zeit des bürgerlichen Schauspiels, des Intriguenstücks, des phantastischen Rührstücks. Zwar lassen sich die mannigfachen Aufgaben, die E., der sich mit Energie aus der weltverachtenden Stimmung zu rastlosem Schaffen herausreißt, in diesen Jahren bis zu seinem Abschied von der Vaterstadt sich gestellt hat, nicht unter einen Gesichtspunkt bringen. Am meisten tritt hervor, daß er in einer Reihe von Stücken Stoffe und Personen des Mythos immer mehr wie Vorgänge und Menschen des ihn umgebenden Lebens behandelt, denen nur eben noch die mythischen Namen hinderlich sind, frei von den Fesseln der Tradition des dionysischen Festspiels ein bürgerliches Schauspiel zu gestalten. In den Phoinissen aber schichtet er noch einmal alle Motive der thebanischen Tragödien übereinander, um ein grandioses Rührstück zu schaffen, das im Altertum seine ungeheure Wirkung nie verfehlt hat. 408, ehe er geht, entsagt er ausdrücklich dem πρακτικὸς βίος in der Antiope.
5. Die Zeit des makedonischen Aufenthalts. Das charakteristische Stück dieser anderthalb Jahre, das ganz in der neuen Umgebung wurzelt, sind die Bakchen. Er gibt sich als Dichter dem dionysischen Rausche ganz hin, er schwelgt in der Stimmung, daß es so schön wäre, Frieden zu haben vor dem Zweifeln und dem Grübeln – er starb ohne ihn zu finden. Daß der nahezu 80jährige Dichter dies Drama schreiben konnte, wird immer ein Wunder bleiben.
Für die Gesamtentwicklung des Euripideischen Dramas ist der Punkt am wichtigsten, daß der Widerspruch zwischen der Tradition des Mythos und den künstlerischen Zielen und Problemen des Dichters immer schärfer wird und schließlich das ganze Kunstwerk auseinandersprengt, das nur noch mit den gewaltsamsten Mitteln scheinbar zusammengehalten werden kann. Am Ende dieser Entwicklung stehen für uns Elektra und Orestes. Der Mythos war der notwendige Stoff des heiligen Spiels des Dionysos, und wie ihn E. auch modifiziert, die traditionellen Stoffe sind zu fest gefügt als daß er sie ganz sprengen könnte. Sein religiöses und sittliches Gefühl lehnt sich auf gegen den Gang und die Tatsachen der alten Geschichten und er kann nicht andere als es ehrlich auszusprechen: so verneint, verfolgt, vernichtet er selbst den Mythos, in den schließlich einzumünden er durch die geheiligten Traditionen seines Theaters gezwungen ist. Die Darstellung der Heldensage auf der attischen Bühne hatte sich, wie jede Kunstform zu ihrer Zeit, abgelebt, und hatte, wie natürlich, die Adaptierung der Heroen an die Menschen der Zeit des Dichters immerwährend Fortschritte gemacht, so war dem E. klar und unabweisbar der Widerspruch zwischen der Lösung der alten Konflikte, wie sie die Sage gab, und wie sie die Sittlichkeit seiner Zeit geben würde und geben müßte. Da könnte kein Orestes ohne Reue und Strafe von dannen gehen. So ist sein modernes Drama, das die sozialen und sittlichen Konflikte seiner Zeit darzustellen drängte, zu innerstem Zwiespalt verdammt durch die Fesseln einer Tradition, die E. gar nicht zerbrechen konnte. Was als schärfster Tadel berechtigt scheinen mußte und objektiv auch berechtigt ist, bleibt für den Dichter selbst [1271] und sein Streben der höchste Ruhm. Der Schritt, die mythischen Geschichten und Namen abzuwerfen und die Stoffe freizumachen, ist von der neueren Komödie getan worden, die sich zwar nach dem Spiel des Kratinos und Aristophanes nennt, aber die direkte Fortsetzung der Tragödie des E. ist. Die Komödie hatte die Freiheit der Stoffe: so konnte nur unter ihrem Titel ein modernes, vom Mythos erlöstes Drama sich bilden. Freilich waren nun für diese Komödie die bedeutendsten Probleme der Euripideischen Tragödie nicht mehr möglich. Aber sogar an der Art der Masken dieses neuen bürgerlichen Schauspiels sieht man, wie es nicht die altattische Komödie weiterführt, sondern die Euripideische Tragödie (Dieterich Pulcinella 52). E. hat in heißem Ringen dem ‚modernen‘ Drama die Bahn gebrochen.
Die dramatische Kunst des E. in Kürze darzustellen ist außerordentlich schwierig. Hauptpunkte lehrt am besten die Parodie des Aristophanes kennen, noch weniger die der Acharner und Thesmophoriazusen als die ausführliche der Frösche, die uns, wenn wir von Spott und Parteistandpunkt des Komikers und Tendenz des Stückes abzusehen verstehen, erkennen läßt, was dem Altertume die Hauptpunkte in der Kunst, eine Tragödie zu schreiben, waren. Spott und Parodie geht, wie Bruns (Das literar. Porträt 154f. 159ff.) fein gezeigt hat, nicht auf die Person, sondern auf das Wesen seiner Kunst. Es sind zunächst ein paar scheinbar nebensächliche Kunstmittel, die für die dramatische Technik des E. einst wie jetzt besonders charakteristisch erschienen sind.
