Weihnachtskämpfe

militärische Auseinandersetzung während der Novemberrevolution
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Die Weihnachtskämpfe (teilweise auch Weihnachtsaufstand oder Weihnachtsunruhen genannt) waren militärische Auseinandersetzungen zwischen der Volksmarinedivision und regulären Truppen, die am 24. Dezember 1918 ihren Höhepunkt erreichten. Die Auseinandersetzungen entzündeten sich an nicht ausgezahlter Löhnung und an Diebstählen der im Berliner Stadtschloss und im Neuen Marstall einquartierten Matrosen. Sie bildeten den äußeren Anlass zum Zerbrechen der Koalition der beiden sozialdemokratischen Parteien MSPD und USPD im Rat der Volksbeauftragten.

Matrosen der Volksmarinedivision während der Weihnachtskämpfe im Pfeilersaal des Berliner Schlosses

Vorgeschichte

Seit mehreren Wochen gab es Streit um die Volksmarinedivision, die während der Novemberrevolution in Berlin gebildet worden war. Der preußische Finanzminister Hugo Simon (USPD) beschuldigte am 12. Dezember deren Angehörige, die sich im Berliner Stadtschloss einquartiert hatten, für das Verschwinden wertvoller Kunstschätze verantwortlich zu sein. Ob die Mehrheitssozialdemokraten im Rat der Volksbeauftragten absichtlich diese Gelegenheit ergriffen, die USPD-Mitglieder aus der Regierung zu drängen oder ob es ihnen nur darauf ankam, die Diebstähle abzustellen, ist nicht gesichert.[1]

Der Plan des Rates der Volksbeauftragten sah vor, zuverlässige Matrosen der Volksmarinedivision in die republikanische Soldatenwehr zu übernehmen und den Rest nach Gewährung einer Entschädigung zu entlassen. Am 13. Dezember weigerte sich die Volksmarinedivision, das Schloss zu räumen. Der zuständige Stadtkommandant Otto Wels (SPD) stellte der Einheit daraufhin ein Ultimatum bis zum 16. Dezember 12 Uhr mittags. Die Truppe weigerte sich und setzte eine Maschinengewehrabteilung in Alarmbereitschaft. Die Division protestierte vor dem Reichsrätekongress. Gleichzeitig spitzten sich die Spannungen zwischen den Mehrheitssozialdemokraten auf der einen Seite und der USPD und anderen linken Gruppierungen auf der anderen Seite zu. Am 21. Dezember hatten die Revolutionären Obleute einstimmig die USPD-Mitglieder im Rat der Volksbeauftragten aufgefordert, aus der Regierung auszuscheiden. Innerhalb der Regierung verhärteten sich die Gegensätze zwischen beiden Koalitionsparteien. In der sozial heterogen zusammengesetzten Volksmarinedivision bestand kein Konsens zu diesem Streit, dennoch sollte sie den Anlass bieten für das Zerbrechen der Koalition.[2]

Am 21. Dezember 1918 forderte der Rat der Volksbeauftragten die zuständige Stadtkommandantur von Berlin auf, dafür zu sorgen, dass der Volksmarinerat das Stadtschloss räumen und die Schlüssel an die Kommandantur herausgeben sollte. Im Gegenzug sollten die Truppen die ausstehende Löhnung in Höhe von 80.000 Mark erhalten. Am 23. Dezember erklärten die Matrosen, die Schlüssel nicht wie gefordert dem Stadtkommandanten Wels, sondern nur an den Volksbeauftragten Emil Barth (USPD) übergeben zu wollen. Sie beriefen sich dabei auf eine Abmachung mit Hugo Haase (USPD), von der die übrigen Volksbeauftragten nichts wussten. Wels weigerte sich, die angesprochene Löhnung auszuzahlen – angesichts der bevorstehenden Weihnachtsfeiertage ein empfindliches Druckmittel – und verlangte eine Entscheidung des Ratsvorsitzenden Friedrich Ebert (MSPD).

