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Das Recht, sein Grundstück zu bebauen oder bauliche Veränderungen vorzunehmen, wird durch die in {{Art.|14|GG|dejure}} Abs. 1 des Grundgesetzes enthaltene Eigentumsfreiheit garantiert.<ref>Leisner, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. 8, 3. Aufl. 2010, § 173 Rn. 194 f.</ref> Inhalt und Schranken dieses Grundrechts werden durch das [[Öffentliches Baurecht (Deutschland)|öffentliche Baurecht]] bestimmt, um Gefahren zu verhüten und mögliche Spannungen mit den Grundstücksnachbarn zu bewältigen.<ref>[https://www.rehm-verlag.de/eLine/portal/start.xav?start=%2F%2F*%5B%40attr_id%3D%27lbonrw_9d1376e0ad48bf20a3b4c4fedf74b43e%27%20and%20%40outline_id%3D%27lbonrw%27%5D ''Verfassungsrechtliche Aspekte.''] § 74 BauO NRW, Kommentar. Rehm-Verlag, Rz. 5–16.</ref> Das [[Bauplanungsrecht]] schützt die kommunale Planungshoheit, das [[Bauordnungsrecht]] ist Teil des klassischen [[Polizei- und Ordnungsrecht|Gefahrenabwehrrechts]] und wurde früher auch ''Baupolizeirecht'' genannt.
 
Bauliche Anlagen müssen nicht nur mit den bauplanerischen Entscheidungen der Gemeinde, die sie in Ausübung ihres [[Kommunale Selbstverwaltung|kommunalen Selbstverwaltungsrechts]] trifft, vereinbar sein, sondern auch aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung bestimmten Anforderungen genügen. Dazu zählen etwa die Gestaltung, die Standsicherheit, Brand-, WärmWärme- und Schallschutz oder die Verkehrssicherheit. Es gibt auch bestimmte technische und nutzungsbedingte Anforderungen an Feuerungs-, Lüftungs- oder Sanitäranlagen. Die Errichtung, Änderung und Nutzungsänderung von Anlagen bedürfen daher grundsätzlich der Baugenehmigung. Verstöße gegen das Genehmigungserfordernis werden als [[Ordnungswidrigkeit]] mit einer [[Geldbuße]] geahndet.
 
Bei der Errichtung, Änderung, Nutzungsänderung und der Beseitigung von Anlagen ist neben den anderen am Bau Beteiligten ([[Entwurfsverfasser]], [[Bauunternehmen|Bauunternehmer]] und [[Bauleitung|Bauleiter]]) insbesondere der [[Bauherr]] dafür verantwortlich, dass die öffentlich-rechtlichen Vorschriften eingehalten werden. Ihm obliegen die nach den öffentlich-rechtlichen Vorschriften erforderlichen Anträge, Anzeigen und Nachweise. Für die Entscheidung über den [[Bauantrag]] ist die [[Bauaufsichtsbehörde]] zuständig.
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Die Baugenehmigung besteht aus der feststellenden Regelung, dass dem Vorhaben öffentlich-rechtliche Vorschriften nicht entgegenstehen und einer verfügenden (rechtsgestaltenden) Regelung, der Freigabe des Vorhabens zur Bauausführung. Sie ist für den Bauherrn begünstigend. Der feststellende Teil der [[Bestandskraft|bestandskräftigen]] Baugenehmigung entfaltet nach Realisierung des Bauvorhabens seine [[Legalisierung (Baurecht)|Legalisierungswirkung]] bzw. Sicherungsfunktion. Wäre das Bauvorhaben bei späteren Rechtsänderungen nach aktueller Rechtslage unzulässig oder müssten zusätzliche Anforderungen erfüllt werden, setzt sich die Baugenehmigung mit ihrer feststellenden Wirkung durch, solange das Bauvorhaben bei seiner tatsächlichen Errichtung nicht derart von der Genehmigung abweicht, dass ein [[Aliud (Recht)|Aliud]] anzunehmen ist.<ref>OVG NRW, Beschluss vom 14. Januar 2019 – 10 A 1524/17</ref> Demzufolge schirmt die Baugenehmigung das Vorhaben einschließlich der genehmigten Nutzung gegen spätere Beseitigungs- bzw. Untersagungsverfügungen ab, solange sie wirksam ist.<ref>[https://www.rehm-verlag.de/eLine/portal/start.xav?start=%2F%2F*%5B%40attr_id%3D%27lbonrw_49da5faab97af9c222f4ea53b8ff9a7c%27%20and%20%40outline_id%3D%27lbonrw%27%5D ''Legalisierungswirkung der Baugenehmigung.''] § 74 BauO NRW, Kommentar. Rehm-Verlag, Rz. 78–80.</ref><ref>[https://openjur.de/u/2394759.html BGH, Urteil vom 21. Januar 2022 - V ZR 76/20]</ref> Eine erteilte Baugenehmigung erlischt jedoch, wenn – je nach Bundesland – nicht innerhalb von drei oder vier Jahren mit dem Bau begonnen wird oder der Bau so lange stillsteht.<ref>vgl. z.&nbsp;B. § 62 LBO Baden-Württemberg und § 74 LBauO Rheinland-Pfalz</ref>
 