Die Prologe mit ihrem bald im schematischen Formalismus erstarrten Aufbau hat man immer wieder zu erklären sich bemüht, immer wieder in neuer Verwunderung, wie ein solcher Meister dramaturgischer Ökonomie einer so schalen Technik habe verfallen können. Zum Besten, was zum Verständnis der Prologe gesagt ist, gehört auch heute noch, was Lessing Hamb. Dramat. 1. Stück, 49. und 50, Stück auseinandersetzt. E. ‚ließ seine Zuhörer also ohne Bedenken von der bevorstehenden Handlung eben so viel wissen, als nur immer ein Gott davon wissen konnte, und versprach sich die Rührung, die er hervorbringen wollte, nicht sowohl von dem, was geschehen sollte, als von der Art, wie es geschehen sollte‘. Die Prologe gaben zum voraus alles an, was zum Verständnis der Handlung zu wissen notwendig, was dann am nötigsten war, wenn der Dichter die Voraussetzungen des Mythus änderte und erst spätere gelegentliche Hinweise falschen Erwartungen und Mißverständnissen nicht sicher vorgebeugt hätten. In der Regel kehren mehrere Teile des Prologs wieder: die redende Person nennt sich und den Ort der Handlung (oft mit ὅδε), Früheres wird erzählt, die wesentliche Handlung wird angegeben, etwa der Furcht oder Hoffnung Ausdruck gegeben. Die Handlung des Dramas beginnt immer erst nach dem Prolog, oft setzt sich darnach noch die Exposition fort. Man erkennt, daß der Prolog sich immer mehr vom eigentlichen Drama loslöst, und daß ihn darum E. sorglos in rhetorischer Manier behandelt. Ein Bedürfnis, wie das nach dem Theaterzettel und auch nach einer Kenntnis der Haupthandlung [1272] überall da, wo nicht die Spannung der Neugier des Publikums das Wesentlichste ist, wird durch diese ‚Vorrede‘ befriedigt, und dieser κῆρυξ, der das πρόσωπον einer oft sehr wenig mit der Handlung des Stückes verknüpften Person trägt, gehört kaum noch zu dem Kunstwerk selbst (κῆρυξ, vgl. Arist. Acharn. 11 mit Schol.). Die weitere Entwicklung des Prologs im antiken Drama zeigt diese Auffassung immer deutlicher (s. bes. Leo Plautin. Forsch. 170ff., auch Fabia Les prologues de Térence 1888, 60ff). Die Technik der Euripideischen Prologe im einzelnen haben namentlich erschlossen Klinkenberg De E. prologorum arte et interpolatione, Bonn 1881 und v. Arnim (derselbe Titel), Greifswald 1882. Gegen die Annahme zahlreicher Interpolationen und Erweiterungen, die nach Klinkenberg die Prologe heimgesucht hätten (er schließt an Useners Ausführungen Rh. Mus. XXIII 158ff. an), wendet sich die Verteidigung v. Arnims.
Der deus ex machina hat von alters ähnlichen Tadel wie der Prolog erfahren. Er hängt ersichtlich oft damit zusammen, daß die Zerstörung des Mythus durch E. und die gänzlich unauflösbar gewordene Verwicklung eine so gewaltsame Endigung der Handlung erzwingen. Nach Schrader Rh. Mus. XXII 544ff. XXIII 103ff. Kuhlenbeck Der deus ex machina in der griech. Tragöd., Osnabrück 1874. A. Dühr De deo ex mach. Eurip., Stendal 1875 urteilt bei weitem am richtigsten Lindskog Studien zum ant. Drama 70ff. Die Göttererscheinung am Schlusse überhaupt hat E. nicht erfunden, und wenn sich herausstellt, daß das einzige, was in keiner Schlußszene mit dem deus ex machina fehlt, die Stiftung irgend eines Kults, die Gründung einer Stadt, die Prophezeiung von irgend welchen Stammesheroen, die Erklärung einer Verwandlungssage u. dgl., kurz irgend ein αἴτιον ist, so wird man annehmen dürfen, daß diese Gottesoffenbarung, die θεία ἀγγελία, am Schluß zum Teil noch immer mit dem aitiologischen Element des heiligen Spieles zusammenhängt, wenn der Mythos z. Β. die Einsetzung eines Kults erklärt und darstellt (an anderem Orte wird dieser Gesichtspunkt ausführlicher dargelegt werden). Es sind eigentlich nur sechs Dramen, die ein ‚natürliches Ende‘ haben; denn die Medea schließt tatsächlich ἐκ μηχανῆς, in der Iphig. Aulid. trat ursprünglich Artemis am Schlusse auf. Es bleiben Alkestis, Troerinnen, Hekabe, Herakliden, Phoinissen, Herakles. Die Alkestis nimmt wirklich eine Sonderstellung ein, in den Troerinnen ist die Götteroffenbarung von Poseidon und Athene am Anfang statt am Schlusse gegeben, am Schluß der Herakliden, der Hekabe und der Phoinissen läßt E. jedesmal eine der Personen göttlichen Orakelspruch verkünden oder zitieren. Nur im Herakles kommt nichts der gleichen vor (wenn man nicht im Schlusse das αἴτιον des ‚Herakles in Athen‘ sehen will). Es ist sehr bezeichnend, daß E. im Schlusse fast immer mit besonderem Eifer zu der heiligen Legende zurückkehrt, die er so oft selbst zuvor zerstört hat, und daß er offenbar bewußt an ältere Kunst (ich erinnere nur an die Orestie und Promethie des Aischylos) anknüpfend, in für die Zuhörer besonders reizvoller Weise das Spiel in die Erinnerung an bekannte oder bestehende heilige [1273] Einrichtungen und heilige Traditionen einmünden läßt.
