ADB:Carus, Carl
Jörg, daß letztere nur einen Theil der Gesammtlehre über das weibliche Geschlecht bilde, und nicht von dieser abgesondert behandelt werden solle, mit allem Eifer, und legte die bezüglichen Grundsätze in seinem zuerst 1820 erschienenen „Lehrbuch der Gynäkologie“ nieder. Das Werk wurde mit vielem Beifall aufgenommen und erlebte 3 Auflagen, die letzte 1838; in der That ist ja die von ihm vertretene Anschauung, daß die Geburtshülfe in den allgemeinern Begriff der Gynäkologie aufgehen müsse, in neuerer und neuester Zeit völlig maßgebend geworden. Von den zahlreichen einzelnen Abhandlungen in seinem Specialfache ist namentlich eine über eine besondere Art der Schwangerschaft unterhalb der Gebärmutterhöhle hervorzuheben, bei welcher sich das Ei gleichsam in der Substanz dieses Organs eingebettet hat, und die er mit dem Namen: graviditas tubo-uterina statt des bis dahin angewendeten Ausdruckes: gr. interstitialis bezeichnete. Die Vorlesungen von C. auf dem Gebiete der Naturwissenschaften, besonders der vergleichenden Anatomie und Anthropologie, die er in einem „Lehrbuche der Zootomie“ mit 20 von ihm selbst radirten Kupfertafeln, Leipzig 1818, so wie in verschiedenen anderen Schriften niedergelegt, verdienen wol besondere [38] Erwähnung und Anerkennung, so wie auch hier seiner Erfolge auf dem Gebiete der Oelmalerei gedacht werden muß. Der vollständige Titel von Carus’ Gynäkologie ist: „Lehrbuch der Gynäkologie oder systematische Darstellung der Lehre von Erkenntniß und Behandlung eigenthümlicher gesunder und krankhafter Zustände, sowol der nicht schwangeren, schwangeren und gebärenden Frauen, als der Wöchnerinnen und neugebornen Kinder“, 2 Theile, 1820. Die Arbeit über graviditas tubo-uterina ist enthalten in den „Physiologischen, pathologischen und therapeutischen Abhandlungen zur Lehre von Schwangerschaft und Geburt, mit besonderer Hinsicht auf vergleichende Beobachtungen an Thieren“, 2. Abth., 1842[1].
Carus: Karl Gustav C., der unter seinen Verdiensten als Gelehrter im allgemeinen und als bildender Künstler, in der Geburtshülfe eine hervorragende Stellung einnimmt, wurde zu Leipzig 3. Jan. (nicht Juni) 1789 geboren, promovirte daselbst 20. Decbr. 1811 mit einer Dissertation: „De uteri rheumatismo“, und habilitirte sich noch in demselben Jahre; als 1815 die medicinisch-chirurgische Akademie zu Dresden neu organisirt ward, nahm er einen Ruf dorthin als Professor der Entbindungskunst und Director des königl. sächsischen Hebammeninstituts an, welche Stelle er bis 1827, wo er zum königl. Leibarzt ernannt wurde, bekleidete; er † 28. Juli 1869, nachdem er lange Zeit Präsident der Leopoldinisch-Carolinischen Akademie der Naturforscher gewesen war. C. erfaßte die Idee seines Lehrers, des Professors der Geburtshülfe in Leipzig,C. war nach Blumenbach der erste, welcher in Deutschland die vergleichende Anatomie als selbständige Disciplin behandelte, wie er der erste speciell für dies Fach sich habilitirende Universitätslehrer war. Konnte er auch nur vier Jahre dasselbe lehren, so hat er doch noch später durch monographische Arbeiten, wie durch Gesammtdarstellungen zur Förderung dieser Wissenschaft, sowie zur Verbreitung des Interesses an derselben Wesentliches beigetragen. Von ersteren sind seine Untersuchungen über das Nervensystem, über den Kreislauf bei Insecten, über Anatomie und Entwicklung der Ascidien und der Muscheln, von letzteren sein zuerst 1818 erschienenes und von einem Atlas selbst radirter Tafeln begleitetes „Handbuch der Zootomie“, sowie seine großen Erläuterungstafeln zu erwähnen. So werthvoll aber auch seine Einzelarbeiten sind, so groß auch die Anregung war, die er durch sein Handbuch gab, so verhinderte es doch die naturphilosophische Richtung, der er anhing und welche er in einzelnen Fällen, z. B. in seiner Darstellung des Knochengerüstes, bis zum Extrem verfolgte, daß er hier grundlegend hätte erscheinen können. Immerhin ist Einzelnes, wie z. B. seine „Betrachtungen über descriptive und philosophische Anatomie“, von großer Bedeutung. C. war eine geistvolle, künstlerisch angelegte Natur, welche die natürlichen Erscheinungen, wol mit zu geringer Anerkennung der Thatsachen, in einem harmonisch abgerundeten, ästhetisch wohlthuenden Gesammtbilde zu vereinigen suchte. Dieser Zug tritt in seinen, an sich nicht zu unterschätzenden „Beiträgen zur Proportionslehre“ der menschlichen Gestalt und in den einzelnen physiognomischen Versuchen entgegen, bei denen, wie bei den meisten seiner besonders späteren litterarischen Erzeugnisse, die Anlehnung an den Stil Goethe’s sein Streben nach schöner Form auch in der Darstellung verräth. Diesem Streben sind auch seine Versuche auf dem Gebiete der Kunst entsprungen. Hier trat er nicht blos als Schriftsteller auf (über Landschaftsmalerei und vielfach in seinen Reiseschilderungen), sondern auch als bildender Künstler; und es sind sowol seine meist eigenthümlich abgetönten Oelbilder, als besonders seine Kohlenzeichnungen Zeugnisse für ein charakteristisch entwickeltes, innerliches, künstlerisches Leben.
[Zusätze und Berichtigungen]
- ↑ S. 38. Z. 9 v. o. l.: 1824 (st. 1842). [Bd. 20, S. 747]