„Koranexegese“ – Versionsunterschied
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Als '''Koranexegese''' bezeichnet man die Auslegung bzw. Interpretation des [[Koran]]s. Im [[islam]]isch-religiösen Kontext wird der arabische Begriff '''Tafsīr''' ({{arS|تفسير‎}}), der allgemeinsprachlich die Bedeutung von „Erklärung, Deutung, Erläuterung“ hat, für die [[Exegese]] des Korans verwendet. [[Etymologie|Etymologisch]] hängt er mit dem hebräischen Begriff [[Pescher]] zusammen, der im spätantiken [[Judentum]] eine Form der Bibelauslegung bezeichnete. [[ʿAlī ibn Muhammad al-Dschurdschānī|Al-Dschurdschānī]] definierte den Begriff Tafsīr in dem spezifisch religiösen Sinn als „die Erklärung des Sinns (''maʿnā'') eines Koranverses, seiner Bedeutung (''šaʾn''), Geschichte (''qiṣṣa'') und des Anlasses, aufgrund dessen er herabkam (''[[Asbāb an-nuzūl]]'', arab. {{arF|أسباب النزول‎}}), mit einem Ausdruck, der in evidenter Weise darauf hinweist.“<ref>''Kitāb at-Taʿrīfāt.'' Edition Gustav Flügel, Leipzig 1845, S. 65, Z. 17–19 ([http://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb10249383_00314.html]).</ref>
Tafsīr-Werke folgen üblicherweise dem Aufbau des Korans nach [[Sure]]/Vers (''[[āya]]''), wie etwa der monumentale Korankommentar von [[at-Tabarī]], der als klassisches Beispiel eines Tafsir gilt. Daneben existieren Werke, die sich mit den methodischen Fragen der Koranexegese befassen, wie [[Ibn Taimīya]]s ''Einführung in die Grundlagen der Koranexegese'' (''Al-Muqaddima fī uṣūl at-tafsīr'').<ref>Eine englische Übersetzung dieses Werks: Muhammad Abdul Haq Ansari: ''An Introduction to the Principles of Tafseer.'' Al-Hidaayah Publishing, Birmingham 1993, ISBN 1-898649-00-6.</ref>
Kommentare, die sich in erster Linie an der Traditionsliteratur orientieren und in einer nach Möglichkeit ununterbrochenen Überliefererkette (''[[isnad]]'') die exegetischen Erklärungen der Generation der [[Sahāba|Gefährten]] von [[Mohammed]] und ihrer unmittelbaren Nachfolger präsentieren, nennt man {{arF|التفسير بالمأثور‎| w=at-tafsīr bi-ʾl-maʾṯūr|b= Erklärung durch Überliefertes}}. Denn sie erläutern sowohl einzelne Wörter als auch ganze Koranverse mit dem konsequenten Rückgriff auf die überlieferten Aussagen (''aṯar''/Pl. ''āṯār'') der ältesten Generationen des Islam. Diese traditionellen Kommentare hatten zu keinem Zeitpunkt einen einheitlichen Charakter, da die alten Überlieferungen als Kommentare zu ein und demselben Koranvers inhaltlich unterschiedliche oder gar kontroverse Aussagen enthalten. „Es können demnach voneinander abweichende, ja zueinander in Widerspruch stehende Erklärungen mit gleicher Berechtigung als ''tafsīr bil-ʿilm'', als ‚der Wissenschaft entsprechendes‘ Tafsīr gelten.“<ref>Ignaz Goldziher: ''Die Richtungen der islamischen Koranauslegung.'' Leiden 1920, S. 83–84; hier: S. 84 ([https://books.google.de/books?id=x8wUAAAAIAAJ&pg=PA84&printsec=frontcover&hl=de#v=onepage&q&f=false online]).</ref> Selbst die [[Philologie|philologischen]] Interpretationen des Textes und die Erklärung einzelner Wörter – oft unter Berücksichtigung der Sprache der altarabischen Poesie – sind recht unterschiedlich.
[[Datei:Al-Baydawi's "Anwar al-Tanzil wa Asrar al-Ta'wil" with Frontispiece WDL6803.pdf|miniatur|Frontblatt der Koranexegese von [[al-Baidawi]]]]
== Tafsīr und Taʾwīl ==
Ein weiterer Begriff, der in der [[koranwissenschaft]]lichen Literatur für die Auslegung des Korantextes schon in den Anfängen verwendet wird, ist ''Taʾwīl'' {{arF|تأويل‎|b= Auslegung; Deutung; Interpretation}}. In seiner Anwendung benutzte man das Wort oft als [[Synonym]] zu ''Tafsīr''.<ref>I. Poonawala: ''Ta'wil.'' In: ''The Encyclopaedia of Islam.'' Band 10, 2. Ausgabe, Brill, Leiden 2000, S. 390–392; hier 390.</ref> Aber bereits die frühesten Exegeten wie [[Muqātil ibn Sulaimān]] (gest. 767),<ref>Fuat Sezgin: ''Geschichte des arabischen Schrifttums.'' Band I, Leiden 1967, S. 36–37 ([https://books.google.de/books?id=3U2loA0orUkC&pg=PA36&printsec=frontcover&hl=de#v=onepage&q&f=false online]).</ref> differenzierten zwischen beiden Termini; ''taʾwīl'' ist die Deutung dessen, was gemäß der Offenbarung erst in der Zukunft eintreten wird und somit nur Gott allein bekannt ist. Muqātil selbst unterscheidet – unter Berufung auf [[ʿAbdallāh ibn ʿAbbās]] – vier Arten der Koranexegese: ''Tafsīr'', in dem sich die Gelehrten auskennen, die klassische [[Arabische Sprache]] (''al-ʿarabiyya''), die die Araber (sprich: Beduinen) kennen, die Kenntnisse von (islamrechtlich) Erlaubtem und Verbotenem (''ḥalāl wa-ḥarām''), die man nicht ignorieren darf und ''Taʾwīl'', das allein Gott kennt.<ref name="Grammar64">[[Cornelis H. M. Versteegh]]: ''Arabic Grammar & Qurānic Exegesis in Early Islam'' (= ''Studies in Semitic Languages and Linguistics.'' Band XIX) Brill, Leiden 1993, S. 64 ([https://books.google.de/books?id=pIXF5l3vBvEC&pg=PA64&printsec=frontcover&hl=de#v=onepage&q&f=false online]).</ref> Diesem Verständnis von ''Taʾwīl'' liegt eine spätestens von [[Muhammad ibn Saʿd]] verzeichnete Tradition zugrunde, nach der der Prophet Gott [[Duʿā'|gebeten]] haben soll, Ibn ʿAbbās Kenntnisse des ''Taʾwīl'' zu verleihen: ''„Herr, gib' ihm Weisheit und bring ihm die Deutung (Taʾwīl) bei.“''<ref>Ibn Saad: ''Das Klassenbuch''. Band II, Nr. 2, Brill, Leiden 1912 (Hrsg.: [[Friedrich Schwally]]), S. 119–120; adh-Dhahabī: ''Siyar aʿlām an-nubalāʾ.'' Band 3, 7. Auflage, Beirut 1990, S. 337. Dazu siehe: Harris Birkeland: ''Old muslim opposition against the interpretation of the Koran.'' Oslo 1955, S. 25 und 41.</ref>
Damit steht der Begriff im Gegensatz zum oben genannten ''at-tafsīr bi-ʾl-maʾṯūr'', der mittels Rückgriff auf Aussagen der ersten Generationen über die Koranstellen erfolgt. Bei ''taʾwīl'' geht es ferner um die Anwendbarkeit des Korantextes in der religiösen und sozialen Praxis.<ref>C. H. M. Versteegh: ''Arabic Grammar & Qurānic Exegesis in Early Islam.'' Leiden 1993, S. 63 ([https://books.google.de/books?id=pIXF5l3vBvEC&pg=PA63&printsec=frontcover&hl=de#v=onepage&q&f=false online]).</ref> Der Theologe und Koranexeget, Verfasser eines ''Taʾwīlāt al-Qurʾān'', [[Abū Mansūr al-Māturīdī|al-Māturīdi]] (gest. 944<ref>Fuat Sezgin: ''Geschichte des arabischen Schrifttums.'' Band I, Leiden 1967, S. 604–606.</ref>), den man mit dem Ehrennamen „Wahrzeichen der (richtigen) Leitung“ auszeichnete,<ref>Ignaz Goldziher: ''Die Richtungen der islamischen Koranauslegung.'' Leiden 1920, S. 114. Anmerkung 2 ([https://books.google.de/books?id=x8wUAAAAIAAJ&pg=PA114&printsec=frontcover&hl=de#v=onepage&q&f=false online]).</ref> definiert ''taʾwīl'' als das Ergebnis von Forschung und Sachkenntnis.<ref name="Grammar64" /> In diese Richtung weist auch die Auffassung des Hadithkritikers und Koranexegeten Ibn Abī Ḥātim ar-Rāzī (854–938)<ref>Fuat Sezgin: ''Geschichte des arabischen Schrifttums.'' Band I, Leiden 1967, S. 178–179 ([https://books.google.de/books?id=3U2loA0orUkC&pg=PA178&printsec=frontcover&hl=de#v=onepage&q&f=false online]).</ref> und des berühmten [[Sufi|Mystikers]] [[Abu Hafs Umar as-Suhrawardi|as-Suhrawardī]] (gest. 1234<ref>[[Angelika Hartmann (
Beide in den [[Koranwissenschaften]] oft synonymisch, inhaltlich aber nicht eindeutig gebrauchten Begriffe sind Gegenstand der Forschung gewesen. [[Ignaz Goldziher]] schrieb an seinen älteren Kollegen [[Theodor Nöldeke]] in einem privaten Brief vom 18. Juni 1906 folgende Worte: „Dann chikaniert mich immerfort die richtige Erklärung des Wortes ''taʾwīl''. Sie haben, wenn ich mich gut erinnere, irgendwo darüber gesprochen. (In der Gesch. d. Q.?)<ref>Gemeint war damals: ''Die Geschichte des Qorāns.'' Göttingen 1860.</ref> Ich habe eine grosse Sammlung für die verschiedenartige Anwendung des Wortes in früheren Zeiten; werde aber durch die Vergleichung dieser Stellen auf keinen centralen Begriff geführt. Die Meinungen der Araber selbst führen zu nichts Vernünftigem […]“ Nöldekes Vorschlag war: „Über d. Worte ''taʾwīl'' habe ich, soviel ich mich erinnere, nichts geschrieben. Sollte d. Bedeutung ‚Auslegung‘ aber nicht zu erklären sein als ''deductio''? ''āla'', ''yaʾūlu'' ist ja ‚hingelangen‘ ‚gerathen zu‘ (''ilā''), ''awwala'' also ‚an ein Ziel bringen, hinschaffen‘ […] Das ''taʾwīl führt'' zu dem ''wahren'' Sinne; es ist also mehr als das blosse ''tafsīr''. ''Waʾllāhu aʿlamu.''“<ref>D. h. ''Gott weiß es am besten''. Róbert Simon (Hrsg.): ''Ignác Goldziher: His life and scholarship as reflected in his works and correspondence''. Brill, Budapest 1986, S. 289–290; 293.</ref>
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Bei der literarhistorischen Aufarbeitung der Entwicklung dieser islamischen Wissenschaftsdisziplin lassen sich vier Perioden unterscheiden: die Anfangszeit, die klassische, die nachklassische und die moderne Periode. Zwar sind die zeitlichen Abgrenzungen dieser Perioden konkret schwer definierbar, doch können die inhaltlichen Schwerpunkte der koranexegetischen Literatur nachgezeichnet werden.