In den Epeisodien, den Szenen der Dramen, zeigt E. seine Kunst besonders in dem kunstvollen Aufbau der Reden und Gegenreden bis zu den kunstvoll pointierten Stichomythien, der ῥήσεις einzelner Personen bis zu den mit raffinierter Technik aufgebauten Botenreden (nur zwei treffliche Arbeiten seien aus der Fülle der geringen herausgehoben: Hirzel De E. in componendis diverbiis arte, Diss. Bonn 1862 und Adolf Gross Die Stichomythie in der griech. Trag. u. Kom., Berlin 1905). Der Kampf zweier Personen in Rede und Gegenrede wird in ganz festen Formen ausgebildet, und den Reden beider folgen z. Β. regulär ein paar Chorverse (meist zwei oder auch vier, einzeln drei oder fünf, nie bloß einer), die den Aufbau der Szene markieren (so die Bemerkung von v. Wilamowitz Her. II² 60). Die Sprache ist immer mehr der des täglichen Lebens angenähert; das entspricht ganz der Gesamtentwicklung der Euripideischen Tragödie, die immer mehr die Realität des Lebens ihrer Zeit eindringen läßt. Auch hier führt der gerade Weg weiter zur neuern Komödie. Das eigentlich Charakteristische aber der Sprache und des Stils der Dialogpartien ist das rhetorische Element. Der Sophistenschüler ist durch und durch rhetorischer Poet. Die ἀγῶνες und ἀντιλογίαι, die ἅμιλλαι λόγων mit allem rednerischen Schmuck der λέξις beherrschen seine Stücke. Und zwar finden wir bei ihm die σχήματα λέξεως, die wir nach Gorgias zu bezeichnen pflegen, bereits vor dessen Auftreten in seinen Stücken. Ἀντιθέσεις, παρισώσεις, ὁμοιοτέλευτα beherrschen z. Β. ganz die ἅμιλλα λόγων (Med. 546, vgl. [Gorg.] Helena 13) des Iason und der Medea in der Tragödie, die schon vier Jahre vor dem Auftreten des Gorgias in Athen aufgeführt war (M. Lechner De Euripide rhetorum discipulo, Progr. Ansbach 1874. Th. Miller Euripides rhetoricus, Diss. Göttingen 1887. P. Hermannowski De homoeoteleutis quibusdam tragicorum, Dissert. Berlin 1881. Norden Antike Kunstprosa I 28f. II 832f.). Mag man nun in Thrasymachos den sehen, der den E. im besonderen angeregt hat (v. Wilamowitz Her. II² 61, vgl. E. Schwartz De Thrasymacho Chalced., Programm Rostock 1892), oder sich begnügen, festzustellen, daß die Sophisten schon vor Gorgias jene Kunstmittel und Schmuckstücke der Rede kannten und handhabten (Norden a. a. O. 29), jedenfalls zeigt es sich bei E. am deutlichsten, wie Poesie und rhetorische Prosa in einander übergehen: die Sophisten sind ποιηταί und E. ist σοφιστής. Die wichtige Beobachtung Nordens (a. a. O. 76) darf aber nicht unerwähnt bleiben, daß die Alkestis noch ‚völlig frei von jenen rhetorischen Kunstgriffen‘ ist, von denen die Medea wimmelt; also hat ganz akut sophistisch-rhetorischer Einfluß zwischen 438 und 431 bei E. eingesetzt.
Es mag gleich an dieser Stelle der metrischen Praxis des E. in den Epeisodien, d. h. im Trimeter Erwähnung geschehen. Außer dem iambischen Trimeter hat nur das der älteren Tragödie wieder entlehnte trochäische Maß durch E. wieder stärkere Verwendung gefunden und das immer reichere Repertoire seiner Kunstmittel gesteigert: [1274] im Herakles kommt es zuerst vor (soweit die Stücke erhalten sind; für Meleagros und Oidipus stellt es v. Wilamowitz fest, Her. I² 145), dann in den Troerinnen und weiterhin immer häufiger (Ion, Helena, beide Iphigenien, Phoinissen, Orestes, Bakchen, Andromeda, Archelaos, s. v. Wilamowitz a. a. O.). Der jambische Trimeter wird immer beweglicher und freier, und wie die Sprache nähert sich ihre Formung im Dialogvers immer mehr dem realen Leben an (wegen der außerordentlich fleißigen Zusammenstellungen nenne ich hier A. Taccone Il trimetro giambico dei frammenti tragici, satireschi e comici e dell’ Alessandra di Licofrone, in den Memorie della R. Academia dclle Scienze di Torino, Serie II Bd. LIV 1904). Hier ist das Wichtigste festzustellen, daß die Auflösungen und Anapäste im Trimeter nicht im mindesten eine saloppere, laxere Praxis des E. gegen frühere Technik darstellen, sondern ganz im Gegenteil fein gehandhabte künstlerische Mittel, einer steif werdenden Manier zu entgehen.