Die Baugenehmigung ist nicht personen-, sondern vorhaben- und grundstücksbezogen (dinglicher Verwaltungsakt). Sie gilt deshalb auch für einen möglichen [[Rechtsnachfolger]] des BauhherrnBauherrn, z.&nbsp;B. einen Erben oder Grundstückskäufer. Ist eine Baugenehmigung erteilt, kann der Bauherrn auch nur die daraus begründeten Rechte und Pflichten auf eine weitere Person durch rechtsgeschäftliche Vereinbarung übertragen.<ref>Gädtke/Temme/Heintz/Czepuck, BauO NRW, 11. Auflage, § 57 Rdnr. 12.</ref> Gleiches gilt für den Zeitraum bis zur Erteilung der Baugenehmigung.<ref>[https://openjur.de/u/142925.html OLG Düsseldorf, Urteil vom 26. August 2009 - I-18 U 73/08] Rz. 25.</ref>
 
Da mit der Durchführung des Bauvorhabens Rechte und Interessen Dritter (Nachbarn) betroffen sein können, hat sie für diese unter Umständen belastende Wirkung. Damit ist die Baugenehmigung ein Verwaltungsakt mit Drittwirkung ({{§|80a|vwgo|juris}} VwGO).
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===== Einzelne bodenrechtliche Bereiche =====
Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit eines Bauvorhabens ist im übrigenÜbrigen in den einzelnen bodenrechtlichen Bereichen unterschiedlich geregelt.
 
* Im Geltungsbereich eines [[Bebauungsplan (Deutschland)|Bebauungsplans]] (Planbereich) ist ein Vorhaben zulässig, wenn es dessen Festsetzungen nicht widerspricht ({{§|30|bbaug|juris}} Abs. 1 BauGB).
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Hat ein Nachbar Einwendungen gegen die Baumaßnahme erhoben, so ist die Baugenehmigung mit dem Teil der Bauvorlagen, auf den sich die Einwendungen beziehen, auch dem Nachbarn mit einer [[Rechtsbehelfsbelehrung]] zuzustellen. Der Nachbar, der dem Bauvorhaben nicht zugestimmt hat, kann – soweit nach Landesrecht erforderlich – Widerspruch gegen die Baugenehmigung einlegen. Gemäß {{§|212a|bbaug|juris}} BauGB hat ein solcher Widerspruch jedoch keine [[aufschiebende Wirkung]]. Der Bauherr kann also mit den Bauarbeiten beginnen, sobald er die Baugenehmigung erhalten hat.
 
Will der Nachbar den Beginn der Bauarbeiten verhindern, so kann er bei der Baugenehmigungsbehörde und danach bei Gericht [[Vorläufiger Rechtsschutz|vorläufigen RechtschutzRechtsschutz]] beantragen, die Vollziehung auszusetzen bzw. die aufschiebende Wirkung anzuordnen ({{§|80a|vwgo|juris}} Abs. 1 Nr. 2, Abs.&nbsp;3 i.&nbsp;V.&nbsp;m. {{§|80|vwgo|juris}} Abs.&nbsp;4, Abs.&nbsp;5 VwGO). Der Bauherr ist [[Anhörung|anzuhören]] bzw. [[Beiladung (Recht)|beizuladen]].
 