Bis in das 8. Jahrhundert hinein, als die schriftliche Fixierung der ersten exegetischen Werke erfolgte,<ref>Fuat Sezgin: ''Geschichte des arabischen Schrifttums.'' Band I, Leiden 1967, S. 19–27 ([https://books.google.de/books?id=3U2loA0orUkC&pg=PA19&printsec=frontcover&hl=de#v=onepage&q&f=false online]); ʿAbd Allāh ibn Wahb, Miklos Muranyi (Hrsg.): ''Al-Muwaṭṭaʼ. Kitāb al-Muḥāraba.'' Wiesbaden 1992, S. 2ff.</ref> begegneten orthodoxe Kreise der Auslegung des Korantextes mit gewisser Skepsis und Ablehnung. [[Ahmad ibn Hanbal]] soll die Ansicht vertreten haben, dass die Beschäftigung mit Tafsīr, der [[Apokalypse|apokalyptischen]] Tradition und den legendenhaften Erzählungen über die [[Maghazi]], die Feldzüge des Propheten unbegründet und somit verwerflich sei.<ref>Ignaz Goldziher: ''Die Richtungen der islamischen Koranauslegung.'' Leiden 1920, S. 55–57 ([https://books.google.de/books?id=x8wUAAAAIAAJ&pg=PA55&printsec=frontcover&hl=de#v=onepage&q&f=false online]); Ignaz Goldziher: ''Muhammedanische Studien.'' Band 2, Halle an der Saale 1890, S. 206 und Anmerkung 4.</ref> Die Gegner dieses Wissenschaftszweiges versuchten sogar, ihre Position durch den Koran selbst zu begründen und griffen auf folgenden Koranvers zurück:
{{Zitat |Text=Und wenn du diejenigen siehst, die über unsere Zeichen plaudern, dann wende dich von ihnen ab, bis sie über etwas anderes plaudern! |Autor=[[Sure 6]], Vers 68 |Quelle= Übersetzung: [[Rudi Paret]], Stuttgart 1962.}}
Mit der gleichen Tendenz brachte man auch einen angeblichen Spruch Mohammeds in Umlauf, in dem er vor Leuten gewarnt haben soll, ''„die den Koran anders deuten als seine richtige Erklärung erfordert.“''<ref>Ignaz Goldziher: ''Die Richtungen der islamischen Koranauslegung.'' Leiden 1920, S. 61 ([https://books.google.de/books?id=x8wUAAAAIAAJ&pg=PA61&printsec=frontcover&hl=de#v=onepage&q&f=false online]).</ref> Die einzig berechtigte und anerkannte Auslegung der Offenbarung erfolgt auf der Grundlage von „Wissen“ (''ʿilm''). Die Grundlagen dieses Wissens sind allerdings nicht die Ergebnisse des eigenen Denkens, sondern müssen auf die Belehrungen des Propheten selbst oder seiner Gefährten zurückgeführt werden können.<ref>Ignaz Goldziher: ''Die Richtungen der islamischen Koranauslegung.'' Leiden 1920, S. 62 ([https://books.google.de/books?id=x8wUAAAAIAAJ&pg=PA62&printsec=frontcover&hl=de#v=onepage&q&f=false online]).</ref>
Derjenige dagegen, der den Koran nach seiner Meinung ([[Raʾy]]) auslegt, ist nach [[Muhammad ibn ʿĪsā at-Tirmidhī|at-Tirmidhī]] ein [[Kufr|Ungläubiger]].<ref>Ignaz Goldziher: ''Die Richtungen der islamischen Koranauslegung.'' Leiden 1920, S. 61–62 ([https://books.google.de/books?id=x8wUAAAAIAAJ&pg=PA61&printsec=frontcover&hl=de#v=onepage&q&f=false online]).</ref> Dies konstituiert jedoch lediglich die Meinung der frühen Opposition zur Koranauslegung. In der Zeit at-Tirmidhīs wurden Regeln zur Überlieferung von Berichten aus Muhammads Zeit gesammelt, was diese Opposition zur eigenen Meinung erklärt. Viele Exegeten konnten jedoch durch [[Sure 3]], [http://www.corpuscoranicum.de/index/index/sure/3/vers/7 Vers 7] ihre Exegese koranisch legitimieren.<ref>Gilliot, Clause: ''Exegesis of the Qurʾān: Classical and Medieval'' in Jane Dammen McAuliffe (Hrsg.): ''Encyclopaedia of the Qurʾān.'' Band 2: ''E–I.'' Brill, Leiden/ Boston 2002, S. 101–102 ([https://archive.org/stream/EncyclopaediaOfTheQuranVol.2eI/Encyclopaedia%20of%20the%20Quran%2C%20vol.%202%20%28e-i%29#page/n103/mode/2up Digitalisat]).</ref>
=== Die Anfänge ===
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In den letzten Jahren sind bedeutende Korankommentare, die vor die Schaffungsperiode von al-Ṭabarī zu datieren sind, publiziert worden: die Exegese des Mekkaners [[Mudschāhid ibn Dschabr]] (gest. 722), deren handschriftliches Material auf das 12. Jahrhundert zurückgeht, und der Korankommentar von [[Muqātil ibn Sulaimān]] (gest. 767) aus Basra; die der Edition dieses Werkes zugrunde gelegten Handschriften stammen ebenfalls aus dem späten 12. und 15. Jahrhundert. Die ältesten Handschriften einer Koranexegese stammen aus dem späten 9. Jahrhundert: sie sind die Abschriften vom ''Tafsīr''-Werk des ägyptischen Gelehrten [[ʿAbdallāh ibn Wahb]] (gest. 812), den al-Ṭabarī in seinem genannten Werk durchgehend zitiert. Drei Bände des Werkes sind erstmals zu Beginn der 1990er Jahre publiziert worden ([[#Literatur|Lit.]]: Abd Allah ibn Wahb).
Ebenfalls in der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts ist die ursprünglich umfangreiche Koranexegese des [[irak]]ischen Gelehrten aus [[Basra]] [[Yahyā ibn Sallām at-Taimī]] (gest. 815) mit Wirkungskreis [[Qairawān]] entstanden. In seiner Anordnung folgt das Werk der Reihenfolge der Suren, behandelt aber nicht jeden Koranvers. Diese Exegese liegt gegenwärtig nur in einigen Handschriftenfragmenten in der Handschriftensammlung von [[Qairawān#Moscheebibliothek|Qairawān]] vor,<ref>Die Angaben von Fuat Sezgin: ''Geschichte des arabischen Schrifttums.'' Band I, Leiden 1967, S. 39 ([https://books.google.de/books?id=3U2loA0orUkC&pg=PA39&printsec=frontcover&hl=de#v=onepage&q&f=false online]) sind zu korrigieren.</ref> die erstmals der deutsche Orientalist [[Joseph Schacht]] der Öffentlichkeit vorgestellt hat.<ref>Joseph Schacht: ''On some manuscripts in the libraries of Kairouan and Tunis.'' In: ''Arabica.'' Band 14, 1967, S. 233.</ref> Ein weiteres Werk dieses Gelehrten über Bedeutungsnuancen koranischer Termini samt ihrer Erläuterung ist 1979 in Tunis erschienen.<ref>Hind Schalabī (Hrsg.): ''K. at-Taṣārīf''. Tunis 1979; Dazu siehe Angelika Neuwirth: ''Koran.'' Wiesbaden 1987, S. 122.</ref>
Etwas später, aber noch vor der Entstehung des ''klassischen'' Korankommentars von at-Tabarī, verfasste der [[Ibaditen|Ibadite]] [[Hūd ibn Muhakkam]] /Ver. Muḥkim al-Hawwārī um die Mitte des 9. Jahrhunderts seinen Korankommentar, der in vier Bänden vorliegt.<ref>Belhāǧǧ Saʿīd Šarīfī (Hrsg.): ''Tafsīr Kitāb Allāh al-ʿAzīz''. („Die Exegese von Gottes ehrenwertem Buch“) Beirut 1990.</ref> Fuat Sezgin nennt ihn als „Verfasser des uns erhaltenen Qurʾānkommentars der Ibāḍiten“.<ref>Fuat Sezgin (1964), S. 41. Nr. 17; [[Claude Gilliot]]: ''Der koranische Kommentar des Ibāḍiten Hūd b. Muḥkim/ Muḥakkam.'' 1995, S. 243–249.</ref> Der Herausgeber des Werkes hat aber nachgewiesen, dass dieses Werk einen wörtlichen Auszug aus dem oben genannten Korankommentar von Yahyā ibn Sallām darstellt, wobei der Verfasser lediglich diejenigen Passagen abänderte oder außer Betracht ließ, die mit dem ibāḍitischen Dogma nicht im Einklang standen.<ref>Siehe die Einleitung des Herausgebers. Band 1, S. 32–38.</ref> Unter seinen Quellen erscheinen neben dem oben genannten Mudschāhid ibn Dschabr [[al-Hasan al-Basri]], [[Ibn as-Sā'ib al-Kalbī]] und andere Autoritäten der frühen Exegese.