Der Chor spielt bei E. für das eigentliche Drama und seine Handlung eine immer geringere Rolle. Er ist für ihn ein überkommenes Bühneninstitut, das er dramaturgisch nur noch verwendet, wenn Pausen auszufüllen, Personen einzuführen, Abschnitte der Diskussion zu markieren sind, um den ‚Monologen‘, die ohne das unmöglich wären, einen Zuhörer zu geben, der doch der Handlung gegenüber völlig unpersönlicher Statist ist. E. hat feste Typen der Vertreter und Vertreterinnen des Chors, und die weiblichen Chöre überwiegen stark (v. Wilamowitz Her. I² 116). Die Chöre sind immer mehr nur ἐμβόλιμα und könnten, ohne das Gewebe der Handlung im geringsten zu lädieren, herausgenommen werden. Die Verselbständigung der Lieder, ja der einzelnen Strophen ist immer mehr zu beobachten. Nun wird aber das überkommene Institut für E. ein Vehikel, seine ganz besondere Kompositionsbegabung, seine musikalische Kunst in der Tragödie zur Geltung zu bringen, und neben den eigentlichen Chorliedern wachsen nun immer mehr nicht nur die κομμοί, viel mehr noch die Monodien einzelner Schauspieler an Umfang und brillierenden Kunstmitteln. Die Musik gewinnt in den Bravourarien der einzelnen Sänger die volle Herrschaft. Wir sehen das am deutlichsten an solchen Künsten, wie sie Aristophanes verspottet, dem nachgemachten Echo, der Wiederholung der gleichen Worte u. dgl. (Thesmophoriazusen und Frösche). Die Gliederung in Strophen hört auf, die Lieder sind ἀπολελυμένα, metrisch geradezu frei fortlaufende Potpourris. Diese durchkomponierten Arien setzen sich fort in der hellenistischen Lyrik und dann in den Cantica der römischen Komödie (s. Leo Die plautinischen Cantica und die hellenistische Lyrik, Abhandl Gött. Ges. d. Wies. N. F. I 7, 1897, zu E. besonders S. 78ff.). Der Gipfelpunkt der Euripideischen Arienkomposition ist das Bravourstück des Phrygers im Orest (für dieses will ich wenigstens ausdrücklich die Analysen, die v. Wilamowitz Orestie II 258 und Gött. Nachr. 1869, 218 gegeben hat, notieren; andere Analysen Euripideischer Lieder s. in seinen Kommentaren). Die Parodie einer E.-Arie in den Fröschen 1331ff. stellt sich direkt neben ‚des Mädchens Klage‘. Die [1275] Einführung und Ausgestaltung der Euripideischen Arien ist beeinflußt durch die neue Musik, die im Dithyrambus und der Kitharodie emporblühte. Die Angaben des Altertums, die den Timotheos von Milet mit E. zusammenbringen, sind zwar auch heute noch unkontrollierbar; wie die Kunst des E. von der des Timotheos beeinflußt ist, können wir einigermaßen selbst sehen, wenn wir den Omphalos der neugefundenen Perser unmittelbar, etwa wie es der erste Herausgeber ausspricht, mit den Liedern der Iokaste und Antigone in den Phoinissen, der Elektra und des Phrygers im Orestes vergleichen (v. Wilamowitz Timotheos Perser 100f., über die Beziehungen von E. und Timotheos 67). Eine brauchbare Zusammenstellung über die neumusikalische Kunst des E. gibt das Buch von Estève Les innovations musicales dans la tragédie grecque à l’époque d’Euripide, Paris 1902.
Man pflegt für die freiere Behandlung der Lieder, die immer stärkere Vermischung verschiedener Versarten ebenso wie das stärkere Durchdringen freierer Bewegung des Trimeters als ungefähres Epochenjahr 420 anzugeben, was jedenfalls, so weit eine solche Zahl überhaupt etwas Wahres geben kann, zutrifft (die früher viel benutzten Bücher Arnoldt Die chorische Technik des Ε., Halle 1878, und Buchholtz Die Tanzkunst des E., Leipzig 1871, mögen auch hier wenigstens genannt sein, und immerhin auch das neueste, eine Hallenser Dissertation von R. Lohmann Nova Studia Euripidea, Diss. Phil. Hal. XV 1904).
