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{{Dieser Artikel|befasst sich mit der volkskundlichen Erzählforschung. Für andere Forschungsrichtungen, siehe [[Erzähltheorie]].}}
Die traditionelle '''Erzählforschung''' (auch: '''Volksprosa-Forschung''') beschäftigtist ein Zweig der Ethnologie. Sie befasst sich mit den von [[André Jolles]] als [[einfache Form]]en“en bezeichneten Textsorten wie [[Märchen]], [[Mythe]]n, [[Sage]], [[Schwank]] oder [[Witz]]. Die moderne Erzählforschung schließt darüber hinaus auch bestimmte Erzählformen der [[Gegenwart]] wie [[Alltagsgeschichte]], Alltagserzählung, Arbeitserinnerungen, [[Autobiografie|autobiografische Erzählung]], Familien-Erinnerungsgeschichte, Krankheitserlebnisse und Krankenhauserinnerungen, [[Reisebericht]]e und [[moderne Sage]]n mit ein.
 
Die traditionelle '''Erzählforschung''' (auch: '''Volksprosa-Forschung''') beschäftigt sich mit den von [[André Jolles]] als „[[einfache Form]]en“ bezeichneten Textsorten wie [[Märchen]], [[Mythe]]n, [[Sage]], [[Schwank]] oder [[Witz]]. Die moderne Erzählforschung schließt darüber hinaus auch bestimmte Erzählformen der [[Gegenwart]] wie [[Alltagsgeschichte]], Alltagserzählung, Arbeitserinnerungen, [[Autobiografie|autobiografische Erzählung]], Familien-Erinnerungsgeschichte, Krankheitserlebnisse und Krankenhauserinnerungen, [[Reisebericht]]e und [[moderne Sage]]n mit ein.
 
== Finnische Schule ==
Wenngleich sich das Märchen aufgrund seiner einzigartigen [[Popularität]] für viele [[Jahrzehnt]]eJahrzehnte der mit Abstand größten Aufmerksamkeit erfreuen konnte, lässt sich heute selbst zu den weniger bekannten Gattungen – wie [[Exemplum|Exempel]], [[Facetie]] oder [[Ortsneckerei]] – einiges an [[Sekundärliteratur]] finden. Grund dafür sind in erster Linie eine (für die gesamte [[Folkloristik]] [[institution]]alisierte) internationale Zusammenarbeit sowie eine vergleichende Methodik seit der ersten Hälfte des [[20. Jahrhundert]]sJahrhunderts.
 
Hier ist besonders die ''Finnische Schule'' der Erzählforschung hervorzuheben, die mit ihrer ''geografisch-historischen Methode'' ab den [[1880er]] Jahren auf die [[irrationalistisch]]en, [[Mythologie|mythologischen]] und [[Romantik|romantischen]] Schulen des [[19. Jahrhundert]]sJahrhunderts reagierte und den Weg zu einer wissenschaftlichen Erzählforschung ebnete. Diese Methode sah vor, dass alle Varianten eines konkreten Erzähltyps miteinander verglichen werden sollten, um dadurch analytisch auf Alter, Ursprungsland, Wanderwege und Verbreitung schließen zu können.<ref>Frog: ''Revisiting the Historical-Geographic Method(s).''. In: [http://www.helsinki.fi/folkloristiikka/English/RMN/RMN_7_Dec_2013_Limited_Sources_Boundless_Possibilities.pdf Karina Lukin, Frog and, Sakari Katajamäki (edsHrsg.): ''Limited Sources, Boundless Possibilities. Textual Scholarship and the Challenges of Oral and Written Texts'' (= ''RMN Newsletter.'' ANr. special7, Special Issue, {{ISSN|1799-4497}}). issueUniversity of RMNHelsinki Newsletter NoDepartment 7of Philosophy, History, Culture and Art Studies – Folklore Studies, DecemberHelsinki 2013, pS. 18–34, ([http://www.]helsinki.fi/folkloristiikka/English/RMN/RMN_7_Dec_2013_Limited_Sources_Boundless_Possibilities.pdf Digitalisat (PDF; 3,2&nbsp;MB)]).</ref>
Wenngleich sich das Märchen aufgrund seiner einzigartigen [[Popularität]] für viele [[Jahrzehnt]]e der mit Abstand größten Aufmerksamkeit erfreuen konnte, lässt sich heute selbst zu den weniger bekannten Gattungen – wie [[Exempel]], [[Facetie]] oder [[Ortsneckerei]] – einiges an [[Sekundärliteratur]] finden. Grund dafür sind in erster Linie eine (für die gesamte [[Folkloristik]] [[institution]]alisierte) internationale Zusammenarbeit sowie eine vergleichende Methodik seit der ersten Hälfte des [[20. Jahrhundert]]s.
 
