„Tayammum“ – Versionsunterschied
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[[Datei:Children of Iran Of qom کودکان ایرانی، کودکان قمی 30.jpg|mini|220x220px|Ein Kind im [[Iran]] beim Vollzug des Tayammum]]
'''Tayammum''' {{arS|تيمم
== Herkunft ==
Der Begriff ist ein [[Verbalsubstantiv]] und leitet sich aus dem [[Transitivität (Grammatik)|transitiven]] Verb ''amma(hu)'' / ''taʾammama(-hu)'', etwas beabsichtigen, anstreben, etwas vorhaben (zu tun), durch die Ersetzung der [[Hamza]] durch ein [[
== Im islamischen Rechtsdiskurs ==
Der Rechtsgelehrte [[Ibn al-ʿArabī al-Maʿāfirī]] (* [[1076]] in [[Sevilla]]; † [[1148]] in [[Fès]]) setzt
== Die koranische Anweisung ==
[[Datei:Monastir89.jpg|mini|Tayammum-Stein in [[Monastir (Tunesien)|Monastir]]]]
Tayammum wird an zwei Stellen<ref>Vardit Rispler-Chaim: ''Disability in Islamic Law''. Springer, Dordrecht 2007, S. 22 fügt irrtümlich auch Sure 2, Vers 267 hinzu, wo das Verb in seiner ursprünglichen Bedeutung (siehe oben, Anm. 2) gebraucht wird.</ref> im Koran in fast identischem Wortlaut erlaubt, bzw. vorgeschrieben:
{{Zitat
|Autor=[[Sure 4]], [[Āya|Vers]] 43
Und:
{{Zitat
▲ |Autor=Sure 5, Vers 6 |Quelle=Übersetzung: Rudi Paret }}
|Autor=[[Sure 5]], Vers 6
|Quelle=Übersetzung: Rudi Paret}}
Gemäß Koran ist in den folgenden Fällen Tayammum vorzunehmen:
* bei Krankheiten;
* auf Reisen, nach Geschlechtsverkehr und nach der Verrichtung der Notdurft, wenn kein Wasser vorhanden ist.
Beide Koranverse sind sowohl in der [[Koranexegese]] als auch in der [[Fiqh|islamischen Rechtswissenschaft]] durch die Aktualisierung der in der [[Hadith]]literatur dokumentierten Aussagen und Praktiken [[Mohammed]]s und seiner [[Sahaba|Gefährten]] betreffs Tayammum nach verschiedenen Aspekten erläutert worden.
Die in den obigen Koranversen dokumentierte Abweichung von der vorgeschriebenen rituellen Waschung vor den Gebeten wird als eine von Gott herabgesandte Konzession und Erlaubnis ([[Ruchsa|ruḫṣa]] / Plural: ''ruḫaṣ'') verstanden: „Gott hat die Erlaubnis zum Tayammum herabgesandt“ (''anzala llāhu ruḫṣata t-tayammum'').<ref>''Musnad Ibn Ḥanbal'', Band 6, S. 273, Zeile 1 (Bulāq, Nachdruck Beirut, o.
== Die ritualrechtliche Auslegung ==
In der Rechtslehre wird einstimmig darauf hingewiesen, dass Tayammum die rituelle Unreinheit ''nicht'' beseitigt, sondern lediglich ermöglicht, das Gebet zu verrichten.<ref>Erwin Gräf (1977), S. 391; ''al-mausūʿa al-fiqhīya'', Band 14, S. 251</ref>
Auch der im Koran erwähnte „saubere Platz“ wird erst in der Rechtsliteratur und der Koranexegese näher definiert und in seiner Bedeutung erweitert. Das beim Tayammum verwendete Material kann Erde, Staub, Sand, Kalk, Marmor, Kieselsteine, die Erde vom bestellten Ackerland, aber auch Gras sein. Salzhaltiges Marschenland (''sabaḫa'') und getrockneter, zerriebener Lehm sind ebenfalls erlaubt. Es ist jedoch [[Ichtilāf|umstritten]], ob man Schnee bzw. Eis verwenden kann, da sie keine Produkte der reinen Erde sind. Abū ʿUbaid al-Qāsim ibn Sallām (†
Die [[Madhhab|Rechtsschulen]] (maḏāhib) stimmen darin überein, dass Tayammum nur am Gesicht und an den Händen bis zum Ellenbogen vollzogen wird, unabhängig davon, ob die kleine oder die große rituelle Unreinheit (ḥadaṯ)<ref>A.J. Wensinck / J.H. Kramers: ''Handwörterbuch des Islams'', Brill, Leiden 1942, S. 146; E. Fagnan: ''Additions aux dictionnaires arabes''. (Nachdruck, Beirut, o.