Die Kunst des E. in dem Aufbau und der Ökonomie des Dramas, also die eigentlich dramaturgische Technik, ist noch so wenig untersucht (neuerdings einiges Wertvolle bei Detscheff De tragoediarum Graecarum conformatione scaenica ac dramatica, Diss. Gött. 1904), daß hier nur geringe Andeutungen Platz finden können. Die Trilogie in einer zusammenhängenden Handlung hat er offenbar nur selten noch aufgebaut; wir wissen, daß die Stücke der troischen und thebanischen Trilogie in diesem Zusammenhang standen, und es ist erschlossen worden, daß der erste Hippolytos, Aigeus und Theseus eine Trilogie bildeten (s. o. zum Hippolytos), und wohl auch Herakliden, Kresphontes und Temenos (v. Wilamowitz Herm. XI 301f. XVII 337ff.). Weiteres hierüber wagt zuletzt Paul Girard La trilogie chez Euripide, Revue d. ét. gr. XVII 1904, 149ff. Man beobachtet dagegen, daß bei einigen Stücken die Einzeltragödie geradezu in zwei Stücke zerfällt, die nur lose aneinanderhängen. Freilich muß man unterscheiden, ob die Teile in der Fortentwicklung ihrer Handlung auf einander berechnet sind und der erste Teil erst die volle Wirkung des zweiten hervorbringt, wie im Herakles, oder ob wirklich zwei Handlungen ohne innere Einheit aneinander gereiht sind, damit ein Stück voll werde, wie es in der Andromache der Fall ist. Solche Anzeichen einer schnellen, sorglosen Komposition der Dramen finden sich mehrfach gerade in der mittleren Periode der Dichtung des Ε. Ε. ist aber von alters der anerkannte Meister der Schürzung und Lösung der dramatischen Verwicklung, der Verknüpfung der Motive der ‚verflochtenen‘ Handlung. Die Peripetie weiß er oft mit raffinierter Kunst [1276] zur höchsten Erschütterung wirksam zu machen, mehrfach ist ihm dazu das ‚Altarmotiv‘ – Hartbedrängte am Altar werden im Augenblick der Not, da sie am höchsten ist, gerettet – das in gleichartigen Formen benutzte dramaturgische Mittel. Auch hier ist gelegentlich eine Technik der Spannung gehandhabt, die keinem modernen Dramatiker etwas nachgibt. In der Andromache wie im Herakles gestaltet das Altarmotiv die erste Hälfte des Dramas, im Ion nur eine Szene, in den Herakliden und Hiketiden trägt es den ganzen Aufbau. Wie er dies ältere Motiv zu den stärksten Wirkungen verfeinert, so auch immer und immer wieder das überkommene Motiv des ἀναγνωρισμός, das in der taurischen Iphigenie seine (soweit wir die Stücke noch haben) feinste Ausgestaltung durch E. erfahren hat (denn in Elektra und Helena ist es lange nicht so fein vorbereitet und ausgeführt). Daß er das erotische Motiv für die Bühne erobert hat, wurde oben kurz ausgeführt. Dies Motiv hat er in allen Hauptformen, die die Tragödie aller Folgezeit beherrscht haben, vorgebildet, von der Liebe der Stiefmutter zum keuschen Stiefsohn, der Eifersucht und Rache des verlassenen Weibes bis zum Inzest der Geschwister. Zu immer neuen Gestaltungen hat ihm aber gerade das uralte Motiv des θρῆνος gedient, wenn ich so alle Motive der ‚Rührung‘, über die E. verfügt, zusammenfassen darf. Eine Häufung von Rührszenen und rührenden Gestalten charakterisieren geradezu einzelne Stücke, am meisten fielen aber schon im Altertume auf, wie uns so anschaulich die Parodie der Acharner zeigt, die mannigfaltigen Jammergestalten: zerlumpte oder lahme Helden, hinfällige Greise, wimmernde Kinder. Auch in kleinen Zügen bildet sich eine völlige Typik solcher Figuren aus; über den Typus des Greises einige Bemerkungen bei v. Wilamowitz Her. II² 28. 46. 152, über die Kinderrollen bei E. s. Conr. Haym De puerorum in re scaenica Graecorum partibus, Diss. phil Hal. XIII 222ff. 259ff. Zu den Rührmotiven gehört auch das öfters als Nebenmotiv angewandte Jungfrauenopfer (Herakliden, Hekabe, Erechtheus, aulische Iphigenie, das Knabenopfer des Menoikeus in den Phoinissen; die Todesweihe der Euadne in den Hiketiden stellt darüber hinaus noch ein höheres tragisches Motiv dar). Über eine Reihe, es kurz zu sagen, pathologischer Motive verfügt die Kunst des E. Vor allem weiß er ganz anders als seine Vorgänger den Wahnsinn durchaus realistisch so darzustellen, wie ihn auch die alten Mediziner beschreiben (Dieterich Rh. Mus. XLVI 30f. H. Harries Tragici graeci qua arte in describenda insania usi sint, Diss. Kiel 1891), namentlich im Herakles, der taurischen Iphigenie und im Orest. Damit ist zweimal verbunden das Motiv der Schlafszene. Wir wissen nicht, ob von E. erfunden ist, denn auch in der Eriphyle des Sophokles kam es in der gleichen Verbindung vor (frg. 198 Alkmeon schlief), die Szene im Herakles hat Sophokles in den Trachinierinnen nach gemacht, E. hat im Orest noch einmal mit de Künsten der neuen Musik alle Wirkungen dieses Motivs ausgenutzt (Dieterich