Als Begründer gelten die drei finnischen Erzählforscher [[Julius Krohn]], sein Sohn [[Kaarle Krohn]] sowie [[Antti Aarne]], auf dessen Arbeit auch der [[Aarne-Thompson-Index]] beruht. Der einflussreichste Vertreter wurde jedoch [[Walter Anderson]], insbesondere aufgrund seiner hervorragenden Modelluntersuchung ''Kaiser und Abt'' von [[1923]].
Hier ist besonders die ''Finnische Schule'' der Erzählforschung hervorzuheben, die mit ihrer ''geografisch-historischen Methode'' ab den [[1880er]] Jahren auf die [[irrationalistisch]]en, [[Mythologie|mythologischen]] und [[Romantik|romantischen]] Schulen des [[19. Jahrhundert]]s reagierte und den Weg zu einer wissenschaftlichen Erzählforschung ebnete. Diese Methode sah vor, dass alle Varianten eines konkreten Erzähltyps miteinander verglichen werden sollten, um dadurch analytisch auf Alter, Ursprungsland, Wanderwege und Verbreitung schließen zu können.<ref>Frog: ''Revisiting the Historical-Geographic Method(s)''. In: [http://www.helsinki.fi/folkloristiikka/English/RMN/RMN_7_Dec_2013_Limited_Sources_Boundless_Possibilities.pdf Karina Lukin, Frog and Sakari Katajamäki (eds.): ''Limited Sources, Boundless Possibilities. Textual Scholarship and the Challenges of Oral and Written Texts.'' A special issue of RMN Newsletter No 7, December 2013, p. 18–34.] (PDF)</ref>
 
 
Als Begründer gelten die drei finnischen Erzählforscher [[Julius Krohn]], sein Sohn [[Kaarle Krohn]] sowie [[Antti Aarne]], auf dessen Arbeit auch der [[Aarne-Thompson-Index]] beruht. Der einflussreichste Vertreter wurde jedoch [[Walter Anderson]], insbesondere aufgrund seiner hervorragenden Modelluntersuchung ''Kaiser und Abt'' von [[1923]].
 
== Heutige Fragestellungen ==
Da die Finnische Schule nicht einmal theoretisch dazu in der Lage war, den an sie gestellten Anforderungen gerecht zu werden, wurde sie immer wieder scharf kritisiert. So entwickelten sich mit der Zeit mehr und mehr pluralistische [[Forschungsfrage]]n, die vor allem kulturwissenschaftlich, literaturwissenschaftlich, psychologisch, religionswissenschaftlich, soziologisch oder auch strukturalistisch geprägt sind und von denen zwei im Folgenden kurz angerissen werden sollen.
 
Da die Finnische Schule nicht einmal theoretisch dazu in der Lage war, den an sie gestellten Anforderungen gerecht zu werden, wurde sie immer wieder scharf kritisiert. So entwickelten sich mit der Zeit mehr und mehr pluralistische [[Forschungsfrage]]n, die vor allem kulturwissenschaftlich, literaturwissenschaftlich, psychologisch, religionswissenschaftlich, soziologisch oder auch strukturalistisch geprägt sind und von denen zwei im Folgenden kurz angerissen werden sollen.
 
=== Mündlichkeit/Schriftlichkeit ===
Mündliche Überlieferungen lassen sich aufgrund ihrer relativen Kurzlebigkeit höchstens bis zum Beginn des [[19. Jahrhundert]]sJahrhunderts nachweisen; was die zahlreichen Jahrhunderte davor angeht, so ist man auf literarisch-schriftliche Quellen angewiesen. Was die Forschung nun beispielsweise unternimmt, ist die kritische Interpretation älterer Schriften mit Hilfe neuerer Aufzeichnungen aus der oralen Überlieferung. Ferner ergeben sich Fragen nach den Vermittlungsstellen zwischen mündlicher und schriftlicher Kultur, nach den Ursachen für die – teilweise bemerkenswerten – Traditionsfestigkeiten sowie den jeweiligen Auswahlprozessen.
 