Da der Koran diese Reinigungsart nicht beschreibt, stützt man sich auf die diesbezüglichen Handlungen Mohammeds und seiner Gefährten. Ihnen zufolge vollzieht man die Reinigung als erste Bewegung durch das Streichen des Gesichts und des Bartes
Der koranische Ausdruck „und wenn ihr krank seid...“ umfasst in der Rechtslehre auch Verletzungen und Wunden wie Pocken, die eine [[Darūra|Notsituation]] (''ḍarūra'') für die Person darstellen.
Befürchtet der Kranke die Verschlechterung seines Zustandes durch die rituelle Reinigung mit Wasser, oder ist in seiner Bewegung eingeschränkt und findet keine Hilfe durch Dritte, wendet er Tayammum an. Nach den [[Hanafiten|Ḥanafiten]] muss der Kranke die rituelle Waschung mit Wasser durchführen, wenn er dafür, sogar gegen Entgelt, Hilfe findet.<ref>''al-mausūʿa al-fiqhīya'', Band 14, S. 258</ref> Verwundete können bei Aussparung der Wunden die Waschung mit Wasser vollziehen. Auch dickbäuchige Personen (''mabṭūn''
Wenn Sesshafte oder Reisende bei Kälte durch die Waschung Krankheit befürchten und keine Möglichkeit haben, das Wasser aufzuwärmen, ist Tayammum zulässig. Als wegweisendes Beispiel verweisen die Rechtsgelehrten auf eine mit dem Namen des [[ʿAmr ibn al-ʿĀs|ʿAmr ibn al-ʿĀṣ]] verbundene Episode; er soll, so der über verschiedene Überlieferungen laufende Bericht, während des Feldzuges nach Ḏāt as-Salāsil (September 629)<ref>Siehe die Überlieferungsvarianten zu diesem Feldzug bei: M. J. Kister: ''On the Papyrus of Wahb B. Munabbih''. In: Bulletin of the School of Oriental and African Studies (BSOAS), Band 37 (1974), S.
Die Problematik der rituellen Waschung in kalter Jahreszeit wirft [[Muwaffaq ad-Dīn ibn Qudāma|Ibn Qudāma]] bereits am Anfang des ''Kitāb aṭ-ṭahāra'' in seinem ''al-Muġnī'' auf; mit Rückgriff auf einen Teil des Koranverses (Sure 2, Vers 280): „...der sich in Bedrängnis findet“ (''wa-in kāna ḏū ʿusratin'') zitiert er den altarabischen Dichter ar-Rabīʿ ibn Ḍabuʿ al-Fazārī (er lebte als alter Mann vielleicht noch unter den ersten [[Umayyaden]])<ref>Fuat Sezgin: ''Geschichte des arabischen Schrifftums.'' Band 2 (Poesie), S. 238</ref>: „wärmt mich, wenn der Winter kommt, denn der Winter zerstört den Šaiḫ“.<ref>Ibn Qudāma: ''al-Muġnī'', Band 1, S. 12. - Den Dichter hat Abū Ḥātim al-Siǧistānī in seine [[Anthologie]] betagter Poeten der Frühzeit aufgenommen. Siehe: ''Das Kitāb al-muʿammarīn des Abū Ḥātim Al-Siǧistānī''. Bearbeitet von [[Ignaz Goldziher]] in: ''Abhandlungen zur arabischen Philologie.'' Leiden 1899 (Nachdruck: Georg Olms. Heidelberg 1982. Band 2. S. 6)</ref>
Diskussionen über diesen Teilaspekt führte man etwa um die gleiche Zeit auch in Gelehrtenkreisen von [[Mekka]]; die konkrete Frage von Ibn Ǧuraiǧ († 767) an seinen Lehrer ʿAṭāʾ ibn Abī Rabāḥ († 732)<ref>Über sie siehe ausführlich: Harald Motzki: ''Die Anfänge der islamischen Jurisprudenz.'' Ihre Entwicklung in Mekka bis zur Mitte des 2./8. Jahrhunderts. S. 70 ff. und 183 ff. (Abhandlungen für die Kunde des Morgenlandes. Band L, 2. Franz Steiner, Stuttgart 1991</ref>:„hat man in der kalten Landschaft Syriens die Erlaubnis (''ruḫṣa''), sich nicht zu reinigen und die rituelle Waschung (wuḍūʾ) nicht durchzuführen?“ Die Frage ist kategorisch verneint worden.<ref>ʿAbdarrazzāq aṣ-Ṣanʿānī: ''al-Muṣannaf'', Band 1, S. 226. Nr. 875; Miklos Muranyi (1975), S. 133.</ref> Eine inhaltlich vergleichbare Rechtsfrage wird unter Berufung auf den koranischen Imperativ:„Und wenn ihr unrein seid, dann nehmt eine (entsprechende) Reinigung vor!“ (Teil von Sure 5, Vers 6) ebenfalls verneint.<ref>ʿAbdarrazzāq aṣ-Ṣanʿānī: ''al-Muṣannaf'', Band 1, S.