Rh. Mus. XLVI 25ff.). Mit dieser Szene hängt eng zusamm die Verwendung des Motivs des körperlichen Schmerzes auf der Bühne, die eine eingehende [1277] Untersuchung verdient, und die stärkste Steigerung dieses Motivs in den Sterbeszenen, die recht wohl eine Entwicklung erkennen lassen (einige Bemerkungen bei Dieterich a. a. O. 45f.). Von besonderer Wichtigkeit sind ferner die Motive des Traums und der Orakel in den Dramen, die bisweilen eine nebensächliche, oft dramaturgisch eine Hauptrolle spielen. Mit Recht ist bereits darauf hingewiesen worden, daß die Orakel für die antiken Dramen durchaus zu den rein menschlichen Motiven gehören, weil sie für jene Menschen eine Realität sind. Auch wenn mit Untersuchungen über die Motive, wie ich sie andeute, nicht viel zu ‚erreichen‘ ist, wie man gemeint hat: die Entwicklungsgeschichte der dramatischen Kunst selbst, speziell der Euripideischen, ist ein viel größeres Problem als eine einzelne Datierungsfrage. Die Kunst der Charakteristik der Personen kann nicht in Kurzem geschildert werden, ohne auf Verhandlung des einzelnen einzugehen. Das Typische gewisser Personen ist schon bemerkt worden, wie bei Kindern und Greisen (s. o.), so besonders bei Herolden, Dienern und Dienerinnen (v. Wilamowitz Her. I² 122; über Tyrannen s. ebd. II² 31; wenig förderndes bei Walther Heim Die Königsgestalten bei den griech. Tragikern, Diss. Erlangen 1904, 79ff. u. s. Joh. Schmidt Der Sklave bei Euripides, Festschrift der Fürstenschule Grimma 1891, 93ff. und Programm von Grimma 1892).
Weltanschauung
Es hätte nun zum Schlusse noch eine kurze Darlegung der Weltanschauung des E. zu folgen. Da sie präzis heute noch nicht gegeben werden kann, begnüge ich mich mit einigen Hinweisen auf die wichtigste Literatur, die diese Fragen gefördert hat. Das Buch von Wilh. Nestle E., der Dichter der griechischen Aufklärung, Stuttgart 1901, kann wohl als Zusammenstellung reichen Materials gute Dienste leisten; richtige Resultate sind von vornherein deshalb unmöglich, weil Nestle in harmonisierendem Bestreben aus beliebigen Äußerungen irgend welcher Personen der Dramen, mit sorgloser Benutzung der Fragmente, ohne den Grund zu legen durch Untersuchung der Stellen der erhaltenen Stücke, wo nachweisbar der Dichter aus dem Stücke hinaus spricht, ein ganz falsches Mosaikbild einer einheitlichen Weltanschauung gewinnt (vgl. Zielinski Neue Jahrb. 1902, 635ff. E. Bruhn Gött. Anz. 1902, 644ff.). Einige frühere Werke sind in verschiedener Richung brauchbar, die besten Decharme Euripide et son théatre, Paris 1893 (dazu namentlich Weil Études sur le drame ant. 93ff.) und Kuiper Wijskegeerte en Godsdienst in het drama van E., Haarlem 1888, außerdem Berlage Commentatio de E. Philosopho, Leiden 1888 und Verall E. the rationalist, a study in the history of art and religion, Cambr. 1895. Am besten aber, im wesentlichen richtiger als die genannten Werke, orientieren die paar Seiten bei Rohde[WS 6] Psyche II³ 247ff. und v. Wilamowitz Her. I¹ 22ff. (vgl. auch Gomperz Griech. Denker II 8ff.).
Über die politischen Anschauungen des E. unterrichtet am besten K. Schenkl Die politischen Anschauungen des E., Ztschr. für österr. Gymn. XIII 357ff. 485ff. (die meisten in Betracht kommenden Stellen, übersichtlich angeordnet und zusammengestellt), vgl. Haupt Die [1278] äußere Politik des E., Programm Eutin 1870; viele feine, freilich auch viele übereilte Bemerkungen bei Dümmler Prolegomena zu Platons Staat, Rektoratsprogr. Basel 1891. Bei den sozialen Meinungen des E. kommt insbesondere seine Ansicht über die Sklaven und seine Stellung zum weiblichen Geschlecht in Frage. Seine freien Ansichten über die ‚Menschenrechte‘ der Sklaven sind klar zu erkennen (sehr treffende Bemerkungen über die sozialen Gedanken des E. über Adlige, Geld, Sklaven, wie auch über seine politische Stellung in dem Vortrag Ribbecks über E. und seine Zeit, Bern 1860, jetzt Reden und Vorträge 146ff., der fast 30 Jahre lang das Beste war, was überhaupt über E. geschrieben war); zum typischen Weiberfeind ist er, der vom Weibe die tiefste Kenntnis hatte, die sich nicht ohne Erfahrung erwirbt, gewiß nur geworden, weil er die Äußerungen gegen die Weiber, denen mindestens ebenso zahlreiche und ebenso starke für die Weiber gegenüberstehen, mit so ungewohnter Ungeniertheit auf seiner Bühne aussprechen läßt, und weil der σκυθρωπός und αὐστηρός die längste Zeit seines Lebens aller holden Geselligkeit und allem Weiblichen entfremdet erschien (zuletzt über Euripide et les femmes Masqueray Revue des études anciennes V 1903, 101ff. und 234ff., besonders ausführlich Decharme a. a. O. 133ff.; richtiger urteilt Zuretti Riv. di filol. 1897, 53ff.).