=== Klassische Periode: die traditionelle Koranauslegung ===
Das monumentale Werk ''Dschāmiʿ al-bayān ʿan taʾwīl āy al-Qurʾān'' {{ar|جامع البيان عن تأويل آي القرآن‎|d= Ǧāmiʿ al-bayān ʿan taʾwīl āy al-qurʾān|b= Zusammenfassung der Erläuterungen zur Interpretation der Koranverse}} von [[at-Tabarī]] gilt als klassischer Korankommentar, dessen [[at-Tabari#Koranexegese|Entdeckung]] zu Beginn des 20. Jahrhunderts der koranwissenschaftlichen Forschung neue Impulse gab.<ref>Ignaz Goldziher: ''Die Richtungen der islamischen Koranauslegung.'' Leiden 1920, S. 87–98 ([https://books.google.de/books?id=x8wUAAAAIAAJ&pg=PA87&printsec=frontcover&hl=de#v=onepage&q&f=false online]).</ref>
At-Tabari kommentiert entsprechend dem [[ʿUthmān ibn ʿAffān|uthmanischen Kodex]] jeden Vers. Zuerst werden lexikalische Fragen erklärt, darauf folgt die Darstellung der historischen Hintergründe der Offenbarung, ferner verschiedene traditionelle Auslegungen der Inhalte und die Erörterung der Frage der [[Abrogation (Islam)|Abrogation]]. Abschließend gibt at-Tabari sein eigenes Urteil über die wahrscheinlichste Auslegung des betreffenden Verses an. Das Werk ist die umfangreichste Sammlung und Auswertung koranexegetischer Schriften, die heute nicht mehr erhalten sind. [[Fuat Sezgin]] vertritt die Ansicht, dass durch die Analyse der [[Isnād|Überlieferungswege]] koranexegetischer Traditionen bei at-Tabari die frühesten, in das 7. Jahrhundert zurückreichenden Aussagen der [[Sahāba|Prophetengefährten]] zum Korantext rekonstruiert werden können.<ref>Fuat Sezgin: ''Geschichte des arabischen Schrifttums.'' Band I, Leiden 1967, S. 18–24 ([https://books.google.de/books?id=3U2loA0orUkC&pg=PA18&printsec=frontcover&hl=de#v=onepage&q&f=false online]); Angelika Neuwirth: ''Koran.'' Wiesbaden
Die traditionelle Koranexegese, die sich bei der inhaltlichen Erörterung der Koranverse vor allem an den Aussagen der Prophetengefährten und ihrer unmittelbaren Nachfolger orientiert, ist auch in den [[Al-Kutub as-sitta|großen Traditionssammlungen]] des 9. Jahrhunderts erhalten. Neben den Kapiteln des [[Fiqh]] und der [[Sira (Prophetenbiographie)|Darstellung des Lebens Mohammeds]] und seiner Zeitgenossen enthalten diese Werke auch ein Kapitel über Tafsir. Die Koranauslegung war, neben eigenständigen Werken aus der Frühzeit, ein Zweig der Hadithliteratur.<ref>Carl Brockelmann: ''Geschichte der arabischen Litteratur
Im 8. Band der ''Concordance et indices de la tradition musulmane'' sind in alphabetischer Reihenfolge der Surennamen alle Belegstellen koranexegetischen Inhalts zusammengestellt, die in den sechs kanonischen Büchern Erwähnung finden.<ref>Wim Raven, Jan Just Witkam (Hrsg.). Brill, Leiden 1988, S. 342–421 (Register der Koransuren und Koranverse).</ref>
==== Beispiel ====
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=== Moderne Periode ===
Seit dem 19. Jahrhundert herrscht unter muslimischen Verfassern von Tafsir-Werken das Bestreben nach inhaltlicher Vereinfachung der Textinterpretation. Ziel ist dabei, die Texte einem breiteren Publikum zugänglich zu machen, das jedoch nicht unbedingt auf dem Gebiet der religiösen [[Exegese]] ausgebildet ist. Dies hat zur Folge, dass in modernen Tafsir-Werken weniger grammatikalische und theologische als vielmehr
Der ''tafsir 'ilmi'', also die „(natur)wissenschaftliche Auslegung“, ist ein weiterer Trend der modernen Koranexegese. Dabei wird nicht nur versucht, den Koran mit modernen wissenschaftlichen Erkenntnissen zu vereinbaren, sondern auch aufzuzeigen, dass der Koran diese vorhergesagt habe.<ref>Siehe Rotraud Wielandt: '' Exegesis of the Qurān: Early Modern and Contemporary''. In: Jane Dammen McAuliffe (Hrsg.): ''Encyclopaedia of the Qurʾān''. Band 2. Brill, Leiden/Boston 2002, S. 129–131 ([https://archive.org/stream/EncyclopaediaOfTheQuranVol.2eI/Encyclopaedia%20of%20the%20Quran%2C%20vol.%202%20%28e-i%29#page/n131/mode/2up Digitalisat]).</ref> Diese Form des Tafsīr ist aufgrund seines [[Apologetik|apologetischen]] Potenzials gegenüber dem im Bereich der Naturwissenschaften als überlegen empfundenen Westen gemeinhin sehr populär,<ref>Johanna Pink: ''Sunnitischer Tafsir in der modernen islamischen Welt. Akademische Traditionen, Popularisierung und nationalstaatliche Interessen.'' Leiden 2011, S. 33 ([https://books.google.de/books?id=t955DwAAQBAJ&printsec=frontcover&pg=PA33&hl=de#v=onepage&q&f=false online]). Vgl. Rotraud Wielandt: '' Exegesis of the Qurān: Early Modern and Contemporary''. In: Jane Dammen McAuliffe (Hrsg.): ''Encyclopaedia of the Qurʾān''. Band 2. Brill, Leiden/Boston 2002, S. 129 ([https://archive.org/stream/EncyclopaediaOfTheQuranVol.2eI/Encyclopaedia%20of%20the%20Quran%2C%20vol.%202%20%28e-i%29#page/n131/mode/2up Digitalisat]).</ref> ist allerdings zugleich auf nur wenig Zustimmung und teilweise Kritik innerhalb der islamischen Gelehrsamkeit gestoßen. Kritiker bemängeln dahingehend unter anderem, dass es sich beim Koran um kein wissenschaftliches Werk, sondern einen religiösen Text handle, dessen Zweck eine Vielzahl normativer Weisungen für die Menschheit darstelle sowie ferner, dass diese Form der Auslegungen fälschlicherweise moderne statt zeitgenössischer Bedeutungen des koranischen Vokabulars in ihrer Argumentation anwende.<ref>Siehe Rotraud Wielandt: '' Exegesis of the Qurān: Early Modern and Contemporary''. In: Jane Dammen McAuliffe (Hrsg.): ''Encyclopaedia of the Qurʾān''. Band 2. Brill, Leiden/Boston 2002, S. 130 f. ([https://archive.org/stream/EncyclopaediaOfTheQuranVol.2eI/Encyclopaedia%20of%20the%20Quran%2C%20vol.%202%20%28e-i%29#page/n133/mode/2up Digitalisat]).</ref> In diesen Rahmen gehört auch die Idee, der Koran beruhe auf einem komplexen Zahlensystem, welches keinen menschlichen Urheber haben und erst mittels moderner elektronischer Methoden festgestellt werden könne.<ref>Johanna Pink: ''Sunnitischer Tafsir in der modernen islamischen Welt. Akademische Traditionen, Popularisierung und nationalstaatliche Interessen.'' Leiden 2011, S. 33 ([https://books.google.de/books?id=t955DwAAQBAJ&printsec=frontcover&pg=PA33&hl=de#v=onepage&q&f=false online]).</ref>
=== Tafsīr-Werke in anderen Sprachen ===
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== Gattungen ==
Ignaz Goldziher hat in seinem heute noch wegweisenden Werk ''[[Die Richtungen der islamischen Koranauslegung]]'' (1920) die Entstehung und Entwicklung der Koranexegese erstmals dargelegt und dabei die primären Stufen der Koranauslegung, ferner die dogmatischen, mystischen und sektiererischen Richtungen der Exegese inhaltlich erörtert. [[John Wansbrough]] (1977) unterscheidet bei der Analyse der inhaltlichen Struktur der ältesten im Druck zugänglichen Korankommentare in ihrer chronologischen Reihenfolge fünf Gattungen: erzählend- erbaulicher Kommentar („[[Aggada|haggadic]] commentary“); [[schari'a]]-orientierter Kommentar („[[Halacha|halakhic]] commentary“); philologisch-textgeschichtlicher Kommentar („[[Masoretischer Text|masoretic]] commentary“); rhetorisch-stilistischer Kommentar („rhetorical commentary“) und allegorischer Kommentar („allegorical commentary“).<ref>Angelika Neuwirth: ''Koran.'' Wiesbaden
=== Philologische Koranexegese ===
{{Anker|gharāʾib al-Koran}}
Die Auslegung des Korantextes nach philologischen Gesichtspunkten ist erstmals in zwei alten Dokumenten dieser Gattung – im ''Kitāb al-ʿAin'', im arabischen Sprachlexikon von [[al-Chalīl ibn Ahmad|al-Chalil ibn Ahmad al-Farahidi]] (gest. 791) und bei [[Sibawayhi]] (gest. gegen 796) – belegt. Beide Schriften behandeln die arabische Hochsprache, die Poesie der [[Arabische Literatur#Vorislamische Zeit|Poesie der Dschahilyya]] und den Korantext mit Hinweisen auf den zeitgenössischen Sprachgebrauch im 8. Jahrhundert, um Begriffe sowohl der Poesie als auch des Korans zu erläutern. Diese in der Koranexegese selbständige Gattung, in deren Mittelpunkt die Erklärung koranischer [[Lexem]]e steht, nennt man {{arF|غرائب القرآن‎|w=gharāʾib al-Koran |d=ġarāʾibu ʾl-Qurʾān |b= seltene, ungewöhnliche (Begriffe) des Korans}}. In Büchern unter diesem Titel unterzog man die gesammelten Wörter einer genauen stilistischen und inhaltlichen Analyse. In vielen Fällen sind koranische Lexeme anhand der in der Frühzeit bekannten gleichlautenden Begriffe der Poesie der Dschahilyya, in der eine bestimmte Wortbedeutung noch lebendig war, erläutert worden.<ref>Angelika Neuwirth (1987), S. 123–124; A. Rippin: ''Ibn ʿAbbās's Al-lughāt fī ʾl-Qurʾān''. In: ''Bulletin of the School of Oriental and African Studies.'' (BSOAS), Band XLIV, 1981, S. 15–25; ders. ''Gharīb al-Qurʾān''. In: ''Bulletin of the School of Oriental and African Studies.'' (BSOAS), Band XLVI, 1983, S. 332–333; Fuat Sezgin (1967), S. 35–36 und 48–49 nennt in dieser Gattung Werktitel wie: ''Ġarīb al-Qurʾān'' (ungewöhnliche/fremde (Wörter) des Korans),'' Maʿānī ʾl-Qurʾān'' ((Wort)bedeutungen des Korans) und ''Muškil al-Qurʾān'' (sprachlich schwierige, problematische Stellen des Korans).</ref>▼
▲Die Auslegung des Korantextes nach philologischen Gesichtspunkten ist erstmals in zwei alten Dokumenten dieser Gattung – im ''Kitāb al-ʿAin'', im arabischen Sprachlexikon von [[al-Chalīl ibn Ahmad|al-Chalil ibn Ahmad al-Farahidi]] (gest. 791) und bei [[Sibawayhi]] (gest. gegen 796) – belegt. Beide Schriften behandeln die arabische Hochsprache, die Poesie der [[Arabische Literatur#Vorislamische Zeit|Poesie der Dschahilyya]] und den Korantext mit Hinweisen auf den zeitgenössischen Sprachgebrauch im 8. Jahrhundert, um Begriffe sowohl der Poesie als auch des Korans zu erläutern. Diese in der Koranexegese selbständige Gattung, in deren Mittelpunkt die Erklärung koranischer [[Lexem]]e steht, nennt man {{arF|غرائب القرآن‎|w=gharāʾib al-Koran |d=ġarāʾibu ʾl-Qurʾān |b= seltene, ungewöhnliche (Begriffe) des Korans}}. In Büchern unter diesem Titel unterzog man die gesammelten Wörter einer genauen stilistischen und inhaltlichen Analyse. In vielen Fällen sind koranische Lexeme anhand der in der Frühzeit bekannten gleichlautenden Begriffe der Poesie der Dschahilyya, in der eine bestimmte Wortbedeutung noch lebendig war, erläutert worden.<ref>Angelika Neuwirth: ''Koran.'' Wiesbaden
