Die Industrie
[174] Die Industrie.
Vor Ihm sind tausend Jahre wie ein Tag
Der gestern schied mit feierlichem Prangen;
Denn was der Sturm der Zeiten auch zerbrach –
Ihm ist er machtlos nur vorbeigegangen!
Den ewig seine eigne Schöne preist,
Der frei entwandelt jeglicher Vernichtung,
Der leuchtend zieht die eigne Bahn und Richtung!
[175] Er wohnte an des Indus heil’ger Fluth;
Er strahlt’ und blühte in ital’scher Glut,
Und sang sein Lied im Dunkel deutscher Wälder.
Er schwebte durch der Meere wüsten Schwall,
Und in des Niagara Donnerfall
Ich bin derselbe wie zu allen Zeiten!“
Wohl hat er als das Höchste sich bewährt,
Der Mensch! Der kühn die Elemente bändigt;
Der rastlos fort und weiter nur begehrt,
Dem der Gestirne Wandel so bekannt
Wie seiner Heimath blumenreiches Land;
Dem täglich neue Welten sich erschließen,
Zu neuer That, zu schönerem Genießen!
Da keimt es auf zu schimmernder Gestaltung!
Was ein Jahrhundert ahnungsvoll erharrt,
Es ward! es ist, in herrlicher Entfaltung! –
O Thoren, die dem Leben ihr entrückt,
Die Wunder, so der Gegenwart entsprossen,
Sind groß wie die der Tage, so verflossen! –
Es ging der Mensch durch grüner Wälder Pracht,
Und prüfend wählte er die Riesenfichte;
Und trug’s empor zum frohen Sonnenlichte.
Drauf, in der Schiffe fluthbespühltem Raum
Fuhr er frohlockend zu dem Küstensaum
Entfernter Völker; transatlant’schem Strande
Und in der Städte dumpfumhülltem Schooß
Wie ras’t die Flamme wild aus tausend Essen!
In reinen Formen windet es sich los,
Was ungebildet die Natur besessen. –
Auf’s Neu zu heben sein ambrosisch Haupt:
Hephaistos, säh’ den Dampf die Bahn er wallen,
Dem Menschen staunend, würd’ er niederfallen!
[176] Nicht braucht’s der Morgenröthe Flügel mehr,
Die eigne Kunst trägt brausend uns einher,
Weit durch den großen Garten der Nationen!
Entgegeneilt was Strom und See getrennt
Und rings in Millionen Augen brennt
Der Mensch den Menschen wieder hat gefunden!
So donnert laut das Ringen unsrer Zeit,
Die Industrie ist Göttin uns’ren Tagen!
Zwar noch erscheint’s, sie halte starr gefeit
Denn düster sitzt sie auf dem finstern Thron
Und geißelnd treibt zu unerhörtem Frohn,
Tief auf der Stirn des Unheils grausen Stempel,
Den Armen sie zu ihrem kalten Tempel!
Des Irrthums unersättliche Begierde;
Weinend verhüllt sein Haupt der Paria,
Indeß der Andre strahlt in güld’ner Zierde; –
Doch Thränen fließen jedem großen Krieg!
Und wer sie schmieden lernte, Schwert und Ketten,
Kann mit dem Schwert aus Ketten sich erretten!
Was er verlieh, des Menschen hehrer Geist,
Nicht Einem – Allen wird es angehören!
Und wie die letzten Arme sich empören:
Verwandelt steht die dunkle Göttin da:
Beglückt, erfreut ist Alles, was ihr nah!
Der Arbeit Noth, die Niemand lindern wollte,
Dann ist’s vollbracht! Und in das große Buch
Das tönend der Geschichte Wunder kündet,
Schreibt man: „Daß jetzt der Mensch sich selbst genug,
Da sich der Mensch am Menschen nur entzündet.“
Frei auf der Erde geht des Menschen Gang!
Und die Natur mit zaubervollem Kusse
Lockt die Lebend’gen fröhlich zum Genusse!