Besetzung der Reichskanzlei

 
MG-Posten vor dem Berliner Schloss

Daraufhin marschierte die Volksmarinedivision am 23. Dezember zur Stadtkommandantur, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Außerdem setzte eine Abteilung Matrosen, die eigentlich die Reichskanzlei bewachen sollte, die Regierung fest und brachte die Telefonzentrale unter ihre Kontrolle. Während der Verhandlungen in der Stadtkommandantur kam es vor dem Gebäude zu einem Feuerwechsel zwischen Angehörigen der Volksmarinedivision und der republikanischen Soldatenwehr. Dabei wurden zwei Matrosen getötet. In der Folge nahm die Volksmarinedivision Wels gefangen und brachte ihn in den Marstall, wo er misshandelt wurde.

Kämpfe um das Stadtschloss

Ebert setzte zunächst auf eine Verhandlungslösung und versuchte jedes Blutvergießen zu vermeiden.[3]Als er hörte, dass Wels in Lebensgefahr schwebe, sah er keine andere Möglichkeit mehr und wandte sich am 24. Dezember über eine von den Matrosen nicht kontrollierte Telefonleitung an das preußische Kriegsministerium und bat um militärische Hilfe. Auf eine Bitte um Unterstützung an die bewaffneten Revolutionäre, die in und um Berlin sehr zahlreich waren, hatten sich gerade einmal achtzig Mann eingefunden. Generalquartiermeister Wilhelm Groener hatte Ebert bereits am Vortag zu einem entschiedenen Vorgehen gegen die Volksmarinedivision geraten und ließ sich seinerseits von Ebert zu einem militärischen Vorgehen ermächtigen. Er hatte zugesagt, der Regierung vier Divisionen zur Verfügung stellen zu können, doch in der allgemeinen Auflösung des Heeres bekam er nur 1.800 Mann zusammen.[4] Die drei mehrheitssozialdemokratischen Volksbeauftragten gaben daraufhin den Befehl zu einem militärischen Vorgehen. Am 24. Dezember 1918 gingen die wenigen Einheiten, die noch der Obersten Heeresleitung gehorchten, unter dem Kommando von Geneal Arnold Lequis mit Geschützen gegen das Schloss und den Marstall vor. Den Truppen gelang es, das Schloss zu stürmen, und einige Zeit später war die Volksmarinedivision auch zur Übergabe des Marstalls bereit. Die Matrosen bekamen allerdings in einer Feuerpause Unterstützung durch die Sicherheitswehr, die dem Polizeipräsidenten Emil Eichhorn (USPD) unterstand. Hinzu kamen die rote Soldatenwehr und bewaffnete Arbeiter, die die Absperrungen durchbrachen, die regierungstreuen Soldaten in Diskussionen verwickelten, deren Offiziere misshandelten und Unruhe stifteten.[5] Die Reste der regierungstreuen Einheiten, die unter erheblichem Schwund zu leiden hatten, räumten das Schloss wieder, und Ebert gab den Befehl zur Einstellung der Kämpfe. Nach Ausbezahlung der Löhnung zog nun auch die Volksmarinedivision ab. Insgesamt wurden 56 Soldaten der Regierungstruppen und elf Matrosen, daneben aber auch Zivilisten, getötet.[6]

Folgen

Durch das buchstäbliche „Verschwinden“ der regulären regierungstreuen Soldaten zu Weihnachten 1918 hatte der Rat der Volksbeauftragten nun keine einzige einsatzfähige Armeeeinheit zu seiner Verfügung.[7] Wären die Soldaten der Volksmarinedivision Spartakisten gewesen, hätten sie leicht die Macht an sich reißen können. Es ging ihnen aber nur um die ausstehende Löhnung.[8] Als Angehörige des Spartakusbundes am folgenden Tag die Reichskanzlei besetzen wollten, wurden sie von einem großen Demonstrationszug aus Mehrheitssozialdemokraten daran gehindert, den Otto Wels organisiert hatte.[9]

Der Rat der Volksbeauftragten war nun zu neuen Verhandlungen und erheblichen Zugeständnissen gezwungen. Um die Räumung der besetzten Gebäude und die Freilassung von Wels zu erreichen, sagte der Rat zu, dass die Volksmarinedivision in ihrer bisherigen Stärke in die republikanische Soldatenwehr eingegliedert würde. Zudem musste er der Entlassung von Wels als Stadtkommandant zustimmen.

