Textdaten
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Autor: Alois Wilhelm Schreiber
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Titel: Der Ahornbaum
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aus: Badisches Sagen-Buch II, S. 212–214
Herausgeber: August Schnezler
Auflage: 1. Auflage
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Erscheinungsdatum: 1846
Verlag: Creuzbauer und Kasper
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Erscheinungsort: Karlsruhe
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Quelle: Commons, Google
Kurzbeschreibung:
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[212]
Der Ahornbaum.

Am Abhange des Fremersberges bei Baden lag einst die Altenburg, von welcher Alles verschwunden ist bis auf ihren Namen. Zur Zeit, als noch einige Ruinen vorhanden waren, kam ein junger Bauer dahin, um einen ausserordentlich dicken Ahorn zu fällen, der zwischen dem Gemäuer stand. Mit kräftigem Axtschwung hieb er auf den Stamm los, allein die Schärfe des Eisens glitt spurlos an der glatten Rinde ab. Da trat eine schwarzgekleidete Jungfrau zu ihm aus den Trümmern hervor und fragte, was er mit dem Holze zu machen gedenke? „Ei!“ – antwortete der junge Landmann – „Tisch, Stühle und anderes Hausgeräth möcht’ ich mir daraus verfertigen, denn auf den St. Martinstag werde ich heirathen.“

„Dieser Ahorn widersteht auch dem besten Stahlbeile, so [213] lange ihn meine Hand nicht berührte“ – sagte die Jungfrau – „doch will ich gerne dein Werk fördern, wenn du mir gelobst, aus den Brettern auch eine Wiege zu zimmern und dein erstgebornes Kind hinein zu legen.“

Nach kurzem Erwägen, daß in Erfüllung dieser Bitte nichts Gefährliches liegen könne, gelobte der Jüngling, so zu thun.

Die Jungfrau berührte nun den Stamm und nach wenig Minuten fiel er unter den Streichen der Axt zu Boden, aber in demselben Augenblicke war auch die Erscheinung verschwunden.

Der Bauer hielt sein Versprechen und legte, als ihm sein Weibchen nach einem Jahr ein Knäblein geboren, das Kind in die aus den Brettern des Ahorns gezimmerte Wiege. Als seine Frau eines Tages bei derselben saß und den Knaben darin schaukelte, trat auf einmal die Jungfrau in die Kammer herein, ein dürres Zweiglein in der Hand tragend. Sie betrachtete das Kind eine Weile und faltete dann die Hände zum stillen Gebet. Hierauf reichte sie der erstaunten Mutter das Zweiglein und sagte: „Bewahret sorgsam, was ich Euch hier übergebe. Sobald Euer Sohn das fünfzehnte Jahr zurückgelegt hat, soll er den Zweig in reines, frisches Wasser stellen, und wenn dieser dann Blätter und Blüthen treibt, hinaufgehen auf die Altenburg und mit demselben den gegen Morgen stehenden runden Thurm berühren, dessen Eingang verschüttet ist. Dies wird sowohl zu seinem Lebensglücke, als zu meiner Erlösung dienen.“

Die Mutter des Knaben, eine fromme gottesfürchtige Frau, war froh darüber, daß ihr Kind bestimmt seyn sollte, einem irrenden Geiste zur ewigen Ruhe zu verhelfen. Der Knabe wuchs heran in Zucht und Ehrbarkeit, und als er das fünfzehnte Jahr erreicht hatte, stieg er hinauf zu den Ruinen und berührte den Thurm mit dem nun von Blättern und Blüthen prangenden Zweige. Da öffnete sich alsbald der verschüttete Eingang und die schwarzgekleidete Jungfrau stand vor ihm. „Wohl dir und mir!“ – rief sie aus – „daß endlich diese Stunde gekommen! Ich war einst jung und schön, die einzige Erbin meines Geschlechtes und einem jungen Ritter verlobt, an dem ich mit abgöttischer Liebe hing. Allein er brach die mir geschworene Treue und gab seine Hand einer Anderen. Bald aber fand er den Tod auf dem Schlachtfelde, seine Burg wurde [214] zerstört und seine Wittwe flüchtete sich mit ihrem Säugling auf dem Arme. Von des Tages Gluth und dem weiten Weg erschöpft, suchte sie eines Abends Ruhe im Schatten des Ahorns, der an der Mauer der Altenburg stand. Ich aber, noch immer rachbegierig, ließ sie durch meine Knechte mit Schimpf und Spott hinwegtreiben, aber ihre letzten Kräfte waren geschwunden, ihre Sinne verwirrten sich, sie sprach einen gräßlichen Fluch über mich aus und stürzte sich mit dem Kinde ins Wasser. Der Fluch der Sterbenden ging in Erfüllung. Eine Krankheit zerriß schnell den Faden meines Lebens und meine Burg ward ein Raub der Flammen; mein Geist aber sollte ruhlos umherirren, bis aus den Brettern des Ahorns eine Wiege gezimmert und das Kind darin schlummern würde, welches mich zu erlösen bestimmt ist. Die Gebeine der unglücklichen Mutter und ihres Knäbleins liegen dort unter dem Hügel, wo ein bemooster Grabstein die Stätte bezeichnet. Geh hin, grabe sie aus und setze sie bei in geweihter Erde! Der Segen des Himmels wird dafür in deinem Hause blühen und auf deine ganze Familie übergehen.“

Der Jüngling folgte getreulich der Jungfrau Geheiß und Glück und Ehre krönten noch seine spätesten Lebenstage.

(Siehe Al. Schreiber’s „Sagen aus den Rheingegenden etc. etc.“)