=== Performanz ===
Die [[Performanz (Sprechakttheorie)|Performanz]], also insbesondere die Sprachverwendung und Inszenierung, ist auch durch den Erzähler selbst geprägt. Im Gegensatz zur traditionellen Erzählforschung, der es lediglich um die Texte an sich ging, interessiert sich die neuere Folkloristik insbesondere für die so genannten Erzählerpersönlichkeiten: Wer genau ist eigentlich dieser Mann oder jene Frau, der bzw. die auf ein beträchtliches Repertoire an Märchen, Sagen, Witzen o.&nbsp;ä. zurückgreifen kann? Was lässt sich über deren soziale Stellung und was über ihre Kreativität sagen? Ebenso wichtig kann die Frage nach den Orten des Erzählens sein; bekommt man die Geschichten ausschließlich im familiären Kreis zu hören oder finden die Erzählvorgänge auch in öffentlichen Räumen statt?
 
== Siehe auch ==
Die [[Performanz (Sprechakttheorie)|Performanz]], also insbesondere die Sprachverwendung und Inszenierung, ist auch durch den Erzähler selbst geprägt. Im Gegensatz zur traditionellen Erzählforschung, der es lediglich um die Texte an sich ging, interessiert sich die neuere Folkloristik insbesondere für die so genannten Erzählerpersönlichkeiten: Wer genau ist eigentlich dieser Mann oder jene Frau, der bzw. die auf ein beträchtliches Repertoire an Märchen, Sagen, Witzen o.ä. zurückgreifen kann? Was lässt sich über deren soziale Stellung und was über ihre Kreativität sagen? Ebenso wichtig kann die Frage nach den Orten des Erzählens sein; bekommt man die Geschichten ausschließlich im familiären Kreis zu hören oder finden die Erzählvorgänge auch in öffentlichen Räumen statt?
*[[{{Portal:|Stoffe und Motive]], [[Stoff (Literatur)]]}}
 