Findet der Reisende kein Wasser oder nur eine ungenügende Menge davon, darf er Tayammum anwenden. Bei den [[Schafiiten]] und [[Hanbaliten]] beginnt der Reisende im letzteren Fall die rituellen Waschung mit dem vorhandenen Wasser und schließt sie mit Tayammum ab. Dabei berufen sich diese Rechtsschulen auf den bei [[al-Buchārī]] verzeichneten Prophetenspruch: „''ist euch etwas befohlen worden, so erfüllt es, wie ihr dazu fähig seid''“.<ref>''aṣ-Ṣaḥīḥ, Kitāb al-iʿtiṣām bil-kitāb wa-s-sunna, bāb'' 2.</ref> Sollte sich Wasser an einem entlegenen Ort befinden, dessen Erreichung aber nur mit Gefahren verbunden wäre, ist Tayammum zu vollziehen. In anderen Fällen ist die Wasserstelle aufzusuchen, die, je nach Rechtsschule, in einer Entfernung von einer Meile, vier Tausend Schritten oder in der Entfernung eines Pfeilschusses liegen kann.<ref>''al-mausūʿa al-fiqhīya'', Band 14, S. 255.</ref> In der Rechtslehre wird auch der Kauf von Wasser zu Reinigungszwecken zu einem erschwinglichen Preis empfohlen.<ref>''al-mausūʿa al-fiqhīya'', Band 4, S. 256.</ref> Bei der Furcht vor dem Dursttod auf Reisen ist dagegen Tayammum anzuwenden, um das vorhandene Wasser aufzuheben und dadurch Leben zu retten; hierbei aktualisiert die Rechtslehre den bereits oben zitierten Koranvers: ''„...und tötet euch nicht (gegenseitig)! Gott verfährt barmherzig mit euch“'' (Sure 4, Vers 29). Diese Rechtsansicht vertraten neben [[al-Hasan al-Basrī|al-Ḥasan al-Baṣrī]] († 728) auch andere Gelehrte des späten 7. und frühen 8. Jahrhunderts.<ref>ʿAbdarrazzāq: ''al-Muṣannaf'', Band 1, S.
Auch der Sesshafte vollzieht Tayammum, wenn kein Wasser vorhanden ist. Es herrscht allerdings Lehrdifferenz zwischen den Rechtsschulen darüber, ob ein Gebet, dem nur Tayammum vorausging, wiederholt werden muss. Nach den Ḥanafiten, [[Malikiten]] und Hanbaliten besteht keine Pflicht, das Gebet zu wiederholen. Für die Schafiiten erklärt der Rechtsgelehrte [[an-Nawawī]], dass Tayammum erst nach erfolgloser Suche nach Wasser gestattet ist, ein Standpunkt, der innerhalb der schafiitischen Schule umstritten ist.<ref>''al-mausūʿa al-fiqhīya'', Band 14, S. 257.</ref> Es ist ritualrechtlich ebenfalls umstritten, ob nach dem Tayammum nur ein oder mehrere darauf folgende Gebete verrichtet werden dürfen. Als [[Sunna]] gilt, dass Tayammum nur für ein Gebet Geltung hat, und beim nächsten Gebet
Der Sesshafte vollzieht Tayammum, wenn er während der Suche nach Wasser befürchtet, dass der gesetzlich festgelegte Termin des Gebets zu Ende geht. Nach mālikitischer Lehre hat er aber das Gebet zu wiederholen, wenn er anschließend Wasser findet. Man begründet dies mit dem Argument, dass die koranische Erlaubnis des Tayammum ursprünglich nur auf Kranke und Reisende, wenn letztere kein Wasser finden, zu beziehen ist.<ref>Ibn Abī Zaid al-Qairawānī: ''an-Nawādir wa-z-ziyādāt ʿalā mā fī ʾl-Mudawwana min ġairi-hā min al-ummahāt''. (Ed. ʿAbd al-Fattāḥ Muḥammad al-Ḥilw. Beirut 1999). Band 1, S.
