„Erhängen“ – Versionsunterschied
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=== Zum Tode führende Mechanismen ===
==== 1. Verletzung der oberen Halswirbelsäule ====
Fällt jemand mit umgelegter, oberhalb befestigter Schlinge mit hinreichend großer Energie (was durch eine entsprechend große Fallhöhe bzw. – seltener – eine Beschwerung mit Gewichten erreicht wird) nach unten, so führt das plötzliche Abbremsen beim Erreichen der Seillänge zu [[Knochenbruch|Brüchen]] und [[Subluxation]]en im Bereich der obersten [[Halswirbel]], was wiederum die Zerstörung des verlängerten Rückenmarks ([[Medulla oblongata]]) zur Folge hat. Die hiermit verbundene Zerstörung der Regulationszentren für Atmung und Kreislauf führt – soweit dies beurteilbar ist – zu einem schlagartigen Verlust des Bewusstseins, es finden sich keine Lebensäußerungen mehr. Die Zerstörung des Halsmarks hat diese Form des Erhängens mit dem [[Enthauptung|Enthaupten]] gemeinsam, doch gibt es einen wichtigen Unterschied: Beim Enthaupten wird das Rückenmark an einer mehrere Zentimeter tiefer liegenden Stelle durchtrennt; das kommt einer hohen Querschnittslähmung gleich, doch kommt es nicht zwangsläufig zu einem ''augenblicklichen'' Bewusstseinsverlust. Dies wird durch Berichte von verschiedenen Hinrichtungsfällen und Tierversuche gestützt.<ref>{{Literatur |Autor=Alfred Morain |Titel=The Underworld of Paris: Secrets of the Sûreté |Verlag=Blue Ribbon Books |Datum=1931-01-01 |Seiten=300}}</ref><ref>{{Literatur |Autor=R. F. Derr |Titel=Pain perception in decapitated rat brain |Sammelwerk=Life Sciences |Band=49 |Nummer=19 |Datum=1991 |ISSN=0024-3205 |DOI=10.1016/0024-3205(91)90391-n |PMID=1943446 |Seiten=1399–1402}}</ref><ref>{{Literatur |Autor=N. Kongara, A. E. McIlhone, N. J. Kells, C. B. Johnson |Titel=Electroencephalographic evaluation of decapitation of the anaesthetized rat |Sammelwerk=Laboratory Animals |Band=48 |Nummer=1 |Datum=2013-12-23 |Sprache=en |DOI=10.1177/0023677213502016}}</ref>
Auch wenn die genauen Verletzungsmuster naturgemäß nicht ganz einheitlich sind, so kommt es doch häufig zu einem doppelseitigen Bruch der ''pars interarticularis'' des zweiten Halswirbels („Kopfdreher“, ''[[Axis (Halswirbel)|
Inwieweit es zu einem Wirbelbruch kommt, hängt nicht nur von der Fallhöhe ab, sondern auch von der Positionierung und Dimensionierung von Strick und Knoten. Ein seitlich, etwa im Bereich des [[Schläfenbein|Warzenfortsatzes]], angebrachter, hinreichend großer [[Henkersknoten]], gewährleistet eher einen Wirbelbruch als ein relativ kleiner Knoten im Nackenbereich.
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==== 2. Verschluss der großen Blutgefäße des Halses ====
Ist die Energie beim Fallen in die Schlinge nicht groß genug, kann die Halswirbelsäule unbeschädigt bleiben. Die Schlinge kann gleichwohl die großen [[Arteria carotis communis|Halsschlagadern]] (Karotiden) abschnüren und die Blutzufuhr in den Kopf unterbrechen. Hierdurch wird das Opfer nach einigen Sekunden bewusstlos, und Minuten später tritt der [[Hirntod]] ein, d.
Zugleich mit dem Verschluss der großen Halsschlagadern kommt es auch zum Verschluss der [[Drosselvene]]n (''Venae jugulares''), wodurch kein Rückstrom des Blutes mehr zum Herzen stattfindet; dies ist [[Pathophysiologie|pathophysiologisch]] von untergeordneter Bedeutung, jedoch in der [[Forensik]] wichtig.
