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'''Tayammum''' {{arS|تيمم |d=tayammum }} steht als Terminus für die [[Scharia|islamrechtliche]] Erlaubnis und Empfehlung, in bestimmten Fällen, die im [[Koran]] näher definiert sind, die vor den Gebeten erforderliche kleine bzw. große rituelle Waschung ([[Wudū'Wuḍūʾ]] bzw. [[ghusl|ġusl]]) durch die Anwendung von reinem Sand statt Wasser zu verrichten.
 
== Herkunft ==
Der Begriff ist ein [[Verbalsubstantiv]] und leitet sich aus dem [[Transitivität (Grammatik)|transitiven]] Verb ''amma(hu)'' / ''taʾammama(-hu)'', etwas beabsichtigen, anstreben, etwas vorhaben (zu tun), durch die Ersetzung der [[Hamza]] durch ein [[Ya (Arabischer Buchstabe)|Yāʾ]] als tayammama <ref>Siehe [[Edward William Lane]]: ''An Arabic - English Lexicon.'' London 1863. Band 1, S. 88.</ref> ab. Der koranische Imperativ ''„fa-tayammamū ṣaʿīdan ṭayyiban“'' (''dann sucht einen sauberen, hochgelegenen Platz auf...'') bedurfte in der juristischen Literatur einer genaueren Erklärung. „Im Allgemeinen“ - so [[Ibn ʿAbd al-Barr]], der [[Al-Andalus|andalusische]] Jurist und Kommentator des ''Muwaṭṭaʾ'' von [[Mālik ibn Anas]] - „bedeutet ''tayammum'': die Absicht, das Streben (nach etwas)“.
 
== In der Scharia ==
Im [[Scharia|Gesetz]] bedeutet es speziell die Absicht, „nach einem sauberen Platz zu suchen, um dort (durch die Anwendung von etwas Erde, Sand, Staub) die rituelle Reinheit für das Gebet zu erlangen, wenn kein Wasser vorhanden ist.“ Durch Beispiele aus der altarabischen Poesie grenzt er die ursprüngliche Bedeutung des Verbs, die im Koran an einer Stelle vorkommt<ref>Sure 2, Vers 267: „Und sucht euch nicht das Schlechte davon aus“: wa-lā tayammamū l-ḫabīṯa min-hu</ref>, von dessen juristischer Anwendung ab.<ref>''al-Istiḏkār'', Band 3, S. 156; so auch in seinem ''Tamhīd li-mā fī l-Muwaṭṭaʾ min al-maʿānī wal-asānīd'' (ed. Saʿīd Aḥmad Aʿrāb. Rabat 1988), Band 19, S. 280-281. Siehe auch [[Ibn Qudama|Ibn Qudāma]]: ''al-Muġnī'', Band 1, S. 310; ''al-mausūʿa al-fiqhīya'', Band 14, S. 248</ref>
 
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Der koranische Ausdruck „und wenn ihr krank seid...“ umfasst in der Rechtslehre auch Verletzungen und Wunden wie Pocken, die eine [[Darūra|Notsituation]] (''ḍarūra'') für die Person darstellen.
 
Befürchtet der Kranke die Verschlechterung seines Zustandes durch die rituelle Reinigung mit Wasser, oder ist in seiner Bewegung eingeschränkt und findet keine Hilfe durch Dritte, wendet er Tayammum an. Nach den [[Hanafiten|Ḥanafiten]] muss der Kranke die rituelle Waschung mit Wasser durchführen, wenn er dafür, sogar gegen Entgelt, Hilfe findet.<ref>''al-mausūʿa al-fiqhīya'', Band 14, S. 258</ref> Verwundete können bei Aussparung der Wunden die Waschung mit Wasser vollziehen. Auch dickbäuchige Personen (''mabṭūn'' / ''baṭīn'') können die rituelle Waschung durch Tayammum ersetzen. Diese Ansicht vertrat der Ḥadīṯ- und Rechtswissenschaftler [[ʿAbdallāhʿAbd Allāh ibn Wahb]] (gest. 812) in einem seiner Rechtsgutachten. Dies gilt gemäß seiner Auskunft auch im Falle von Seekrankheit (''māʾid'').<ref>Ḥamīd Laḥmar: ''al-maǧmūʿ al-muḏahhab fī aǧwibat al-imāmain Ibn Wahb wa-Ašhab''. Rabat 2009. S. 36 nach der dort angeführten [[Malikiten|mālikitischen]] Rechtsliteratur.</ref>
 
