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{{Dieser Artikel|behandelt den Begriff im Sinne des Alleinherrschers. Die gleichnamige Familie der Vögel findet sich unter [[Tyrannen]].}}
Als '''Tyrannei''' bezeichnet man in stark abwertendem Sinn eine als illegitim betrachtete Gewalt- und Willkürherrschaft eines Machthabers oder einer Gruppe. Der Begriff knüpft an die antike [[Tyrannis]] an, die durch gewaltsamen Umsturz der Staatsordnung erlangte Herrschaft eines einzelnen Machthabers in einer [[Polis]] der griechischsprachigen Staatenwelt im Zeitraum vom 7. bis zum 3. Jahrhundert v. Chr. In der [[Präambel]] der [[Allgemeine Erklärung der Menschenrechte|Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte]] wird Tyrannei als Unterdrückung unter Abwesenheit der Herrschaft des Rechts bezeichnet, gegen die Menschen das Recht zum Aufstand haben.
 
EntsprechendHeute nennt man heutzutage Herrschaftsformen mit brutalen Alleinherrschern an der Spitze eine ''Tyrannei''; die Bedeutung geht dabei in Richtung ''Gewaltherrschaft'', also einer [[Diktatur]], von der zum Beispiel der spätere amerikanische Präsident [[James Madison]] 1787/88 in den ''[[Federalist Papers]]'' (Nummer 47) schrieb: „Die Ansammlung von jeglicher Gewalt, der Legislative, Exekutive und der Judikative, in den gleichen Händen, ob eines Einzelnen, ein paar Weniger oder von Vielen, und ob erblich, selbsternanntselbst ernannt oder gewählt, kann mit Recht als die genaue Definition von Tyrannei erklärt werden.“<ref>“The accumulation of all powers, legislative, executive, and judiciary, in the same hands, whether of one, a few, or many, and whether hereditary, selfappointed, or elective, may justly be pronounced the very definition of tyranny” (siehe [http://www.constitution.org/fed/federa47.htm ''The Federalist No. 47''], englisch, abgerufen am 8. Juni 2007)</ref>
'''Tyrann''' bezeichnete in der [[Antikes Griechenland|griechischen Antike]] den Inhaber einer [[Tyrannis]], später allgemeiner einen Herrscher, dem die Legitimität abgesprochen wurde (z.&nbsp;B. einen [[Usurpation|Usurpator]]). Heute wird der Begriff als [[Synonymie|Synonym]] zu „Gewaltherrscher“ verwendet.
 
== Etymologie ==
Der Begriff '''''Tyrann''''' stammt ursprünglich wohl aus [[Kleinasien]], wahrscheinlich aus der [[Lydische Sprache|lydischen Sprache]] ''({{lang|xld-Latn|turannu}})''. Von dort hielt er um 700 v. Chr. als Lehnwort in die [[Altgriechische Sprache|griechische Sprache]] Einzug ({{lang|grfc|τύραννος}} {{lang|grc-Latn|''týrannos''}}). Er war zunächst wertneutral, erhielt aber im griechischen Kontext früh eine negative Konnotation ''(siehe unten)''.
 
Der kleinasiatische Begriff ''turannu'' wurde bereits früh auch im [[Etrurien|tyrrhenischen Sprachraum]] (Etrurien) als ''turan'' (‚Herrin‘, ‚Dame‘) entlehnt und war wie im Griechischen zunächst nicht negativ besetzt. Dass die Römer das Wort von den Etruskern übernahmen, ist unwahrscheinlich: Da die spätere griechische Bedeutung des Begriffs (illegitim ausgeübte Macht) für die lokale [[Etrusker|etruskische]] Göttin [[Turan (Gottheit)|Turan]] und ihre römische Nachfolgerin [[Venus (Mythologie)|Venus]] nicht belegt ist, scheint ein bedeutungsgebender Einfluss des Griechischen auf die römische Verwendung des Begriffes sehr wahrscheinlich, analog zur Vermischung von griechischen, etruskischen und anderen Gottheiten zur ''Venus'': Die Römer lernten den Begriff ''tyrannus'' also anders als die Etrusker erst kennen, als er bereits eine negative Wertung implizierte. Im römischen Kontext bedeutete daher ''tyrannus'' stets den Inhaber widerrechtlich angemaßter Macht. Vom [[Lateinische Sprache|lateinischen]] Wort ''tyrannus'' (‚Despot‘, ‚Usurpator‘, ‚Tyrann‘; [[mittellatein]]ische weibliche Form ''tyrannissa'') leiten sich alle später verwendeten Varianten ab (z.&nbsp;B. alt-fr. & {{enS|''tyrant''}}, {{esS|''tirano''}}, {{itS|''tiranno''}}).
 