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Die erforderlichen Suspensionsgewichte für einen Verschluss der Halsgefäße beim Erwachsenen sind etwa 2 kg für die Drosselvenen, 5 kg für die Halsschlagadern und 15–30 kg für die [[Arteria vertebralis|Wirbelarterien]].<ref name=":1">{{Literatur |Titel=Pathophysiologie der Strangulation |Hrsg=Schweizerische Gesellschaft für Rechtsmedizin |Sammelwerk=Schädigung durch Strangulation |Datum=2012-05 |Sprache=de |Seiten=6–7 |Online=https://sgrm.ch/inhalte/Forensische-Medizin/Strangulation_final_rev.pdf |Format=PDF |KBytes=534 |Abruf=2024-07-01}}</ref>
Auch ein reflektorischer Herzstillstand durch Druck auf das ''Glomus caroticum'' („[[Karotissinusreflex|Hering-
Der Verschluss der Halsgefäße ist die häufigste Todesursache beim Selbstmord durch Erhängen. Diesen Mechanismus wies Nicolae Minovici durch die Selbstversuche nach. Seine Forschungsergebnisse wurden auch dadurch bestätigt, dass es einen dokumentierten Selbstmord eines [[Tracheotomie
Wird ein so Erhängter innerhalb der ersten Minuten aufgefunden, können unmittelbare Reanimationsmaßnahmen erfolgversprechend sein.
==== 3. Ersticken ====
In bestimmten Fällen, nämlich bei entsprechender Schlingenposition und geringer Fallhöhe, bleiben die Halsschlagadern offen und die Blutzufuhr ins Gehirn zunächst erhalten; es tritt also keine unmittelbare Bewusstlosigkeit ein. Die oberen Atemwege werden zusammengedrückt und verschließen sich erst allmählich durch das Körpergewicht und Bewegungen des Opfers im Todeskampf. Es [[Erstickung|erstickt]] langsam und qualvoll, vergleichbar mit dem Tod durch [[Garrotte|Garottieren]]
Von dieser Erhängungsart, die im Mittelalter gang und gäbe war, leiten sich verschiedene [[Redewendung]]en ab, etwa, dass sich „die Schlinge (langsam) zuzieht“ oder auch, dass etwas „mit Hängen und Würgen“, also nur mit äußerster Mühe, gelungen ist.
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== Erhängen als Vollzugsmethode der Todesstrafe ==
=== Geschichtliche Entwicklung ===
Seit alters her wurde das Erhängen als Hinrichtungsart praktiziert. Verurteilte wurden teils an Bäume gehängt, aber bereits zur Zeit des Alten Testaments ist die Rede von speziell für die Hinrichtung vorgesehenen [[Galgen]], etwa im Buch [[Buch Ester|Esther]].
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==== Kurzer Fall ====
Beim kurzen Fall wird der Verurteilte auf einem Lastwagen, Karren, Pferd, einer Falltür oder einem sonstigen Gegenstand so unter dem Galgen positioniert, dass der Strick bereits von vornherein verhältnismäßig straff gespannt ist. Nach Wegnahme der Standfläche fällt der Delinquent nur wenige Zentimeter nach unten, so dass die auf den Körper einwirkende kinetische Energie gering ist. Trotzdem können – je nach Positionierung und Dimensionierung von Strick und Knoten –
==== Standardfall ====
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Samuel Haughton, der bereits den Standardfall eingeführt hatte, war von 1886 bis 1888 Mitglied des britischen Todesstrafen-Komitees („Capital Sentences Committee“), welches sich mit der Entwicklung einer Methode befasste, die den Genickbruch noch zuverlässiger gewährleisten sollte. Man kam zu der Ansicht, dass die kinetische Energie beim Fall in die Schlinge 1708 [[Joule]] (entsprechend einer Fallhöhe von etwa 2,50 m bei 70 kg) betragen sollte (bei einer höheren Energie befürchtete er das Abreißen des Kopfes). Der Henker [[William Marwood]], der sich bereits vorher um möglichst „humane“ Hinrichtungen bemüht hatte, entwickelte auf der Grundlage der Empfehlungen des Komitees eine Tabelle, anhand derer die erforderliche Fallhöhe (und damit verbunden, die Länge des Stricks) in Abhängigkeit des Gewichts des Todeskandidaten bestimmt werden konnte, so dass ihm das Genick gebrochen, aber eine [[Enthauptung]] vermieden wurde. Die empfohlene Energie, und damit einhergehenden Fallhöhen wurden 1892 zunächst auf etwa 1140 Joule (entsprechend einer Fallhöhe von etwa 1,65 m bei 70 kg) verringert, und 1913 wieder auf etwa 1400 Joule (entsprechend einer Fallhöhe von etwa 2,00 m bei 70 kg) erhöht. In Nachfolgestaaten des britischen Empires bilden diese Empfehlungen noch heute die Grundlage für Exekutionen.
Anzufügen ist allerdings, dass auch beim Standard- und langen Fall – wiederum abhängig von Knoten- und Schlingengeometrie – lange Todeskämpfe bei intakter Halswirbelsäule möglich sind, wie z.
==== Österreichischer Würgegalgen ====
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