Bleibt der Widerspruch erfolglos, kann der Nachbar gegen die dem Bauherrn erteilte Baugenehmigung mit einer [[Drittanfechtungsklage]] vorgehen.<ref>[[Udo Steiner]], [[Gerrit Manssen]]: [http://www.uni-regensburg.de/rechtswissenschaft/oeffentliches-recht/manssen/medien/pdfdateien/__ffentliches_baurecht_text_2012.pdf ''Öffentliches Baurecht nach bayerischer Rechtslage''] Regensburg 2012, Rdnr. 434 ff.</ref> Dazu muss die Baugenehmigung rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt sein ({{§|113|vwgo|juris}} Abs. 1 VwGO). Das ist der Fall, wenn die Baugenehmigung öffentlich-rechtliche Vorschriften verletzt, die gerade darauf abzielen, den jeweiligen Nachbarn individuell zu schützen. Anerkannte [[nachbarschützende Vorschrift]]en sind z.&nbsp;B. die landesbaurechtlichen Vorschriften über die Grenz- bzw. Gebäudeabstände, das planungsrechtliche [[Gebot der Rücksichtnahme|Rücksichtnahmegebot]] sowie in überplanten Bereichen die Wahrung der Gebietsart (ebenso im unbeplanten Innenbereich, dessen Eigenart der näheren Umgebung einem Baugebiet der Baunutzungsverordnung entspricht, {{§|34|bbaug|juris}} Abs.&nbsp;2 BauGB).<ref>Anja Baars: [https://www.arge-baurecht.com/baurecht-wissen/fachartikel/artikel/nachbarschutz-im-baugenehmigungsverfahren ''Nachbarschutz im Baugenehmigungsverfahren.''] Arbeitsgemeinschaft für Bau- und Immobilienrecht im [[Deutscher Anwaltverein|Deutschen Anwaltverein]], 25. Juli 2019.</ref> Ob Festsetzungen über das Maß der baulichen Nutzung auch darauf gerichtet sind, dem Schutz des Nachbarn zu dienen, hängt vom Willen der Gemeinde als Plangeber ab.<ref>[https://www.bverwg.de/090818U4C7.17.0 BVerwG, Urteil vom 9. August 2018 - 4 C 7.17] LS 1.</ref>
 
==== Zivilrecht ====
Die Verletzung nachbarschützender Vorschriften des öffentlichen Baurechts kann einen [[Quasinegatorischer Unterlassungsanspruch|quasinegatorischen Unterlassungsanspruch]] des Nachbarn gemäß {{§|1004|bgb|juris}} Abs. 1 Satz 1 BGB analog i.&nbsp;V.&nbsp;m. {{§|823|bgb|juris}} Abs. 2 BGB begründen. Dieser kommt jedoch nicht in Betracht, wenn und soweit die Grundstücksnutzung von einer bestandskräftigen Baugenehmigung gedeckt ist.<ref>[https://openjur.de/u/2394759.html BGH, Urteil vom 21. Januar 2022 - V ZR 76/20] Rz. 20.</ref> Soweit der UnterlassunsganspruchUnterlassungsanspruch auf die Verletzung einer nachbarschützenden Norm des öffentlichen Rechts als [[Schutzgesetz]] i.&nbsp;S.&nbsp;v. § 823 Abs. 2 BGB gestützt wird, ist dieser Anspruch streng [[Akzessorietät|akzessorisch]] zum öffentlichen Recht, denn er setzt voraus, dass die Grundstücksnutzung, deren Unterlassung begehrt wird, gegen die öffentlich-rechtliche Norm verstößt, auf deren Schutz sich der Nachbar beruft. Dies ist ausgeschlossen, wenn die Norm im Baugenehmigungsverfahren geprüft worden, die Grundstücksnutzung öffentlich-rechtlich bestandskräftig genehmigt und die Genehmigung nach wie vor wirksam ist.<ref>[https://openjur.de/u/2394759.html BGH, Urteil vom 21. Januar 2022 - V ZR 76/20] Rz. 22, 27.</ref> An diese Feststellung sind die Zivilgerichte aufgrund der Tatbestandswirkung der Baugenehmigung gebunden.<ref>[https://openjur.de/u/2394759.html BGH, Urteil vom 21. Januar 2022 - V ZR 76/20] Rz. 25.</ref><ref>[https://rsw.beck.de/aktuell/daily/meldung/detail/bgh-nachbarliche-duldungspflicht-bei-bestandskraeftiger-baugenehmigung ''Nachbarliche Duldungspflicht bei bestandskräftiger Baugenehmigung.''] beck-aktuell, 27. April 2022.</ref>
 
Ohne Bindung an die Baugenehmigung kann der Nachbar jedoch Abwehrrechte etwa aus den §§ 905 ff. BGB und aus den Nachbarrechtsgesetzen der Länder geltend machen, wenn und soweit deren Voraussetzungen vorliegen. Denn die Baugenehmigung ergeht unbeschadet privater Rechte Dritter. Sie hat keine privatrechtsgestaltende Ausschlusswirkung. Ebenso kann er den Bau zivilrechtlich untersagen lassen, wenn er durch diesen in einer vertraglich (etwa durch einen Miet- oder Pachtvertrag) oder dinglich (etwa durch eine Grunddienstbarkeit) geschützten Rechtsposition beeinträchtigt würde.<ref>[https://openjur.de/u/2394759.html BGH, Urteil vom 21. Januar 2022 - V ZR 76/20] Rz. 21.</ref>