== Bedeutung ==
Seit [[Archilochos]], einem griechischen Lyriker des 7. Jahrhunderts v. Chr., ist der Ausdruck ''Tyrann'' in der antiken griechischen Dichtung belegt.<ref name="Archil19">Archilochos, Fragment 19 (nach West) bzw. 22 (nach Diehls): {{Polytonisch|οὔ μοι τὰ Γύγεω τοῦ πολυχρύασου μέλει, {{!}} οὐδ' εἷλέ πώ με ζῆλος, οὐδ' ἀγαίομαι {{!}} θεῶν ἔργα, μεγάλης δ' οὐκ ἐρέω <u>τυραννίδος</u>· {{!}} ἀπόπροθεν γάρ ἐστιν ὀφθαλμῶν ἐμῶν.}} „Mich lockt der Schatz des goldumstrahlten Gyges nicht, mich packte Neid noch nie, mich reizt nicht Götterwerk, ich strebe nicht nach einer weiten Herrschermacht: All diese Dinge liegen meinen Augen fern.“</ref> Der Begriff bezeichnet anfangs sachlich-neutral den Landesherrn oder Machthaber. Offenbar wurde damit ein neues Phänomen zu beschreiben versucht, für das die Griechen selbst noch keine adäquate Bezeichnung besaßen: Zuvor wurde zwar vermutlich der Titel ''[[Basileus]]'' für einen herausgehobenen Adligen verwendet, doch da es in archaischer Zeit meist noch mehr als einen ''Basileus'' in einem Gemeinwesen gegeben zu haben scheint, bedurfte es offenbar zunächst eines Lehnwortes, um eindeutig einen Alleinherrscher zu kennzeichnen.
 
Selbst in späteren Traditionen wurden einige der frühen Tyrannen noch so positiv gesehen, dass die Tyrannen [[Kleobulos]] von [[Lindos]] und [[Periander]] von [[Korinth]] sogar zu den „[[Sieben Weise von Griechenland|Sieben Weisen]]“ gezählt wurden.
 
Als sich in vielen ''Poleis'' das Ideal bürgerlicher Mitbestimmung zu entwickeln begann, gesellte sich aber recht früh ein negativer Beiklang zum Begriff ''Tyrannos'' hinzu, der den Tyrannen als skrupellosen Machthaber schildert, der die Macht widerrechtlich innehat und die geltende [[Polis]]ordnung zerstört. In der unter dem Namen [[Theognis von Megara]] überlieferten Gedichtesammlung wird der ''Tyrannos'' Exponent von Teilen des [[Demos]] im Kampf gegen den Adel, der das Elend des Volkes für sich auszunutzen versucht, sich durch Aufruhr und Bürgerkrieg ([[Stasis (Polis)|''Stasis'']]) an die Macht bringt und, selbst Aristokrat, seine Standesgenossen vertreibt oder unterjocht. Allerdings ist dies wohl die eingeschränkte Perspektive eines an alten Traditionen und [[Aristokratie|aristokratischen]] Idealen Festhaltenden, der den Veränderungen in der Poliswelt in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts feindselig gegenüberstand, da er selbst zu den Verlierern dieses Prozesses zählte.
 
Insgesamt gilt: Die negative Bedeutungsveränderung des Tyrannenbegriffs dürfte dabei mit der parallelen Entwicklung des Terminus ''Basileus'' zusammenhängen: Während dieser zur Bezeichnung eines legitimen Monarchen wurde, nahm ''Tyrannos'' immer mehr die Bedeutung „Gewaltherrscher“ an.
 
Vor allem im Zeitraum zwischen etwa 600 v. Chr. und 200 v. Chr. war der Tyrann dann der Inhaber der [[Tyrannis]] ([[Griechische Sprache|griechisch]] {{lang|grc|τύραννις}}), einer eigentümlichen „[[Staatsform]]“ der [[Antikes Griechenland|antiken Griechen]], die dadurch gekennzeichnet war, dass ein Einzelner die Macht über eine ''Polis'' ausübte, in der eine solche Alleinherrschaft eigentlich nicht vorgesehen war. ''Tyrannos'' war nun keine Eigenbezeichnung mehr, sondern diente dazu, den Inhaber einer Machtstellung aus der Sicht seiner Gegner als illegitim zu brandmarken. Gregory Anderson hat 2005 in einem einflussreichen Aufsatz daher dafür plädiert, die griechischen Tyrannen nicht mehr als regelrechte Herrscher bzw. Monarchen zu betrachten, sondern einfach als besonders erfolgreiche Aristokraten, die sich nicht qualitativ, sondern nur quantitativ - hinsichtlich ihrer Macht - von ihren Standesgenossen unterschien hätten.
 
