„Brett des Karneades“ – Versionsunterschied

[gesichtete Version][gesichtete Version]
Inhalt gelöscht Inhalt hinzugefügt
K Link optimiert und vereinfacht
Markierung: 2017-Quelltext-Bearbeitung
K Grammatik korrigiert #article-select-source-editor
Markierungen: Mobile Bearbeitung Bearbeitung von einer mobilen Anwendung
 
(11 dazwischenliegende Versionen von 9 Benutzern werden nicht angezeigt)
Zeile 1:
Das '''Brett des Karneades''' ist ein philosophisches [[Gedankenexperiment]], das dem [[Antikes Griechenland|griechischen]] [[Philosoph]]en [[Karneades]] zugeschrieben wird.
Man stellt sich die Situation zweier Schiffbrüchiger vor, deren einzige Rettung ein umhertreibendes Brett ist, welches jedoch nur eine Person tragen kann. Einer der beiden Schiffbrüchigen tötet den anderen, um die rettende Planke für sich zu sichern und anschließend gerettet zu werden.
Zeile 9:
== Überlieferung des Beispiels durch Cicero ==
 
Da Karneades keine Schriften verfasste, sondern nur mündlich lehrte, ist seine Philosophie nur aus Angaben in Werken späterer Autoren bekannt. Das Brett-Beispiel ist beidurch dem[[Marcus römischenTullius Schriftsteller [[Cicero]] überliefert. Cicero behandelt die Frage in zweien seiner Werke: in ''[[De officiis]]'',<ref>Cicero: ''De officiis.'' 3,89.</ref> wo er sich auf eine (nicht erhalten gebliebene) Schrift ''Über die Pflichten'' des [[Stoa|Stoikers]] [[Hekaton von Rhodos]] als Quelle beruft, und in einem nicht erhalten gebliebenen Teil von ''[[De re publica]]'', derdurch nurden dadurchwir bekanntnur ist,durch dassspätere derZitate Kirchenschriftstellerbei [[Lactantius]] ihn zitiertwissen.<ref>Lactantius: ''Divinae institutiones.'' 16,10.</ref> NurErst beivon Lactantius wird Karneades als Urheber des Brett-Beispiels genannt. Karneades soll das Beispiel im Jahr 155 v. Chr. in einem öffentlichen Vortrag in Rom angeführt haben. In diesem Vortrag argumentierte er gegen die Behauptung, es existiere eine von Natur aus gegebene [[Gerechtigkeit]] ([[Naturrecht]]).
 
Cicero gibt das Beispiel mit folgenden Worten wieder:
 
„Angenommen aber, es gibt nur ein Brett, aber zwei Schiffbrüchige, und beide sind weise Männer. Soll es jeder von ihnen an sich zu reißen suchen oder soll es einer dem anderen abtreten? Es soll abgetreten werden, aber an den, der eher wert ist, um seiner eigenen Angelegenheiten oder um des Staates willen am Leben zu bleiben. Was aber dann, wenn sie in beiden Punkten gleiche Ansprüche haben? Es wird keinen Streit geben, sondern einer wird dem anderen den Vortritt lassen, wie wenn er durch Losen oder im Fingerspiel verloren hätte.“<!---in welcher, der beiden Quellen, in welcher Übersetzung?-->
 
== Rezeption und Bewertung durch Kant ==
 
Auch [[Immanuel Kant]] hat das Fallbeispiel von Karneades aufgegriffen. Er kommt zu dem Ergebnis, dass die Tat nicht als ''unsträflich (inculpabile)'', sondern als ''unstrafbar (impunibile)'' zu beurteilen sei, da die Bedrohung mit einem Übel durch das Gesetz, nämlich der Tod durch den richterlichen Ausspruch, gar nicht größer sein könne als die Furcht vor dem bevorstehenden Übel, nämlich dem Ertrinken. Der Sinnspruch des [[Ausnahmezustand|Notrecht]]s laute: ''„Not hat kein Gebot ([[Liste lateinischer Phrasen/N#Necessitas non habet legem.|necessitas non habet legem]])“'' – es könne aber trotzdem keine Not geben, die ein Unrecht gesetzmäßig machte. – Kant bezieht sich aber auch direkt auf das Brett des Karneades: „Wenn aber von einem, welcher einen anderen Schiffbrüchigen von seinem Brett stößt, um sein eigenes Leben zu erhalten, gesagt wird: er habe durch seine Not (die physische) ein Recht dazu bekommen, so ist das ganz falsch. Denn mein Leben zu erhalten, ist nur bedingte Pflicht (wenn es ohne Verbrechen geschehen kann); einem andern aber, der mich nicht beleidigt, ja gar nicht einmal in Gefahr, das meinige zu verlieren, bringt, es nicht zu nehmen, ist unbedingte Pflicht.“
 