Obwohl die mehrheitssozialdemokratischen Mitglieder der provisorischen Regierung sich in einer Notsituation befunden hatten und die Volksmarinedivision eigenmächtig gehandelt hatte, waren die Ereignisse für viele Arbeiter und Soldaten in Berlin ein Beweis, dass die MSPD sich mit gegenrevolutionären Kräften verbündet hätte. Die öffentliche Bestattung der getöteten Matrosen wurde zu einer Massendemonstration. Auf mitgeführten Plakaten war zu lesen: „Des Matrosenmordes klagen wir an Ebert, Landsberg und Scheidemann.“

Nach Lage der Dinge war die Bitte um Hilfe durch Mitglieder des Rates der Volksbeauftragten an das Militär ohne Alternativen. Allerdings versäumte Ebert, die Aktion mit dem zuständigen preußischen Kriegsminister abzustimmen. Dadurch begab sich die Regierung völlig in die Hand der Militärs. Der Ebert-Groener-Pakt vom November 1918 wurde so gefestigt. Die USPD beurteilte die Absprachen mit dem Militär als Blankovollmacht für die Truppen, im Übrigen hätte die Beschießung des Marstalls das Leben von Wels bedroht. Es kam zu mehrstündigen Debatten in einer gemeinsamen Sitzung des Rates der Volksbeauftragten und des Zentralrats der sozialistischen Republik. Der von der MSPD beherrschte Zentralrat billigte das Vorgehen der Volksbeauftragten Ebert, Landsberg und Scheidemann. Die Frage, ob die USPD-Volksbeauftragten bereit seien, für Ruhe notfalls auch gegen die Spartakusgruppe mit Unterstützung des Militärs vorzugehen, beantwortete Hugo Haase ausweichend.

Die Position des Zentralrates war für die USPD der letzte Anstoß, um aus dem Rat der Volksbeauftragten auszutreten. Diese Entscheidung wurde in der Nacht vom 28. auf den 29. Dezember 1918 bekanntgegeben.

Eine weitere Folge war, dass Gustav Noske als neuer Volksbeauftragter für Heer und Marine nach der militärische Niederlage der regulären Truppen verstärkt auf die Förderung von Freikorps setzte.

Literatur

  • Scott Stephenson: The Final Battle: Soldiers of the Western Front and the German Revolution of 1918. Cambridge University Press, 2009. ISBN 978-0-521-51946-5.
  • Heinrich August Winkler: Von der Revolution zur Stabilisierung. Arbeiter und Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik 1918 bis 1924. Berlin, Bonn, 1984, ISBN 3-8012-0093-0 S.109-113

Einzelnachweise

  1. Hagen Schulze: Weimar. Deutschland 1917–1933 (=Die Deutschen und ihre Nation, Bd. 4), Siedler, Berlin 1994, S. 177 f.
  2. Ulrich Kluge: Soldatenräte und Revolution. Studien zur Militärpolitik in Deutschland 1918/19. Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen 1975, S. 261 f.
  3. Auch zum Folgenden Walter Mühlhausen: Friedrich Ebert 1871–1925. Reichspräsident der Weimarer Republik. J.H.W. Dietz Nachf., Bonn 2006, S. 143.
  4. Hans-Ulrich Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 4: Vom Beginn des Ersten Weltkrieges bis zur Gründung der beiden deutschen Staaten 1914-1949 C.H. Beck Verlag, München 2003, S. 217.
  5. Henning Köhler: Deutschland auf dem Weg zu sich selbst. Eine Jahrhundertgeschichte. Hohenheim-Verlag, Stuttgart 2002, S. 148.
  6. http://www.dhm.de/lemo/html/weimar/revolution/weihnachtskaempfe/index.html
  7. Hans-Ulrich Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 4: Vom Beginn des ersten Weltkrieges bis zur Gründung der beiden deutschen Staaten 1914-1949 C.H. Beck Verlag, München 2003, S. 217.
  8. Sönke Neitzel: Weltkrieg und Revolution. 1914–1918/19. be.bra-Verlag, Berlin 2008, S. 160 f.
  9. Hagen Schulze: Weimar. Deutschland 1917–1933 (=Die Deutschen und ihre Nation, Bd. 4), Siedler, Berlin 1994, S. 178.