Wenn Sesshafte oder Reisende bei Kälte durch die Waschung Krankheit befürchten und keine Möglichkeit haben, das Wasser aufzuwärmen, ist Tayammum zulässig. Als wegweisendes Beispiel verweisen die Rechtsgelehrten auf eine mit dem Namen des [[ʿAmr ibn al-ʿĀs|ʿAmr ibn al-ʿĀṣ]] verbundene Episode; er soll, so der über verschiedene Überlieferungen laufende Bericht, während des Feldzuges nach Ḏāt as-Salāsil (September 629)<ref>Siehe die Überlieferungsvarianten zu diesem Feldzug bei: M. J. Kister: ''On the Papyrus of Wahb B. Munabbih''. In: Bulletin of the School of Oriental and African Studies (BSOAS), Band 37 (1974), S. 557-564.</ref> im Zustand der großen Unreinheit (ǧunub) in einer kalten Nacht lediglich Tayammum vollzogen und anschließend mit seiner Truppe das Morgengebet verrichtet haben. Nach seiner Rückkehr nach [[Medina]] rechtfertigte er seine Tat beim Propheten mit einem Koranzitat: „...und tötet euch nicht (gegenseitig)! Gott verfährt barmherzig mit euch...“ (Sure 4, Vers 29).<ref>[[Miklos Muranyi]]: ''Bemerkungen zu einem Ḥadīṯ des Yaḥyā b. Saʿīd al-Anṣārī. Die Problematik des tayammum in der frühislamischen Überlieferung''. In: Israel Oriental Studies 5 (1975), 129 ff; hier: 131-133 mit weiteren Primärquellen. Siehe auch Ibn Qudāma: ''al-Muġnī'', Band 1, S. 339-340; Abdarrazzāq: ''al-Muṣannaf'', Band 1, S. 226-227; al-Buḫārī: ''aṣ-Ṣaḥīḥ'', K. at-tayammum, bāb 7; ''al-mausūʿa al-fiqhīya'', Band 14, S. 258-259.</ref> Vor diesem Hintergrund wird Mālik ibn Anas die Ansicht zugeschrieben, dass Tayammum zu verrichten sei, wenn man bei Hagel und Schnee (''ṯalǧ wa-barad'') durch die große rituelle Waschung den Tod befürchtet.<ref>[[Sahnūn ibn Saʿīd|Saḥnūn ibn Saʿīd]]: ''al-Mudawwana.'' Band 1, S. 45; Miklos Muranyi (1975), S. 136.</ref> Bedenken gegen diese Tendenz hatte man spätestens im Kreis des Rechtsgelehrten [[al-Auzāʿī]] († 774), der unter den sechs tugendhaften Handlungen, die den Glauben festigen, „die vorschriftsmäßige Durchführung der rituellen Waschung am Wintertag“ anführt.<ref>Miklos Muranyi (1975), S. 141 (Addenda); al-Auzāʿī nach Yaḥyā ibn Abī Kaṯīr († 746) bei [[Abū Nuʿaim]]: ''Ḥilyat al-awliyāʾ'', Band 3, S. 68 (Kairo 1933); Nachdruck Beirut 1985.</ref>
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Diskussionen über diesen Teilaspekt führte man etwa um die gleiche Zeit auch in Gelehrtenkreisen von [[Mekka]]; die konkrete Frage von Ibn Ǧuraiǧ († 767) an seinen Lehrer ʿAṭāʾ ibn Abī Rabāḥ († 732)<ref>Über sie siehe ausführlich: Harald Motzki: ''Die Anfänge der islamischen Jurisprudenz.'' Ihre Entwicklung in Mekka bis zur Mitte des 2./8. Jahrhunderts. S. 70 ff. und 183 ff. (Abhandlungen für die Kunde des Morgenlandes. Band L, 2. Franz Steiner, Stuttgart 1991</ref>:„hat man in der kalten Landschaft Syriens die Erlaubnis (''ruḫṣa''), sich nicht zu reinigen und die rituelle Waschung (wuḍūʾ) nicht durchzuführen?“ Die Frage ist kategorisch verneint worden.<ref>ʿAbdarrazzāq aṣ-Ṣanʿānī: ''al-Muṣannaf'', Band 1, S. 226. Nr. 875; Miklos Muranyi (1975), S. 133.</ref> Eine inhaltlich vergleichbare Rechtsfrage wird unter Berufung auf den koranischen Imperativ:„Und wenn ihr unrein seid, dann nehmt eine (entsprechende) Reinigung vor!“ (Teil von Sure 5, Vers 6) ebenfalls verneint.<ref>ʿAbdarrazzāq aṣ-Ṣanʿānī: ''al-Muṣannaf'', Band 1, S. 242-243. Nr. 927; Miklos Muranyi (1975), S. 134.</ref>
 