Die religiösen und philosophischen Anschauungen des E. sind am schwersten im einzelnen festzustellen. Hier vor allem ist zu betonen, daß der echte Dichter, der den verschiedensten Strömungen und Stimmungen seiner Zeit nachgibt, sie fühlt und versteht, die entgegengesetztesten Meinungen in seinen Stücken zu Wort kommen läßt. Bei dem dramatischen Dichter, der dazu noch bei den rhetorisch-sophistischen Neigungen seiner Kunst immer wieder zwei entgegengesetzte Meinungen in Rede und Gegenrede vertreten läßt, wird erst recht nicht in jedem aus dem Zusammenhang gerissenen Stücke seine Anschauung gesehen werden können. Das tritt aber zu deutlich immer wieder hervor, wie er mit seinem Zweifel an allem traditionellen Götterglauben ringt, wie er am Dasein der Götter selbst und an einer gerechten Weltordnung irre wird. An ein persönliches Leben nach dem Tode glaubte er nicht; er spricht öfters von dem Geiste, der in den Äther, dem Körper, der zur Erde geht, ein Glaube, der damals verbreitet war, vielleicht mit mystischen Lehren direkten Zusammenhang hat (Dieterich Nekyia 100ff. 104. Rohde a. a. O.). Es gibt Stellen genug, da der Dichter ohne jeden Zweifel selbst seine Meinung sagt, und vieles zeigt bereits Wahl und Anlage der Stoffe und Motive. E. ist erfaßt von der ganzen geistigen und sittlichen Revolution seiner Zeit, und er spiegelt sie, ein echter Dichter, in seinen Kunstwerken wieder. Daß dieses Kunstwerk auf den religiösen Traditionen beruht, die für ihn vernichtet sind, daß er so die Form des Kunstwerks selbst zerstört, indem er es mit dem neuen Geiste erfüllt und sprengt, ist nicht seine Schuld, sondern der Zeit, die sein Leben und seinen Geist nährte. Und derselbe Dichter kann nicht einmal, sondern öfter, ja fast ein ganzes Stück hindurch die Stimmung festhalten und sie aussprechen lassen, [1279] daß der Friede des Glaubens an die väterlichen Überlieferungen das Beste sei und nicht übermütig zu rühren an die Grenzen, die menschlichem Wissen gesteckt seien (oft mit den für die Tragödie ganz traditionellen Gedanken). Aus seinen formulierbaren Anschauungen über Welt und Seele kann man am ersten die präzis aussprechen, daß er einen Dualismus von Geist, Gott, Äther und andererseits Stoff, Körper, Erde dachte. Manches mag durch Anregung der Mystik, die zu seiner Zeit so stark hervortrat, an ihn herangekommen sein, und er kennt die orphischen und ähnliche Weihen und Verheißungen sehr wohl, wie der Hippolytos zeigt und besonders die Kreter, er benutzt den von pythagoreischer Anschauung durchzogenen Epicharm (zuerst v. Wilamowitz Her. I¹ 29, dazu Diels Sibyll. Blätter 34. Kaibel Com. Gr. Fr. I 133. Nestle Unters. über die philos. Quellen des E. 601ff., wo noch weitere Literatur verzeichnet ist; v. Wilamowitz nochmals Textgesch. d. griech. Lyriker, Abh. d. Gött. Ges. d. W. N. F. IV 3 [1900] 26ff.), aber er hat sich immer wieder mit Haß von aller Mystik losgemacht, und wie er persönlich die Mantik ablehnt und verachtet, kann man deutlich aus einer Reihe von Stellen abnehmen (Radermacher Rh. Mus. LIII 500). Die Festlegung bestimmter philosophischer δόξαι ist darum so untunlich, weil der Dichter nicht die Sätze der Philosophen in Verse bringt und in gar manchen Aussprüchen der eine dieses Philosophen, der andre jenes Einfluß oder Anregung heraushört und anzunehmen berechtigt ist. Und keinem einzigen der Philosophen, die in Betracht kommen, ist er etwa auch nur in dem größeren Teile seiner Weltanschauung gefolgt – vielleicht je nach der unmittelbaren Einwirkung dem einen mehr als dem andern –, aber dergleichen läßt sich vielfach nicht mehr feststellen. Am meisten in Betracht kommen von Philosophen, die auf ihn Einfluß übten, Anaxagoras (Valckenaer Diatr. 28ff. v. Wilamowitz Anal. Eur. 163ff.; Her. I¹ 25. Weil Études sur le drame antique 21. Parmentier E. et Anaxagore, Paris 1893) und die Sophisten, unter ihnen vor allem Protagoras (v. Wilamowitz a. a. O. 26. Diels Fragm. der Vorsokratiker 518). Schwierig ist es, festzustellen, wie weit der Eindruck reicht, den E. von Herakleitos empfangen hat (v. Wilamowitz Her. I¹ 27. II² 25. 