Die älteste Autorität auf dem Gebiet der exegetischen Literatur ist [[ʿAbdallāh ibn ʿAbbās]] (gest. gegen 688), dessen philologische und exegetische Erläuterungen zum Korantext in den ''tafsir''-Werken der Folgegenerationen verarbeitet worden sind. Dass die Poesie als Hilfsmittel zur Erläuterung schwer verständlicher, in ihrer Bedeutung umstrittener Begriffe des Korans herangezogen wurde, bestätigt eine auf Ibn ʿAbbās zurückgeführte Empfehlung: ''„Wenn im Koran (euch) etwas fremdartig erscheint, so schlagt in der Poesie nach! Denn die Poesie ist arabisch […]“''.<ref>Ignaz Goldziher: ''Die Richtungen der islamischen Koranauslegung.'' Leiden 1920, S. 70; Wansbrough (1977), S. 217.</ref> In die gleiche Richtung weist auch eine dem zweiten [[Kalif]]en [[ʿUmar ibn al-Chattāb]] zugeschriebene Äußerung an seine Zeitgenossen: ''„Ihr müsst euch den Gedichten der [[Dschāhiliyya]] widmen, denn dort findet sich die Exegese eueres Buches (d.i. des Korans)“''.<ref>Ignaz Goldziher: ''Die Richtungen der islamischen Koranauslegung.'' Leiden 1920, S. 69. Anmerkung 4; Wansbrough (1977), S. 217.</ref>▼
▲Die älteste Autorität auf dem Gebiet der exegetischen Literatur ist [[ʿAbdallāh ibn ʿAbbās]] (gest. gegen 688), dessen philologische und exegetische Erläuterungen zum Korantext in den ''tafsir''-Werken der Folgegenerationen verarbeitet worden sind. Dass die Poesie als Hilfsmittel zur Erläuterung schwer verständlicher, in ihrer Bedeutung umstrittener Begriffe des Korans herangezogen wurde, bestätigt eine auf Ibn ʿAbbās zurückgeführte Empfehlung: ''„Wenn im Koran (euch) etwas fremdartig erscheint, so schlagt in der Poesie nach! Denn die Poesie ist arabisch […]“''.<ref>Ignaz Goldziher: ''Die Richtungen der islamischen Koranauslegung.'' Leiden 1920, S. 70 ([https://books.google.de/books?id=x8wUAAAAIAAJ&pg=PA70&printsec=frontcover&hl=de#v=onepage&q&f=false online]); Wansbrough (1977), S. 217.</ref> In die gleiche Richtung weist auch eine dem zweiten [[Kalif]]en [[ʿUmar ibn al-Chattāb]] zugeschriebene Äußerung an seine Zeitgenossen: ''„Ihr müsst euch den Gedichten der [[Dschāhiliyya]] widmen, denn dort findet sich die Exegese eueres Buches (d.i. des Korans)“''.<ref>Ignaz Goldziher: ''Die Richtungen der islamischen Koranauslegung.'' Leiden 1920, S. 69 ([https://books.google.de/books?id=x8wUAAAAIAAJ&pg=PA69&printsec=frontcover&hl=de#v=onepage&q&f=false online]). Anmerkung 4; Wansbrough (1977), S. 217.</ref>
In eine historisch nicht belegbare Rahmengeschichte eingebettet werden die vom [[Charidschiten]] Nāfiʿ ibn al-Azraq (gest. 682) an Ibn ʿAbbās gerichteten Fragen<ref>Fuat Sezgin: ''Geschichte des arabischen Schrifttums.'' Band I, Leiden 1967, S. 27–28 ([https://books.google.de/books?id=3U2loA0orUkC&pg=PA27&printsec=frontcover&hl=de#v=onepage&q&f=false online]).</ref> über die Bedeutung ungewöhnlicher koranischer Lexeme gesammelt, die dann letzterer mit Hinweis auf „die autoritative Instanz der altarabischen Poesie“<ref>
Die großen Korankommentare der Folgezeit enthalten zahlreiche Verszeilen aus der altarabischen Poesie, die als Quellen zum Verständnis koranischer Begriffe herangezogen werden.<ref>Stefan Wild (Hrsg.): ''The Qurʾan as Text''.Brill. Leiden 1996. S. 244–245; 248–251.</ref> Die Poesie als Hilfsmittel zur Klärung koranischer Termini hat in der exegetischen Literatur somit früh einen festen Platz erhalten; hierbei kam den im archaischen Wortschatz bewanderten [[Beduinen]] eine entscheidende Bedeutung zu.<ref>Siehe darüber im Einzelnen: [[Joshua Blau]]: ''The role of the beduins as arbiters in linguistic questions.'' In: Journal of Semitic Studies (JSS), 8 (1963), S. 42ff.</ref>
Im Werk des bereits oben genannte Muqātil ibn Sulaimān nimmt die philologische Koranauslegung feste Konturen an. Sein Werk, überliefert von einem seiner Schüler, enthält 185 Lexeme, die auf ihre Bedeutungsnuancen (wudschūh) untersucht werden. Jedem koranischen Begriff als Lemma werden die Bedeutungsnuancen hinzugefügt, um sie dann mit den jeweiligen Koranstellen (naẓāʾir) inhaltlich und stilistisch abzustimmen. Daher heißt Muqātils Werk: ''K. al-wudschūh wa-ʾn-naẓāʾir'', „Das Buch der Bedeutungsnuancen und (ihrer Entsprechungen) im Koran.“<ref>Fuat Sezgin: ''Geschichte des arabischen Schrifttums.'' Band I, Leiden 1967, S. 37. Nr. 2 ([https://books.google.de/books?id=3U2loA0orUkC&pg=PA37&printsec=frontcover&hl=de#v=onepage&q&f=false online]); Angelika Neuwirth: ''Koran.'' Wiesbaden
==== Beispiele ====
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{{Zitat |Text=[…] was die Erde (anderswo) wachsen läßt, – Grünzeug, Gurken, Knoblauch […] |Autor=Sure 2, Vers 61 |Quelle=Übersetzung: Rudi Paret, Stuttgart 1962.}}
* Noch der [[Medina|medinensische]] Kommentator Nāfiʿ ibn Abī Nuʿaim (gest. 785), eine der Primärquellen des Koranexegeten ʿAbdallāh ibn Wahb (gest. 812), weiß darüber zu berichten, dass man Ibn ʿAbbās nach der Bedeutung des letzten Wortes – fūm – in der obigen Aufzählung gefragt hat, worauf dieser wie folgt geantwortet haben soll: „Es bedeutet 'Weizen' (ḥinṭa); hast du denn (den Dichter) Uḥaiyḥa ibn al-Ǧulāḥ nicht sprechen hören: ‚Ich war doch in Person der wohlhabendste Mann, der nach Medina ''zwecks Anbau von Weizen'' kam (ʿan zirāʿati ''fūmi'').‘“<ref>Stefan Wild (Hrsg. 1996), S. 249.</ref> Der Dichter selbst, ein wohlhabender Großgrundbesitzer und Kaufmann von [[Yathrib]] in der Mitte des 6. Jahrhunderts,<ref>Fuat Sezgin: ''Geschichte des arabischen Schrifttums''. Band 2: ''Poesie.'' Brill, Leiden 1975, S. 284–285.</ref> verwendet das sowohl unter den Exegeten als auch [[Lexikografie|Lexikographen]] in seiner Bedeutung umstrittene Wort fūm als „Weizen“. Im Allgemeinen verstand man darunter Getreideprodukte, wobei man sich auch einer Lesevariante mit vergleichbarem [[Rasm]] {{arF|ثوم, فوم‎}} fūm – ṯūm, also im Sinne von „Knoblauch“, bedienen konnte.<ref>Theodor Nöldeke (1910), S. 4.</ref>
{{Zitat |Text=[…] und sie sind schon (hell) wach|Autor=[[Sure 79]], Vers 14 |Quelle=Übersetzung: Rudi Paret, Stuttgart 1962.}}
* Die Übersetzungen der Stelle ''bi-s-sāhirati'' sowohl bei R. Paret – (hell) wach – als auch bei [[Richard Bell (Arabist)|Richard Bell]] – wide awake<ref>Dort mit der Anm. 5: Lit. „in the waking; usually taken as meaning a wide open place“.</ref> – orientieren sich an der Grundbedeutung des Verbs ''sahira'' „wach sein“.<ref>Rudi Paret: ''Der Koran. Kommentar und Konkordanz.'' Stuttgart 1980, S. 500.</ref> Zwar ist die Deutung des Begriffes als „Erde, Land, Oberfläche“ in der Exegese durchgehend belegbar, es wird dort dennoch eine Verszeile des Dichters Umayya ibn Abī ṣ-Ṣalt (gest. 632)<ref>Fuat Sezgin: ''Geschichte des arabischen Schrifttums.'' Band 2, Leiden 1975, S. 298–300.</ref> zur Bestätigung der korrekten Wortdeutung in der Überlieferung von Ibn ʿAbbās herangezogen: „as-sāhiratu (bedeutet): die Erde, das Land. Der Dichter sagt: «Jagdbeute (des) Meeres, Jagdbeute (des) Landes» (''ṣaidu baḥrin wa-ṣaidu sāhiratin'').“<ref>Stefan Wild (Hrsg. 1996), S. 250.</ref> Somit bietet sich als Übersetzung der fraglichen Stelle möglicherweise an: „Und sogleich sind sie auf der Oberfläche“,<ref>Siehe: ''Der edle Qurʾān und die Übersetzung seiner Bedeutungen in die deutsche Sprache'', Übersetzung: Scheich ʿAbdullāh aṣ-Ṣāmit, [[Frank Bubenheim]] und Dr. [[Nadeem Elyas]]. [[Fahd-König-Komplex zum Druck vom Qurʾān]], 2001.</ref> obwohl der eingangs bereits genannte Mudschahid ibn Dschabr den Begriff als die Hölle ([[Dschahannam]]) deutet. Andere wiederum verstehen das Wort als geographischen Begriff, möglicherweise als Namen eines Berges bei [[Jerusalem]] (Bait al-maqdis).<ref>at-Tabari: ''Ǧāmiʿ al-bayān… .'' Band 30, S. 37–38.</ref>
{{Zitat |Text=[…] und ließen über diejenigen, die frevelten, eine schlimme Strafe kommen […]|Autor=Sure 7, Vers 165 |Quelle=Übersetzung: Rudi Paret, Stuttgart 1962.}}
* Die Lesart (siehe unten) der Stelle: „eine ''schlimme'' Strafe“ ''bi-ʿaḏābin baʾīsin'' haben die frühen Philologen in [[Medina]], [[Mekka]], [[Kufa]] und [[Basra]] unterschiedlich dargestellt, die at-Tabari zu Beginn der Interpretation des Verses im Einzelnen anführt, sie aber mit der Redensart und Diktion der Araber (Beduinen – ''kalām al-ʿarab'') nicht in Einklang bringen kann, selbst wenn es dafür Belege in der Poesie gibt. Für die obige, im Koran dokumentierte Lesart greift er auf eine Verszeile des vorislamischen Dichters Ḏū ʾl-Iṣbaʿ<ref>Fuat Sezgin: ''Geschichte des arabischen Schrifttums.'' Band 2, Leiden 1975, S. 297–298.</ref> zurück, in der er die koranische Form ''baʾīsin'' mit der entsprechenden Bedeutung bestätigt findet. Die inhaltliche Deutung des Wortes selbst erfolgt dann durch den Rückgriff auf fünf Belege der traditionellen Exegese.<ref>at-Tabari: ''Ǧāmiʿ al-bayān… .'' Band 9, S. 100–101.</ref>
=== Die koranischen Lesarten ===
{{Hauptartikel|Lesarten des Korans}}