Findet der Reisende kein Wasser oder nur eine ungenügende Menge davon, darf er Tayammum anwenden. Bei den [[Schafiiten]] und [[Hanbaliten]] beginnt der Reisende im letzteren Fall die rituellen Waschung mit dem vorhandenen Wasser und schließt sie mit Tayammum ab. Dabei berufen sich diese Rechtsschulen auf den bei [[al-Buchārī]] verzeichneten Prophetenspruch: „''ist euch etwas befohlen worden, so erfüllt es, wie ihr dazu fähig seid''“.<ref>''aṣ-Ṣaḥīḥ, Kitāb al-iʿtiṣām bil-kitāb wa-s-sunna, bāb'' 2.</ref> Sollte sich Wasser an einem entlegenen Ort befinden, dessen Erreichung aber nur mit Gefahren verbunden wäre, ist Tayammum zu vollziehen. In anderen Fällen ist die Wasserstelle aufzusuchen, die, je nach Rechtsschule, in einer Entfernung von einer Meile, vier Tausend Schritten oder in der Entfernung eines Pfeilschusses liegen kann.<ref>''al-mausūʿa al-fiqhīya'', Band 14, S. 255.</ref> In der Rechtslehre wird auch der Kauf von Wasser zu Reinigungszwecken zu einem erschwinglichen Preis empfohlen.<ref>''al-mausūʿa al-fiqhīya'', Band 4, S. 256.</ref> Bei der Furcht vor dem Dursttod auf Reisen ist dagegen Tayammum anzuwenden, um das vorhandene Wasser aufzuheben und dadurch Leben zu retten; hierbei aktualisiert die Rechtslehre den bereits oben zitierten Koranvers:''„...und tötet euch nicht (gegenseitig)! Gott verfährt barmherzig mit euch“'' (Sure 4, Vers 29). Diese Rechtsansicht vertraten neben [[al-Hasan al-Basrī|al-Ḥasan al-Baṣrī]] († 728) auch andere Gelehrte des späten 7. und frühen 8. Jahrhunderts.<ref>ʿAbdarrazzāq: ''al-Muṣannaf'', Band 1, S. 232-233.</ref> Auf Schiffsreisen ist die Anwendung von Meerwasser zulässig, um das mitgeführte, durststillende Süßwasser aufzuheben. Die Rechtslehre stützt sich hierbei auf entsprechende Rechtsdirektiven des Propheten, die [[Abū Dāwūd as-Sidschistānī|Abū Dāwūd]], [[an-Nasāʾī]] und [[Muhammad ibn ʿĪsā atAt-Tirmidhī|at-Tirmiḏī]] in ihren jeweiligen Traditionssammlungen überliefern, worauf Ibn Qudāma im ''al-Muġnī'', in seinem groß angelegten Kommentar zur ḥanbalitischen Darstellung des Rechts, zum ''Muḫtaṣar fī l-fiqh'' von al-Ḫiraqī († 945)<ref>Fuat Sezgin (1967), S. 512-513</ref>, mit seinen weiteren Erläuterungen hinweist.<ref>Band 1. S. 16</ref>
 
Auch der Sesshafte vollzieht Tayammum, wenn kein Wasser vorhanden ist. Es herrscht allerdings Lehrdifferenz zwischen den Rechtsschulen darüber, ob ein Gebet, dem nur Tayammum vorausging, wiederholt werden muss. Nach den Ḥanafiten, [[Malikiten]] und Hanbaliten besteht keine Pflicht, das Gebet zu wiederholen. Für die Schafiiten erklärt der Rechtsgelehrte [[an-Nawawī]], dass Tayammum erst nach erfolgloser Suche nach Wasser gestattet ist, ein Standpunkt, der innerhalb der schafiitischen Schule umstritten ist.<ref>''al-mausūʿa al-fiqhīya'', Band 14, S. 257.</ref> Es ist ritualrechtlich ebenfalls umstritten, ob nach dem Tayammum nur ein oder mehrere darauf folgende Gebete verrichtet werden dürfen. Als [[Sunna]] gilt, dass Tayammum nur für ein Gebet Geltung hat, und beim nächsten Gebet - falls weiterhin kein Wasser vorhanden ist - es wiederholt werden muss. Bereits Abdarrazzāq aṣ-Ṣanʿānī († 827)<ref>Fuat Sezgin: ''Geschichte des arabischen Schrifttums''. Brill, Leiden 1967. Band 1, S. 99.</ref> hat die kontroversen Lehrmeinungen über diese Frage nach älteren Quellen zusammengetragen.<ref>Band 1, S.214-216; ''al-mausūʿa al-fiqhīya'', Band 14, S. 270-271.</ref>