== Erweiterungen und Abwandlungen des Fallbeispiels ==
Zeile 30:
In der Medizin stellt sich bei einem [[Massenanfall von Verletzten]]/Kranken die Frage, wem geholfen werden soll und wem nicht. Wie soll bei einer großen Zahl von Schwerverletzten mit den wenigen zur Verfügung stehenden Hilfsmitteln umgegangen werden? Ähnliche Fragen stellen sich bei allen Unfällen oder Katastrophen mit vielen Betroffenen (Wer soll als erster mit dem Hubschrauber ins Krankenhaus geflogen werden?) und bei der Verteilung von gespendeten Organen zum Zweck der [[Transplantation]]. Hier wird mittels des Verfahrens der [[Triage]] versucht, eine Einteilung in Behandlungs- und Versorgungsklassen vorzunehmen, um eine Antwort auf die Zuordnungsfrage zu geben und geordnet Hilfe leisten zu können.
 
Im Jahr 2006 stellte sich das Rechtfertigungsproblem anhand des vom [[Bundesverfassungsgericht]] für nichtig erklärten [[Luftsicherheitsgesetz]]es. Die dadurch eröffnete Frage lautet: Darf man eine Passagiermaschine abschießen, um anderen Menschen das Leben zu retten? Das [[Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Luftsicherheitsgesetz 2005|Urteil des Bundesverfassungsgerichts]] lauteteverneinte „Nein“das. Wenn unbeteiligte Passagiere Gefahr laufen, [[Kollateralschaden]] eines solchen Abschusses zu werden, wird gegen das im Grundgesetz verankerte Recht auf Leben und damit gegen die Menschenwürde verstoßen. Wäre es zu einem solchen Abschuss gekommen, hätte der Bundeswehrpilot rechtswidrig gehandelt, auch wenn er dies auf einen Befehl hin getan hätte. Grundsätzlich gilt, dass rechtswidrige Handlungen auch auf Befehl hin verboten sind.
 
Antworten auf diese Fragen müssen von verantwortlich Denkenden und Handelnden aus [[Angewandte Ethik#Individual- und Sozialethik|individualethischer und sozialethischer Sicht]] gefunden werden.
Zeile 42:
== Rechtslage nach deutschem Strafrecht ==
 
Nach dem deutschen [[Strafrecht]] würde in diesem Fall eine [[RechtswidrigkeitStraftat (Deutschland)|rechtswidrige]] [[Straftat|Tat]] vorliegen – und zwar ein [[Totschlag (Deutschland)|Totschlag]] gemäß {{§|212|StGB|dejure}} [[Strafgesetzbuch (Deutschland)|StGB]]. Das Handeln wird also von der [[Rechtsordnung]] missbilligt. Eine Rechtfertigungsmöglichkeit für diese Handlung kennt das Strafrecht nicht. Dies bedeutet auch, dass der andere, der vom Brett gestoßen wird, sich hiergegen verteidigen darf ([[Notwehr (Deutschland)|Notwehr]]), da ein gegenwärtiger rechtswidriger Angriff vorliegt.
 
Allerdings wäre beim angreifenden Täter ein [[Notstand|entschuldigender Notstand]] gemäß {{§|35|StGB|dejure}} StGB gegeben, der dazu führt, dass der Täter nicht bestraft würde. Das Handeln des Täters erscheint als so verständlich, dass jede Schuld im Rechtssinne entfällt.
 
Für den Fall der Rettungsnotwendigkeit mehrerer Menschen, zum Beispiel bei der [[Triage]], wird von manchender herrschenden Meinung eine [[rechtfertigende Pflichtenkollision]] angenommen,<ref>''Elisa Hoven/Johanna Hahn'', Strafrechtliche Fragen im Zusammenhang mit der Covid-19 Pandemie, in: Juristische Arbeitsblätter (JA); 2020, S. 481 (481 f.).</ref> in der sich der Helfende frei entscheiden kann, wen er retten will.
 
== Literatur ==
Zeile 55:
 
== Weblinks ==
Juristische Lösung des Problems anhand des deutschen Strafrechts:
* [http://www.romanum.de/main.php?show=uebersetzungen/cicero/de_officiis/index.html Cicero, ''De officiis'', deutsche Übersetzung]
* [httphttps://www.juraexamen.info/das-brett-des-karneades-ein-zeitloser-klassiker/ Juristische Lösung des Problemes anhand des deutschen Strafrechts] bei juraexamen.info]
* [https://www.iurastudent.de/leadingcase/das-brett-des-karneades iurastudent.de]
 
== Anmerkungen ==