Die ''Tafsir''-Literatur beschäftigt sich neben der dogmatisch-theologischen und philologischen Auslegung des Korantextes auch mit wichtigen Teilaspekten der Offenbarung: mit den [[Lesarten des Korans]] ({{arF|قراءات‎| w=qirāʾāt}}). Die Wissenschaft von den Lesarten des Korantextes entwickelte sich unter dem Einfluss der Philologen im ausgehenden 8. Jahrhundert, vor allem in den damaligen Gelehrtenzentren von [[Basra]] und [[Kufa]] und war eine der wichtigsten Disziplinen der am Korantext orientierten arabischen Philologie. Der berühmte Grammatiker der arabischen Sprache [[Sibawayhi|Sībawaih]] (gest. 793) setzte die allgemein anerkannte Textlesung von Basra aus, kannte aber auch andere lokalspezifische Lesarten, die er in seiner Grammatik verarbeitete.<ref>Fuat Sezgin: ''Geschichte des arabischen Schrifttums.'' Band I, Leiden 1967, S. 8.</ref> Die nicht-kanonischen Lesarten (''qirāʾāt schāḏḏa'' / ''schawāḏḏ''), die im sogenannten uthmanischen Kodex zusammengestellt und – nach der islamischen Tradition – auf Anordnung des Kalifen [[ʿUthmān ibn ʿAffān]] ''nicht'' beachtet wurden, gingen in koranspezifische Werke ein. Bahnbrechende Studien haben auf diesem Gebiet bereits [[Theodor Nöldeke]], [[Arthur Jeffery]] und [[Gotthelf Bergsträsser]] hervorgebracht. Einige Werke, deren Verfasser im 10. Jahrhundert gewirkt haben, liegen in der kritischen Edition von G. Bergsträsser (1938) vor. A. Jeffery (1937) hat das „Buch der Koranexemplare“ (Kitāb al-maṣāḥif) von Ibn Abī Dāwūd as-Sidschistānī (gest. 928)<ref>Fuat Sezgin: ''Geschichte des arabischen Schrifttums.'' Band I, Leiden 1967, S. 14.</ref> herausgegeben, in dem 27 alte Koranexemplare mit ihren Lesarten zusammengestellt sind. Aus dem Kitāb Faḍāʾil al-Qurʾān („Die Vorzüge des Korans“) von [[Abū ʿUbaid al-Qāsim ibn Sallām]] (gest. 838) hat [[Anton Spitaler]] das Kapitel über die Lesarten ediert und ausgewertet.<ref>Anton Spitaler (Hrsg.): Ein Kapitel aus den ''Faḍāʾil al-Qurʾān'' von Abū ʿUbaid al-Qāsim ibn Sallām. In: Documenta islamica inedita. Berlin 1952. S. 1–24</ref> Das Gesamtwerk liegt seit 1995 in zwei Bänden im Druck vor.<ref>Publikationen des Ministeriums für Waqf und religiöse Angelegenheiten. Rabat / al-Muḥammadiya. 1995</ref>▼
▲Die ''Tafsir''-Literatur beschäftigt sich neben der dogmatisch-theologischen und philologischen Auslegung des Korantextes auch mit wichtigen Teilaspekten der Offenbarung: mit den [[Lesarten des Korans]] ({{arF|قراءات‎| w=qirāʾāt}}). Die Wissenschaft von den Lesarten des Korantextes entwickelte sich unter dem Einfluss der Philologen im ausgehenden 8. Jahrhundert, vor allem in den damaligen Gelehrtenzentren von [[Basra]] und [[Kufa]] und war eine der wichtigsten Disziplinen der am Korantext orientierten arabischen Philologie. Der berühmte Grammatiker der arabischen Sprache [[Sibawayhi|Sībawaih]] (gest. 793) setzte die allgemein anerkannte Textlesung von Basra aus, kannte aber auch andere lokalspezifische Lesarten, die er in seiner Grammatik verarbeitete.<ref>Fuat Sezgin: ''Geschichte des arabischen Schrifttums.'' Band I, Leiden 1967, S. 8 ([https://books.google.de/books?id=3U2loA0orUkC&pg=PA8&printsec=frontcover&hl=de#v=onepage&q&f=false online]).</ref> Die nicht-kanonischen Lesarten (''qirāʾāt schāḏḏa'' / ''schawāḏḏ''), die im sogenannten uthmanischen Kodex zusammengestellt und – nach der islamischen Tradition – auf Anordnung des Kalifen [[ʿUthmān ibn ʿAffān]] ''nicht'' beachtet wurden, gingen in koranspezifische Werke ein. Bahnbrechende Studien haben auf diesem Gebiet bereits [[Theodor Nöldeke]], [[Arthur Jeffery]] und [[Gotthelf Bergsträsser]] hervorgebracht. Einige Werke, deren Verfasser im 10. Jahrhundert gewirkt haben, liegen in der kritischen Edition von G. Bergsträsser (1938) vor. A. Jeffery (1937) hat das „Buch der Koranexemplare“ (Kitāb al-maṣāḥif) von Ibn Abī Dāwūd as-Sidschistānī (gest. 928)<ref>Fuat Sezgin: ''Geschichte des arabischen Schrifttums.'' Band I, Leiden 1967, S. 14 ([https://books.google.de/books?id=3U2loA0orUkC&pg=PA14&printsec=frontcover&hl=de#v=onepage&q&f=false online]).</ref> herausgegeben, in dem 27 alte Koranexemplare mit ihren Lesarten zusammengestellt sind. Aus dem Kitāb Faḍāʾil al-Qurʾān („Die Vorzüge des Korans“) von [[Abū ʿUbaid al-Qāsim ibn Sallām]] (gest. 838) hat [[Anton Spitaler]] das Kapitel über die Lesarten ediert und ausgewertet.<ref>Anton Spitaler (Hrsg.): Ein Kapitel aus den ''Faḍāʾil al-Qurʾān'' von Abū ʿUbaid al-Qāsim ibn Sallām. In: Documenta islamica inedita. Berlin 1952. S. 1–24.</ref> Das Gesamtwerk liegt seit 1995 in zwei Bänden im Druck vor.<ref>Publikationen des Ministeriums für Waqf und religiöse Angelegenheiten. Rabat / al-Muḥammadiya. 1995.</ref>
Die systematische Zusammenstellung der Lesarten, geordnet nach den Gelehrtenzentren und ihren Vertretern, ist das Ergebnis eines langwierigen Prozesses der Vereinheitlichung des Korantextes. Nach der Beseitigung derjenigen Lesevarianten, die nicht den Textformen des uthmanischen Kodexes entsprachen, ging es darum, Lesarten nach dem Prinzip des Konsenses der Korangelehrten ([[idschmāʿ]] – aber nicht im juristischen Sinne) zuzulassen. Der Korangelehrte Ibn Mudschāhid (gest. 936)<ref>Fuat Sezgin: ''Geschichte des arabischen Schrifttums.'' Band I, Leiden 1967, S. 8 und 14.</ref> in [[Bagdad]] verschaffte in diesem Entwicklungsprozess sieben Lesarten des gesamten Korantextes allgemeine Gültigkeit, die auf die Varianten von sieben anerkannten Autoritäten der Rezitation in den damaligen Zentren islamischer Gelehrsamkeit des 8. Jahrhunderts zurückgingen: drei Lesarten aus Kufa und je eine aus Basra, Mekka, Medina und [[Damaskus]]. Ibn Mudschahid selbst fasste in seinem ''Kitāb as-Sabʿa'', „Das Buch der sieben (Lesarten)“ die sieben Parallelfassungen zusammen. Bis zum 15. Jahrhundert kamen weitere kommentierte Lesarten hinzu.<ref>Angelika Neuwirth (1987), S. 108–110</ref>▼
▲Die systematische Zusammenstellung der Lesarten, geordnet nach den Gelehrtenzentren und ihren Vertretern, ist das Ergebnis eines langwierigen Prozesses der Vereinheitlichung des Korantextes. Nach der Beseitigung derjenigen Lesevarianten, die nicht den Textformen des uthmanischen Kodexes entsprachen, ging es darum, Lesarten nach dem Prinzip des Konsenses der Korangelehrten ([[idschmāʿ]] – aber nicht im juristischen Sinne) zuzulassen. Der Korangelehrte Ibn Mudschāhid (gest. 936)<ref>Fuat Sezgin: ''Geschichte des arabischen Schrifttums.'' Band I, Leiden 1967, S. 8 und 14 ([https://books.google.de/books?id=3U2loA0orUkC&pg=PA8&printsec=frontcover&hl=de#v=onepage&q&f=false online]).</ref> in [[Bagdad]] verschaffte in diesem Entwicklungsprozess sieben Lesarten des gesamten Korantextes allgemeine Gültigkeit, die auf die Varianten von sieben anerkannten Autoritäten der Rezitation in den damaligen Zentren islamischer Gelehrsamkeit des 8. Jahrhunderts zurückgingen: drei Lesarten aus Kufa und je eine aus Basra, Mekka, Medina und [[Damaskus]]. Ibn Mudschahid selbst fasste in seinem ''Kitāb as-Sabʿa'', „Das Buch der sieben (Lesarten)“ die sieben Parallelfassungen zusammen. Bis zum 15. Jahrhundert kamen weitere kommentierte Lesarten hinzu.<ref>Angelika Neuwirth: ''Koran.'' Wiesbaden
Nach dem Stand der Forschung ist davon auszugehen, dass es stets eine Anzahl gleichberechtigter und nebeneinander gebrauchter Textformen gab.
{{Zitat |Text=Die Vorstellung eines offiziellen Einheitstextes in jene für den Islam so schöpferischen Zeiten zurückzuprojezieren, wäre eine Verdunkelung einer seiner größten spirituellen und kulturellen Errungenschaften und ein folgenreicher Anachronismus. |Autor=
At-Tabarī steht mit seinem Korankommentar in der Tradition seines Zeitgenossen Ibn Mudschāhid; er verweist an den entsprechenden Stellen der Koranverse auf die jeweiligen, damals gebräuchlichen Lesevarianten und erläutert sie sowohl nach [[Phonetik|phonetischen]] als auch nach inhaltlichen Aspekten.
==== Beispiele ====
* Sure 3, Vers 19 lautet im uthmanischen Exemplar und somit auch in der Druckausgabe des Korans:
{{Zitat |Text=Als (einzig wahre) Religion gilt bei Gott der Islam |Quelle=Übersetzung: Rudi Paret, Stuttgart 1962.}}
Im Koranexemplar von [[ʿAbdallāh ibn Masʿūd]], das noch im 10. Jahrhundert in Umlauf war, hieß die Stelle: „Als (einzig wahre) Religion gilt bei Gott die Hanīfiyya.“<ref>Arthur Jeffery: ''Materials for the history of the text of the Qurʾān.'' Leiden 1937. S. 32; W.Montgomery Watt: ''Bell's Introduction to the Qurʾān''. Edinburgh 1970. S. 16 (Islamic Surveys 8).</ref> (zum Ausdruck ''al-Hanīfīya'' siehe den Art. [[Hanif]]). Arthur Jeffery hat die auf Ibn Masʿūd zurückgeführten phonetischen und inhaltlichen Varianten auf 90 Seiten zusammengestellt. Es war der oben genannte Korangelehrte Ibn Mudschāhid, der die im Lehrbetrieb von Bagdad benutzte Lesart des Ibn Masʿūd und anderer nicht-kanonischen Lesarten untersagte. Sein Zeitgenosse, der Koranleser Ibn Schanabūdh (gest. November–Dezember 939), der Ibn Masʿūds Exemplar beim öffentlichen Gebet (im Arabischen Sprachgebrauch: ''fī ʾl-miḥrāb'': am [[Mihrāb]])<ref>''The Encyclopaedia of Islam.'' New Edition. Brill, Leiden. B. 3, S. 395.</ref> rezitierte, folgte diesem Verbot erst, nachdem er im Jahre 936 vor Gericht gestellt und anschließend ausgepeitscht wurde.<ref>Ignaz Goldziher: ''Die Richtungen der islamischen Koranauslegung.'' Leiden 1920, S. 47 ([https://books.google.de/books?id=x8wUAAAAIAAJ&pg=PA47&printsec=frontcover&hl=de#v=onepage&q&f=false online]); ''The Encyclopaedia of Islam.'' Band 5, New Edition, Brill, Leiden, S. 127 und B. 3, S. 395.</ref> Im Gerichtsprotokoll, das er zu unterzeichnen hatte, waren einige Koranstellen zusammengetragen, von deren Lesart er sich – unter Zwang – distanzieren musste. Im ''Maʿrifat al-qurrāʾ al-kibār ʿalā at-tabaqāt wa-l-aʿsār'' {{arF|معرفة القراء الكبار على طبقات وأعصار‎}}„Kenntnis der großen Koranleser nach Klassen und Epochen geordnet“ von [[adh-Dhahabī]] ist dieses Protokoll erhalten.