* [[Enzyklopädie des Märchens]]
== Einzelnachweise ==
<references />
 
== Literatur ==
* [[Walter Anderson]]: ''Kaiser und Abt.'' Die Geschichte eines Schwanks.'' (= ''[[Folklore Fellows'Fellows’ Communications|FF Communications]].'' Nr. 42 = Bd. 9). Suomalainen Tiedeakatemia – Academia Scientiarum Fennica, Helsinki, 1923.
* [[Hermann Bausinger]]: ''Formen der „Volkspoesie“'' (= ''Grundlagen der Germanistik.'' 6). 2., verbesserte und vermehrte Auflage. E. Schmidt, Berlin 1980, ISBN 3-503-01632-5 (''Grundlagen der Germanistik'' 6).
* [[Rolf Wilhelm Brednich]] (Hrsg.): ''Enzyklopädie des Märchens.'' Handwörterbuch zur historischen und vergleichenden Erzählforschung.'' Begründet von [[Kurt Ranke (Germanist)|Kurt Ranke]]. Berlin15 1975Bände. (ffde Gruyter, Berlin u.)&nbsp;a. 1975–2015, ISBN 3-11-005805-7.
* [[Volker Ladenthin]]: ''Gerechtes Erzählen. Studien zu Thomas Manns Erzählung „Das Gesetz“, zu Theodor Storm und Ernst Toller.'' Königshausen & Neumann, Würzburg 2010, ISBN 978-3-8260-4414-4.
* [[Albrecht Lehmann]]: ''Erzählstruktur und Lebenslauf. Autobiographische Untersuchungen.'' Campus -Verlag, Frankfurt am Main u.&nbsp;a. 1983, ISBN 3-593-33100-4 (Zugleich: Hamburg, Universität, Habilitations-Schrift).
* [[Rudolf Schenda]]: ''Von Mund zu Ohr. Bausteine zu einer Kulturgeschichte volkstümlichen Erzählens in Europa'' (= ''Sammlung Vandenhoeck.''). Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen 1993, ISBN 3-525-01354-X (''Sammlung Vandenhoeck'').
<!--, * [[Leander Petzoldt]]: "''Die Entwicklung der Erzählforschung in Österreich".'' In: Bockhorn, O. u. a.: Volkskunde in Österreich. CD Publikation. Fachbereich Europäische Ethnologie/Volkskunde. Institut für Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie. Innrain 52, 5020 Innsbruck. Innsbruck 2011. .-->
* [[Hans-Jörg Uther]]: ''Katalog zur Volkserzählung. Spezialbestände des Seminars für Volkskunde und der Enzyklopädie des Märchens, Göttingen, des Instituts für europäische Ethnologie, Marburg, und des Instituts für Volkskunde, Freiburg im Breisgau.'' 2 Bände. Saur, München u. a. 1987, ISBN 3-598-10669-6.
* [[Leander Petzoldt]]: "''Einführung in die Sagenforschung'' (= ''[[Uni-Taschenbücher|UTB]].'' 2353)." 3. Auflage. UVK Verlagsgesellschaft.-Verlags-Gesellschaft, Konstanz 2002, ISBN 3-8252-2353-1.
* Leander Petzoldt (Hrsg.): ''Folk Narrative and World View. Vorträge des 10. Kongresses der Internationalen Gesellschaft für Volkserzählforschung (ISFNR) Innsbruck 1992'' (= ''Congress of the International Society for Folk Narrative Research (ISFNR).'' 10 = ''Beiträge zur europäischen Ethnologie und Folklore.'' Reihe B: ''Tagungsberichte und Materialien.'' 7). 2 Bände. Lang, Frankfurt am Main u.&nbsp;a. 1996, ISBN 3-631-48698-7.
* [[Leander Petzoldt]]: "Vergleichende Sagenforschung" (Wege der Forschung 152). Darmstadt 1969.
* [[Leander Petzoldt]]: ''Sammlung, Klassifikation und Dokumentation von Volksprosa. Überlegungen zur Taxonomie der Volkserzählung.'' In: Burkhard Pöttler, B.Helmut u.a.Eberhart, [[Elisabeth Katschnig-Fasch]] (Hrsg.): ''Innovation und Wandel. Festschrift für Oskar Moser zum 80. Geburtstag.'' Österreichischer Fachverband für Volkskunde, Graz 1994., ISBN 3-901396-00-4, S. 279–295.
* [[Leander Petzoldt]]: "''Tendenzen und Perspektiven der Volksprosaforschung. Die Sagenforschung nach 1945",.'' inIn: ''[[Rheinisches Jahrbuch für Volkskunde]].'' Bd. 26, (1985/86)1986, S. 69–91. Bonn 1987.
* [[Leander Petzoldt]]: "Zur Geschichte der Erzählforschung in Österreich". In: Schmitt, Christoph (Hrsg.): Homo narrans. Studien zur populären Erzählkultur. New York, München, Berlin 1999, S. 111–138.
* [[Leander Petzoldt]] (Hrsg.): "''Vergleichende Sagenforschung"'' (= ''[[Wege der Forschung]].'' Bd. 152). Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1969.
* [[Leander Petzoldt]]: "Die Entwicklung der Erzählforschung in Österreich". In: Bockhorn, O. u.a.: Volkskunde in Österreich. CD Publikation. Fachbereich Europäische Ethnologie/Volkskunde. Institut für Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie. Innrain 52, 5020 Innsbruck. Innsbruck 2011.
* [[Leander Petzoldt]]: "''Zur Geschichte der Erzählforschung in Österreich".'' In: Christoph Schmitt, Christoph (Hrsg.): ''Homo narrans. Studien zur populären Erzählkultur. Festschrift für Siegfried Neumann zum 65. Geburtstag'' (= ''Rostocker Beiträge zur Volkskunde und Kulturgeschichte.'' Bd. 1). Waxmann, New York, München,NY Berlinu.&nbsp;a. 1999, ISBN 3-89325-767-5, S. 111–138.
* [[Leander Petzoldt]]: Sammlung, Klassifikation und Dokumentation von Volksprosa. Überlegungen zur Taxonomie der Volkserzählung. In: Pöttler, B. u.a. (Hrsg.): Innovation und Wandel. Graz 1994. S. 279–295.
* [[Hans-Jörg Uther]]: ''Katalog zur Volkserzählung. Spezialbestände des Seminars für Volkskunde und der Enzyklopädie des Märchens, Göttingen, des Instituts für europäische Ethnologie, Marburg, und des Instituts für Volkskunde, Freiburg im Breisgau.'' 2 Bände. Saur, München u. &nbsp;a. 1987, ISBN 3-598-10669-6.
* [[Leander Petzoldt]]: Folk Narrative and Worldview. Berichte und Referate zum 10. Internationalen Kongress für Volkserzählungsforschung (ISFNR) in Innsbruck. Frankfurt: Lang. 1995.
 
== Siehe auch ==
*[[Aarne-Thompson-Index]]
*[[Brüder Grimm]]
*[[Enzyklopädie des Märchens]]
*[[Erzählcafé]]
*[[Fabula]]
*[[Portal:Stoffe und Motive]], [[Stoff (Literatur)]]
 
== Weblinks ==
* {{DNB-Portal|4152968-6}}
 
== Einzelnachweise ==
<references />
 
{{Normdaten|TYP=s|GND=4152968-6}}
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