Der Koranexeget und Rechtsgelehrte Muḥammad ibn Aḥmad ibn Abī Bakr († 1273 in [[Oberägypten]]) aus [[Córdoba (Spanien)|Córdoba]]<ref>[[Carl Brockelmann]]: ''Geschichte der arabischen Litteratur''. Band 1, S. 529. Brill, Leiden 1943</ref> erörtert den „Tayammumvers“ (āyat at-tayammum) in seinem groß angelegten ''al-Ǧāmiʿ li-aḥkām al-Qurʾān''<ref>Im Orient mehrfach gedruckt. Zuletzt: ʿAbd Allāh ibn ʿAbd al-Muḥsin at-Turkī (Hrsg.) ''et alii'' mit Indices in 23 Bänden. Al-Resalah. Beirut 2006</ref> auf fünfundvierzig Seiten. Den Grund für die unter den Rechtsgelehrten herrschende Lehrdifferenz, die er im Einzelnen darstellt, sieht er in ihrem kontroversen Verständnis des betreffenden Koranverses.<ref>''al-Ǧāmiʿ li-aḥkām al-Qurʾān'', Band 6, S. 362</ref> Sein Vorgänger, der eingangs genannte Ibn al-ʿArabī al-Maʿāfirī, erfuhr auf seinen Reisen, dass seine Kollegen im islamischen Osten über achthundert Rechtsfragen betreffs Tayammum gesammelt haben sollen.<ref>''al-Qabas fī šarḥ Muwaṭṭaʾ Ibn Anas''. Band 1, S. 161 (Beirut 1998)</ref> Er selbst fasst die Rechtsproblematik des Tayammum in seinem Muwaṭṭaʾ-Kommentar ''al-Masālik fī šarḥ Muwaṭṭaʾ Mālik'' in fünfzehn Fragen (masʾala) auf siebzehn Seiten zusammen.<ref>Beirut 2007. Band 2, S.
== Literatur ==
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* [[Erwin Gräf]]: ''Zur Klassifizierung der menschlichen Handlungen nach Ṭūsī, dem Šaiḫ al-Ṭāʿifa (gest. 460) und seinen Lehrern''. In: Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft (ZDMG), ''Supplement'' III.1 (1977), S. 388 (XIX. Deutscher Orientalistentag 1975)
* [[Edward William Lane]]: ''An Arabic-English Lexicon''. London 1863.
* A. J. Wensinck und J. H. Kramers (Hrsg.): ''Handwörterbuch des Islam''. Brill, Leiden 1942. S. 746.
* Theodor Nöldeke: ''Geschichte des Qorāns''. 2. Auflage. Bearbeitet von Friedrich Schwally. Erster Teil. Leipzig 1909. S.
* ''al-mausūʿa al-fiqhīya''. Wizārat al-awqāf. Kuwait. 4. Auflage. Kuwait 2002. Band 14, S. 248 ff.
* Ibn Qudāma: ''al-Muġnī''. (Ed. ʿAbd Allāh b. ʿAbd al-Muḥsin at-Turkī und ʿAbd al-Fattāḥ Muhammad al-Ḥilw.) 2. Auflage. Kairo 1999. Band 1.
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== Einzelnachweise ==
<references />
{{Normdaten|TYP=s|GND=|LCCN=sh85109199|NDL=|VIAF=}}
[[Kategorie:Gebet (Islam)]]
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