* In Sure 2, Vers 158 heißt es:
{{Zitat |Text= As-Safā und al-Marwa gehören zu den Kultsymbolen Gottes. Wenn einer die (große) Wallfahrt zum Haus (der Kaʿba) oder die Besuchsfahrt (ʿUmra) vollzieht, ist es für ihn keine Sünde, bei ihnen den Umgang zu machen. |Quelle=Übersetzung: Rudi Paret, Stuttgart 1962.}}
Der Korankommentator der Frühzeit [[Qatāda ibn Diʿāma]] (gest. 735–736) berichtet in seinem ''Buch der Wallfahrtszeremonien'' (Kitāb al-manāsik), in der Überlieferung seines Schülers [[Saʿīd ibn Abī ʿArūba]] (gest. 773), dass in einigen Koranexemplaren die folgende Variante als ''Negation'' stand: „[…] ist es für ihn keine Sünde, bei ihnen den Umgang ''nicht'' zu machen“.<ref>(Hrsg.) ʿĀmir Ḥasan Ṣabrī. Beirut 2000. S. 77–78. Nr. 34; siehe auch: Arthur Jeffery: ''Materials for the history of the text of the Qurʾān''. The old codices. Brill. Leiden 1937. S. 28: nach dem Koranexemplar von [[ʿAbdallāh ibn Masʿūd]].</ref> Diese von Qatāda dokumentierte Lesevariante des Korantextes lässt auf die umstrittene Gestaltung der Wallfahrtszeremonien in der Frühzeit schließen,<ref>Rudi Paret: ''Der Koran. Kommentar und Konkordanz.'' Stuttgart 1980. S. 36.</ref> denn die im obigen Koranvers genannten Stätten galten bereits in der vorislamischen Zeit als Orte des Umgangs (Tawāf) während der Wallfahrtsriten,<ref>[[Julius Wellhausen]]: ''Reste arabischen Heidentums.'' Berlin 1897. S. 77.</ref> die dann im Koran als islamisch sanktioniert wurden.<ref>''The Encyclopaedia of Islam.''
* In Sure 9, Vers 128 heißt es:
{{Zitat |Text= Nun ist ein Gesandter aus euren eigenen Reihen zu euch gekommen […] |Quelle=Übersetzung: Rudi Paret, Stuttgart 1962.}}
Dazu geben die Exegeten, wie [[Az-Zamachschari]] in seinem überwiegend philologisch angelegten Kommentar, die folgende Lesart (qirāʾa) an: „Nun ist ein Gesandter ''aus euren Vornehmsten'' zu euch gekommen.“ Im Arabischen mit demselben Rasm: min anf''u''sikum {{arF|من أنفسكم‎}} (Koran) im Vergleich zu: min anf''a''sikum {{arF|من أنفسكم‎}} (Lesevariante), die auf den Propheten, ferner auf seine Tochter [[Fātima bint Muhammad|Fatima]] und seine Frau [[A'ischa]] zurückgeführt wird.<ref>Ignaz Goldziher: ''Die Richtungen der islamischen Koranauslegung.'' Leiden 1920, S. 35 ebenfalls nach Az-Zamachschari.</ref>▼
▲Dazu geben die Exegeten, wie [[Az-Zamachschari]] in seinem überwiegend philologisch angelegten Kommentar, die folgende Lesart (qirāʾa) an: „Nun ist ein Gesandter ''aus euren Vornehmsten'' zu euch gekommen.“ Im Arabischen mit demselben Rasm: min anf''u''sikum {{arF|من أنفسكم‎}} (Koran) im Vergleich zu: min anf''a''sikum {{arF|من أنفسكم‎}} (Lesevariante), die auf den Propheten, ferner auf seine Tochter [[Fātima bint Muhammad|Fatima]] und seine Frau [[A'ischa]] zurückgeführt wird.<ref>Ignaz Goldziher: ''Die Richtungen der islamischen Koranauslegung.'' Leiden 1920, S. 35 ebenfalls nach Az-Zamachschari ([https://books.google.de/books?id=x8wUAAAAIAAJ&pg=PA35&printsec=frontcover&hl=de#v=onepage&q&f=false online]).</ref>
* Selbst die Eröffnungssure, [[Al-Fātiha]], weist im Codex des bereits genannten Ibn Masʿūd, dessen Verwendung im 4. Jahrhundert bei Strafe verboten wurde, eine Lesevariante im Vers 6 auf, die nicht auf die identische Schreibung des Konsonantenbestandes, sondern auf eine andere Wortwahl an der entsprechenden Stelle zurückgeht. Die Stelle: „Führe uns den geraden Weg“ hatte bei Ibn Masʿūd nicht das Verb ''ihdinā'', sondern aršidnā.<ref>Ignaz Goldziher: ''Die Richtungen der islamischen Koranauslegung.'' Leiden 1920, S. 34; Arthur Jeffery (1937), S. 25</ref>▼
▲* Selbst die Eröffnungssure, [[Al-Fātiha]], weist im Codex des bereits genannten Ibn Masʿūd, dessen Verwendung im 4. Jahrhundert bei Strafe verboten wurde, eine Lesevariante im Vers 6 auf, die nicht auf die identische Schreibung des Konsonantenbestandes, sondern auf eine andere Wortwahl an der entsprechenden Stelle zurückgeht. Die Stelle: „Führe uns den geraden Weg“ hatte bei Ibn Masʿūd nicht das Verb ''ihdinā'', sondern aršidnā.<ref>Ignaz Goldziher: ''Die Richtungen der islamischen Koranauslegung.'' Leiden 1920, S. 34 ([https://books.google.de/books?id=x8wUAAAAIAAJ&pg=PA34&printsec=frontcover&hl=de#v=onepage&q&f=false online]); Arthur Jeffery (1937), S. 25.</ref>
Ob die Textvarianten, sowohl Zusätze als auch Weglassungen im Korantext, ursprünglich [[Emendation (Editionsphilologie)|Textemendationen]] oder exegetische [[Glosse]]n zu werten sind, ist – mit Hinblick auf den heute zur Verfügung stehenden Textbestand in alten Codices – nicht klar.<ref>IIgnaz Goldziher: ''Die Richtungen der islamischen Koranauslegung.'' Leiden 1920, S. 11.</ref> Sure 2, Vers 238▼
{{Zitat |Text=Haltet die Gebete ein, (besonders) auch das mittlere […]}} ist im islamischen Schrifttum wegen der Zuordnung des „mittleren Gebets“ (aṣ-ṣalāt al-wusṭā) umstritten. Die Kommentatoren gehen davon aus, dass mit dem Begriff „Gebete“ (ṣalawāt) die fünf kanonisch festgelegten Gebete des Tages gemeint sind; eines davon ist das sog. „mittlere“ Gebet.<ref>Rudi Paret: ''Der Koran. Kommentar und Konkordanz.'' Stuttgart 1980, S. 50–51.</ref> Im Koranexemplar von A'ischa, [[Hafsa bint ʿUmar]] und Ubayy ibn Kaʿb (gest. spätestens 656)<ref>''The Encyclopaedia of Islam.'' New Edition. Brill, Leiden. Band 10, S. 764</ref> stand allerdings: „[…] die Gebete und das mittlere Gebet, das ist das Nachmittagsgebet“.<ref>Arthur Jeffery (1937), S. 232: „[…] auch das mittlere (Gebet) ''und'' das Nachmittagsgebet“ anstatt: „''das ist'' das Nachmittagsgebet“</ref> ''„So haben wir“'' – lässt man A'ischa bestätigen – ''„nach der ursprünglichen Lesart (''fī l-ḥarf al-awwal'') zu Lebzeiten des Propheten den Vers rezitiert.“''<ref>Ignaz Goldziher: ''Die Richtungen der islamischen Koranauslegung.'' Leiden 1920, S. 14–15.</ref>▼
▲Ob die Textvarianten, sowohl Zusätze als auch Weglassungen im Korantext, ursprünglich [[Emendation (Editionsphilologie)|Textemendationen]] oder exegetische [[Glosse (Erläuterung)|Glossen]]
Einige Textvarianten, die in der [[Koranrezitation]] beobachtet wurden, erachtete man offenbar schon in der Frühzeit lediglich als Nachlässigkeiten der Kopisten, der Hersteller der Codices; in Sure 4, Vers 162 steht „al-muqimīna“ fälschlich zu „al-muqimūna“<ref>Rudi Paret: ''Der Koran. Kommentar und Konkordanz.'' Stuttgart 1980, S. 111</ref>, was A'ischa auf die Frage von [[ʿUrwa ibn az-Zubair]] wie folgt beantwortet haben soll: ''„Lieber Schwestersohn, das ist Schreibersache; diese haben den Fehler auf dem Gewissen.“''<ref>Ignaz Goldziher: ''Die Richtungen der islamischen Koranauslegung.'' Leiden 1920, S. 32 mit weiteren Beispielen.</ref>▼
{{Zitat |Text=Haltet die Gebete ein, (besonders) auch das mittlere […]}}
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▲Einige Textvarianten, die in der [[Koranrezitation]] beobachtet wurden, erachtete man offenbar schon in der Frühzeit lediglich als Nachlässigkeiten der Kopisten, der Hersteller der Codices; in Sure 4, Vers 162 steht „al-muqimīna“ fälschlich zu „al-muqimūna“<ref>Rudi Paret: ''Der Koran. Kommentar und Konkordanz.'' Stuttgart 1980, S. 111.</ref>, was A'ischa auf die Frage von [[ʿUrwa ibn az-Zubair]] wie folgt beantwortet haben soll: ''„Lieber Schwestersohn, das ist Schreibersache; diese haben den Fehler auf dem Gewissen.“''<ref>Ignaz Goldziher: ''Die Richtungen der islamischen Koranauslegung.'' Leiden 1920, S. 32 mit weiteren Beispielen ([https://books.google.de/books?id=x8wUAAAAIAAJ&pg=PA32&printsec=frontcover&hl=de#v=onepage&q&f=false online]).</ref>
=== Die historischen Anlässe der Offenbarung ===
{{Anker|asbāb an-nuzūl}}
Die Erörterung der historischen Anlässe, die zur Offenbarung bestimmter Verse geführt haben ({{arF|أسباب النزول‎| w=asbāb an-nuzūl}}), wird schon in der Prophetenbiographie von [[Ibn Ishāq]] detailliert dargelegt. Nach der Beschreibung der [[Schlacht von Badr]] widmet Ibn Ishāq ein Kapitel über diesen historischen Hintergrund für die Offenbarung der Sure 8 ([[al-Anfāl]]): „Nachdem die (Schlacht) von Badr zu Ende war, offenbarte Gott darüber im Koran die gesamte Sure über die Beute (al-anfāl).“ In diesem Stil fügt Ibn Ishāq jedem bedeutenden Ereignis aus der Zeit der Prophetie einen Abschnitt hinzu, in dem er diejenigen Koranverse in vollem Umfang zitiert, die mit dem betreffenden historischen Fall im Zusammenhang stehen.