Spätestens in der [[Spätantike]] wurden dann auch römische [[Usurpator]]en in den Quellen häufig als „Tyrannen“ bezeichnet (siehe auch ''[[Dreißig Tyrannen in der Historia Augusta]]''). Die Verwendung und Bedeutung des Tyrannenbegriffs entwickelte sich im Laufe der Zeit also immer mehr in die Richtung des willkürlichen Gewaltherrschers; „Tyrannis“ wurde zum [[Synonymie|Synonym]] für [[Despotie]], wodurch sich dann die Wendung ''jemanden tyrannisieren'' ergab.
 
Entsprechend nennt man heutzutage Herrschaftsformen mit brutalen Alleinherrschern an der Spitze eine ''Tyrannei''; die Bedeutung geht dabei in Richtung ''Gewaltherrschaft'', also einer [[Diktatur]], von der zum Beispiel der spätere amerikanische Präsident [[James Madison]] 1787/88 in den ''[[Federalist Papers]]'' (Nummer 47) schrieb: „Die Ansammlung von jeglicher Gewalt, der Legislative, Exekutive und der Judikative, in den gleichen Händen, ob eines Einzelnen, ein paar Weniger oder von Vielen, und ob erblich, selbsternannt oder gewählt, kann mit Recht als die genaue Definition von Tyrannei erklärt werden.“<ref>“The accumulation of all powers, legislative, executive, and judiciary, in the same hands, whether of one, a few, or many, and whether hereditary, selfappointed, or elective, may justly be pronounced the very definition of tyranny” (siehe [http://www.constitution.org/fed/federa47.htm ''The Federalist No. 47''], englisch, abgerufen am 8. Juni 2007)</ref>
 
Ausgehend von dieser Begriffsentwicklung versteht man heute im übertragenen Sinn unter Tyrann einen herrschsüchtigen oder strengen Menschen (z.&nbsp;B. Familientyrann).
 
== Siehe auch ==
* [[Autokratie]]
* [[Tyrannenmord]]
 
== Literatur ==
 
* Gregory Anderson: ''Before Turannoi were Tyrants. Rethinking a Chapter of Early Greek History.'' In: ''Classical Antiquity.'' 24, 2005, {{ISSN|0278-6656}}, S. 173–222.
* [[HelmutAndré BerveKrischer]] / [[Barbara Stollberg-Rilinger]] (Hg.): ''DieTyrannen. TyrannisEine beiGeschichte denvon Griechen.''Caligula 2bis BändePutin''. C.H.Beck, München 19672022, {{DNB|456088482}}ISBN 978-3-406-79080-5.
* [[Steven Levitsky]], [[Daniel Ziblatt]]: ''Wie Demokratien sterben: Und was wir dagegen tun können.'' Pantheon Verlag, 2019, ISBN 978-3-570-55408-1.
* L. R. Cresci: ''Appunti per una tipologia del τύραννος.'' In: ''Byzantion.'' 60, 1990, S. 90-129.
* [[Vladimír Palko]]: ''Die Löwen kommen: Warum Europa und Amerika auf eine neue Tyrannei zusteuern.'' fe-medienvlg., 2014, ISBN 978-3-86357-072-9.
* Konrad H. Kinzl (Hrsg.): ''Die Ältere Tyrannis bis zu den Perserkriegen. Beiträge zur Griechischen Tyrannis.'' (= ''[[Wege der Forschung]]'' 510). Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1979, ISBN 3-534-07318-5.
* [[Timothy Snyder]]: ''Über Tyrannei: Zwanzig Lektionen für den Widerstand.'' C.H.Beck, München 2018, ISBN 978-3-406-71146-6.
* [[Loretana de Libero]]: ''Die archaische Tyrannis.'' Steiner, Stuttgart 1996, ISBN 3-515-06920-8 (Zugleich [[Habilitationsschrift]] an der [[Universität Göttingen]] 1995).
* Caroline Thompson: ''Die Tyrannei der Liebe. Perfekte Erziehung und die Ambivalenz unserer Gefühle.'' Aus dem Französischen übersetzt von Ursel Schäfer. Verlag Antje Kunstmann, München 2008, ISBN 978-3-88897-528-8.
* Victor Parker: ''Vom König zum Tyrannen. Eine Betrachtung zur Entstehung der älteren griechischen Tyrannis.'' In: ''[[Tyche (Zeitschrift)|Tyche]].'' 11, 1996, {{ZDB|624502-x}}, S. 165–186.
 
== Weblinks ==
{{Wiktionary}}
* {{Livius|tt-tz|tyrant}}
 
== Anmerkungen ==
<references />
 
{{Normdaten|TYP=s|GND=4186520-0}}
 
[[Kategorie:Tyrann|!]]
[[Kategorie:Politische Institution (Antike)Regierungswesen]]
[[Kategorie:Regierung]]