279; De trag. gr. frg. 7), noch schwieriger, wie weit etwa Archelaos Einfluß gehabt hat (v. Wilamowitz I² 24). Dagegen ist eine ganz sichere Beeinflussung, ja in diesem Falle fast direkte Entlehnung einer Lehre des Diogenes von Apollonia in den Troerinnen 884 gefunden worden (von Diels Verh. der 35. Philologenvers. Stettin 108; Rh. Mus. XLII 12ff.; Fragm. der Vors. 354), was dann ins Unsichere und Falsche übertrieben worden ist (von Dümmler Akademika 144ff.; Proleg. zu Platons Staat 48ff.); keinesfalls hat die Einwirkung des Prodikos und auch anderer Sophisten viel zu bedeuten. E. selbst ist in gewissem Sinne der bedeutendste Sophist, der am allermeisten dazu beigetragen hat, die Anschauung der neuen Zeit zu verbreiten und die alte Weltanschauung zu vernichten. Seine revolutionäre Predigt geht in ihrer Wirkung nach Stärke und Dauer unendlich weit hinaus über alles, was Protagoras und die [1280] andern Sophisten erreicht haben. Gedanken des Xenophanes hat E. sicher gelegentlich übernommen (v. Wilamowitz Her. II² 272), und seine Gedanken werden ihn im ganzen stark gefaßt haben. Als Zusammenfassung des in all den eben berührten Punkten direkt zur Verfügung stehenden Materials und dessen bisheriger Behandlung ist sehr nützlich W. Nestles Schrift Untersuchungen über die philos. Quellen des E., Philol. Ergänzungsband VIII 557ff. Außer den vorhin genannten Philosophen pflegt noch Sokrates in den Kreis der Erörterung gezogen zu werden. Die einen sagen, daß sich die beiden, E. und Sokrates, hätten abstoßen müssen (v. Wilamowitz Her. I¹ 23), und in der Tat gibt es ja auch kaum tiefer gehende Gegensätze als die Lehre der Sokratik von der Tugend als Wissen und die Überzeugung des E. von der Schwäche des Fleisches und der Macht der Leidenschaften gegenüber allem besseren Wissen; die andern meinen, daß sich die beiden Menschenforscher und Menschenerzieher sehr wohl hätten anziehen können, wenn sie auch Gegenpole waren (Weil a. a. O. 23f.); jedenfalls lehrt uns die eigene Lebenserfahrung und die Geschichte mancher Freundschaften ganz entgegengesetzter Naturen, daß man aus allgemeinen Erwägungen Beziehungen der beiden Männer zu leugnen kein Recht hat. Ein Vers wie der der Frösche 1491 wäre wohl auch unmöglich gewesen, wenn in Athen notorisch gewesen wäre, daß Sokrates und E. nichts mit einander gemein gehabt, ja sich abgestoßen hätten. Jedenfalls aber darf bei allen Untersuchungen über die Weltanschauung des E. und ihre Quellen nie verkannt werden, daß es sich um eine künstlerische Weltanschauung handelt, die immer ‚eklektisch‘ ist – wenn man denn dies Wort, das nur bei Philosophen anwendbar ist und tadelnden Beigeschmack hat, durchaus anwenden will – und um einen dramatischen Dichter, der sich in der verschiedensten Personen Denken hinein versetzt und der sich von so mancher Stimmung, manchem Zweifel und mancher inneren Qual loszumachen sucht, indem er sie aussprechen läßt und verkörpert. Keines großen Künstlers Weltanschauung wird sich auf das Prokrustesbett eines philosophischen Systems, einer politischen Fraktion oder einer theologischen Konfession zwingen lassen.
Die Nachwirkung der Euripideischen Tragödie (eine Skizze bei Bergk Griech. Litt.-Gesch. III 565ff., für die römische Tragödie vieles bei Ribbeck Die röm. Trag. im Zeitalter der Republik) und die Schätzung der Kunst des E. bei der Nachwelt kann hier nicht erörtert werden. Aber eine Äußerung des alten Goethe[WS 7], die eben in den neu herausgegebenen Tagebüchern, 1831, 22. Nov., Weimarer Ausgabe XIII (1903) 176, ans Licht kommt, verdient auch an diesem Orte wiedergegeben zu werden: ‚Mich wunderts denn doch, daß die Aristokratie der Philologen seine (des E.) Vorzüge nicht begreift, indem sie ihn mit herkömmlicher Vornehmigkeit seinen Vorgängern subordiniert, berechtigt durch den Hanswurst Aristophanes. Hat doch E. zu seiner Zeit ungeheure Wirkung getan, woraus hervorgeht, daß er ein eminenter Zeitgenosse war, worauf doch alles ankommt. Und haben denn alle Nationen seit ihm einen Dramatiker gehabt, der nur wert wäre, ihm [1281] die Pantoffeln zu reichen?‘ So lautet Goethes Tagebuchnotiz, die er nur wenige Monate vor seinem Tode niederschrieb.
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Seit Dieterichs Artikel von 1909 haben sich die Grundlagen unserer Kenntnis nicht unbeträchtlich vermehrt. Nur hinsichtlich dieser Grundlagen soll der genannte Artikel so ergänzt werden, daß er dem Stand von 1965 entspricht. [...]
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