{{Zitat |Text= Die unter dem Namen Asbāb al-nuzūl gehenden Werke unterscheiden sich von den Kommentaren dadurch, dass sie nur das auf Veranlassung der Offenbarungen bezügliche Material enthalten. Da dieses aber den religionsgeschichtlich wie literargeschichtlich wichtigsten Teil der Kommentare ausmacht […] begreift es sich leicht, wie gross der Wert dieser Bücher für die Forschung ist.<ref>''Geschichte des Qorāns.'' Band 2: ''Die Sammlung des Qorāns.'' Leipzig 1919, S. 182.</ref> |Autor=Friedrich Schwally}}
At-Tabarī schildert die historischen Anlässe der Entstehung der Koranverse in seinem umfassenden Korankommentar nach älteren Quellen. Die wahrscheinlich erste [[Monographie|monographische]] Abhandlung, die den Titel ''Asbāb nuzūl al-Qurʾān'', ''Gründe der Offenbarung des Korans'', trägt, verfasste der Koranexeget al-Wāhidī, ʿAlī ibn Aḥmad (gest. 1075)<ref>''The Encyclopaedia of Islam.'' Band 11, New Edition, Brill, Leiden, S. 48.</ref> aus [[Nischapur]].<ref>Im Orient mehrfach gedruckt. Die kritische Edition des Werkes erschien 1969 in Kairo (Hrsg.: Aḥmad Ṣaqr).</ref> Ignaz Goldziher bezeichnet das Werk als die klassische Form dieser Wissenschaftsdisziplin im Rahmen der Koranauslegung.<ref>Ignaz Goldziher: ''Die Richtungen der islamischen Koranauslegung.'' Leiden 1920, S. 305 ([https://books.google.de/books?id=x8wUAAAAIAAJ&pg=PA305&printsec=frontcover&hl=de#v=onepage&q&f=false online]).</ref> [[Ibn an-Nadīm]] und andere [[Bibliograph]]en des Mittelalters führen weitere Werke dieser Gattung an, die heute nicht mehr erhalten sind.<ref>A. Rippin: ''The exegetical genre Asbāb an-Nuzūl: a bibliographical and terminological survey.'' In: ''Bulletin of the School of Oriental and African Studies.'' (BSOAS), Band XLVIII, Nr. 1, 1985, S. 2–11.</ref> Der Verfasser zitiert den Anfang der zu erörternden Koranverse und stellt ihre Entstehung durch die Schilderung der historischen Anlässe dar, wobei er seine Quellen in der ununterbrochenen Kontinuität der Überlieferungsketten auf den Propheten Mohammed selbst oder auf seine Zeitgenossen zurückführt.
Der vielseitige Gelehrte [[as-Suyūtī]] (gest. 1505) verfasste sein „Lubāb an-nuqūl fī asbāb an-nuzūl“ (''Das Wesentliche bei der Überlieferung der Gründe der Offenbarung''), das schon zu Lebzeiten des Verfassers große Popularität genoss. Die Vorlage von As-Suyūtīs Buch war die Arbeit von al-Wāhidī, die er mit weiteren Quellen, vor allem durch die sechs kanonischen Hadithsammlungen und deren Kommentare aus dem 10. und 11. Jahrhundert ergänzte. Es ist am Rand vom [[Tafsīr al-Dschalālain]] abgedruckt und mehrfach publiziert. worden.<ref>A. Rippin: ''The exegetical genre Asbāb an-Nuzūl: a bibliographical and terminological survey.'' In: ''Bulletin of the School of Oriental and African Studies.'' (BSOAS), Band XLVIII, Nr. 1, 1985, S. 9, Nr. 15.</ref>
==== Beispiele ====
[[Ismāʿīl ibn Isḥāq al-Ǧahḍamī]] (gest. 895), [[Kadi|Qāḍī]] in Bagdad und einflussreicher Vertreter der [[Malikiten]] seiner Zeit,<ref>Fuat Sezgin: ''Geschichte des arabischen Schrifttums.'' Band 1, Leriden 1967, S. 475–476 ([https://books.google.de/books?id=3U2loA0orUkC&pg=PA475&printsec=frontcover&hl=de#v=onepage&q&f=false online]).</ref> überliefert in seinem ''Aḥkām al-Qurʾān'' (Rechtsvorschriften des Korans) nach älteren Quellen eine Episode, die zur Offenbarung von Sure 4, Vers 43 geführt haben soll.
{{Zitat |Text=Ihr Gläubigen! Kommt nicht betrunken zum Gebet, ohne vorher (wieder zu euch gekommen zu sein und) zu wissen, was ihr sagt! |Quelle= Übersetzung: Rudi Paret, Stuttgart 1962.}}
„ʿAbd ar-Raḥmān b. ʿAuf<ref>Ein bekannter Gefährte Mohammeds, einer der wohlhabendsten Männer von Mekka: ''The Encyclopaedia of Islam.'' Band 1, New Edition, Brill, Leiden, S. 84.</ref> ließ Essen und Getränke vorbereiten und lud dazu eine Gruppe von [[Sahāba|Gefährten]] des Gesandten Gottes ein. Sie aßen und tranken bis sie betrunken waren. Dann setzten sie [[ʿAlī ibn Abī Tālib|ʿAlī]] (als [[Imam|Vorbeter]]) an ihre Spitze, damit er das [[Salāt|Abendgebet]] mit ihnen verrichtet. Er rezitierte dann: ''Sag: Ihr Ungläubigen! Ich verehre, was ihr verehrt und ihr verehrt, was ich verehre. Und ich verehre, was ihr (bisher immer) verehrt habt und ihr verehrt, was ich verehre. Ihr habt eure Religion, und ich die meine.'' Da sandte Gott diesen Vers herab: Kommt nicht betrunken zum Gebet, ohne vorher (wieder zu euch gekommen zu sein und) zu wissen, was ihr sagt! “<ref>ʾĀmir Ḥasan Ṣabrī (Hrsg.): ''Ismāʿīl ibn Isḥāq al-Ǧahḍamī: Aḥkām al-Qurʾān.'' Dār Ibn Ḥazm, Beirut 2005, S. 121–122, Nr. 127.</ref>
Diesen Vorfall schildern sowohl [[Abū Dāwūd as-Sidschistānī|as-Sidschistani]] als auch at-Tirmidhi in ihren Traditionssammlungen; ʿAlī, der spätere Kalif, versuchte gemäß dieser Schilderung die Sure 109 [[al-Kāfirūn]] (Die Ungläubigen) im Gebetsritual zu rezitieren. Da er aber, wie die anderen, offenbar nicht mehr nüchtern war, rezitierte er die Verse dieser alten, wahrscheinlich bereits in Mekka offenbarten Sure<ref>Theodor Nöldeke: ''Geschichte des Qorāns''. S. 108.</ref> falsch.
Zu weiteren Beispielen mit Hinweisen auf die Prophetenbiographie, Koranexegese und Jurisprudenz siehe:
* [[Mohammed#Die mekkanische Zeit (bis 622)|Aus der Frühzeit der Prophetie]]
* [[Mohammed#
* [[Mohammed#Die Affäre um die „Kultstätte der Schikane“ (masdschid ad-dirar)|Mohammeds Opposition]]
* [[Maria al-Qibtiyya#Die koranische Auseinandersetzung|Mohammeds Privatleben]]
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=== Die Abrogation von Koranversen ===
{{Hauptartikel|Abrogation (Islam)}}
Die Frage der [[Abrogation (Islam)|Abrogation]] eines oder mehrerer Koranverse durch andere Verse {{arF|الناسخ والمنسوخ‎|d=an-nāsiḫ wal-mansūḫ}} ist ein weiteres Teilgebiet der Koranwissenschaften. Die ersten Werke mit dem Titel „Das Abrogierende (''an-nāsiḫ'') und das Abrogierte (''al-mansūḫ'')“ entstanden erst im 8. Jahrhundert und sind nur in späteren koranexegetischen Schriften – vor allem bei aṭ-Ṭabarī – fragmentarisch erhalten. Ein solcher Werktitel taucht erstmals unter den koranwissenschaftlichen Schriften von [[Qatāda ibn Diʿāma]] auf.<ref>Fuat Sezgin: ''Geschichte des arabischen Schrifttums.'' Band 1, Leiden 1967, S. 20 ([https://books.google.de/books?id=3U2loA0orUkC&pg=PA20&printsec=frontcover&hl=de#v=onepage&q&f=false online]).</ref> Der Bibliograph und Buchhändler Ibn an-Nadīm im 10. Jahrhundert kannte bereits elf solche Werke und verzeichnete sie in seinem ''Kitāb al-Fihrist.'' Eines der wichtigsten Werke auf diesem Gebiet verfasste Abū ʿUbaid al-Qāsim ibn Sallām (gest. 839 in Mekka) aus [[Herat]]; es ist in der Edition des britischen Orientalisten John Burton mit einem umfassenden Kommentar publiziert worden.<ref>[[E. J. W. Gibb Memorial Series]]. New Series XXX. 1st Edition 1987. ISBN 0-906094-17-8.</ref>
==== Beispiele ====
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Dann sandte Gott in einem zweiten Vers herab: ''Kommt nicht betrunken zum Gebet, ohne vorher (wieder zu euch gekommen zu sein und) zu wissen, was ihr sagt!''<ref>Sure 4, Vers 43.</ref> Man hat Wein getrunken, wenn man nicht beim Gebet war; während des Gebets hat man ihn jedoch gemieden.
Dann sandte Gott den dritten Vers herab, in dem das Weinverbot steht. Es sagte: ''Wein, das Losspiel, Opfersteine und Lospfeile sind (ein wahrer) Greuel und des Satans Werk. Meidet es! Vielleicht wird es euch (dann) wohl ergehen.''<ref>Sure 5, Vers 90.</ref> Bis zu seinen Worten: […] ''daß unser Gesandter nur die Botschaft deutlich auszurichten hat.''<ref>Sure 5, Vers 92.</ref> In diesem Vers ist das Weinverbot rechtlich beschlossen worden.“<ref>ʾĀmir Ḥasan Ṣabrī (Hrsg.): ''Ismāʿīl ibn Isḥāq al-Ǧahḍamī: Aḥkām al-Qurʾān.'' Dār Ibn Ḥazm, Beirut 2005, S. 125. Nr. 135.</ref>
Die ältesten Koranexegeten, deren Schriften zum Teil erhalten oder bei aṭ-Ṭabarī überliefert sind, heben die Abrogation von Sure 4, Vers 43 kurz und nur mit Hinweis auf das allgemeine Verbot in Sure 5, Vers 90 hervor: Mudschāhid ibn Dschabr (gest. 722), der zur Zeit von ʿUmar ibn ʿAbd al-ʿAzīz wirkte, sagt lediglich: „Es ist ihnen untersagt worden, im betrunkenen Zustand zu beten. Dann ist dieser Vers durch das Weinverbot abrogiert worden.“ Ähnlich fasst auch oben genannte Qatāda ibn Diʿāma den Vers auf: „Sie haben die Trunkenheit während der Gebetszeiten gemieden. Dann ist sie durch das Weinverbot abrogiert worden.“<ref>aṭ-Ṭabarī: ''Ǧāmiʿ al-bayān… .'' Band 5. S. 96.</ref>
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=== Juristische Koraninterpretation ===
{{Anker|ahkām al-Koran}}
In speziellen Sammlungen hat man nur die juristisch relevanten Verse des Korans aus der Sicht des ''[[Fiqh]]'' erörtert. Diese koranexegetischen Bücher tragen meistens den Titel {{arF|أحكام القرآن‎|w=ahkām al-Koran |d=aḥkāmu ʾl-qurʾān |b=Rechtsvorschriften des Korans}}. Der
Ebenfalls malikitischer Prägung ist das gleichnamige Werk des [[Al-Andalus|andalusischen]] Gelehrten [[Ibn al-ʿArabī al-Maʿāfirī]] (gest. 1148), der rituelle und juristische Vorschriften des Korans erörtert, die in der islamischen Jurisprudenz malikitischer Prägung allgemeine Gültigkeit haben.
Den umfangreichsten Korankommentar gemäß den Rechtslehren der Malikiten verfasste [[al-Qurtubī]], Muḥammad ibn Aḥmad ibn Abī Bakr (gest. 1273 in [[Oberägypten]])<ref>Carl Brockelmann: ''Geschichte der arabischen Litteratur<!--das steht da so im Original!-->.'' Band 1, S. 529. Brill, Leiden 1943.</ref>, der in den Folgegenerationen auch außerhalb der malikitischen Rechtsschule als Quelle verwendet wurde. Der Verfasser verbindet juristische Erörterungen der Offenbarung mit der philologischen Erklärung von koranischen Termini, die in der Jurisprudenz Relevanz haben.<ref>Im Orient mehrfach gedruckt.Zuletzt: ʿAbd Allāh ibn ʿAbd al-Muḥsin at-Turkī (Hrsg.) ''et alii'' mit Indices in 23 Bänden. Al-Resalah. Beirut 2006.</ref>
In der Tradition der [[Hanafiten|hanafitischen]] [[Madhhab|Rechtschule]] steht die Koranauslegung von al-Dschassās (917–952)<ref>Fuat Sezgin: ''Geschichte des arabischen Schrifttums.'' Band I, Leiden 1967, S. 444–445. Nr. 1. ([https://books.google.de/books?id=3U2loA0orUkC&pg=PA444&printsec=frontcover&hl=de#v=onepage&q&f=false online]); ''The Encyclopaedia of Islam.'' Band 2, New Edition, Brill, Leiden, S. 486.</ref> unter dem oben genannten Titel: Aḥkām al-Qurʾān: ''Rechtsvorschriften des Korans''. Der hanafitische Jurist interpretiert den Koran in der Reihenfolge der Suren ausschließlich nach juristischen Aspekten: die Suren des Korans teilt er in Kapitel der Jurisprudenz auf und beschränkt sich nur auf die Auslegung bestimmter Koranverse vor allem mit rechtsrelevanten und nur teilweise mit ritualrechtlichen oder dogmatischen Inhalten.
Die dogmatisch-politischen Kämpfe in der islamischen Geschichte haben auch in der Exegese ihre Spuren hinterlassen, die in der [[Orientalistik]] erstmals [[Ignaz Goldziher]] in seinem bahnbrechenden Werk ''Die Richtungen der islamischen Koranauslegung'' (Leiden 1920) systematisch dargestellt hat.
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{{Zitat |Text=Die Männer stehen über den Frauen, weil Gott sie (von Natur vor diesen) ausgezeichnet hat und wegen der Ausgaben, die sie von ihrem Vermögen (als Morgengabe für die Frauen?) gemacht haben. Und die rechtschaffenen Frauen sind (Gott) demütig ergeben und geben acht auf das, was (den Außenstehenden) verborgen ist […] Und wenn ihr fürchtet, daß (irgendwelche) Frauen sich auflehnen, dann vermahnt sie, meidet sie im Ehebett und schlagt sie! Wenn sie euch (daraufhin wieder) gehorchen, dann unternehmt (weiter) nichts gegen sie! |Autor=Sure 4, Vers 34 |Quelle=Übersetzung: Rudi Paret, Stuttgart 1962.}}
Die Interpretation durch Überliefertes (''maʾṯūr'') führt at-Tabari<ref>at-Tabari: ''Ǧāmiʿ al-bayān… .'' Band 5, S. 57–59; 67-69; Ibn Kaṯīr: ''Tafsīr al-Qurʾān al-ʿaẓīm.'' Band 1, S. 491. Kairo. (ʿĪsā al-Bābī al-Ḥalabī).</ref> mit vollständigen Isnaden auf die Generation des späten 7. und frühen 8. Jahrhunderts zurück. Der Kernsatz: ''Die Männer stehen über den Frauen'' wird in vier Varianten ausgelegt: a) die Männer haben Befehlsgewalt (wörtlich: sie sind Befehlshaber: umarāʾ) über die Frauen, damit sie ihnen gehorchen. Ihr Gehorsam besteht im wohltätigen Umgang mit der Familie und im Schutz seines Vermögens; b) bei Gehorsamsverweigerung steht ihm zu, sie – nicht zu stark – zu schlagen; c) den Männern steht es zu, die Frauen zu erziehen und zu züchtigen; d) ''weil Gott sie ausgezeichnet hat'', d. h. weil Gott die Männer gegenüber den Frauen ausgezeichnet hat.
Der Versteil: ''Die rechtschaffenen Frauen'' wird durch acht Überlieferungsvarianten erläutert, die inhaltlich identisch sind: es sind dies die Frauen, die ihren Gatten / Var. Gott und ihren Gatten ''gehorchen''. Die Kommentatoren sind sich einig darüber, dass die Schläge nicht stark sein und keine Spuren hinterlassen dürfen. Wird die Frau durch Schläge verletzt, hat sie, gemäß der juristischen Interpretation des Verses bei Ismāʿīl ibn Isḥāq<ref>ʾĀmir Ḥasan Ṣabrī (Hrsg.): ''Ismāʿīl ibn Isḥāq al-Ǧahḍamī: Aḥkām al-Qurʾān.'' Dār Ibn Ḥazm, Beirut 2005, S. 105–106.</ref>, keinen Anspruch auf Wiedervergeltung (qawad),<ref>Joseph Schacht: ''An Introduction to Islamic Law.'' Oxford 1971, S. 161.</ref> sondern auf [[Wergeld]] (ʿaql).<ref>''The Encyclopaedia of Islam.'' New Edition. Brill, Leiden, Band 1, S. 337 (ʿĀqila).</ref>
Gemäß dem [[Kadi]] von Málaga, al-Muhallab ibn Ahmad (gest. 1041–1042), den der [[Al-Andalus|andalusische]] Koranexeget [[al-Qurtubī]] in seinem juristischen Korankommentar mehrfach zitiert, ist das Schlagen der Frau bei Verweigerung des Beischlafs zulässig; als
Die [[Sunniten|sunnitischen]] Vertreter der traditionellen Koranexegese stimmen darin überein, dass die körperliche Züchtigung der Frau ''nicht'' durch harte, schmerzhafte Schläge (
== Die „Unnachahmlichkeit“ des Korans ==
Ein von den obigen Disziplinen der Koranwissenschaften weitgehend unabhängiger Wissenschaftszweig, der sich mit dem Koran befasst, ist die Lehre vom Wundercharakter des heiligen Textes: {{arF|إعجاز القرآن‎|w=iʿdschaz al-Qur'an
{{Zitat |Text=Sag: Gesetzt den Fall, die Menschen und die Dschinn tun sich (alle) zusammen, um etwas beizubringen, was diesem Koran gleich(wertig) ist, so werden sie das nicht können. Auch (nicht), wenn sie sich gegenseitig (dabei) helfen würden. |Autor=[[Sure 17]], Vers 88 |Quelle=Übersetzung: Rudi Paret, Stuttgart 1962.}}
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== Die zeitgenössische Lesart des Korans ==
Die allgemein bekannte ''Druckausgabe'' des Korans aus dem Jahre 1924 berücksichtigt lediglich eine Lesart und kann daher nicht als ein [[textus receptus]] des Korans betrachtet werden. Es ist erwähnenswert, dass die der Druckausgabe zugrundegelegte Lesart in Handschriften alter Koranexemplare nicht erhalten ist; sie ist vielmehr das Ergebnis des Auswertung und Rekonstruktion überlieferter Materialien aus dem Bereich der „Wissenschaft der Lesarten.“<ref>Gotthelf Bergsträsser: '' Koranlesung in Kairo.'' In: ''Der Islam.'' Band 20, 1932, S. 1–42; hier S. 5ff; Band 21, 1933, S. 110–140; ''The Encyclopaedia of Islam.'' Band 5, New Edition, Brill, Leiden, S. 127.</ref> Die traditionelle Gelehrsamkeit hat die nicht-kanonischen Lesarten in den Hintergrund gedrängt und „damit die Frage nach der jeweils ursprünglichen Lesart offengelassen.“<ref>Angelika Neuwirth: ''Koran.'' Wiesbaden
▲Die allgemein bekannte ''Druckausgabe'' des Korans aus dem Jahre 1924 berücksichtigt lediglich eine Lesart und kann daher nicht als ein [[textus receptus]] des Korans betrachtet werden. Es ist erwähnenswert, dass die der Druckausgabe zugrundegelegte Lesart in Handschriften alter Koranexemplare nicht erhalten ist; sie ist vielmehr das Ergebnis des Auswertung und Rekonstruktion überlieferter Materialien aus dem Bereich der „Wissenschaft der Lesarten.“<ref>Gotthelf Bergsträsser: '' Koranlesung in Kairo.'' In: ''Der Islam.'' Band 20, 1932, S. 1–42; hier S. 5ff; Band 21, 1933, S. 110–140; ''The Encyclopaedia of Islam.'' Band 5, New Edition, Brill, Leiden, S. 127.</ref> Die traditionelle Gelehrsamkeit hat die nicht-kanonischen Lesarten in den Hintergrund gedrängt und „damit die Frage nach der jeweils ursprünglichen Lesart offengelassen.“<ref>Angelika Neuwirth (1987), S. 110.</ref>
== Forschungsstand ==
Die Zusammenfassung über die Tafsir-Forschung in den Islamwissenschaften ist in einer detaillierten Darstellung durch Angelika Neuwirth nachzulesen.<ref>
Den gegenwärtigen Stand der Forschung auf dem Gebiet der Koranexegese, unter Berücksichtigung der heute grundlegenden Studien einschließlich der kontroversen Auffassungen in islamwissenschaftlichen Kreisen hat der amerikanische Orientalist Herbert Berg ([[University of North Carolina at Wilmington]]) dargestellt und einer wertenden Kritik unterzogen.<ref>Herbert Berg (2000), Kapitel 3: ''Exegetical Ḥadīths and the Origins of Tafsīr''. S. 65–105.</ref>
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* [http://www.qtafsir.com/index.php ''Tafsir nach Ibn Kathir''] (englische Webseite mit Suchfunktion)
{{Normdaten|TYP=s|GND=4184345-9|LCCN=sh85072967|NDL=|VIAF=}}
{{SORTIERUNG:Tafsir #Koranexegese}}
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